Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1
Generationen lesen und urteilen nach
unterschiedlichen Kriterien. „Man muss
sich nur einmal anschauen, wie oft sich
die Bücher unterscheiden, die beim Deut-
schen Jugendliteraturpreis von der Ju-
gendjury und der Erwachsenenjury no-
miniert werden“, sagt die Münchner
Literaturwissenschaftlerin und Kinder-
buchautorin Silke Schlichtmann. Da lag
für sie die Idee nahe, Jugendliche einmal
selbst auf ein Podium zu bitten, um über
die Neuerscheinungen zu diskutieren,
„die sie selbst toll finden und überzeugt
haben“, so Schlichtmann. Im vergange-
nen Jahr hatte Schlichtmann, jüngst
vom Börsenverein des Deutschen Buch-
handels zur „Lesekünstlerin des Jahres“
gekürt, gemeinsam mit ihrem Mann,
dem Historiker Nils Freytag, auf der
Münchner Bücherschau das erste „litera-
rische Jugendquartett“ initiiert. Vertre-
ter von vier Leseclubs aus München und
Umgebung bewiesen, dass sie lebendig,
sachkundig und mit Spaß über ihre
persönlichen Buchfavoriten diskutieren
können – ohne dass ihnen erwachsene Li-
teraturkritiker Themen oder Titel vor-
schreiben. Das Format überzeugte auf
Anhieb, die Diskutanten auf dem Podi-
um, die Zuhörer im Publikum – und die
Organisatoren der Bücherschau. Die ba-
ten Schlichtmann und Freytag direkt im

Anschluss um eine Fortsetzung des Pro-
jekts. Für die zweite Ausgabe des literari-
schen Jugendquartetts wählten die jun-
gen Experten Bücher von Nicky Singer
(„Davor und Danach. Überleben ist nicht
genug“), Christelle Dabos („Die Spiegel-
reisende“), Mirjam Pressler („Dunkles
Gold“) und Marisha Pessl („Niemals-
welt). „Mein Mann und ich werden uns
dabei auf die Anmoderation und die
Überleitungen beschränken – und behal-
ten die Uhr im Auge, denn die Buchvor-
stellungen dürfen nicht länger als fünf
Minuten sein.“ barbara hordych

Das literarische Jugendquartett, Sonntag,


  1. Dezember, 16.30 Uhr, Gasteig, Black Box


vonb arb ara hordych

D


ie Idee kam ihm, als er selbst von ei-
nem Buch völlig gepackt war. „Ich
las damals den ,Alchimisten‘ und
ärgerte mich, wenn ich den Roman nicht
weiterlesen konnte, weil ich zur Arbeit
musste. Da dachte ich mir: Warum es mir
nicht einfach von meinen Kunden vorlesen
lassen?“, sagt Danny Beuerbach bei einem
Treffen im Vorfeld des Literaturfests. Mitt-
lerweile ist er als „Vorlesefriseur“ deutsch-
landweit, darüber hinaus in Wien und
Zürich, unterwegs. Und berühmt für seine
Aktion, in der er sich beim Haareschnei-
den von seinen Kunden vorlesen lässt – im
Gegenzug erlässt er ihnen die Kosten für
die neue Frisur zur Hälfte oder auch ganz.
Ein Konzept, das er im Münchner Salon
„Haarwerk“ sehr intim, also in einer Eins-
zu-eins-Situation umsetzt. Oder, wie jetzt
beim Literaturfest, in einer mehrstündi-
gen Sitzung mit und für Kinder. „Meiner
Erfahrung nach werden sogar die zappe-
ligsten und ungeduldigsten Kinder mit
einem Mal ganz ruhig und konzentriert,
wenn sie beim Haareschneiden gleichzei-
tig aus einem Buch vorlesen.“ Das diene
einmal der „Leseförderung“ des betreffen-
den Kindes, findet Beuerbach, erleichtere
aber auch ihm seine Tätigkeit, „weil mich
dann niemand mehr fragt: Wie lange dau-
ert es noch, wann bist du fertig?“ Er selbst


