Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1
Harry G – der Münchner Grantler vom Dienst, der
mit seinenYoutube Videos („Harry G über ...“) nicht
nur die Wiesn, sondern auch die Münchner Schicke-
ria und den sogenannten „Isarpreiss“ auf die Schip-
pe nahm, bekommt jetzt also nach Radiokolumne,
Buch und Tour im Jahr 2020 seine eigene Serie. Dar-
in geht es aber nicht um ihn als Comedian, Markus
Stoll, wie er im richtigen Leben heißt, wird schau-
spielern. Die Serie heißt „Der Beischläfer“ und wird
von Amazon Prime Video produziert. Stoll spielt
darin den Automechaniker Charlie Menzinger, der
vom Münchner Amtsgericht zum Schöffen ernannt
wird. Dass Amazon, Netflix und viele andere „Play-
er“ nun auch als Serienproduzenten in Deutsch-
land fungieren, bringt für Filmemacher wahnsin-
nig viele Vorteile – es wird viel gepitcht, gedreht
und vermarktet. Das weiß auch Gerhard Maier vom
„Seriencamp“. Er sagt: Man muss in der Masse an
Serien herausstechen. Bei Amazon versucht man
das mit dem beliebten Comedian Harry G – und
spielt gleich mal auf den Monaco Franze oder Baby
Schimmerlos an. Der sonst so mürrische Harry G
ist euphorisch – ausnahmsweise. Zumindest lässt
er sich von Amazon folgendermaßen zitieren: „Es
kommt bei mir zwar selten vor, aber es gibt im
Augenblick wirklich nix zum Grantln.“ soma

Die Idee zur Serie entstand nicht in München, son-
dern in der Transsibirischen Eisenbahn. Zwei Freun-
de, die sich während ihres Studiums an der Hoch-
schule für Fernsehen und Film (HFF) München ken-
nengelernt haben, aßen auf ihrer Reise vor allem
Brot, Bier und Wurst. Diese beiden Freunde sind
Chiara Grabmayr und Jakob Schreier, die Macher
von „Fett und Fett“. Weil Chiara Grabmayr so großen
Spaß daran hatte, wie Jakob Schreier die kulinari-
schen Köstlichkeiten verspeiste, nahm sie sich vor,
das vor die Kamera zu bringen. Grabmayr und Schrei-
er entwickelten die Serienfigur Jaksch, schnappten
sich ihren Kommilitonen Johannes Brugger mitsamt
seiner Handkamera und zogen durch die Straßen
Münchens. Dort drehte das Team fünf Folgen, die al-
le zwischen neun und 19 Minuten lang sind. Diese
Spaßfolgen haben die Macher auf der Plattform Vi-
meo hochgeladen – darauf wurde das ZDF aufmerk-
sam und gab eine neue Staffel in Auftrag, die offiziell
als „Staffel 1“ in der Mediathek zu sehen ist. Die alten
Folgen werden dort als „Was bisher geschah“ gela-
belt. Viele Charaktere sind gar keine ausgebildeten
Schauspieler. Aber das macht den Charme der Serie
aus, genauso wie die vielen München-Schmankerl,
die es in „Fett und Fett“ zu sehen gibt. Und da ist
nicht mal Sommer, sondern Herbst! soma


Neue Blicke


Klar, Figuren wie der Monaco Franze sind Kult.


Aber irgendwann ist es Zeit, sich von alten Lieblingen zu lösen.


Heute zeigen Fernsehserien längst ein anderes München


von maresa sedlmeir

W


enn man die Worte „München“
und „Serien“ hört, kann man gar
nicht anders, als ganz schnell und
ganz laut „Dietl“ zu schreien, als wäre das
die einzig richtige Assoziation, die man in
diesem Zusammenhang haben kann. Auch
Nicht-Münchner und Nicht-Achtzigerjah-
re-Kinder kommen dann sofort ins Schwel-
gen. Ach, der Monaco Franze. Ach, der Ba-
by Schimmerlos. Ach, der Tscharlie (wobei
der noch der Unbekannteste ist).
Die Serienfiguren, die Helmut Dietl im
München der Siebziger und Achtziger er-
schaffen hat, sind heute Kult. Man radelt
an den Königsplatz, um mit Hunderten an-


