BRIEFE AN DIE HERAUSGEBER
Gemäß den Ausführungen der Ethnolo-
gin Juliane Stückrad in ihrem Artikel
„Das Lokale muss um jeden Preis ge-
stärkt werden“(F.A.Z. vom 30. Okto-
ber) wurde die AfD in Thüringen aus-
schließlich von Menschen gewählt, die
irgendwie zu kurz gekommen sind:
Rentnerinnen mit Arbeitslosenbiogra-
phie, Menschen mit beschädigtem
Selbstbewusstsein, Selbständige, die
auf keinen grünen Zweig gekommen
sind, schlechtbezahlte Arbeiter, Einfäl-
tige, denen die ganze Welt zu unüber-
sichtlich ist, einige Evangelikale und
andere, die irgendwie biographisch,
materiell, psychisch oder geistig zu-
rückgeblieben sind und an einer inne-
ren Leere oder an Abstiegsängsten lei-
den. So ist das also.
Ein eigentlich politisches Anliegen
hat keiner dieser bedauernswerten
Wähler, und gar kein berechtigtes. War-
um sie dann ausgerechnet die AfD wäh-
len und nicht die Linke oder anderen
Parteien, die ihnen ja auch dies und
das versprechen, ist freilich noch zu fra-
gen. Ebenso, wogegen die Protestwäh-
ler, die ja einen bedeutenden Anteil
der AfD-Wähler ausmachen, eigentlich
protestieren.
Könnte es nicht sein, dass ihnen die
Arroganz bestimmter Intellektueller,
die ihnen gerne vorschreiben würden,
wie sie zu sein und zu leben haben, auf
die Nerven geht – oder aber die Arro-
ganz der Altparteien, die sich berufen
fühlen, das Volk beständig moralisch
zu belehren und sich aufführen, als wä-
ren sie nicht Parteien, sondern das
Ganze, also der Staat, und dass sie –
die Protestwähler – deshalb über die
eine oder andere unappetitliche bezie-
hungsweise schwadronierende Äuße-
rung Höckes hinwegsehen?
DR. DIETER FREIHOFFER, TIEFENBACHZu der Kommentierung der Landtags-
wahl in Thüringen, „Ramelow“ von Da-
niel Deckers (F.A.Z. vom 28. Oktober)
und „Labor Thüringen“ von Stefan Lo-
cke (F.A.Z. vom 29.Oktober): Mit Un-
verständnis lese ich im Leitartikel von
Daniel Deckers, „drei Viertel der Wäh-
ler im Osten“ stünden „fest“ auf dem
Boden des Grundgesetzes, von „Rand-
unschärfen“ bei der „Linken“ abgese-
hen. Damit steht also die „Linke“ fest
auf dem Boden des Grundgesetzes? Ih-
nen sind die „Kommunistische Platt-
form“ doch bekannt, der „Marxistische
Arbeitskreis“, die Verflechtungen mit
der prinzipiell gewaltbereiten, in Teilen
neostalinistischen „Antifa“, die latente
Unterstützung von meinungsfreiheits-
beschränkenden Aktionen im öffentli-
chen Raum durch diese Partei? Sie nen-
nen das „Randunschärfen“? Die AfD
dagegen mit ihrem provinziellen „Flü-
gel“ ist im Gegenzug eine lupenrein un-
demokratische, faschistische, neonazis-
tische Partei und muss daher auf das
Schärfste bekämpft werden?
Wie weit muss die Polarisierung ei-
gentlich noch voranschreiten, wie viele
Prozent die AfD noch zulegen, bis sich
endlich die Einsicht durchsetzt, dass
spätestens jetzt Schritte unternommen
werden müssen, die Wähler aus dem
Spektrum Mitte-rechts wieder zurückzu-
holen? Die CDU/CSU hat sich merklich
von Wählern verabschiedet, die in
Großbritannien etwa noch bei den Con-
servatives oder in den Vereinigten Staa-
ten bei den Republikanern Heimat fin-
den – auch wenn man gerade derzeit
keine großen Sympathien für diese Par-
teien hegen mag.
