Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

100.000.000.000 Euro


Illustration: Martin Naumann für DIE ZEIT


E


r hat Pakete voller Rauschgift aus
Reservereifen gerissen, auf Bun-
desstraßen Zigarettenschmuggler
gestellt und Lager mit illegal ein-
geführten Arzneimitteln hochge-
nommen. Am Wochenende, feier-
tags oder mitten in der Nacht.
»Mit der Zeit sieht man einfach mehr«, sagt er nach
vielen Jahren als Ermittler. Doch jetzt soll er Geld-
wäsche bekämpfen – und vielleicht ist das der
härteste Job seiner Laufbahn.
Der Fahnder soll hier Hoffmann heißen. Seinen
richtigen Namen in der Zeitung zu nennen könnte
ihm Schwierigkeiten machen, glaubt er. Denn Hoff-
mann, der Ermittler, sagt: »Deutschland ist ein Geld-
wäsche-Paradies.« Er berichtet von Fällen, bei denen
es sich offensichtlich um Geldwäsche handelt, bei
denen er aber nichts tun kann. Von Ermittlungen,
die zu nichts führen, weil ihm die Instrumente fehlen.
Von Kriminellen, die davonkommen, weil die Ge-
setze ihnen großen Spielraum lassen.
Geldwäsche ist eine gigantische Industrie. Dabei
wird Geld, das durch Drogenhandel, Menschen-
schmuggel, Korruption, Betrug, Erpressung verdient
wurde, über verschlungene Wege wieder in den lega-
len Wirtschaftskreislauf geschleust. Aus schmutzigem
wird dann sauberes Geld. Weltweit werden jährlich
zwischen zwei und fünf Prozent des globalen Brutto-
inlandsprodukts gewaschen, schätzt das Büro der
Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechens-
bekämpfung (UNODC). Das wären weltweit zwi-
schen 1,6 und 4 Billionen US-Dollar. In einer 2016
für das Bundesfinanzministerium erstellten Studie
wird der Betrag des in Deutschland gewaschenen
Geldes auf mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr
geschätzt – in etwa so viel wie der Jahresumsatz des
Automobilherstellers BMW.
Am Freitag wird der Bundestag über die Umset-
zung einer neuen EU-Richtlinie abstimmen, mit der
das deutsche Geldwäschegesetz überarbeitet wird.
Damit soll die Immobilienbranche strenger kon-
trolliert werden und die beim Zoll angesiedelte
Financial Intelligence Unit (FIU) mehr Kompetenzen
erhalten. Ebenso sollen Anbieter zur Verwahrung von
Kryptowährungen dazu verpflichtet werden, ver-
dächtige Transaktionen zu melden. Und das Trans-
parenzregister, in dem die Eigentümer von Unter-
nehmen offengelegt werden, soll für alle Bürger ein-
sehbar werden. Aber reicht das?
Die ZEIT hat mehrere Wochen lang mit denje-
nigen gesprochen, die täglich gegen Geldwäscher
vorgehen. Mit Ermittlern, Staatsanwälten und Auf-
sehern in Deutschland und ihren Kollegen im Aus-
land. Sie arbeiten bei spezialisierten Strafverfolgungs-
behörden, bei der Polizei, bei der FIU und bei in-
ternationalen Organisationen. Manche sprachen mit
Erlaubnis ihrer Dienststelle. Andere, wie Ermittler
Hoffmann, wollen anonym bleiben, um offen reden
zu können.

