Neue Zürcher Zeitung - 13.11.2019

(Barry) #1

Mittwoch, 13.November 2019 INTERNATIONAL


Der Ruf nach dem starken Mann


Sri Lankawählt amSamstag einen neuen Präsidenten –das Thema innere Sicherheit dominiert


MARCO KAUFFMANN BOSSART,
COLOMBO/DIGANA


Nur Autofahrer, die eine Segnung ihres
Fahrzeugs wünschen, dürfen vor der St.-
Antonius-Kirche in Colombo parkieren.
So stehtes auf einem Metallschild, das
an den Absperrungen hängt. Ein isla-
mistischer Selbstmordattentäter hatte
am Ostersonntag in diesem Gotteshaus
93 Messebesucher in denTod gerissen.
Auch ein halbesJahr danach patrouil-
lieren bewaffnete Soldaten vor dem Ein-
gang, und die Gläubigen werden durch
eine Sicherheitsschleuse geschickt.
EisernePoller schirmen den Vorplatz ab.
Im Innern erinnert nur wenig an
den schlimmstenTag in der191-jähri-
gen Geschichte des Gotteshauses. Das
Altarbild, mit Szenen aus der Bibel,
wurde mit leuchtendenFarben aufge-
frischt. Und das in der Ostermesse weg-
gesprengte Holzdach wurde ersetzt. Sri
Lankas Marine hatte bei derRenovation
Hand angelegt. BisWeihnachten sollen
die Arbeiten, finanziert durch Spen-
den und staatliche Gelder, abgeschlos-
sen sein. Die Löcher, die die Explosion
in den Steinboden riss, werden wohl als
Mahnmal erhalten. An diesem Mittag
sitzt eine Gruppe vonFrauen in Gebete
versunken auf einerBank. Ein Mann
streicht, seinenKopf gebeugt, langsam
über die Statue des heiligen Antonius.
In der Sakristei geben sich Gläubige,
die von PfarrerFernando den Segen er-
bitten, die Klinke in die Hand. Gleich
sollte er auch Beichten abnehmen; aber
er nimmt sich Zeit für denJournalis-
ten. «Gott gab mir die Chance weiterzu-
leben», sagt der Priester, als er über den
traumatischen Morgen im April spricht.
Er zeigt auf eine Ecke seines Büros:
«Wäre ich dort drüben gesessen, gäbe
es mich nicht mehr.»Fernando, dessen
Handy im Minutentakt klingelt,hatte die
Osternachtsliturgie zelebriert und hielt
sich am Morgen in der Sakristei auf.Auch
dort stürzte einTeil der Decke herunter.
Alle Geistlichen blieben unverletzt.


Ignorierte Extremismusgefahr


Wut auf die Täter, die sich auf den Isla-
mis chen Staat beriefen, empfindet der
Pfarrer im weissenTalar nicht.«Vater,
vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was
sie tun» – so zitiert erJesus’ letzteWorte
aus dem Lukas-Evangelium. Und sagt
dann, es gebe überall Extremisten, aber
er glaube an die friedlicheKoexistenz
der Religionen in SriLanka. Sehr über-
zeugt wirkt er nicht.
Als Urheber der Anschlagsserie
wurde der islamistische Prediger Zah-
ran Hashim identifiziert. Er war einer
vonneun Selbstmordattentätern, die
am 21.April zeitgleich Kirchen in
Colombo,Negombo undBatticaloa so-


