Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1
interview: anke sterneborg

W


ährend im amerikanischen Far-
go, im britischen Broadchurch
oder im norwegischen Lilleham-
mer regelmäßig wunderbar abgründige, ti-
telgebende Seriengeschichten blühen, ver-
öden bayerische Dörfer eher in platten Wit-
zen und braven Erzählungen.
Umso strahlender funkelte da im Früh-
jahr 2017 die SerieHindafing, die das Bay-
erische Fernsehen in Zusammenarbeit mit
der Hochschule für Film und Fernsehen
und der Münchner Produktionsfirma
„Neue Super“ produziert hat: Darin verkör-
perte Maximilian Brückner, 40, Alfons
Zischl, einen Bürgermeisterkandidaten,
der sich im Wahlkampf mit allen virulen-
ten Themen der Zeit rumschlagen musste,
von Gammelfleisch-Skandalen bis Nach-
haltigkeit, von Offshore-Konten über die
Flüchtlingskrise zu Windenergie und Fra-
cking. Ohne Rücksicht auf das, was deut-
schen Fernsehzuschauern angeblich nicht
zuzumuten ist, driftete die Serie zwischen
Heimatkrimi, Provinzposse und Politsati-
re aus der bayerischen Gemütlichkeit in
den absoluten Wahnsinn.
Ein Gespräch mit dem in München gebo-
renen Hauptdarsteller Maximilian Brück-
ner, der in der zweiten Staffel als Alfons
Zischl aus der Lokalpolitik in die Landespo-
litik aufsteigt.

SZ: Herr Brückner, wie haben Sie re-
agiert, als Ihnen die recht freche Serie
Hindafing vor drei Jahren angeboten
wurde?
Maximilian Brückner: Die habe ich erst
mal abgesagt. Ich fand die ersten Bücher
leider todlangweilig. Man wusste immer,
was passiert, alles war völlig vorhersehbar
und ging mir auch nicht weit genug. Wo es
anfängt wehzutun, hörte es immer schon
auf. Dann haben wir uns zusammenge-
setzt und das ganze Buch zerlegt, es wurde
besser, und beim Drehen passiert ja dann
auch noch ganz viel. Mir sind da alle Ideen
willkommen, auch wenn sie vom Koch
kommen.

Sie hatten gar keine Befürchtungen, dass
das in Bayern zu weit gehen könnte?
Nein, gar nicht. Für mich kann es nicht
weit genug gehen. Ich finde, wir waren
noch brav. Andererseits bin ich aber auch
froh, dass wir in einer Demokratie leben
und in Bayern so was drehen können und
dann auch noch Preise dafür bekommen.
Das ist ja heute nicht mehr selbstverständ-
lich. In anderen Ländern landen Sie damit
bestimmt im Gefängnis, schon mit weit we-
niger satirischen Sachen. Und wenn man
Donald Trump und Boris Johnson an-
schaut, weiß man gar nicht, wie man das
noch persiflieren sollte. Wenn man sich die
politische Landschaft anguckt, national
und international, dann kann man das fast
nicht mehr übertreiben. Es ist ja toll, dass
die Realität so viel hergibt, aber es ist
schon auch erschreckend.

Haben Sie gezögert, sich auf eine zweite
Staffel einzulassen?
Davor hatte ich enorme Angst, schon weil
ich mich immer wahnsinnig schnell lang-
weile. Die Figuren kennt man jetzt schon,
da muss der Plot dann doch sehr gut und
auch härter sein. Mir war es wichtig, dass
es bei dieser ganzen Überhöhung und Über-
spitzung am Schluss einen Schlag in die
Magengrube gibt, für den Zuschauer und
für die Figur. Zu klamaukig sollte das auf
keinen Fall werden, und ich finde, dass die
zweite Staffel jetzt auch sehr viel tiefer
geht und viel härter ist.

Sie mögen das ja auch, ein bisschen zu pro-
vozieren, schon am Anfang mit Ihrem
Filmdebüt „Männer wie wir“ über ein Co-
ming-out im Fußballverein ...
Das sind doch gerade die interessanten Sa-
chen. Solche Fragen habe ich mir nie ge-
stellt, ich lese etwas, finde es interessant

oder nicht, und ein bisschen anzuecken,
schadet ja nicht.