Der Fluch der bösen Vortat
»... und schon ist alles weg und sauber«

Hoffmann durchwühlt keine Lagerhäuser mehr, er
sitzt meist am Schreibtisch, kämpft sich durch Kon-
toauszüge, Steuererklärungen, Firmen-Konstrukte.
Und er hatte gerade wieder einen Fall, dessen Ausgang
ihn am Sinn seiner Tätigkeit zweifeln lässt.
Ein in Deutschland lebendes Ehepaar aus der
Ukraine zahlte bei der Bank exakt 200.000 Euro auf
sein Konto ein, in bar. Der Mann ist Landmaschinen-
techniker, die Frau Steuergehilfin. Mit dem, was die
beiden verdienen, können sie unmöglich einen sol-
chen Betrag ersparen. Also meldete die Bank, wie es
in solchen Verdachtsfällen ihre Pflicht ist, die Ein-
zahlung an die Behörden. Hoffmann war sofort klar:
»Das ist nicht deren Geld, das sind Strohleute!« Soll
heißen: Die beiden schleusen den Betrag für andere
über ihr Konto. Fünf Prozent Provision vom Gesamt-
betrag seien bei solchen Geschäften durchaus drin.
»Da sind Kriminelle, die suchen sich mehrere
Leute, über deren Konten sie eine solche Transaktion
abwickeln können, oft sind es Landsleute, die da
rekrutiert werden«, sagt Hoffmann. Ein beliebter
Trick: Die Kontoinhaber zahlen das Geld ein und
legen einen Darlehensvertrag vor, in dem steht, dass
sie dem Kriminellen das Geld schulden. »Dann wird
alles beispielsweise an eine deutsche GmbH über-
wiesen, die einen Gesellschafter auf den Kanalinseln
oder in Panama hat, und schon ist alles weg und
sauber«, sagt der Fahnder.
Hoffmann hat die beiden vernommen. Sie schwie-
gen, was ihr Recht ist. Er hat die Behörden in der
Ukraine darum gebeten, ihm die alten Steuererklä-
rungen der beiden zu schicken. Es kam keine Ant-
wort, was selbst bei EU-Ländern vorkommen kann.
Die Staatsanwaltschaft stellte schließlich das Ermitt-
lungsverfahren ein. Hoffmann gelang es nicht, nach-
zuweisen, dass das Geld aus einer Straftat stammt.
Und diese sogenannte Vortat braucht es, um jeman-
den wegen Geldwäsche dranzukriegen.
Das Problem für die Ermittler ist: Meist wurden
die Verbrechen, aus denen das Geld stammt, nicht
in Deutschland begangen – das berichtet ein auf
Wirtschaftsdelikte spezialisierter Staatsanwalt. Das
Geld wird in Deutschland oft nur eingezahlt oder
investiert, in Immobilien, Handelswaren, Unter-
nehmensanteile. Ob sich ein Minister in der Ukraine

hat bestechen lassen, ob jemand Waffen an den
Iran geliefert hat, ob jemand in Angola eine Person
erpresst hat – die deutschen Behörden können das
oft nicht ermitteln.
Hoffmann wünscht sich daher, dass ein Instru-
ment, das 2017 erst eingeführt wurde, öfter eingesetzt
wird: Paragraf 76a Absatz 4 Strafgesetzbuch. Wenn
ein Richter der Überzeugung ist, dass Vermögen un-
rechtmäßig erlangt wurde, kann er es einziehen. Der
Beschuldigte muss dann beweisen, dass er das Geld
legal verdient hat. Wenn beispielsweise jemand einen
Porsche fährt und offiziell Hartz IV bezieht, kommen
Fragen auf. Hoffmann sagt: »Wenn wir die Möglich-
keit der Beschlagnahme konsequent anwenden
würden, kämen wir ziemlich gut weiter.« Auch der
Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter
Sebastian Fiedler sieht das so: »Wir haben 20 Jahre
lang für dieses Gesetz gekämpft, jetzt müssen wir es
konsequent anwenden und benötigen hierfür mehr
gut ausgebildetes Personal. Wir müssen den Krimi-
nellen ans Geld. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.«
Doch manche Behörden sind da noch zurückhaltend.
Rechtlich heikel ist es obendrein, weil die Beweislast
letztlich umgekehrt wird. Mit derartigen Mitteln reizt
der Rechtsstaat alle seine Möglichkeiten aus – oder
überschreitet sie.