Aber es bedarf eben einer demokra-
tisch legitimierten Partei, die dieses
Spektrum der Wählerschaft anspricht.
Diese Wähler gibt es auch bei uns, und
sie dürfen wählen. Viele von ihnen wäh-
len nun mangels Alternative die AfD.
Sollen diese Wähler nun etwa dadurch
gewonnen werden, dass die CDU mit
der Linkspartei koaliert, wie von Stefan
Locke tags darauf ernsthaft im Leitarti-
kel diskutiert wird?
DR. MATTHIAS KRAEMER, AHLENZur Berichterstattung über die Land-
tagswahl in Thüringen: Wollen Sie wis-
sen, wieso so wenige Menschen in Thü-
ringen „grün“ wählen? Stellen Sie sich
an die Südostecke des Hainich und
schauen Sie ins Thüringer Becken. Was
sehen Sie? Windräder, soweit das Auge
reicht Windräder. Von Horizont zu Ho-
rizont Windräder. Das sind nicht die
blühenden Landschaften, von denen
den Menschen im Osten erzählt wurde.
Hier wurde und wird Heimat zerstört,
um die Ideologie einer Klasse von
Wohlstandsbürgern durchzusetzen.
Wie es sich anfühlt, wenn andere den
Menschen erzählen, wo die Wahrheit
liegt und dass es nur deren Wahrheit
gibt, haben die Menschen in der ehema-
ligen DDR jahrzehntelang erfahren.
Wieso sollen sie deren Nachfolger im
Geiste der Bevormundung wählen?
Wann bricht diese Einsicht sich auch
im Westen Bahn?
DR. ROLF J. WEINEL, MARBURGAm 31. Oktober 2019 veröffentlichten
MatthiasWyssuwa und Mathias Brod-
korb in Ihrer Zeitung zwei Artikel zu
den Geschehnissen an der Hamburger
Universität im Zusammenhang mit den
verhinderten Vorlesungen von Bernd
Lucke. Ich finde es gut, dass die F.A.Z.
Berichten zu diesen Vorgängen so gro-
ßen Raum gibt. Ich finde außerdem den
kritischen Grundton der sachlich infor-
mierenden Artikel gut, möchte jedoch
als Privatperson noch deutlichere For-
mulierungen treffen. Vorab will ich
aber betonen (das ist wohl erforder-
lich), dass ich weder ein Anhänger
noch ein Sympathisant der AfD bin. Im
Gegenteil, ich frage mich, wie wohl das
Bildungsniveau von Überzeugungswäh-
lern sein muss, die eine Partei wählen,
in der unter anderen Personen wie
Björn Höcke und Alice Weidel Spitzen-
positionen innehaben. Oder wie Pro-
testwähler glauben können, dass diese
Partei in der Lage, geschweige denn wil-
lens ist, die Ursachen für ihren Protest
zu beseitigen, falls sie an die Macht
kommt.
Aber selbst die AfD ist eine demokra-
tisch gewählte Partei. Um schlimmere
Entwicklungen zu verhindern, muss
man ihr deshalb mit demokratischen
Mitteln entgegentreten. Als demokra-
tisch kann man die Vorgehensweise de-
rer, welche zwei Vorlesungen von
Bernd Lucke verhinderten, ganz sicher
nicht bezeichnen, zumal es den völlig
Falschen trifft. Die Aussage von Wis-
senschaftssenatorin Katharina Fege-
bank, wonach Lucke für die Situation
verantwortlich ist, da er die Partei grün-
dete, die heute einen rechtsextremisti-
schen Weg gehe, finde ich völlig abwe-
gig. Gerade weil sie gegen seinen Wil-
len diesen Weg geht, hat er sich von ihr
getrennt. Er unterscheidet sich nicht
nur durch seine absolute Verfassungs-
treue sondern auch durch seine Intelli-
genz von den Dumpfbacken der AfD.