Gibt es eine Figur, die Ihnen zu weit ginge,
sagen wir mal, ein Kinderschänder?
So eine moralische, innere Grenze? Nein!
Es muss halt gut geschrieben sein und darf
so etwas nicht verherrlichen. Ein gutes
Buch oder ein guter Film sollten der Gesell-
schaft einen Spiegel vorhalten, und wenn
das Thema wichtig ist und ich Teil des Spie-
gels bin, jederzeit! Das ist ja auch mein Be-
ruf, meine Pflicht.Hindafingist Satire,
kommt leicht daher, aber das Lachen
bleibt dir schnell im Hals stecken. So wie
Molière, der hat immer gesagt, bring die
Leute zum Lachen, dann geht der Kopf auf,
und dann haust du ihnen in den Magen.
Und das finde ich gerade in unseren Zeiten
ganz besonders wichtig. Vor 20 Jahren wä-
ren koksende Politiker in einer Serie völlig
absurd gewesen. Heute werden Politiker
mit Crystal Meth erwischt. Wir denken uns
da ja keine wilden Geschichten aus.

Alfons Zischl legt auch in den aussichtslo-
sesten Situationen einen irrwitzigen
Zweckoptimismus an den Tag: Wie viel
steckt davon in Ihnen?
Fast nichts, aber es gefällt mir gerade gut,
in solche Figuren einzutauchen, die völlig
anders sind als ich. Gerade habe ich die Se-
rieOktoberfestgedreht, in der ich wieder et-
was ganz anderes spiele, lustigerweise den
einzigen Preußen, den Chef einer riesigen
Brauerei und ein total gefühlloses, kaltes
Schwein. Das war toll.

Macht es nicht ungeheuren Spaß, diesen
Zischl zu spielen, der sich unablässig um
Kopf und Kragen redet?
Ehrlich gesagt finde ich die Pausen immer
am interessantesten, wenn einem mal
nicht viel einfällt. Wenn wir uns hier unter-
halten und ich höre mit dem Reden auf, ent-
steht sofort eine Spannung, die Augen ma-
chen plötzlich viel mehr. Auch Aggressivi-
tät wirkt viel gefährlicher, wenn sie von ei-
nem ruhigen Menschen ausgeht. Da muss
man nicht rumschreien oder rumrennen.

Woran liegt es wohl, dass bayerische Fil-
me und Serien auch über die Freistaat-
Grenzen hinaus gut funktionieren?
Ist das wirklich so? Das Lokale hat einfach
immer so einen ganz eigenen Reiz, die Leu-
te stehen auf solche Eigenheiten, das gilt ja
auch für finnische und skandinavische For-
mate. Dazu kommt, dass Bayern ein relativ
großes Land ist, mit relativ viel Geld, und
darum kann auch viel hier produziert wer-
den. Es gibt sehr gute bayerische Filme, ich
schau die auch gern an, aber mir hat da im-
mer die Boshaftigkeit gefehlt. Da sind uns
die Österreicher meilenweit voraus, neh-
men SieDie Piefke Saga, ein uraltes Ding,
von 1990 und ganz bitterböse. Da schich-
ten sie Müll auf und bauen daraus Skipis-
ten. Auch Serien wieBraunschlag, oder die
Filme von Wolfgang Murnberger, da gibt’s
einige gute Sachen. Unser Ansporn war, so
etwas hinzukriegen.

Ursprünglich wollten Sie Arzt werden.
Was hat Ihre Mutter auf die Idee gebracht,
Ihnen das Schauspielen nahezulegen?
Wahrscheinlich hatte sie Mitleid mit den ar-
men Patienten. Wir haben auf dem Land so
ein bisschen Theater gespielt, das hat Spaß
gemacht, aber ernsthaft in Erwägung gezo-
gen habe ich das nie. So mit 16 ging es eher
darum, dass das bei den Mädchen gut an-
kam. Zum Vorsprechen bin ich dann ein-
fach mal so gegangen, ohne großen Ehr-
geiz, und wurde gleich genommen. Ich hät-
te das sicher nicht noch mal probiert, wenn
es nicht geklappt hätte. Jetzt bin ich sau-
froh und dankbar, weil ich ein tolles Leben
und wirklich großen Spaß dabei habe.

