Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1
von simone gröneweg

J


edes Jahr befragt der Baufinanzie-
rungsvermittler Interhyp Menschen
danach, wie sie sich ihre Traumimmo-
bilie vorstellen. Die diesjährige Untersu-
chung hat deutlich gemacht: Wenn es ums
Traumhaus geht, zeigen sich die Deut-
schen recht pragmatisch. Statt der Villa
mit Pool visieren sie eher das Einfamilien-
haus an. Allerdings ist die Zahl derer, die
überhaupt Wohneigentum anstreben, dies-
mal etwas gesunken. Während im vergan-
genen Jahr noch 76 Prozent der Mieter
sagten, sie wünschen sich Eigentum, wa-
ren es 2019 nur noch 66 Prozent.


Wer sich die Preise an einigen Immobili-
enstandorten anschaut, wundert sich dar-
über nicht. In einer Stadt wie München
kann selbst ein Reihenhaus mehr als eine
Million Euro kosten. Solche Kosten schre-
cken offenbar ab. „Die Realitäten am Im-
mobilienmarkt verunsichern einige Immo-
bilieninteressenten“, meint Mirjam Mohr,
Vorstandsmitglied der Interhyp AG. Den-
noch sei der Wunsch nach Wohneigentum
nach wie vor sehr groß, ergänzt sie. Wäh-
rend die hohen Kaufpreise eher demotivie-


ren, lockt das extrem billige Baugeld. So
gab es zuletzt zehnjährige Hypothekendar-
lehen unter Umständen schon für 0,5 Pro-
zent, wenn ein Kunde 30 Prozent Eigenka-
pital mitbrachte. In der Praxis bedeutet
das: Ein Immobilienkäufer kann sich
400000 Euro für zehn Jahre leihen und
zahlt jährlich 2000 Euro Zinsen. Pro Mo-
nat liegen die Zinskosten damit bei fast 170
Euro. „Diesen Betrag muss man der Miete
eigentlich entgegenstellen“, sagt Max
Herbst von der FMH-Finanzberatung. Die
Tilgungen dienten schließlich der Vermö-
gensbildung, erklärt der Zinsexperte. Tilgt
der Kreditnehmer zwei Prozent, steigt die
monatliche Rate auf etwas mehr als 830 Eu-
ro. Statt dem Vermieter regelmäßig einen
Batzen Geld zu überweisen, wollen man-
che angesichts solcher Konditionen lieber
in die eigenen vier Wände investieren.
Derzeit wird sogar über Negativzinsen
spekuliert. Offenbar gibt es Überlegungen
bei den Banken, ob und wie sich negative
Zinsen umsetzen lassen. Das würde bedeu-
ten: Bauherren und Immobilienkäufer be-
kommen von ihrer Bank mehr Geld, als sie
am Ende zurückzahlen müssen. „Bisher lie-
gen uns keine Angebote der Banken zu Ne-
gativzinsen vor“, sagt Mohr vom Vermitt-
ler Interhyp. „Wir halten die Einführung
derzeit auch nicht für wahrscheinlich. Aus
momentaner Sicht denken wir, dass Nega-
tivzinsen, wenn überhaupt, eher vereinzelt
angeboten werden könnten und kein Mas-

senphänomen werden“, sagt die Expertin.
So ist wohl davon auszugehen, dass die
Bauzinsen eher auf dem niedrigen Niveau
verharren werden. Allerdings erinnern
Zinsprognosen oftmals an den berühmten
Blick in die Glaskugel. So hatten viele Ana-
lysten und Fachleute im vergangenen Jahr
mit steigenden Zinsen gerechnet, es kam
aber anders.

Immobilienkäufer und Bauherren nut-
zen das billige Geld durchaus, wie Statisti-
ken zeigen. Im Jahr 2018 nahmen private
Haushalte nach Angaben des Bundesfi-
nanzministeriums etwa 995 Milliarden
Euro zur Finanzierung von Wohnimmobi-
lien auf. Es zeichnet sich ab, dass Darle-
hensnehmer auch 2019 zugreifen. Im
Durchschnitt haben sich Immobilienkäu-
fer beispielsweise im Juli 263 000 Euro ge-
liehen, um den Erwerb der eigenen vier
Wände zu stemmen – ein Rekord. Die Zah-
len stammen vom Finanzdienstleister Dr.
Klein Privatkunden AG, der mit dem Trend-