wie drei Erstklasshotels in der sri-lanki-
schen Hauptstadt attackierten. Bei dem
Blutbad wurden 259 Menschen getötet,
unter ihnen 45 ausländischeTouristen.
In denWochen nach der Bluttat
richtete sich der Zorn der Bevölkerung
gegen die muslimische Minderheit, die
rund zehn Prozent der zwanzig Millio-
nen SriLanker ausmacht. Mobs brann-
ten Häuser und Geschäfte nieder und
pöbelten verschleierteFrauen an.Ange-
hörige der singhalesisch-buddhistischen
Mehrheit riefen zu einem Boykott mus-
limischer Geschäfte auf. Im Tempel Sri
Dalada Maligawa in Kandy, wo gemäss
Überlieferung ein Eckzahn von Buddha
aufbewahrt wird, tratenradikale Mön-
che in einen Hungerstreik. Sie verlang-
ten denRücktrittvon drei muslimischen
Politikern, denen sieVerbindungen zu
Extremisten unterstellten. Sie droh-
ten, bis zumTod zu fasten.Aus Solidari-
tät mit den beschuldigtenPolitikern er-
klärten sämtliche muslimischen Minis-
ter vorübergehend ihrenRücktritt, unter
ihnen Rauff Hakeem, Präsident der
grössten muslimischenPartei, SLMC.
Keinem der Angeschuldigtenkonnte
ein e Verbindung zu militanten Organi-
sationen nachgewiesen werden. Zwar
kursierte einFoto, auf dem sich der Pre-

diger Zahran und der Gouverneur der
Eastern Province, Muhammad Hizbul-
lah , die Hand schütteln. Der Gouver-
neurrechtfertigte sich vor einemPar-
lamentskomitee, es sei üblich gewesen,
vor Wahlen beireligiösenFührern vor-
zusprechen, um sich deren Unterstüt-
zung zu sichern.Zudem soll dasFoto aus
einer Zeit stammen, als noch niemand
ahnte, das s ZahranTerrorpläne schmie-
dete. Sri LankasVereinigung der mus-
limischen Kleriker betonte derweil, sie
habe die Behörden wegen derRadikali-
sierung des Predigers alarmiert – gesche-
hen sei nichts. Eine zeitlich präziseWar-
nung ausländischer Geheimdienste vor
einemTerrorakt in Kirchen und Hotels
ging im Machtgerangel zwischen Prä-
sident und Premierminister unter. Die
muslimische Gemeinde fühlt sich als Op-
fer einer inkompetentenRegierung, die
zuerst die Extremismusgefahr ignorierte,
abe r nach dem Blutbad vonOstern die
Muslime unter Generalverdacht stellte.
Religiös und ethnisch motivierte Ge-
walt hat in SriLanka eine lange Ge-
schichte.Im März 2018 verwüsteten sin-
ghalesisch-buddhistische Scharfmacher
in der Central Province muslimische
Einrichtungen, bis sich dieRegierung
gezwungen sah, den Notstand auszu-

rufen.Auslöserwar einVerkehrsunfall,
bei dem ein singhalesischerLastwagen-
fahrer sein Leben verloren hatte.
Wir fahren aus Colombo nach Di-
gan a, einem Städtchen hundert Kilo-
meter von der Hauptstadt entfernt, in
der Central Province. Dort zerstörten

Vermummte imFrühjahr 2018 muslimi-
sche Geschäfteund die Moschee. Fast
zweiJahre später beten die Gläubi-
gen noch immer in einem Provisorium.
Ein Dutzend bärtiger Männer kniet in
einem dürftig belichtetenWellblechver-
schlag auf den Boden und richtet sich
nach Mekka aus. Für denWiederaufbau
der Moschee fehlt das Geld. Und weil
die Fenster im Provisoriumkeine Schei-
ben haben, übertönenLastwagen und
hochtourige Rikschas zwischendurch

den Imam. Ein paar Kinder mit Gebets-
mützen rutschen ungeduldig umher.
Nach dem Gebet führt der Predi-
ger SamsuddenFazal den Besucher in
sein Elternhaus, einen kargen Betonbau
gleich neben der abgebrannten Moschee.
«An diesem Märztag stürmten rund 200
Leute auf unser Haus zu und bewarfen es
mit Molotow-Cocktails.» Die Stichflam-
men versperrten den Fluchtweg; sein
Bruder erstickte imRauch. Es hiess da-
mals,Auswärtige seien über das Dorf her-
ge zogen. «Aber sie erfuhren von Einhei-
mischen, welche Häuser und Geschäfte
den Muslimen gehören», wirft einer der
Männer aus der Moschee ein. Nach den
Terroranschlägen von Ostern seienin Di-
ga na wieder muslimische Einrichtungen
angegriffen worden, diesmal mit Steinen.
Vor dem Haus des Imams stehenein paar
Männer zusammen. Einer in den Sechzi-
gernerzä hlt, er habe Anzeigegegen die
Steinewerfer erstatten wollen.«DerPoli-
zistschickte mich weg». Erst in der Pro-
vinzhauptstadtwar er erfolgreich.