Hindafing, Staffel 2, Arte 2x3 Folgen am 7. & 14.11.
ab 20.15 Uhr/Mediathek ab 1.11. Oder im BR ab
26.11. dienstagsDoppelfolgen, 20.15 Uhr, bzw. ab
28.11. donnerstags, 22.45 Uhr. Mediathek ab 19.11.

Die Titelbilder von Magazinen und Illus-
triertensind so etwas wie optische Ge-
schmacksverstärker. In ihrer ikonografi-
schen Bedeutung sind sie kaum zu fassen.
Denn einerseits müssen sie wie alle anstän-
digen Bilder verstanden werden können,
also etwas zeigen, was man (wieder-)er-
kennt. Andererseits ist das Titelbild spä-
testens seit Beginn des 20. Jahrhunderts
nicht bloß dekorative Abbildung, kein
Frontispiz oder Schmuckbild wie beim
klassischen Buchdruck, sondern ein bedeu-
tender Teil des Magazin-Marketings.
Titelbilder buhlen im Zeitschriftenstän-
der um Aufmerksamkeit. Ein höchst disso-
nanter Chor ist das, doch darum will (und
muss) jede Ausgabe neu und sensationell
sein, versucht, auf unerhörte, nie gesehene
Schätze in ihrem Inneren zu verweisen,
will als das einzig lohnende Spektakel in
diesem Überbietungskampf des Spektaku-
lären erscheinen.


In dieser prekären Balance zwischen Er-
kennen und Enthüllen versuchen die Perio-
dika, Woche für Woche, Monat für Monat
auf den jeweiligen Punkt des aktuellen Dis-
kurses zu kommen, auf das also, was die
Menschen gerade bewegt, ihnen wichtig er-
scheint, sie umtreibt. Stimmungen spielen
da oft eine größere Rolle als die nüchterne,
gar unaufgeregte Dokumentation des Ge-
gebenen. Diffuse Ängste, überspitzter Hu-
mor in der Karikatur finden hier ihren Nie-
derschlag, aber auch Lust, Sehnsüchte und
Aversionen. Gefühle also, die sogar den Re-
alismus eines einzelnen Fotos zur Meta-
pher für den Pulsschlag der Zeit machen.
Das Bild von Neil Armstrong auf demStern-
Titel von 1969 nach der Landung auf dem
Mond ist dafür ein gutes Beispiel, aber
auch der „Kniefall“ Willy Brandts in War-
schau ein Jahr später auf demSpiegel-Ti-
tel. „Zonen-Gabys“ erste Banane auf derTi-
tanicmacht sich schon 1989 über die Wie-
dervereinigung lustig.
So werden Zeitschriften-Cover in der
Rückschau auch zu Sinnbildern von erleb-
ter Zeitgeschichte, sie dokumentieren die
Umbrüche in einer Gesellschaft („Wir ha-
ben abgetrieben“ auf demStern1971), sind
Wegmarken von Veränderung („Kultur-
revolution“ in China bei derBunten1966)
und Fortschritt („Friedensbewegung“
1981). Eine solche, natürlich nicht vollstän-
dige Rückschau leistet der von Philipp
Hontschik betreute Band: „Titelseiten, die
Geschichte schrieben“ für die Bundesrepu-