indikator Baufinanzierung (DTB) regelmä-
ßig Daten zur Baufinanzierung in Deutsch-
land vorlegt. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor
lag die durchschnittliche Darlehenssum-
me noch bei 225000 Euro, also 38 000 Eu-
ro niedriger. „Insbesondere in den vergan-
genen zwei Jahren ging der durchschnittli-
che Betrag der Darlehensanfragen nach
oben“, erklärt der Vorstandsvorsitzende
Michael Neumann.
Selbst wenn Immobilienkäufer fast
keine Zinsen mehr zahlen müssen, sollten
sie trotz aller Euphorie bedenken, dass der
Zinssatz nur ein Baustein einer Finanzie-
rung ist. Mieter sollten sich nicht in einen
überteuerten Immobilienkauf stürzen,
sondern genau kalkulieren. Immobiliener-
werber müssen langfristig denken und
damit rechnen, dass sich die Ausgangsbe-
dingungen ändern. Wer sich viel Geld leiht,
sollte seinen Schuldenberg in zehn bis
20 Jahren deutlich reduziert haben.
Die Wohnimmobilien-Kreditrichtlinie
schreibt sogar vor, dass Berater und Kunde
bestimmte künftige Szenarien durchspie-
len. „Dabei sollte zum Beispiel besprochen
werden, was passieren kann, wenn die Zins-
bindung ausläuft“, sagt Daniela Huber,
Referentin Baufinanzierung und Konsu-
mentenkredit vom Sparkassenverband in
Bayern. Ein solches Gespräch kann sich
später als äußerst wichtig erweisen – zu-
mal die Zinsen bis dahin womöglich gestie-
gen sind.

Wie sich das auswirken kann, zeigt ein
Beispiel: Eine Familie nimmt ein Darlehen
in Höhe von 400000 Euro auf. Die Zinsbin-
dung beträgt zehn Jahre. Der Zinssatz liegt
bei 0,5 Prozent, die Familie tilgt zwei Pro-
zent. Nach zehn Jahren hat die Familie im-
mer noch eine Restschuld von fast 318000
Euro. Das wäre vielleicht kein Problem,
wenn die Zinsen auf diesem extrem niedri-
gen Niveau verharren würden. Doch was
geschieht, wenn sie auf vier Prozent stei-
gen? Die monatliche Rate von bisher 830
Euro würde sich auf 1590 Euro fast verdop-
peln. Vorausgesetzt, die Familie belässt
den Tilgungssatz bei zwei Prozent. Stehen
zur selben Zeit noch Investitionen ins Haus
an oder tauchen andere finanzielle Belas-
tungen auf, wird es finanziell enger.

Die Rechnung macht deutlich, dass nied-
rige Zinsen durchaus ihre Tücken haben.
Bleibt die Rate an die Bank über die Jahre
konstant, verschieben sich die Gewichte:
Der Tilgungsanteil steigt, während der
Zinsanteil sinkt. Sind die Zinsen sehr nied-
rig, steigt der Tilgungsanteil langsamer.
Das bedeutet: Man braucht also deutlich
länger für die Rückzahlung. Darum raten
die Experten immer wieder dazu, ange-

sichts des billigen Baugelds einen mög-
lichst hohen Tilgungssatz von mindestens
drei Prozent zu wählen.
Wer bereits einige Jahre sein Immobili-
endarlehen fleißig abzahlt, wird die derzei-
tige Zinslage vermutlich ebenfalls sehr
interessiert beobachten. Läuft der Immobi-
lienkredit in zwei oder drei Jahren aus, kön-
nen Immobilieneigentümer sich bereits
jetzt das billige Baugeld für später sichern.
Die Banken bieten dafür die sogenannten
Forward-Darlehen an. Dabei handelt es
sich um Annuitätendarlehen, die erst nach
einer bestimmten Vorlaufzeit ausgezahlt
werden. Der Kunde unterschreibt bereits
jetzt den Darlehensvertrag, ruft das Geld
aber erst in einigen Jahren ab. Die Vorlauf-
zeit kann bis zu 60 Monate dauern, im Ein-
zelfall sogar bis zu 66 Monate. Während
der Vorlaufzeit, auch Forward-Periode
genannt, fallen keine Kredit- oder Bereit-
stellungszinsen an.
Geschenkt bekommen die Kreditneh-
mer die niedrigen Zinsen aber nicht, sie
müssen dafür einen – derzeit niedrigen –
Zinsaufschlag zahlen. Es sei denn, sie wäh-
len eine kurze Vorlaufzeit, zum Beispiel
von einem Jahr, dann verlangen viele An-
bieter keinen Aufschlag. Der Vorteil beim
Forward-Darlehen: Steigen die Zinsen in
der Wartezeit, darf sich der Darlehensneh-
mer freuen. Sinken sie noch weiter, zahlt er
allerdings ein wenig drauf. Ob sich das Gan-
ze lohnt, weiß man also erst hinterher.

