Süddeutsche Zeitung - 14.11.2019

(Michael S) #1
von alan cassidy

U


m zu unterstreichen, dass sich gera-
de Historisches zuträgt auf dem Ka-
pitolshügel, gibt es vielleicht kei-
nen besseren Ort als Raum 1100 des Long-
worth-Gebäudes. Säulen an den Wänden,
Kronleuchter an der Decke, ein dicker Tep-
pich und dunkles Mobiliar – alles in die-
sem Sitzungszimmer wirkt vornehm und
staatstragend. Alles wirkt wie gemacht da-
für, wie die Demokraten ihre Impeach-
ment-Untersuchung gegen Donald Trump
sehen: als schwerwiegendes, aber notwen-
diges Verfahren, das in der Anklage gegen
einen in ihren Augen gesetzlosen Präsiden-
ten enden soll. Nun geht dieses Verfahren
in die nächste Phase. Am Mittwoch begann
vor dem Geheimdienstausschuss des Re-
präsentantenhauses die erste öffentliche
Zeugenanhörung in der Ukraine-Affäre.
Die ersten Zeugen waren nicht zufällig
gewählt: William Taylor und George Kent,
zwei langjährige, angesehene Karrieredi-
plomaten, die kurz vor zehn Uhr Ortszeit in
Raum 1100 Platz nahmen. Als sie anschlie-
ßend unter dem Blitzlichtgewitter der Ka-
meras ihren Eid ablegten, ahnten alle
schon, was sie sagen würden. Besonders
Taylor, der geschäftsführende US-Bot-
schafter in Kiew, hatte Trump bereits in sei-
ner vertraulichen Einvernahme vor dem
Geheimdienstausschuss schwer belastet.
Er hielt dort unter anderem fest, dass
Trump Militärhilfe für die Ukraine explizit
davon abhängig gemacht habe, dass der
ukrainische Präsident Wolodimir Selens-
kij Ermittlungen gegen Trumps Rivalen
Joe Biden ankündigte.
Die Frage am Mittwoch war deshalb
eher, wie Taylor und Kent ihre Sicht auf die
Ereignisse darstellen würden. In kurzen,
prägnanten Sätzen? In einer Art und Wei-
se, die auch auf jene Amerikanerinnen und
Amerikaner Eindruck macht, die ihren Tag
nicht damit verbringen, sich am Fernse-
hen eine Anhörung im Parlament anzu-
schauen? Darauf hofften die Demokraten.
Viel war zuletzt die Rede von der „Show“,
welche die Opposition mit den Impeach-
ment-Anhörungen bieten müsse, um eine
breite Öffentlichkeit davon zu überzeugen,
dass Donald Trump seine Macht als Präsi-
dent zu seinem persönlichen Vorteil miss-
braucht habe, als er Selenskji am 25. Juli
am Telefon zu den Ermittlungen drängte.

Besonders viel versprachen sich die De-
mokraten von Taylor. Der 72-Jährige war
schon im Ruhestand, als ihn US-Außenmi-
nister Mike Pompeo im Frühling bat, den
Botschafterposten in der Ukraine zu über-
nehmen. Dort bekam Taylor mit, wie
Trump über seinen persönlichen Anwalt
Rudy Giuliani die offizielle Politik der US-
Regierung hinterging, die darin besteht,
die Ukraine gegen Aggressionen Russ-
lands zu verteidigen. Er bekam auch mit,
wie die US-Regierung im Sommer überra-
schend die Militärhilfe an Kiew blockierte.
Ihm sei darauf klar geworden, dass dieses
Geld erst fließen würde, wenn Selenskij öf-
fentlich Ermittlungen gegen Biden und sei-
nen Sohn Hunter ankündige. Er habe diese
Verknüpfung damals für „verrückt“ gehal-
ten, sagte Taylor vor den Abgeordneten,
„und ich tue es heute noch“. In seiner gan-
zen Karriere habe er so etwas noch nicht er-
lebt.