Gräben habensich vertieft


Die Anschläge von Ostern haben die
ethnisch-religiösen Gräben in SriLanka
vertieft, und dasThema innere Sicher-
heit dominiert den Präsidentschafts-
wahlkampf. Gotabaya Rajapaksa,
der Spitzenkandidat der Opposition
und Bruder des früheren Präsidenten
MahindaRajapaksa, hatte bis 2009 den
Vernichtungsfeldzug gegen dieTami-
len kommandiert. Ihm werden schwere
Me nschenrechtsverletzungen vorgewor-
fen. Jetzt gelobt er, das Land vor islamis-
tischenFanatikern zu bewahren – und
die muslimische Minderheit vor Über-
griffen singhalesischer Mobs zu schüt-
zen. Der Bewerber aus demRegierungs-
lager, Sajith Premadasa von der United
NationalFront, bearbeitetebenfalls das
Themenfeld der inneren Sicherheit und
versucht so, die ramponierte Glaubwür-
digkeit desRegierungslagers wieder-
herzustellen.An denWahlkampfveran-
staltungen tritt etwa der frühere Spit-
zenmilitär SarathFonseka auf. Damit
signalisiert die durch interne Rivalitä-
ten geschwächteRegierungsmannschaft,
dass sie dasFeld in Sicherheitsfragen
nichtRajapaksa überlassen will. Bei
einem Sieg Premadasas am16.Novem-
ber soll General Fonseka dasVerteidi-
gungsministerium übernehmen.
DerAufmarsch der «starken Män-
ner», die der muslimischen Minderheit
versprechen, sich künftig intensiv um die
nationale Sicherheitzu kümmern, beein-
druckt die Gläubigen vor der Moschee
in Digana wenig. Sie haben denVer-
dacht, dass diesePolitiker mehr an ihrer
Stimme interessiert sindals an ihrer
Sicherheit. Einer der Männer sagt: «Es
kann jederzeitalles passieren.»

Beim Anschlag am Ostersonntag ginginder St.-Antonius-Kirche in Colombo auchdiese Maria-Statue in Brüche. D. LIYANAWATTE / REUTERS

«Wir haben willkürliche Verhaftungen geduldig ertragen»


Der Präsident der grösstenislamischen Partei Sri Lankas (SLMC) und Ministerfür Stadtplanung, Rauff Hakeem, über Diskriminierung vonMuslimen


Herr Hakeem, nach denTerroranschlä-
gen von Ostern, die einheimische Isla-
misten verübt hatten, gab es Übergriffe
auf Muslime in Sri Lanka.Wie beurtei-
len Sie die Situation heute?
Die muslimische Gemeinde war Exzes-
sen der Sicherheitskräfte ausgesetzt.
Mehr als 2000 Personen wurden fest-
genommen.Wirhaben willkürlicheVer-
haftungengeduldigertragen.Gleichzeitig
kooperieren wir mit den Behörden. Hin-
ter denAnschlägen steckte eine Gang, ja
eineArtKult.SriLankas Muslime hegen
keine Sympathien fürdiese Extremisten.
Und wir werden schauen,dass in unserer
Gemeinschaftkeine solchen militanten
Köpfe mehr heranwachsen.


Wurde das Islamismus-Problem in Sri
Lanka unterschätzt?Wie man heute
weiss, verkehrten in Moscheen radi-
kale Prediger aus demAusland, und die
Regierung schien keineKontrolle über
Spenden aus Saudiarabien zu haben.