Der Preis ist günstig, die Lage gut, aber das
Einfamilienhaus im Zentrum der Klein-
stadt stammt aus den Sechzigerjahren.
Und das bedeutet: Dach und Fassaden sind
nicht gedämmt, durch die einfachen Fens-
ter zieht es, die Heizung spottet jeder Be-
schreibung (Einzelölofen). Und wer weiß,
was sonst noch alles nicht in Ordnung ist.
Soll man sich darauf einlassen?
Wer eine Antwort auf diese Frage sucht,
muss zuerst eine ganze Reihe anderer Fra-
gen beantworten: Wozu brauche ich das
Haus? Wer selbst einziehen will, muss an-
ders rechnen als jemand, der eine Geldanla-
ge sucht. Wo will ich künftig leben? Soll das
neue Zuhause eher zentral gelegen sein
oder tut es auch eine Immobilie am Orts-
rand. Wie viel Grund möchte ich haben?
Alte Immobilien haben oft noch größere
Gärten, die bepflanzt und gehegt werden
sollen. Und natürlich stellt sich die Frage
nach dem finanziellen Spielraum.
Wer sich auf Anhieb in Omas kleines
Häuschen verliebt hat, die kleinen Räume
des Sechzigerjahre-Baus für die Kinder
praktisch findet und sich aufs Rasenmä-
hen freut, hat schon entschieden. Der wird
zuschlagen und sich eine solche Immobilie
kaufen. In ländlichen bayerischen Regio-
nen muss man dafür meist mit Preisen zwi-
schen 200 000 und 300 000 Euro rechnen,
Neubauten kosten dort gern das Doppelte
oder Dreifache. Menschen, die über wenig
Eigenkapital verfügen und schnell in ein Ei-
genheim umziehen wollen, werden sich
eher für eine gebrauchte Immobilie ent-
scheiden. Der Vorteil liegt nicht nur im ge-
ringeren Kaufpreis, sondern auch in der
Entscheidungsfreiheit – man muss ja
nicht gleich alles auf einmal renovieren.
Aber wie geht man am besten vor?


Natürlich wird niemand zuerst einzie-
hen und dann die Wände für eine neue
Elektrik aufreißen und wochenlang in
Staub und Dreck leben wollen. Am besten
ist es, so viel wie möglich in unbewohntem
Zustand machen zu lassen, oder in Um-
bruchzeiten zu renovieren, zum Beispiel
ein paar Jahre vor der Rente. Letzteres hat
auch den Vorteil, dass man Handwerker-
leistungen noch in vollem Umfang von der
Steuer absetzen kann.
Aus einem typischen Sechzigerjahre-
Haus eine nach modernen Standards be-
wohnbare Immobilie zu machen, kostet
mehr, als so mancher Hauskäufer denkt.
„Um ein gebrauchtes Haus auf den aktuel-
len Standard zu bringen, muss man 1500
bis 2000 Euro pro Quadratmeter Geschoss-
fläche netto rechnen“, berichtet Katrin
Voigtländer-Kirstädter, Sachverständige
beim Verband Privater Bauherren (VPB)
und Leiterin des VPB-Regionalbüros Ebers-
berg. Die teuersten Maßnahmen sind da-
bei nicht die, die man sofort im Blick hat –
neue Böden, frische Wände und ein gemüt-
liches Bad können zwar recht kostspielig
werden, teurer sind aber Feuchtigkeits-
schutz, Dämmung und Verkabelung.
Was viele nicht wissen: Nicht immer ist
der neue Immobilieneigentümer frei in
seinen Entscheidungen. Gesetze bestim-
men oft über Sanierungsmaßnahmen; so
schreibt beispielsweise die Energieeinspar-
verordnung (EnEV) eine Dämmpflicht für
oberste Geschossdecken vor oder den Aus-
tausch von bestimmten Öfen. Zudem sind
energetische Mindeststandards festge-
legt, wenn beispielsweise Fenster ausge-
tauscht werden. Auch wer Geld vom Staat
will, etwa von der Förderbank KfW, muss
oft Energiestandards einhalten.