Und dann sagte Taylor, ein hagerer
Mann mit tiefer Stimme, noch etwas Neu-
es – etwas, das in den US-Medien sofort für
Aufregung sorgte. Einer seiner Mitarbeiter
habe mitbekommen, wie sich Trump am
Telefon bei Gordon Sondland, dem US-Bot-
schafter bei der EU, nach dem Stand der Er-
mittlungen gegen die Bidens erkundigt ha-
be – und zwar am Tag nach Trumps um-
strittenen Gespräch mit Selenskij. Für die
Demokraten ist das eine „vernichtende“
Enthüllung, wie es der Abgeordnete Ted
Lieu nannte: ein Beleg dafür, dass der Präsi-
dent persönlich darum bemüht war, die
Ukraine für eine Schmutzkampagne ge-
gen seinen Rivalen einzuspannen. Und ein
Beleg dafür, dass sich Trump nicht für Kor-
ruption in der Ukraine interessierte, wie er
behauptete – sondern nur dafür, etwas ge-
gen Biden in der Hand zu haben.

Die Republikaner gaben sich davon un-
beeindruckt. Die Anschuldigungen der De-
mokraten seien „absurd“, sagte Devin Nu-
nes, Wortführer der Partei im Geheim-
dienstausschuss. Die Impeachment-Unter-
suchung sei auch deshalb unfair, weil sie
den Republikanern nicht erlaube, eigene
Zeugen vorzuladen – zum Beispiel Hunter
Biden, der im Aufsichtsrat einer ukraini-
schen Energiefirma saß, während sein Va-
ter als damaliger Vizepräsident für die
Ukraine-Politik der USA zuständig war.
Trump wirft den Bidens deshalb Korrupti-
on vor, und die Republikaner im Geheim-
dienstausschuss bemühten sich, Taylor
und Kent zu diesem Thema zu befragen,
was allerdings nicht sehr ergiebig war.
Dafür schoben sie wiederholt ihre ande-
ren Argumente gegen ein Impeachment
vor. Trump, sagten seine Verbündeten, ha-
be gar keinen Druck auf Selenskij ausge-
übt. Das habe der ukrainische Präsident
selbst bestätigt. Indem sich Trump um die
Bekämpfung der Korruption in der Ukrai-
ne bemühte, habe er angemessen gehan-
delt. Und: Die Militärhilfe sei ja letztlich ge-
flossen, wo also sei das Problem?
Ob die Auftritte von Taylor und Kent bei
den republikanischen Wählern einen Mei-
nungsumschwung bewirken werden, ist
tatsächlich zweifelhaft. Viele der Zeugen,
welche die Demokraten in den kommen-
den zwei Wochen aufbieten werden, sind
zwar angesehene Diplomaten und Regie-
rungsmitarbeiter. Sie hatten aber – wie
Taylor und Kent – zumeist keinen direkten
Kontakt zu Trump. Ihre Einschätzungen
der Motivation des Präsidenten stützten
sich deshalb alleine auf „Hörensagen“, so
die Republikaner.
Um diese Kritik zu entkräften, müssten
die Demokraten andere Personen zur Aus-
sage überzeugen. Personen wie John Bol-
ton, den früheren Nationalen Sicherheits-
berater, der täglich mit dem Präsidenten
sprach. Bolton war noch im Amt, als die
Ukraine-Affäre ihren Lauf nahm. Mehrere
Zeugen, die von den Demokraten hinter
verschlossenen Türen vernommen wur-
den, sagten aus, dass er sich distanzierte
vom Versuch, die US-Militärhilfe für Kiew
an Bedingungen zu knüpfen. Er wolle mit
einem solchen „Drogendeal“ nichts zu tun
haben. Bolton will aber nicht einfach vor
dem Kongress auftreten, sondern ver-
langt, dass ihm zuerst ein Gericht die Frei-
gabe zur Aussage erteilt. Darauf, so sieht es
aus, wollen die Demokraten nicht warten.