Militantes Gedankengut, inspiriert von
der Ideologie des IS, sickerte in Sri
Lanka ein.Aber sehen Sie: In jederReli-
gion existieren extremistischeTenden-

zen. Und es braucht manchmal wenig,
bis radikalisiertePersonen eine Grenze
überschreiten und zuTerroristen wer-
den.Ausländische Kräfte haben in Sri
Lanka offenkundigPersonen gefunden,
die sich für dieAusübung einer solchen
Tat anheuern liessen. Extremismus, in
welcherReligion und in welcherForm

auch immer, ist zu verurteilen.Wir Mus-
lime lassenkeinen Stein auf dem ande-
ren und wollen sicherstellen, dass so
etwas nicht mehr geschieht.

Sie sprechen von ausländischen Kräften.
Doch wurde auch muslimischen Politi-
kern in SriLanka vorgeworfen,Extre-
misten nahezustehen. Sie bestreiten dies
vehement. Dennoch gaben Sie dem
Druck buddhistischer Mönche nach und
traten imJuni 2019 vorübergehend zu-
rück.Weshalb?
Der staatliche Sicherheitsapparat war
nicht in derLage oder nicht willens, die
buddhistischen Hardliner im Zaum zu
halten.Wären direkt Angeschuldigte
wie der Gouverneur Mohamed Hizbul-
lah im Amt geblieben, hätten Mobs dies
zum Anlass genommen, eine weitere
Gewaltwelle gegen Muslime loszutre-
ten. Schliesslich entschieden alle hohen
muslimischen Amtsträger, also auch
jene, gegen die garkeine dieser absur-

den Vorwürfe existierten, zu demissio-
nieren. DieserkollektiveRücktritt rüt-
telte auf. Plötzlich wurden unsere Sor-
gen und Nöte von der buddhistischen
Elite ernst genommen.

Der von Ihnen erwähnte Gouverneur
Hizbullahtritt auch bei der Präsident-
schaftswahl an. Sie unterstützen aber
einen Buddhisten, den Kandidaten der
Regierungspartei United NationalFront.
Wieso eigentlich?
Hizbullahs Kandidatur führt nur dazu,
dass sich die Stimmen der Muslime auf-
splittern. Zudem bin ich der Ansicht,
dass er sich vom oppositionellen Spit-
zenkandidaten Gotabaya Rajapaksa
kaufen liess. Er scheint sich finanzielle
Vorteile zu erhoffen, wenn es zu einem
Machtwechselkommt.

Gotabaya Rajapaksa, der ehemals starke
Mann im Verteidigungsministerium,
wirbt vor allem als Sicherheitspoliti-

ker um Stimmen.Wer denAufstand der
Tamilen beenden konnte, sei auch in der
Lage, die Sicherheit der religiösen Min-
derheiten zu garantieren.Was halten Sie
von diesemArgument?
Wir kennen das Narrativ.Nichts ist wei-
ter von derWahrheit entfernt: Natio-
nale Sicherheit gründet auf nationaler
Einheit. Aber Gotabaya und sein Bru-
der MahindaRajapaksa polarisieren.
Beide hätten es nach dem Ende des
Bürgerkriegs 2009 in der Hand gehabt,
staatsmännisch die ethnischen Pro-
bleme zu lösen und die Minderheiten
fair zu behandeln. Stattdessen suchte
der damaligePräs ident MahindaRa-
japaksa einen neuenFeind – und fand
dieMuslime.SeineRegierung hofierte
militante Gruppierungen,die für Über-
griffe verantwortlich sind. Und jetzt
schlachten diese Leute auf widerliche
Ar t un d Weise die Bombenanschläge
von Ostern aus.
Interview: Marco KauffmannBossart

Rauff Hakeem
Präsident SLMC und
PD Stadtplanungsminister

Religiös und ethnisch
motivierte Gewalt hat
in Sri Lanka eine lange
Geschichte.
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