Süddeutsche Zeitung - 14.11.2019

(Michael S) #1
interview: cerstin gammelin
und mike szymanski

Gute 150 Jahre hatte es gedauert, bis die Sozi-
aldemokratenerstmals eine Frau an die Par-
teispitze wählten; 14 Monate später gab An-
drea Nahles wegen massiver Anfeindungen
auf. Nun bewerben sich Klara Geywitz und
Saskia Esken im Tandem mit je einem Mann


  • Olaf Scholz und Norbert Walter-Borjans –
    als Doppelspitze um ihre Nachfolge. Ein Ge-
    spräch über Frauen und Macht in der SPD.


SZ: Brauchen Frauen an der SPD-Spitze
nach Nahles’ unfreiwilligem Abgang
männliche Beschützer?
Saskia Esken:Wir brauchen keine Beschüt-
zer. Andrea Nahles ist von den Männern
nicht genügend unterstützt worden, ob-
wohl eine ganze Menge um sie herum wa-
ren. Sie ist ähnlich wie andere vor ihr unter
Beschuss geraten in dem Moment, wo sie
Vorsitzende wurde. Das ist eine Neigung in
der Gesellschaft, auch in Parteien: Wer
sich an die Spitze wagt, muss einiges aus-
halten. Was den Unterschied macht: Bei An-
drea Nahles wurden Dinge kritisiert, die
bei einem Mann nicht von Interesse gewe-
sen wären.
Zum Beispiel?
Esken:Die Stimme, das Auftreten, die

Frisur. Männer dürfen brüllen, Männer dür-
fen laut lachen, Männer dürfen einen absei-
tigen Scherz machen. Aber Frauen sollen
bitte schön zurückhaltend sein, smooth.
Klara Geywitz:Beschützer – ein schrä-
ges Frauenbild. Wir setzen mit der Doppel-
spitze auf eine ganz andere Führungskul-
tur. Es soll keine einsamen Entscheidun-
gen mehr geben.

Wurde Nahles aus dem Amt gemobbt?
Geywitz:Da war die Personalentschei-
dung, Hans-Georg Maaßen zum Staatsse-
kretär zu machen. Das konnten viele nicht
nachvollziehen. Wenn man das in der Grup-
pe besser kommuniziert hätte, wäre es zu
diesem Fehler auch nicht gekommen.

Der Abgeordnete Axel Schäfer regte an,
Sie, Frau Geywitz, gegen Franziska Giffey
auszutauschen, um die Chance von Scholz
zuerhöhen. Der Schatzmeister Ihrer Bran-
denburger SPD bescheinigte Ihnen die
Empathie einer Leiterin einer 10000er-
Geflügelfarm. Was sagte das über das
Frauenverständnis in der SPD aus?
Esken:Nehmen wir an, eine Genossin hät-
te bei den Medien angerufen und hätte ver-
sucht, diese Aussage über Olaf Scholz zu
platzieren: Sie hätten sie ausgelacht. Und
das wäre die richtige Reaktion gewesen.

Haben Sie den Schatzmeister gespro-
chen?
Geywitz: Ja, und ich hatte auch Kontakt
mit Axel Schäfer. Der wollte irgendwie hel-
fen. Das klappt ja nicht immer. Die Sache
ist erledigt.

Fühlen Sie sich immun gegen solche
Angriffe?
Esken:Anfeindungen gibt es von innen
und außen. Wenn ich mich im Bundestag
zur AfD äußere, warum ich nicht mit Leu-
ten über Meinungsfreiheit debattiere, die
schwarze Listen missliebiger Journalisten
führen, bekomme ich Anwürfe in den sozia-
len Netzwerken. Die sind anders als die, die
Männer zu hören bekommen. Da unterhält
man sich darüber, wie ich überhaupt so
aussehe. Ob ich die richtige Körbchengrö-
ße habe. Auch im 21. Jahrhundert werden
Frauen in der Politik noch anders als Män-
ner behandelt. Was traurig ist.
Geywitz:Man braucht ein gutes, menta-
les Grundgerüst. Mir hilft die Verankerung
im ruhigen Brandenburg und dass ich eine
Familie habe. Nicht alles, was auf Face-
book und Twitter hoch und runter geht,
hat Einfluss auf das reale Leben.