Wem eine Komplettsanierung zu teuer
ist, der kann schrittweise vorgehen, am
besten mithilfe von firmenunabhängigen
Fachleuten. Sonst kann es passieren, dass
man mehr Probleme schafft, als welche zu
beheben. Wer beispielsweise in ein altes
Haus neue, luftdichte Fenster einbauen
lässt, riskiert Schimmelbildung, da die
Feuchtigkeit nun nicht mehr entweichen
kann. Auch bei der Wärmedämmung kann
man viel falsch machen. „Wir können in
der Sanierung nicht einfach ein Wärme-
dämmverbundsystem vor die Fassade
setzen, und alles ist erledigt!“, warnt VPB-
Vorstandsmitglied Reimund Stewen und
betont, dass immer zuerst die Bauphysik
bedacht werden müsse.
Und was kosten Einzelmaßnahmen? Ste-
wen gibt grobe Schätzungen ab: 5000 Euro
die Dämmung der Kellerdecke, 10000 Eu-
ro neue Fenster oder eine Lüftungsanlage,
ein neues Dach ist für 20 000 Euro zu ha-
ben. Für die einfache Fassadendämmung
eines Einfamilienhauses veranschlagt der
Architekt etwa 30 000 Euro.
Bei der Sanierung können auch Themen
eine Rolle spielen, an die man zunächst
nicht denkt. So kann es sein, dass in dem al-
ten Haus viele Jahre lang geraucht wurde.
Das Nikotin aus den Wänden zu kriegen,
sei gar nicht so einfach, erläutert Peter
Burk, Diplomingenieur und Experte am In-
stitut Bauen und Wohnen in Freiburg so-
wie Fachbuchautor der Verbraucherzentra-
le NRW in Düsseldorf. Nicht alle Oberflä-
chen lassen sich leicht reinigen, Textilien
und Tapeten müssen manchmal raus, Holz
geschliffen werden, der Putz runter. Auch
andere Altlasten können hohe Kosten ver-
ursachen, etwa die Entsorgung von Asbest-
platten oder gesundheitsschädlichen

Dämmstoffen. Doch nicht alles muss auch
saniert werden. Einige Elemente haben ei-
ne lange Lebensdauer, und es ist nicht ein-
zusehen, warum eine schöne Eingangstür
oder steinerne Treppen herausgerissen
werden sollten. Ziegeldächer halten zu-
dem viele Jahrzehnte, Fensterbänke aus
Naturstein und Klinkerverkleidungen so-
gar bis zu 100 Jahren und mehr, sagt Burk.

Was ein Umbau wirklich kostet, weiß
man erst nach der Fertigstellung aller
Handwerksarbeiten. Sicher ist aber: Die
Kosten werden häufig unterschätzt. Exper-
ten raten daher, immer eine Finanzreserve
zu halten, am besten zehn bis 30 Prozent.
Bei der Finanzierung könnte es aber
bald mehr Unterstützung geben. Der
Gesetzesentwurf für ein neues Gebäude-
energiegesetz (GEG) sieht von 2020 an eine
steuerliche Förderung von energetischen
Sanierungsmaßnahmen vor, etwa den Hei-
zungstausch, den Einbau neuer Fenster
oder die Dämmung von Dächern und Au-
ßenwänden. Selbstnutzer von Immobilien
sollen dann 20 Prozent der Kosten über
drei Jahre verteilt absetzen können, bis ma-
ximal 40 000 Euro pro Objekt. Die neue
Förderung ist als Alternative zu den beste-
henden Kredit- und Zuschussprogram-
men zu sehen und ist mit einer Pflicht
verbunden – künftig soll vor einer großen
energetischen Sanierung oder beim Eigen-
tümerwechsel eines Ein- oder Zweifamili-
enhauses eine Energieberatung stattfin-
den. marianne körber

Banken bieten
Forward-Darlehen an. Die sind
eine Wette auf die Zukunft

Viele wollen lieber in


Eigentum investieren,


statt Miete zu zahlen


In einem alten Haus muss viel neu gemacht werden, etwa der Boden. FOTO:ALES

Fassadenarbeiten an einem Neubau. Weil sich Sparen kaum noch lohnt, investieren viele in Immobilien. FOTO: ARNE DEDERT / DPA

Sanieren, lohnt sich das?


Weil sie weniger kosten als Neubauten, sind ältere Häuser sehr gefragt. Doch Käufer müssen aufpassen: Gebrauchte Immobilien bergen oft so manche Überraschung


Fast geschenkt


Die Bauzinsen bewegen sich Richtung null, es wird sogar schon über Negativzinsen spekuliert. Doch Immobilienkäufer sollten sich nicht
blenden lassen. Denn das extrem billige Geld hat auch seine Tücken

Eigentümer können
energetischeSanierungen
bald von der Steuer absetzen

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DEFGH Nr. 257, Donnerstag, 7. November 2019 SZ SPEZIAL


BAUEN, RENOVIEREN, FINANZIEREN

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