kommt aus einer Familie, in der kaum
gelesen wurde, erzählt er. Trotzdem habe
seine Mutter immer großes Interesse an
ihm und seinen Erlebnissen gezeigt, wenn
er aus der Schule kam und ihr von seinem
Tag erzählte. „Kommunikativ und an
Geschichten interessiert war ich also von
klein auf. Nur das Lesen habe ich für mich
erst später, so zwischen 15 und 20 Jahren,
entdeckt“, sagt Beuerbach.
Mehr, als Interesse an Geschichten zu
wecken, könne er mit seinen Vorleseaktio-
nen für Kinder selbstverständlich nicht.
Aber schon das liege ihm sehr am Herzen.
Kinderbuchautoren und Verlage sind
schon längst auf ihn aufmerksam gewor-
den, decken ihn mittlerweile stapelweise
mit Büchern ein. „Verlage haben sogar
schon angefragt, was es koste, wenn ich
aus ihren Büchern vorlese.“ Ihnen antwor-
tet er genau dasselbe wie den Bibliotheken
und Buchhandlungen, die ihn für ein Lese-
Event einladen. „Gar nichts.“ Lediglich die
Zugfahrten und, wenn die Reise bis nach
Zürich oder Wien führt, die Hotelübernach-
tung lässt er sich erstatten.

Stolz ist er darauf, dieses Jahr nicht nur
der Jury für den Vorlesewettbewerb an-
gehört zu haben, erst für den Landes-
entscheid in Bayern, später für den Bundes-
entscheid in Berlin. „Dort habe ich den Kin-
dern allerdings ausnahmsweise vor dem
Wettbewerb die Haare hübsch gemacht,
nicht erst beim Vorlesen“, sagt Beuerbach
und lacht. Darunter war auch Anton Naab,
der spätere Gewinner des deutschlandwei-
ten Wettbewerbs, der einen dreiminütigen
Auszug aus Nina Wegers Kinderbuch „Als
mein Bruder ein Wal wurde“ vorlas. Im
Nachhinein bekam er das Buch von den
Organisatoren zugeschickt, damit er die
Geschichte komplett lesen konnte. „Sie
handelt von einem Jungen, dessen Bruder
nach einem Unfall mit einem Schädel-Hirn-
Trauma im Wachkoma liegt. Letztendlich
geht es um die Frage, wer eigentlich über
Leben und Tod entscheidet.“ Wieder war
es so, dass er von diesem Buch nicht lassen
konnte, es bei Treffen mit Freunden sogar
nebenbei am Tisch weiterlas, sagt Beuer-
bach. Vor dreizehn Jahren ist seine Mutter
gestorben, auch sie lag kurze Zeit im Wach-
koma. „Die Geschichte hat bei mir nach all
den Jahren einen Knoten gelöst, endlich
konnte ich darüber sprechen, das ist dieses
Wunder, das mit Büchern passieren kann.“

Liveact mit Friseur Danny, Samstag, 23. November,
11 bis 18 Uhr, Gasteig, Eintritt frei

Donnerstag, 7. November 2019, Nr. 257 LITERATURFEST MÜNCHEN 11


Die jungen
Leser stellen
ihre Bücher vor.
Dafür haben
sie nur
fünf Minuten
lang Zeit

Da profitiert jeder:
Friseur Danny bekommt
vorgelesen, während er
arbeitet.FOTOS: BEUERBACH;
FOTOARBYTERZÜRICH

Haare


und Buch


schön


Liveact mit


„Vorlesefriseur“


Danny Beuerbach


Junge


Auslese


Das literarische Jugendquartett
in der Reihe Generation Z

Jetzt im Handel oder bestellen:
sz-shop.de/soulmates
089 / 21 83 – 18 10

10 Romane, die in keinem
Bücherregal fehlen sollten:

Blade Runner - Philip K. Dick
Der große Gatsby - F. Scott Fitzgerald
Die Straße - Cormac McCarthy
Der gläserne Schlüssel - Dashiel Hammett
Alexis Sorbas - Nikos Katzanzakis
König Alkohol - Jack London
Reise ans Ende der Nacht - Louis-Ferdinand Céline
Der Kampf - Norman Mailer
Ich erinnere mich - John Brainard
Letzte Fahrt - Robert F. Scott

Großartige Geschichten großer Autoren:
von Androiden, Packeis und Alkohol – von
Beziehungen, Wildheit und Lebensfreude.
Diese zehn Romane sind eine starke
Sammlung für Männer und alle, die ihnen
damit eine echte Freude machen wollen.

Soulmates
10 Hardcover im Geschenkschuber
ISBN: 978-3-86497-486-1
2.964 Seiten | 98,00 €

Ein Mann braucht mehr


als 1000 Worte.


Ein Angebot der Süddeutsche Zeitung GmbH,
Hultschiner Str. 8, 81677 München.

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