Sie sagen, Sie wollen als Team auftreten.
Ihr Partner Olaf Scholz sieht sich wie

selbstverständlich als Kanzlerkandida-
ten. Und Sie?
Geywitz: Wer die SPD in die nächste
Bundestagswahl führt, entscheiden die
Mitglieder. Dafür werde ich sorgen. Es ist
aber eine gute Idee, wenn derjenige, der
für uns Kanzlerkandidat wird, auch Regie-
rungserfahrung hat.
Wollen Sie auch verzichten, Frau Esken?
Esken:Ich sollte nicht als Parteivorsitzende
antreten, wenn ich mir nicht zutraute, in
weitergehende Aufgaben hineinzuwach-
sen. Es geht auch darum, wer führt die SPD
im Wahlkampf? Das muss nicht unbedingt
der oder die Parteivorsitzende sein. Mein
Ziel ist, die SPD mehrheitsfähig zu ma-
chen, um eine Regierung anzuführen.

Frau Geywitz, Sie wollten auf den Konfe-
renzen über Industriepolitik reden, sind
aber dann zu Sozialem geschwenkt.
Geywitz:Industriepolitik ist mir sehr wich-
tig. Die Industriegesellschaft ist im Wan-
del. Viele Leute in der Stahl- und in der Au-
toindustrie haben Sorge um ihren Job.
Aber es gibt Themen, die sind in der SPD
mit Herzblut verankert. Dazu gehört die
Grundsicherung, der Rechtsanspruch auf
Kinderbetreuung in der Grundschule. Für
mich ist außerdem die Repräsentanz von
Ostdeutschen, von Frauen zentral. Wenn

Sie sich meinen Teampartner anhören,
wird auch klar, dass das für ihn wichtig ist.

Olaf Scholz hat den Feministen in sich ent-
deckt und will reine Männervereine nicht
mehr fördern. Warum sind Sie nicht dieje-
nige, die sagt: Leute, hört mal ...
Geywitz: Wer Gleichberechtigung will,
darf dies nicht allein als Frauenthema be-
handeln. Das muss mindestens genauso
ein starkes Anliegen der Männer sein. Aber
wir dürfen nicht verkennen, dass wir in
einer Gesellschaft leben, in der eine männ-
liche Mehrheitskultur seit Hunderten von
Jahren existiert. Es gibt Initiativen, die gu-
cken sich Filme an. Da gibt es einen einfa-
chen Test: Gibt es mehr als zwei relevante
Frauen, die mehr als zwei Sätze sagen?
Und sagen sie die zwei Sätze über etwas an-
deres als Männer? Viele Filme fallen durch
dieses Raster. Das sind festzementierte
Wahrnehmungsstrukturen, die wir aufbre-
chen müssen.

Genau deshalb vermisst man die weibli-
che Initiative. Statt Ihrer spricht Scholz...
Esken:Mir geht es nicht darum, ob ich Mit-
glied in meinem heimischen Bartklub wer-
den darf. Mir geht es um Gestaltung. Und
um die Macht. Darum müssen wir uns
kümmern. Und da sind Männer, die sich
als Feministen bezeichnen und das auch
da vorleben, wo sie Einfluss haben, jeder-
zeit willkommen.

Wie wollen Sie den Politikstil frauen- und
familienfreundlicher machen?
Geywitz: Koalitionsausschüsse sollten
tagsüber stattfinden. Ich halte nichts von
dieser Show: Mit letzter Kraft haben wir
uns um fünf Uhr morgens auf den genialen
Kompromiss geeinigt. Erschöpfung als
Mittel der Politik – das kommt aus einer an-
deren Epoche. Ich finde die Idee vom poli-
tikfreien Sonntag sympathisch. Falls ich
gewählt werde, wird sich das ganz prak-
tisch ergeben, weil ich natürlich nicht vor-
habe, meine Kinder irgendwo abzugeben
und dann 24/7 SPD-Politik zu machen.
Ihr Mann könnte sich kümmern.
Geywitz:Ich habe als Mutter immer noch
Interesse, meine Kinder selber zu sehen.
Und ich glaube, die auch. Damit ich die
23 Regionalkonferenzen machen konnte,
ist meine Mama bei uns zu Hause eingezo-
gen. Sonst wäre das nicht gegangen.