Wenn Studenten mit Gewalt eine
Vorlesung verhindern, wäre meines Er-
achtens die sofortige Exmatrikulation
die angemessene Reaktion. Eine ähnli-
che Situation habe ich vor etwa 50 Jah-
ren an der Technischen Universität in
Berlin erlebt. Dort hielt Professor Karl-
heinz Pfarr vor ungefähr 200 Studenten
eine Vorlesung über Betriebswirt-
schaftslehre im Bauwesen. Kurz nach
Vorlesungsbeginn flog die Saaltür auf
und fünfzehn linksextreme, gewaltbe-
reite Studenten stürmten herein. Sie
verteilten sich an den Wänden entlang
um die anwesenden Studenten. Drei
gingen zum Rednerpult wo Professor
Pfarr, bleich geworden, zurückwich. Er
war einige Tage vorher schon einmal
körperlich attackiert worden.
Die Störer forderten, dass die kapita-
listische Vorlesung einzustellen sei, da-
mit über ihre viel wichtigeren Themen
diskutiert werden könne. Als ich reali-
siert hatte, dass hier eine kleine Grup-
pe von fünfzehn Störern 200 Studen-
ten, die gekommen waren, eine fachlich
fundierte Vorlesung zu hören, die ih-
nen für ihre Ausbildung wichtig war,
zwingen wollte, ihre abstrusen Ideen
anzuhören, stand ich auf und forderte
die Störer auf, den Saal zu verlassen, da-
mit die Vorlesung, derentwegen wir ge-
kommen waren, fortgesetzt werden
könnte.
Sofort bewegten sich einige Störer
auf mich zu, um mich zum Schweigen
zu bringen. Glücklicherweise standen
nun mehrere Studenten auf und schlos-
sen sich meiner Forderung an. So muss-
ten die Störer unverrichteter Dinge wie-
der abziehen. Ich fragte im Anschluss
an die Vorlesung Professor Pfarr, ob er
nicht disziplinarisch gegen die Störer
vorgehen wolle. Er winkte nur resig-
niert ab und sagte, dass er dafür in den
Leitungsgremien kein Gehör finde. Es
war wohl nicht zuletzt diese Haltung
von vielen Verantwortlichen an vielen
Universitäten, die zuließ, dass sich eine
Stimmung und eine Geisteshaltung ent-
wickelte, welche protestierende Studen-
ten dazu verleitete, die Parole auszuge-
ben, zur Durchsetzung ihrer Ziele sei
Gewalt gegen Sachen erlaubt.
Dass die Grenze zur Gewalt gegen
Menschen schnell überschritten wurde,
zeigte sich sehr bald, als einzelne Wirr-
köpfe in den Folgejahren schreckliche
Taten begingen. Ganz bestimmt würde
es viel zu weit gehen, durch die Hambur-
ger Vorgänge schon eine solche Gefahr
zu sehen. Aber auch hier gilt: Wehret
den Anfängen.
DR. SIGMUND RITTER, SCHWÄBISCH HALLMangels Alternative die AfD
Nur eine Wahrheit?
Wie vor fünfzig Jahren
Keine moralische Belehrung erwünscht
Voestalpine schwächelt
Die schwächelnde Automobilindustrie
inEuropa belastet den österreichischen
Stahlverarbeitungsspezialisten Voestalpi-
ne. Wie das Unternehmen am Mittwoch
mitteilte, wurde zum Halbjahr der Über-
schuss auf 115,2 Millionen Euro mehr
als halbiert. Der Umsatz schrumpfte um
2 Prozent auf 6,54 Milliarden Euro. Be-
gründet wurde der Gewinneinbruch mit
einer wirtschaftlichen Eintrübung. ela.Bericht zu Dammbruch
Knapp zehn Monate nach dem tödlichen
Dammbruch an einer Eisenerz-Mine in
Brasilien kommt ein Untersuchungsbe-
richt zu dem Schluss, dass der Bergbau-
konzern Vale Mängel verschwiegen hat.