deren eine Monaco-Franze-Folge anzu-
schauen (was ziemlich ungemütlich wer-
den kann, wenn man nicht daran gedacht
hat, Picknickdecke und Kissen mitzubrin-
gen, aber eben auch so schön nostalgisch).
Man verklärt dadurch München als diese
hippe, coole Szenestadt, die es damals
wahrscheinlich nie war und heute ganz
sicher nicht ist. Eine große Leistung des Re-
gisseurs, keine Frage. Und wenn man bei ei-
ner München-Serie an den Monaco Franze
denkt, ist das bestimmt ein schönes Kom-
pliment für dessen Schöpfer. Aber trotz-
dem wird es Zeit, sich von diesem ständi-
gen Vergleich zu distanzieren, endlich ein-
mal nicht mehr alles Neue an den Produkti-
onen von Dietls zu messen.

Tatsächlich gibt es neue Serien, die es
schaffen, das München-Gefühl ganz wun-
derbar zu verkörpern. Wobei man hier
gleich wieder einhaken müsste mit der Fra-
ge: Was ist denn das überhaupt, das
Münchner Lebensgefühl? Welche Kriteri-
en hat eine solche Serie zu erfüllen? Man
stelle sich eine Checkliste vor: Es muss sie-
ben Mal die Isar zu sehen sein, einmal im
Englischen Garten flaniert werden, der
Biergartenbesuch muss pro Staffel zwei-
mal erfolgen, unterschiedliche Wirte sind
gewünscht. Nein, diese frei erfundenen Kri-
terien erfüllen die heutigen München-Se-
rien natürlich nicht.
Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie
humor- und liebevoll auf die Eigenheiten

(Neider würden jetzt sagen: Schwächen) ab-
zielen. Darauf, dass München manchmal
wie ein großes Dorf ist. In der Serie „Fett
und Fett“, zum Beispiel, sagt die Serienfigur
Jakscheinmal: „Ich wollt’ halt eigentlich in
der Stadt bleiben“, nachdem er erfährt,
dass die Party in Moosach stattfindet. Oder
es wird darauf angespielt, dass man an je-
der Ecke Leuten, die man kennt, über den
Weg läuft.Solche kleinen Eigenheiten ma-
chen die Serien wie „Fett und Fett“ oder
„Servus Baby“ aus, und zudem haben sie
einfach gute Geschichten zu erzählen. Ei-
nen Monaco Franze braucht es da gar nicht.
Außerdem gibt es immer mehr Mün-
chen-Serien. Das bemerkt auch Gerhard
Maier, Programmdirektor vom Münchner

„Seriencamp“, dem Festival für Serien, das
vom 8. bis 10. November an der Hochschu-
le für Fernsehen und Film stattfindet und
30 kostenlose Serienvorführungen zeigt.
Maier beobachtet ein steigendes Interesse
für deutsche Serien. „Die Menge an seriel-
len Stoffen ist explodiert, und auch die Qua-
lität“, sagt er – eine der Erklärungen für die
neuen Serien-Schöpfungen, von denen ei-
nige in München spielen.
Auf dem Weg zum „Seriencamp“ sieht
man München übrigens, wie es wahr-
scheinlich sowieso am schönsten ist:
Durch die eigenen Augen.

„Seriencamp“-Festival: Fr., 8. Nov. bis 10. Nov., Pro-
gramm unter seriencamp.tv

David Dietl ist Regisseur und Drehbuchau-
tor.In einem Café gegenüber seinem Büro
in der Maxvorstadt spricht der Sohn von
Helmut Dietl über Münchner Serien und
das schwere Erbe eines großen Namens.

SZ: Herr Dietl, Ihre Filmografie verrät,
dass Sie noch nicht in München gedreht
haben. Woran liegt das?
David Dietl: Ich bin nach Berlin zum Studie-
ren gegangen. Das war eine bewusste Ent-
scheidung: München ist die Stadt, in der
ich aufgewachsen bin, die ich sehr gut ken-
ne, die natürlich auch durch meinen Vater
sehr geprägt ist. Ich bin jetzt zurückgezo-
gen nach München, auch weil Berlin mir ir-
gendwann zu anstrengend war. Und weil
ich gemerkt hab, dass es dort für mich per-
sönlich schwer war, die Zeit und die Ruhe
zu finden, das künstlerisch zu verarbeiten.
Berlin ist ganz viel Input und wenig Out-
put, München ist wenig Input und viel Out-
put.