Frau Esken und Herr Walter-Borjans ha-
ben keine Regierungsämter und Zeit für
die Partei. Sollte auch für Olaf Scholz bei
einem Sieg die Partei vorrangig sein?
Geywitz:Um die Partei kümmern heißt ja
nicht, dass man möglichst oft im Willy-
Brandt-Haus ist. Wir wollen das Format
der Regionalkonferenzen fortführen. Das
tut der Partei gut. Der Partei tut es aber
auch gut, wenn die Regierung möglichst
stark sozialdemokratische Politik macht.
Insofern ist es gut, wenn der Vizekanzler
ein starkes SPD-Mandat hat.
Esken:Die Frage ist eher, ob es Olaf Scholz
gelingen wird, in der Position des Finanz-
ministers eine sozialdemokratischere Poli-
tik zu machen, weil er Parteichef ist.

Wird es ruhiger nach der Wahl?
Esken:Nein, der Gesprächsbedarf der Mit-
glieder ist groß. Es wird darauf ankom-
men, die Partei zusammenzuhalten.

„Wir brauchen keine Beschützer“


Klara Geywitz und Saskia Esken bewerben sich im Tandem mit je einem Mann um die Nachfolge als SPD-Chefin.
Ein Gespräch über Frauen, männlich geprägte Politik und Sprüche über Körbchengrößen

„Ich finde die Idee vom
politikfreienSonntag
sympathisch.“

Warschau– Auf den ersten Blick war es
ein verlockendes Jobangebot: Beauftragte
des polnischen Ministerpräsidenten Ma-
teusz Morawiecki fragten den 60 Jahre al-
ten Lungenchirurgen Tomasz Grodzki, ob
er nicht Gesundheitsminister werden wol-
le. Auf den zweiten Blick indes war das An-
gebot eines Ministeramts der Versuch, ei-
nen Oppositionspolitiker zu kaufen. Denn
Grodzki ist Abgeordneter im Senat, Polens
oberer Parlamentskammer. Dort stellt die
Opposition seit der Parlamentswahl vom


  1. Oktober nun eine Mehrheit – mit 52 von
    100 Senatoren.
    Der Senat muss Gesetzen des Sejm, der
    unteren Parlamentskammer, zustimmen.
    Seit die nationalpopulistische Partei
    „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ab Ende
    2015 beide Kammern mit absoluter Mehr-
    heit kontrollierte, stimmte der Senat unter
    PiS-Senatspräsident Stanisław Karczew-
    ski Gesetzen oft unter Verletzung der Re-
    geln im Expressverfahren zu. Und die PiS
    wollte, dass dies so blieb: Also versuchte
    sie, Grodzki und andere oppositionelle Se-
    natoren mit Ministerämtern zu ködern.
    Vergeblich: Kein oppositioneller Senator
    lief zur Regierung über. So wählten 51 Sena-
    toren Grodzki am Dienstagabend zum neu-
    en Senatspräsidenten.
    Der aus Stettin stammende Chirurg, der
    in seiner Heimat 18 Jahre ein renommier-
    tes Krankenhaus leitete, ist damit nun der
    dritte Mann im Staate. Schon in den letz-
    ten vier Jahren war Grodzki Senator und er-
    lebte mit, wie „ein 300 Seiten langes Ge-
    setz erst wenige Stunden vor einer Debatte
    den Senat erreichte“. Dort stimmte die PiS-
    Mehrheit etlichen umstrittenen oder gar
    offen verfassungswidrigen Gesetzen so-
    fort zu; notfalls auch nachts.
    Ab sofort werde in Polen zumindest im
    Senat wieder ordentliche Gesetzgebung be-
    trieben, kündigte Grodzki nach seiner
    Wahl an: Und zwar mit echten Diskussio-
    nen, Fachkommissionen, öffentlichen An-
    hörungen, „und erst dann wird entschie-
    den“. 30 Tage hat der Senat, um vom Sejm
    angenommene Gesetze zu beraten und ih-
    nen zuzustimmen, sie abzulehnen oder
    mit Änderungen zurückzuschicken. Im


Sejm hat die PiS weiter die absolute Mehr-
heit und kann Ablehnungen des Senats
überstimmen – doch nun erst deutlich spä-
ter.
Der Senat genießt als politische „Gute
Stube der Nation“ mehr Ansehen als der
Sejm. Grodzki kann nun ebenso wie Polens
Präsident oder der Regierungschef Rede-
zeit für eine Ansprache im Staatsfernse-
hen TVP verlangen. TVP wird sonst
stramm von der PiS kontrolliert und berich-
tet über die Opposition oft tendenziös oder
gar mit erfundenen Meldungen. Der Senat
kann zudem im Sejm eigene Gesetzesent-
würfe einbringen – und er vertritt das
Land gegenüber den im Ausland lebenden
Polen: Dies sind etliche Millionen, eine
wichtige Wählerressource.