Einige der von Vale an die Bergbaube-
hörde (ANM) gemeldeten Informatio-
nen stimmten nicht mit jenen in den in-
ternen Dokumenten überein, heißt es in
dem Bericht. Wäre die ANM korrekt in-
formiert worden, hätten Maßnahmen er-
griffen und die Katastrophe möglicher-
weise verhindert werden können, er-
gänzt der Bericht. dpa-AFXSpringers Gewinn rückläufig
Der Medienkonzern Axel Springer stellt
dieWeichen für ein schnelleres Wachs-
tum seiner Digitalgeschäfte und hatauch deshalb in den ersten neun Mona-
ten des Jahres ein geringeres Ergebnis er-
zielt. Das bereinigte Ergebnis vor Zin-
sen, Steuern und Abschreibungen (Ebit-
da) lag im Berichtszeitraum mit rund
440 Millionen Euro um 18,8 Prozent un-
ter dem Vorjahr, wie der Konzern mitteil-
te. Als wesentlichen Grund nannte der
Konzern Rückstellungen für die ange-
kündigten Umgestaltungen im Medien-
segment. Ende September hatte der Kon-
zern bekanntgegeben, dass er Millionen-
beträge in Projekte bei seinen Marken
„Bild“ und „Welt“ investieren und zu-
gleich im Konzern Personal reduzieren
wolle. dpa-AFXRisse auch bei Ryanair
Auch an Boeing-Passagierflugzeugen
derBaureihe 737-NG des irischen Billig-
fliegers Ryanair sind Bauteilrisse an der
Verbindung zwischen den Tragflächen
und dem Rumpf festgestellt worden.
Ryanair teilte am Mittwoch mit, dass
nach der Untersuchung von 70 Maschi-
nen drei am Boden bleiben müssten. Die
Untersuchungen sollen fortgesetzt wer-
den. Ryanair ist mit 450 Maschinen vom
Typ Boeing 737-800, die zur Baureihe
Next Generation (NG) zählt, der größte
Betreiber dieser Baureihe. Ryanair geht
davon aus, dass der Flugbetrieb durch
die Untersuchungen nicht beeinträchtigt
wird. AFPAlstom legt zu
Der französische Bahntechnik-Konzern
Alstom hat im ersten Geschäftshalbjahr
bis Ende September Aufträge für 4,6 Mil-
liarden Euro eingeheimst und den Auf-
tragsbestand damit auf 41,3 Milliarden
Euro erhöht. Der Umsatz stieg in dem
Zeitraum um 3 Prozent auf 4,14 Milliar-
den Euro. Das bereinigte Ebit steigerte
der Siemens-Konkurrent um fünf Pro-
zent auf 319 Millionen Euro. Der Aus-
blick wurde bestätigt. ReutersSalzgitters Ergebnis sinkt
Der Stahlkonzern Salzgitter hat durch
einehöhere Risikovorsorge wegen einer
drohenden Kartellstrafe in den ersten
drei Quartalen dieses Jahres weniger ver-
dient. Wie das Unternehmen am Mitt-
woch auf Basis vorläufiger Zahlen be-
richtete, betrug der Vorsteuer-Gewinn
von Januar bis Ende September 40,7 Mil-
lionen Euro. Vor einem Jahr waren noch
284,6 Millionen Euro erzielt worden.
Ein Grund für den Rückgang sind höhe-
re Rückstellungen für einen Vergleich,
den Salzgitter nach dem Vorwurf illega-
ler Preisabsprachen anstrebt. dpaMarks & Spencer rutscht ab
Maue Kleidungsverkäufe haben die briti-
sche Warenhauskette Marks & Spencer
im ersten Halbjahr belastet. Der Vorsteu-ergewinn vor Einmaleffekten rutschte
auf 176,5 Millionen Pfund (205 Millio-
nen Euro) von 213 Millionen Pfund im
Vorjahr. Analysten hatten damit gerech-
net. Im Textil- und Heimbereich seien
die Verkäufe im Oktober zwar angezo-
gen, das Marktumfeld bleibe aber schwie-
rig. ReutersBrenntag mit Gegenwind
Der Chemikalienhändler Brenntag spürt
Gegenwind in seinen Absatzmärkten
und blickt deshalb etwas vorsichtiger auf
die kommenden Monate. Beim operati-
ven Ergebnis (Ebitda) erwartet der Vor-
stand für das Gesamtjahr nur noch ein
Wachstum am unteren Ende der im Juli
ausgegebenen Spanne von 0 bis 4 Pro-
zent. Im dritten Quartal sei trotz des
schwierigen Marktumfelds ein stabiles
Ergebnis erzielt worden. ReutersElring-Klinger steigert Umsatz
Dank einer robusten Auftragslage erwar-
tet der AutozuliefererElring-Klinger,sei-
nen Umsatz im laufenden Jahr stärker als
der Markt zu steigern. Im dritten Quartal
stiegen die Erlöse vor allem dank einer
hohen Nachfrage aus Nordamerika um
gut 6 Prozent auf 432 Millionen Euro.