Ist München als Standort für Serien auser-
zählt?
Nein, das glaube ich nicht. Ich finde es total
wichtig, dass hier neue Serien entstehen,
aber für mich war es nicht das Erste, was
ich machen wollte. Ich habe mich natürlich
trotzdem schon mit der Frage beschäftigt,
was man hier machen kann.

Und auf welche Antwort sind Sie gekom-
men?
Ich wusste, wenn ich hier was mache, dann
muss das ganz besonders und ganz beson-
ders gut sein. Es gibt Hotels, die nach den
Figuren aus den Serien meines Vaters be-
nannt sind, man geht in einen Burger La-

den, und es gibt einen Monaco Franze Bur-
ger, man trifft das hier wirklich an jeder
Ecke. Das ist eine Riesenleistung, aber das
macht es für alle, die jetzt eine Serie über
München erzählen wollen, auch schwieri-
ger. Ich bin selbst auf der Suche danach.
Ich arbeite an einer Neuinterpretation von
Ludwig Thomas „Münchner im Himmel“


  • aber als Spielfilm.


Was müsste für Sie in einer Münchner Se-
rie vorkommen?
Leider habe ich die Antwort darauf noch
nicht, sonst wär ich schon dran. Aber die
Kollegen von „Fett und Fett“ oder „Servus
Baby“ zeigen ja, dass es sich trotzdem
lohnt, und sie sagen: Wir haben hier ge-
wohnt, wir haben Spaß, und wir erzählen
unsere Geschichten aus München. Es gibt
hier eine große Liebe zum Leben, zum Es-
sen, zum Trinken, zum Feiern. Dieses ka-
tholisch geprägte „Man darf auch sündi-
gen“. Da muss man sich halt entschuldi-
gen, und dann darf man weiter machen.

Was wäre Ihr Ansatz für eine Serie?
Das Problem, das wir gesellschaftlich hier
in München haben, ist, dass sich nur noch
ein paar Leute diese Stadt überhaupt leis-
ten können und deswegen die Diversität,
die München immer ausgezeichnet hat,
ein bisschen verloren geht. Wie die Leute
hier ums Überleben kämpfen! Also viel-
leicht müsste es eher eine Serie sein, die
das München von unten zeigt. Das hätte et-
was mehr als das Satte, Fertige, Reiche.

Und in welcher Zeit müsste sie spielen?
Natürlich sind die Achtzigerjahre sehr
spannend. Da war München der Nabel
Deutschlands, zumindest in einer Hin-
sicht: Die Musikproduzenten und die Stu-
dios waren hier, und deswegen auch Fred-
die Mercury, Donna Summer, Milli Vanil-
li ... Aber die Zeit war, wie gesagt, sehr
durch die Serien meines Vaters geprägt,
und ich glaube, man müsste da eher einen
anderen Ansatz finden, vielleicht ist da ein
anderes Genre besser, eher in Richtung
Drama. Komödie oder Satire hat es da, glau-
be ich, noch schwerer.

Was hat die Serie für Vorteile gegenüber
dem Film?
Ich habe den Eindruck, man kann sich gera-
de in Serien mehr trauen, die spannende-
ren Geschichten zu erzählen, es konzen-
triert sich mehr auf die Figuren, man hat
mehr Zeit. Der Kinomarkt hat es sehr
schwer, alle versuchen immer auf Num-
mer sicher zu gehen. In Serien ist es einfa-
cher, neue Leute zu besetzten, man hat viel
größere Freiheiten. Und fürs Kino musst
du die Leute dazu bringen, rauszugehen
und zehn Euro auszugeben, Eltern brau-
chen dann noch einen Babysitter, und
dann gibst du gleich mal 50 Euro aus, nur
um einmal ins Kino zu gehen. Aber alle ha-
ben zu Hause Netflix und Amazon, das ist
natürlich viel bequemer.

interview: maresa sedlmeir

Fett und Fett Der Beischläfer


StadtgeschichtenDas Erbevon Helmut Dietl setzt auch noch Jahrzehnte später


für viele Regisseure den Maßstab. Die aktuellen TV-Produktionen, die an der Isar spielen,