Grodzki ist zwar Mitglied der stärksten
Oppositionspartei Bürgerkoalition (KO),
doch bisher nicht als politisches Schwerge-
wicht bekannt. Dass er Senatspräsident
wurde, verdankt er den Ambitionen drei
anderer etalierter Parteikollegen: Diese
wurden aus verschiedenen Gründen we-
der von anderen KO-Politikern, noch von
Oppositionellen der ebenfalls im Senat ver-
tretenen Linken und der Bauernpartei auf
dem einflussreichen Posten akzeptiert.
Der neue Senatspräsident ist ein Kom-
promisskandidat, der weiß, dass eng mit
anderen Politikern zusammenarbeiten
muss, wenn er etwas erreichen will. Doch
Grodzki gab sich von den Anforderungen
des neuen Amtes unbeeindruckt: Das Kran-
kenhaus, das er 18 Jahre leitete, habe dop-
pelt so viele Mitarbeiter gehabt wie der Ap-
parat des polnischen Senats, sagte er nach
seiner Wahl. florian hassel

Wien– Vučjak ist die Hölle. Das sagen
viele, und sie sagen es seit Langem: die
Vertreter der Europäischen Union zum
Beispiel, die Abgesandten der Vereinten
Nationen und auch die Mitarbeiter diver-
ser Hilfsorganisationen. Im Flüchtlingsla-
ger Vučjak, errichtet auf einer ehemaligen
Müllkippe nahe der bosnischen Stadt
Bihać, gibt es kein fließendes Wasser und
keinen Stromanschluss. Rund 800 Flücht-
linge, junge Männer meist aus Pakistan,
Afghanistan oder Syrien, sind in unbeheiz-
ten Zelten untergebracht. Krankheiten
breiten sich aus, es grassiert die Krätze.
Nun endlich soll das viel kritisierte Lager
Vučjak geschlossen werden – doch die Not
könnte dadurch noch größer werden.

Zum Einbruch des Winters bahnt sich in
Bosnien eine humanitäre Katastrophe an.
Schätzungsweise 7000 Flüchtlinge sind in
dem Balkanstaat gestrandet, und sie sit-
zen dort zwischen diversen Fronten. Über-
lastete Gemeinden fühlen sich von der Re-
gierung im Stich gelassen. Serben und mus-
limische Bosniaken schieben sich gegensei-
tig die Verantwortung zu. Kroatien ver-
sucht, sich abzuschotten. Und die Hilfe der
EU für das, was sich da an ihrer Außengren-
ze zusammenballt, ist übersichtlich. Rund
34 Millionen Euro wurden seit 2018 für die
Flüchtlingshilfe in Bosnien bereitgestellt.
Eigentlich dürfte es diese Situation gar
nicht geben. Die sogenannte Balkanroute
für Flüchtlinge gilt schließlich schon seit
2016 als geschlossen. Doch allen Zäunen
und Kontrollen zum Trotz sind immer
noch Flüchtlinge unterwegs in der Hoff-
nung auf ein besseres Leben im Westen.
Ihr Weg führt sie von der Türkei nach Grie-
chenland, weiter dann entweder über Bul-
garien und Serbien oder Albanien, Kosovo
und Serbien nach Bosnien. Dort wurden
vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR
2018 insgesamt 24 000 Flüchtlinge er-
fasst, 2019 bislang 26 000. Wenn nun von

rund 7000 Gestrandeten in Bosnien die Re-
de ist, deutet das also darauf hin, dass die
Grenzen weiter durchlässig sind.
Doch längst nicht jeder schafft es und
hat das nötige Geld, um die Schlepper zu
bezahlen. Zum Brennpunkt in Bosnien ist
daher die 60 000-Einwohner-Stadt Bihać
geworden. Sie liegt nahe an der kroati-
schen Grenze, über welche die Flüchtlinge
weiter nach Slowenien, Österreich und
Deutschland wollen oder auch nach Itali-
en. „The Game“, das Spiel, nennen die Mi-
granten ihre Versuche, die Grenzkontrol-
len zu überwinden. Doch in diesem Spiel
herrschen brutale Regeln. Kroatien, das in
den Schengen-Raum aufgenommen wer-
den will und sich deshalb als Verteidiger
der EU-Außengrenze profilieren möchte,
sieht sich immer wieder dem Vorwurf aus-
gesetzt, die Flüchtlinge mit äußerster Bru-
talität zurückzudrängen nach Bosnien.
Bihać ist dabei zur Sackgasse für viele
Migranten geworden, und die dortigen Auf-
nahmelager waren schnell überfüllt. Viele
campierten deshalb mitten in der Stadt, es
kam zu Streitigkeiten, die Bevölkerung
fühlte sich belästigt und belagert. Deshalb