Das operative Ergebnis (Ebit) von 20,8
Millionen Euro ließ die Marge auf 4,8 Pro-
zent steigen, im zweiten Quartal waren
es noch 2,5 Prozent. sup.D
as Geschäft der angeschlage-
nen Heidelberger Druckma-
schinen AG läuft nicht so
schlecht wie von Analysten
befürchtet. Weil das Traditionsunterneh-
men im zweiten Quartal den Umsatz auf
622 Millionen Euro steigern konnte und
auch der operative Gewinn von 43 auf
55 Millionen Euro wuchs, machte sich
an der Börse am Mittwoch Erleichte-
rung breit. Auch wenn der Konzern un-
term Strich weiter Verlust schreibt, ver-
teuerte sich die stark gebeutelte Aktie
nach der Zahlenvorlage um 13 Prozent.
Das Zwischenhoch hilft auch dem
Schweizer Großaktionär Ferdinand Rü-
esch, der seit dem Verkauf seines Unter-
nehmens „Gallus“ mit knapp 8 Prozent
an Heideldruck beteiligt ist. Ob ihn der
Kursanstieg und die von Vorstandschef
Rainer Hundsdörfer angekündigten wei-
teren Effizienzmaßnahmen allerdings
dauerhaft zufriedenstellen, muss man be-
zweifeln. Denn Rüesch poltert schon
seit Monaten gegen die Führung.
Nachdem der Vorstand im Mai die Jah-
resprognose kassierte, lancierte er, ob-
wohl selbst Mitglied im Aufsichtsrat, ei-
nen „Mitarbeiterbrief“, in dem sich Vor-
stand und Aufsichtsrat heftige Kritik ge-
fallen lassen mussten. Der Angriff ist of-
fenbar auch maßgeblich für den überra-
schenden Rücktritt von Siegfried Ja-
schinski verantwortlich. Nach zwölf Jah-
ren, davon die letzten vier als Vorsitzen-
der, hatte der ehemalige LBBW-Chef
Ende Oktober seinen vorzeitigen Rück-
zug aus dem Aufsichtsrat bekanntgege-
ben, „aus persönlichen Gründen“, wie es
damals hieß. Wie nun aus seinem Um-
feld verlautet, hat es handfesten Streit
mit Rüesch gegeben. Eine von Jaschinski
auserkorene Nachfolgerin für den ausge-
schiedenen Finanzvorstand habe er über-raschend abgelehnt und stattdessen sei-
nen Kandidaten durchgesetzt – für Ja-
schinski offenbar ein Affront, er hat per
Ende November seinen Abschied ange-
kündigt. Auch Vorstandschef Hundsdör-
fer war von Rüesch scharf kritisiert wor-
den, nun stellt sich der Großaktionär of-
fiziell hinter den Gescholtenen. Auf-
sichtsrat und Vorstand zögen an einem
Strang, schreibt Rüesch auf Nachfrage
dieser Zeitung. Er stehe „voll hinter den
Aussagen von Herrn Hundsdörfer, die
heute im Rahmen der Quartals-Bericht-
erstattung und dem Vorstandsumbau
vorgestellt wurden“.
Wie lange der Burgfrieden hält, bleibt
abzuwarten, zumal Heideldruck aber-
mals mit widrigeren Bedingungen rech-
net. Die Strategie stimme zwar grund-
sätzlich, aber das Geschäft werde volati-
ler, die Marktbedingungen herausfor-dernder, sagte Hundsdörfer. Einer höhe-
ren Nachfrage in Amerika und Asien ste-
he teils deutlich rückläufiges Geschäft in
Europa gegenüber. Weil zugleich hohe
Investitionen für die Transformation hin
zum Digitalkonzern nötig waren, stün-
den die Margen unter Druck.