überraschen aber auch mit ganz eigenen, originellen Ansätzen


FOTO: JOHANNES BRUGGER/ZDF

David Dietl, geboren
1979 in Los Angeles, lebt
als Regisseur und Dreh-
buchautor in München.
Der Sohn des „Monaco
Franze“-Schöpfers Hel-
mut Dietl gab sein Kino-
debüt 2013 mit „König
von Deutschland“.
FOTO: FLORIAN PELJAK

Als Münchner Pendant zu „Sex and the City“ wurde
die Serie angekündigt – womit wir wieder bei den
Vergleichen wären, und um alle Kritiken zu „Servus
Baby“ zusammenzufassen: München ist nicht New
York, im positiven wie im negativen Sinne. Jeden-
falls geht es in der BR-Produktion „Servus Baby“
um vier Münchner Frauen Anfang 30, die entweder
die Liebe suchen, vor ihr flüchten oder gar nicht ge-
nau wissen, was sie eigentlich sein soll. Lou, Mel,
Eve und Tati heißen die vier Hauptfiguren. Die ers-
te Staffel bestand aus vier Folgen, in jeder steht ei-
ne der Frauen im Zentrum – ein derber Spaß samt
verschwundenem Kondom, Mädelsabenden und
Englischem Garten – teilweise in schönstem
Münchner Lokalkolorit. Doch bei all dem Spaß geht
es in der Serie vor allem um Freundschaft. Erdacht
wurde „Servus Baby“ von der Regisseurin Nathalie
Spinell, die an der HFF studierte. Ihr gefällt der Ver-
gleich mit „Sex and the City“ übrigens gar nicht:
„Wir sind anders dreckig“, sagte sie in einem Inter-
view. Ob Carrie oder Lou, „Servus Baby“ war ein gro-
ßer Erfolg: Die ersten vier Folgen wurden mit dem
Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet, beim BR wur-
de sofort eine zweite Staffel bestellt, die Dreharbei-
ten gingen gerade zu Ende. 2020 soll die zweite Staf-
fel dann ausgestrahlt werden. soma

Genauso, wie man Münchner Serien mit Dietl asso-
ziert, ist das Erste, was man hört, wenn man mit
Nicht-Münchnern über die Stadt spricht: „Aaaah,
Oktoberfest!“ was dann gerne mal wie „Aktawbrfä-
äst“ klingt. Das Münchner Aushängeschild wird
jetzt auch zur Serie: Die ARD produziert „Oktober-
fest-1900“ – das ist der Arbeitstitel; sechs Folgen à
45 Minuten laufen im kommenden Jahr in der ARD,
als Doppelfolgen, wodurch man die Serie auch als
Dreiteiler sehen könnte. „Oktoberfest – 1900“
spielt, wie man dank des Titels leicht erraten kann,
zur Jahrhundertwende und dreht sich vor allem um
den Machtkampf zwischen den Brauereien, genau-
er: Um einen fränkischen Brauer, gespielt von
Mišel Matičević, der als Nicht-Münchner keine
Schanklizenz erhält und sich diese durch Intrigen
und Erpressung ergaunert – und damit andere
Münchner Brauereifamilien an den Rande ihrer
Existenz bringt. Aber die ARD-Wiesn von 1900 be-
findet sich nicht etwa auf der Theresienwiese, son-
dern in Prag. Hier wurde die komplette Kulisse
nachgebaut, samt der Wiesnzelte – die waren frü-
her viel kleiner als heute. Eine Wirtsparzelle um-
fasste nur 300 Gäste. Zum Vergleich: In die großen
Bierzelte auf der Wiesn passen heute mehr als 6000
Menschen. soma

FOTO: JENNIFER BRÄUER/LÜTHJE SCHNEIDER HÖRL FILM FOTO: ARD FOTO:API/MICHAEL TINNEFELD

FOTOS: IMAGO, FLORIAN PELJAK, BEARBEITUNG: SZ

Dem Vater


auf der Spur


Für David Dietl muss eine neue
Serie München „von unten“ zeigen

DIE NACHFOLGER


Servus Baby Oktoberfest


R2 (^) THEMA DES TAGES Donnerstag, 7. November 2019, Nr. 257 DEFGH

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