hat die Stadtverwaltung im vorigen Som-
mer auf eigene Faust das Lager Vučjak
eröffnet und die jungen, männlichen
Flüchtlinge dorthin gebracht – möglichst
weit weg vom Stadtzentrum, noch näher
dran an der kroatischen Grenze.
Die Zustände dort sprachen von Beginn
an den internationalen gesetzten Stan-
dards Hohn, doch für die Stadt Bihać war
dies eine Art Notwehrmaßnahme. Nun
aber hat der bosnische Innenminister Dra-
gan Mektić verkündet, dass Vučjak in den
nächsten Tagen geschlossen werden soll.
Die Flüchtlinge sollen demnach auf andere
Lager verteilt werden. Die aber sind alle
überfüllt. UN-Vertreter in Sarajevo hatten
schon im Sommer erfolglos angemahnt,
neue Einrichtungen zu schaffen.
Den Migranten aus Vučjak wird bei ei-
ner Schließung wenig anderes bleiben, als
bei eisigen Temperaturen irgendwo wild
zu campieren und von dort aus immer
wieder den Grenzübertritt zu versuchen.
Eine Meldung dazu kam jüngst aus Slowe-
nien. Ein junger Syrer hatte sich bis
dorthin durchgeschlagen – und ist im
Wald erfroren. peter münch

Brüssel– Dieerrungenen Änderungen
sind für Außenstehende eher kosmetisch,
aber die Chefin der Sozialdemokraten ver-
kündet sie wie einen großen Sieg: Sie sei in
den vergangenen Tagen mit der designier-
ten Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen in Kontakt gewesen. „Ich habe
heute morgen sehr gute Antworten auf eini-
ge unserer Kernanliegen erhalten“,
schreibt Iratxe García in einer Mitteilung.
García zufolge soll besonders das heftig
umstrittene Ressort des griechischen
Kommissarkandidaten Margaritis Schinas
einen neuen Namen bekommen und sich
künftig nicht mehr mit dem „Schutz unse-
rer Europäischen Lebensweise“, sondern
mit der „Förderung“ derselben befassen.
Der ursprüngliche Name hatte Empörung
ausgelöst, weil Schinas auch für die schwie-
rigen Migrationsthemen verantwortlich
sein soll. Kritiker warfen von der Leyen
vor, der Name suggeriere, dass Migration
die europäische Lebensweise bedrohe.
Dass von der Leyen einlenkte, mehr als
zwei Monate nach Verkündung der Portfo-
lios, dürfte mit den Mehrheiten im Parla-
ment zu tun haben: Sie braucht beim Vo-
tum über ihre Kommission die Stimmen
möglichst aller Sozialdemokraten, und die
beharrten auf die Namensänderung. Auch
andere Portfolios wurden angepasst. So
soll sich der Luxemburger Kommissar Ni-
colas Schmit nicht nur um Jobs kümmern,
sondern auch um „soziale Rechte“.
Andere Kritikpunkte kann von der Ley-
en nicht so leicht weg räumen: dass die
künftige Kommission nicht, wie angekün-
digt, aus ebenso vielen Männern wie Frau-
en bestehen soll, nachdem das Parlament
zwei Kandidatinnen durchfallen ließ. Auch
beklagen Sozialdemokraten und Liberale
in der Besetzung der Kommission eine Ver-
schiebung des Machtgleichgewichts zu-
gunsten der Christdemokraten. Die Ab-
stimmung über die Kommission findet vor-
aussichtlich Ende November statt. kmb


Berlin– Die Bundeswehr hat die Abnah-
me des Airbus-Militärtransporters
A400Mwegen anhaltender Technik-
Probleme vorerst gestoppt. Zwei zur
Auslieferung anstehende Maschinen
würden nicht übernommen, teilte die
Luftwaffe am Mittwoch in Berlin mit.
Bei routinemäßigen Überprüfungen sei
festgestellt worden, dass Befestigungs-
muttern der Propeller nicht fest genug
angezogen gewesen seien. Es seien
daher zusätzliche Inspektionen ange-
ordnet worden. rtr