Vor 21 Jahren, fast auf den Tag genau, gab
es dasalles schon einmal: diese Atmos-
phäre voller Anspannung und Anfeindun-
gen in Washington, die Nonstop-Berichter-
stattung in den Medien, vielleicht bei dem
einen oder anderen kühleren Kopf aber
auch den Respekt vor den ungeheuren Kon-
sequenzen, die das Unternehmen haben
könnte, das an diesem Tag seinen Anfang
nahm. Im November 1998 war es der
Justizausschuss des damals von einer repu-
blikanischen Mehrheit dominierten Reprä-
sentantenhauses, der Anhörungen zum
Impeachment von Präsident William Jef-
ferson Clinton begann, einem Demokra-
ten. An diesem Mittwoch ist es der Geheim-
dienstausschuss des inzwischen von den
Demokraten kontrollierten Repräsentan-
tenhauses, der die öffentlichen Anhörun-
gen zu einer möglichen Amtsenthebung
von Präsident Donald John Trump eröff-
net – einem Republikaner.


Auf den ersten Blick also ähneln sich die
Verfahren sehr – beide eindeutig von
parteipolitischer Ranküne geprägt, beide
von fast grenzenloser Verachtung für den
Präsidenten der politischen Gegenseite
genährt. Doch ein paar aufschlussreiche
Unterschiede gibt es schon, auch zum Vor-
gehen gegen Präsident Richard Nixon, der
1974 der Schmach einer Amtsenthebung
nur durch seinen Rücktritt entging.
Zunächst einmal sind die Anschuldigun-
gen gegen die Präsidenten doch von sehr
unterschiedlicher Tragweite. Clinton wur-


de angeklagt, weil er über seine sexuellen
Eskapaden im Oval Office unter Eid nicht
die Wahrheit gesagt hatte. Trump droht
ein Verfahren, weil er offensichtlich die
Macht seines Amtes dazu missbraucht hat,
die Regierung eines anderes Landes zu er-
pressen. Sie sollte öffentlichkeitswirksam
Ermittlungen gegen seinen möglichen
Konkurrenten im Präsidentschaftswahl-
kampf und dessen Sohn einleiten. Auch
Nixon wurde Amtsmissbrauch vorgewor-
fen, weil er die Macht des Weißen Hauses
einsetzte, um Verbrechen zu vertuschen.
Aber während Nixon und Clinton, viel-
leicht sogar aus Respekt vor den demokra-

tischen Institutionen, mit dem Kongress in
den Verfahren zusammenarbeiteten, mau-
ert Trump. Nixon rückte, widerstrebend
zwar, Tonbänder und Abhörprotokolle
heraus. Clinton entschuldigte sich in einer
öffentlichen Erklärung für sein Verhalten.
Trump verbietet seinen Mitarbeitern
schlichtweg, mit dem Repräsentanten-
haus zu kooperieren. Wer es dennoch tut,
zieht sich den Zorn des Präsidenten zu.
Bei Nixon und Clinton gab es unabhängi-
ge Ermittler, die die Vorwürfe gegen die
Präsidenten zusammentrugen. Das gibt es
im Fall Trumps nicht. Diese Aufgabe hat
der Geheimdienstausschuss des Repräsen-