Bargeld ist Freiheit
»Es gibt keine Spuren«

Grote* musste das Klingeln erst wieder lernen. Er hat
Mörder gejagt, Kinderporno-Händler, Drogendealer.
Als der Kriminalbeamte die Abteilung wechselte und
zur Geldwäsche kam, liefen die Hausdurchsuchun-
gen plötzlich anders. Bei Drogen-Ermittlungen tritt
man die Tür ein, stürmt in die Wohnung, einer rennt
zum Klo, damit die Dealer ihren Stoff nicht runter-
spülen. Bei Wirtschaftsverbrechen klingelt man,
betritt gemächlichen Schrittes das Büro, bittet um
die gesuchten Ordner oder Computer. Manchmal
gibt es eine Tasse Kaffee.
Dabei sind beide Welten untrennbar verbunden.
Denn für den Rauschgifthandel müssen große Sum-
men gewaschen werden. Eine Methode funktioniert
über den Autokauf. Und sie fällt kaum auf. Grote
hatte so einen Fall. Ein Drogenhändlerring schmug-
gelte das im Ausland verdiente Geld nach Deutsch-
land, um hierzulande Gebraucht- und Neuwagen zu
kaufen, so behauptete zumindest ein Tippgeber aus
der Szene. Weit kam Grote in der Sache jedoch nicht,
kein Büro wurde durchsucht, keine Wohnung ge-
stürmt. Grund dafür war die Zahlungsmodalität: Alle
Geschäfte wurden in bar abgewickelt. »Das läuft
außerhalb aller Systeme ab, es gibt wenige brauch-
bare Spuren«, sagt er.
Die gekauften Fahrzeuge wurden dann auf ein
Schiff verladen und nach Afrika transportiert. Dort
wurden sie weiterverkauft. Und schon konnte man
die Drogengelder rechtfertigen: Als Einnahmen aus
dem Autohandel. »Bei solchen Ermittlungen haben
wir kaum eine Chance«, sagt Grote. Angeklagt wur-
de in diesem Fall niemand.
Gerade in Deutschland ist es schwer, derartige
Geschäfte zu unterbinden. Zu sehr lieben die
Deutschen ihr Bargeld. Die FAZ schrieb einmal:
»Bargeld ist Freiheit«. Nicht überall empfindet
man das so. In Italien darf man maximal 2999,99
Euro in bar bezahlen. In Frankreich, Portugal, Spa-
nien ist die Barzahlung begrenzt, wie in den meis-
ten anderen europäischen Ländern. In Deutsch-
land hingegen nicht. Auch im Entwurf zum
neuen Geldwäschegesetz ist eine generelle Ober-
grenze nicht vorgesehen. Immerhin, Goldhändler
sollen bei Beträgen von mehr als 2000 Euro künf-
tig die Personalien des Kunden aufnehmen, falls
der bar bezahlt.

Auf der Jagd
»Manchmal zählen wir tagelang Scheine«

Wie wichtig das Bargeld für kriminelle Organisa-
tionen ist, kann ein Beamter bei Europol berich-
ten. Er arbeitet in der Abteilung Finanzkriminali-
tät bei der europäischen Polizeibehörde in Den
Haag. Um zu zeigen, wie einfach sich große Sum-
men verstecken lassen, bittet er darum, ein Frage-
spiel mitzumachen. Er freut sich, wenn die Ant-
worten zu niedrig ausfallen. Frage: Wie viele
500-Euro-Scheine passen in eine Zigaretten-
schachtel? Antwort: 50 Scheine, also 25.000 Euro.
Wie viele in eine Cornflakes-Packung? 1000
Scheine, also 500.000 Euro. In einen kleinen Safe?
20.000 Scheine, oder: zehn Millionen Euro.
Die Liebe der Deutschen zum Bargeld ist dem
Beamten fremd. Wohl weil er beinahe täglich
damit beschäftigt ist, Operationen zu koordinie-
ren, bei denen Fahnder in ganz Europa versuchen,
kriminellen Banden die Barerträge aus Zollbetrug
oder Drogenhandel abzunehmen. »Operation
Alquimia« oder »Operation Kouri« heißen die
Einsätze. Immer geht es darum, Kuriere abzufan-
gen und Unmengen an Scheinen sicherzustellen.
Die Zollbehörden setzten inzwischen Spürhunde
ein, um das Geld bei Kontrollen zu finden. Geld
mag nicht stinken, aber es hat einen bestimmten
Geruch, den die Hunde erkennen. Sie entdecken
die Pakete im doppelten Boden eines Fahrzeugs, in
der Innenverkleidung oder unter dem Reserve-

»Deutschland ist ein


Geldwäsche-Paradies«


Drogen, Menschenhandel, Betrug – auf der ganzen Welt illegal verdientes Geld wird


in Deutschland investiert und gewaschen. Eine Recherche unter Kriminalbeamten und


Staatsanwälten über ihren Kampf gegen einen übermächtigen Gegner VON INGO MALCHER


Fortsetzung auf S. 22

werden in Deutschland jährlich gewaschen – in Worten: einhundert Milliarden
Quelle: Dunkelfeldstudie zur Geldwäsche in Deutschland, Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg

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  1. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47


WIRTSCHAFT

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