„Ordentliche Gesetzgebung“


Polens Opposition nutzt ihre neue Stärke im Senat


Leitete lange ein
Krankenhaus, nun
die „Gute Stube der
Nation“: Der Chirurg
Tomasz Grodzki will
als Präsident des
polnischen Senats
Gesetzgebung im
Schnellverfahren
verhindern.FOTO: DPA

EU-Ressort erhält


anderen Namen


Washington– Trotz zahlreicher Streit-
themen zwischen Washington und An-
kara hat sich US-Präsident Donald
Trump beim Empfang seines türki-
schen Amtskollegen, Recep Tayyip
Erdoğan, im Weißen Haus um freundli-
che Töne bemüht. „Der Präsident und
ich sind sehr gute Freunde“, sagte
Trump am Mittwoch bei einem Treffen
mit Erdoğan im Oval Office. „Wir sind
seit langem befreundet – fast seit dem
ersten Tag.“ Man verstehe das jeweils
andere Land. Trump sagte auch, die in
Nordsyrien vereinbarte Waffenruhe
halte „sehr gut“. Erdogans Besuch wur-
de begleitet von kleineren Protesten vor
dem Weißen Haus. Vor gut einem Mo-
nat hatte die türkische Militäroffensive
in Nordsyrien begonnen. Zu dem Streit
wegen des von der Türkei angeschaff-
ten russischen Raketenabwehrsystems
S-400sagte Trump der Agentur Bloom-
berg zufolge, „wir werden eine gute
Lösung finden.“ dpa


München– Der wegen Kindesmiss-
brauch zu sechs Jahren Haft verurteilte
australische Kardinal George Pell kann
darauf hoffen, womöglich doch freige-
sprochen zu werden. Zwei Richter von
Australiens oberstem Bundesgericht in
Canberra entschieden am Mittwoch,
Pells Antrag auf Berufung nicht von
vorneherein abzuweisen. Ob es zur
Berufungsverhandlung kommt, sollen
nun alle sieben Richter des High Court
voraussichtlich im März nächsten Jah-
res befinden. Eine Jury hatte Pell, Ex-Fi-
nanzchef des Vatikan, vor einem Jahr
für schuldig befunden, als Erzbischof
von Melbourne in den Neunzigerjahren
zwei 13-jährige Chorknaben sexuell
missbraucht zu haben. Ein Berufungsge-
richt in Melbourne bestätigte das erstin-
stanzliche Urteil im August.jbb


Berlin –Das sogenannte Upskirting,
bei dem Täter mit Selfie-Sticks und
Smartphone auf Rolltreppen, Gehwe-
gen oder in Treppenhäusern Fotos und
Filme unter Röcke und Kleider machen,
wird künftig härter bestraft. Das hat
das Bundeskabinett am Mittwoch be-
schlossen. „Einer Frau unter den Rock
oder in den Ausschnitt zu fotografieren
ist eine demütigende, durch nichts zu
rechtfertigende Verletzung ihrer Intim-
sphäre“, erklärte Justizministerin Chris-
tine Lambrecht (SPD). Bisher war das
Fotografieren unter den Rock meist als
Ordnungswidrigkeit eingestuft worden.
Betroffen von der Änderung von Para-
graf 201 a des Strafgesetzbuchs sind
auch Fotos von Unfallopfern oder Ver-
storbenen. Hier will die Bundesregie-
rung das immer mehr zunehmende
Gaffertum eindämmen. dpa, kna


Zum Einbruch des Winters
bahnt sich nun eine
humanitäre Katastrophe an

Klara Geywitz, 43 (links), war Landtagsabgeordnete in Potsdam. Saskia Esken, 58, sitzt für die baden-württembergische SPD im Bundestag. FOTO: REGINA SCHMEKEN

6 HMG (^) POLITIK Donnerstag, 14. November 2019, Nr. 263 DEFGH
Die Hölle soll geschlossen werden
7000 Flüchtlingeharren im bosnischen Bihać aus. Das Lager macht zu – ohne Ersatz
Offiziell ist die Balkanroute geschlossen, dennoch schlagen sich Tausende Migranten
durch.DasCamp Vučjak war zuvor eine Müllkippe. FOTO: ARMIN DURGUT/IMAGO
Trump trifft Erdoğan
Berufung für Pell möglich
Bei Airbus sind Muttern locker
Strafe für Gaffer und Spanner
KURZ GEMELDET

Free download pdf