tantenhauses übernommen, der sich des-
halb auch nur auf Vorwürfe im Zusammen-
hang der Ukraine-Affäre konzentriert.
Vor allem aber dürfte die Polarisierung
der Parteien sich noch einmal gesteigert
haben. Im Repräsentantenhaus stimmte
kein einziger Republikaner für die Einlei-
tung des Impeachmentverfahrens gegen
Trump. 1998 war Bill Clinton froh, als nur
31 seiner Demokraten für das Verfahren
gegen den Präsidenten aus ihrer eigenen
Partei votiert hatten.
Zudem ist das Medienumfeld ein ande-
res geworden. Im Falle Nixon gab es eben-
falls Anhörungen, im Senat allerdings und
nicht im Rahmen eines förmlichen Amts-
enthebungsverfahren. Sie wurden im Fern-
sehen, wie jetzt auch, live übertragen.
Doch existierten 1974 nur drei große TV-
Ketten und der öffentlich-rechtliche Sen-
der PBS. Alle Amerikaner, egal ob Demo-
kraten oder Republikaner, sahen mehr
oder minder dasselbe, hörten denselben
Moderatoren und Kommentatoren zu.
Das änderte sich schon bei Clinton, als
der rechte Kabelkanal Fox auf Sendung
ging und derDrudge Reportals Website im
wachsenden Internet ein konservatives
Publikum bediente. Inzwischen nutzen
viele Demokraten und Republikaner nicht
mehr dieselben Medien. So schweigen Fox-
Moderatoren das Impeachment-Verfah-
ren entweder tot oder verstehen sich als
Medien-Prätorianer des Präsidenten. Und
der einflussreiche Radio-Talkmaster Rush
Limbaugh bezeichnet den Vorsitzenden
des Geheimdienstausschusses, Adam
Schiff, einen Demokraten, als „Lügensack
voller Exkremente“, ohne dass sich ein
Republikaner von solch Unflätigkeiten dis-
tanzieren würde. reymer klüver

2 HMG (^) THEMA DES TAGES Donnerstag, 14. November 2019, Nr. 263 DEFGH
Seriöses
aus zweiter Hand
Die Demokraten lassen angesehene Diplomaten auftreten.
Aber die waren bei Trumps Entscheidungen nicht dabei
Die öffentliche Schlacht hat begonnen: William Taylor, geschäftsführender US-Botschafter in der Ukraine, vor seiner Aussage im US-Kongress. FOTO: JACQUELYN MARTIN/DPA
Der damalige Sicherheitsberater
Bolton war direkt verwickelt,
doch er will vorerst nicht aussagen
Ein weiteres Telefonat des
des Präsidenten in Sachen Biden
ist die Neuigkeit des Tages
SZ-Grafik; Quelle: SZ
Zwei Drittel der
Anwesenden stimmen
für eine Verurteilung
Das Impeachment-Verfahren
Mehrheit stimmtfür
ein Amtsenthebungs-
verfahren
Mehrheit stimmtgegenein
Amtsenthebungsverfahren
Keine Zweidrittel-
mehrheit für eine
Verurteilung
Trump bleibt im Amt Trump wird des Amtes enthoben
Trump wird angeklagt
Es gibt nur unzureichende
Beweise für ein Fehlverhalten
Aufgrund der Beweise empfiehlt
der Ausschuss die Anklage
Repräsentantenhaus
stimmt über Anklagepunkte ab
demokratisch
kontrolliert
republikanisch
kontrolliert
DerSenateröffnet ein Amtsenthebungs-
verfahren und stimmt nach Anhörung über
eine Verurteilung des Präsidenten ab
Der Justizausschuss im Repräsentantenhaus berät über die Anklage des Präsidenten
Bei Nixon sahen alle noch
das Gleiche, inzwischen hat sich
das Medienumfeld gewandelt
Trump-ImpeachmentEs istpolitisches Drama, live übertragen: Am Mittwoch traten die ersten beiden Zeugen im
Kongress auf. Sie sagten zum Verhalten des Präsidenten in der Ukraine-Affäre aus. Die Demokraten erhoffen sich von den Anhörungen,
dass sich die Stimmung der Amerikaner endlich gegen Trump dreht. Der nennt das Ganze schon vorab einen „Schauprozess“
Liefern oder mauern
Welche Unterschiede es bei den Verfahren zur Amtsenthebung der Präsidenten Nixon, Clinton und Trump gibt

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