blik Deutschland – für die alte vor 1989
mehr noch als für die wiedervereinigte
neue danach. Denn gerade im immer
schon hart umkämpften Medienmarkt des
kapitalistischen Westens mussten sich die
Blätter anstrengen, ihre Auflagen gegen-
über der Konkurrenz zu halten oder gar zu
steigern. Darum überbieten sich die Maga-
zine der alten BRD mit Exklusiv-Stories,
die sie auf ihren Titeln ankündigen.
Manche, wie „Hitlers Tagebücher“
(Stern, 1983), sind Rohrkrepierer, manche
wie „Bedingt abwehrbereit“ (Spiegel, 1962)
stellen Demokratie und Staatsorgane auf
die Probe, manche wie der „Uwe Bar-
schel“-Titel desStern1987 und der „Glad-
beck“-Titel derBunten(1988), testen die
Grenzen dessen, was man in Medien zei-
gen darf. Und die allerallermeisten spielen
optisch aufreizend mit Sex, Drogen und
Rock’n’ Roll, also mit den je aktuellen Cele-
brities aus Sport und Unterhaltung. John
Lennon prangt 1968 psychedelisch auf
demStern, Hannelore Elsner träumt 1972
aufJasmin, Boris Becker und Steffi Graf
siegen 1988 noch einmal auf derBunten,
Lady Dianas Tod wird 1997 betrauert, Mi-
chael Jacksons Tod zwölf Jahre danach, bei-
de auf demStern. Dazu gibt es sehr viel an-
onymes nacktes Frauenfleisch in den Sieb-
zigern, das, 1978 angestrengt vonEmma,
gegen denSternzur ersten Sexismus-Kla-
ge in der BRD führte. Damals rechtfertig-
ten sich die männlichen Magazin-Heraus-
geber damit, dass doch jeder gerne „kna-
ckige Pos“ betrachten würde. Heute könn-
te so etwas nicht mehr shitstormfrei die
Druckerei verlassen.
Hinzu kommt bei den Magazinen im-
mer auch politisches Zeitgeschehen: Wie-
dervereinigung, RAF, der 11. September
2001, Bundespräsidenten-Rücktritt 2012,
Umweltzerstörung und Terror in Paris
2015 sind nur Beispiele. Wenn man aber
die Geschichte der Republik anhand von Ti-
telseiten Revue passieren lässt, dann er-
gibt sich kein stringentes Bild unserer Men-
talität, kein einheitliches Mosaik unserer
Nachkriegsgeschichte. Man erkennt viel-
mehr Ausschläge eines Fiebers, das offen-
bar dramatische Halluzinationen verursa-
chen muss: Der Patient – wir – leidet an ma-
ximaler Erregung, doch sein Wahn findet
nirgends Halt, kann sich nie fokussieren.
Die Sensationen und Skandale, aber auch
Erkenntnisse und Gewissheiten einer Wo-
che sind spätestens mit den nächsten auf-
regenden Magazin-Titeln verpufft und
längst vergessen. bernd graff

Titelseiten, die Geschichte schrieben. Zeitschrif-
tencover 1949 bis heutevonPhilipp Hontschik,
Prestel Verlag, München, 2019.

„Eine moralische,
innereGrenze?
Nein!“

„Ich hätte das sicher nicht
noch malprobiert,
wenn es nicht geklappt hätte.“

Die allerallermeisten Cover


spielen optisch aufreizend


mit Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll


„Anzuecken schadet nicht“


Der Schauspieler Maximilian Brückner über den Mut zur Bösartigkeit, über Satire in den Zeiten


von Donald Trump und Boris Johnson und die große Angst vor der Langeweile


Ausschläge


eines Fiebers


Was ein Bildband über deutsche Magazintitel lehrt


DEFGH Nr. 257, Donnerstag, 7. November 2019 (^) MEDIEN 25
Maximale Erregung? DerSpiegelüber Designer Karl Lagerfeld,
dieBunteüber Dianas Märchenhochzeit,
derSternüber Hitlers Tagebücher.COLLAGE: SPIEGEL/BUNTE/STERN/SZ
Fand die ersten Bücher zuHindafingtodlangweilig: Schauspieler Maximilian Brückner, auch bekannt ausGefährtenvon Steven Spielberg. FOTO: CHRISTIAN HARTMANN
Lösungen vom Mittwoch
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SZ-RÄTSEL
Die Ziffern 1 bis 9 dürfen pro Spalte und Zeile
nur einmalvorkommen. Zusammenhängende
weiße Felder sind so auszufüllen, dass sie nur
aufeinanderfolgende Zahlen enthalten (Stra-
ße), deren Reihenfolge ist aber beliebig. Weiße
Ziffern in schwarzen Feldern gehören zu kei-
ner Straße, sie blockieren diese Zahlen aber in
der Spalte und Zeile (www.sz-shop.de/str8ts).
© 2010 Syndicated Puzzles Inc. 7.11.2019
Schwedenrätsel Sudokuleicht
6 5 7 3
8 4 2
9 8
3
3 7 9
5 2 8 3
2 1 6 7
4 9 3 6
4 5 9
2738 1 9654
95864 3127
6147 25389
36 54912 7 8
7 9 23685 4 1
48 12579 63
5361 7 4892
14958 2736
8279 36415
Str8ts: So geht’s
432 786
32 6457
21453 678
12 6457
387451
5463 12
786 52143
8679 32
798 123
1 8 2 9 4 6
Str8tsmittelschwer

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