Technik-Chef Stephan Plenz verlässt
das Unternehmen im Juni 2020, sein Pos-
ten im Vorstand wird nicht wieder be-
setzt. Hundsdörfer kündigte zudem an,
die Produktion von Etikettendruckma-
schinen in Sankt Gallen zu schließen
und nach Langgöns in Hessen zu verla-
gern. Zugleich will er mehr Maschinen
im chinesischen Werk produzieren las-
sen und die Zusammenarbeit mit dem
chinesischen Großaktionär Masterwork
ausbauen. Das Produktportfolio werde
weiter überprüft. Ein weiterer Stellenab-
bau sei aber nicht geplant.ham.FRANKFURT.Viele Sparkassen
werden jetzt abermals neidisch auf die
DZ Bank schauen. Denn während die
meisten Sparkassen-Zentralbanken, al-
len voran die Nord LB, in schwerem
Fahrwasser stecken, wird die inzwischen
einzige Zentralbank der Volks- und
Raiffeisenbanken 2019 „ein sehr, sehr gu-
tes Jahr haben“, wie Cornelius Riese sag-
te. Der 44 Jahre alte Riese führt gemein-
sam mit dem 59 Jahre alten Uwe Fröh-
lich seit Anfang dieses Jahres die DZ
Bank. Bisher hatten sich beide noch
nicht getraut, die von 1,5 bis 2 Milliarden
Euro reichende Gewinnprognose zu er-
höhen, obwohl der Konzern im ersten
Halbjahr 1,46 Milliarden Euro verdient
hat. Doch das holten sie jetzt nach: „Wir
sind uns sehr sicher, dass wir ein Vorsteu-
erergebnis jenseits von zwei Milliarden
Euro haben werden“, sagte Riese.
Trotz der im Branchenvergleich her-
vorragenden Geschäftslage sind Fröh-
lich und Riese bemüht, keine Euphorie
zu verbreiten. Vieles am Gewinnsprung
von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr
sei nicht nachhaltig. Aber man habe dielange gute Konjunktur genutzt, um mit
14 Prozent Kernkapitalquote Substanz
für die nun bevorstehenden schlechteren
Zeiten aufzubauen. Und es sei möglich,
im Firmenkundengeschäft mit 10 Pro-
zent deutlich stärker zu wachsen als
Wettbewerber. Der für das Firmenkun-
dengeschäft verantwortliche Fröhlich,
dem einige Mitarbeiter hinter vorgehalte-
ner Hand einen aggressiven Kurs be-
scheinigen, betonte: Die Kreditvergabe
geschehe angesichts der sich abschwä-
chenden Konjunktur mit Augenmaß,
und die DZ Bank mache auch keine Ab-
striche an ihren Bonitätsanforderungen.
Vorsichtiger sei die DZ Bank gewor-
den in der Kreditvergabe an Exportunter-
nehmen, weil diese unter den Handels-
konflikten litten. Teilweise ziehe sich die
DZ Bank auch aus Finanzierungen zu-
rück, mit denen Unternehmenszukäufe
realisiert werden. Diese hätten inzwi-
schen oft eine Kreditgröße wie zuletzt
im Jahr 2006, merkte Fröhlich kritisch
an. Die DZ Bank aber wolle als Haus-
bank Kunden auch in schwierigeren Zei-
ten als Kreditpartner zur Verfügung ste-hen. Riese wünscht sich sogar, dass
„Kundenorientierung“ zum zentralen
Pfeiler der Unternehmenskultur wird.
Anders als in früheren Jahren gibt es
im DZ Bank-Konzern kaum Sorgenkin-
der. Natürlich leiden die Bausparkasse
Schwäbisch Hall und die R+V-Versiche-
rung unter den extrem niedrigen Zinsen,
wobei R+V in diesem Jahr sogar von den
jüngsten Zinssenkungen kurzfristig pro-
fitiert. Den Eignern, die VR-Banken,
hilft, dass die EZB das Siebenfache der
Mindestreserve von Negativzinsen be-
freit hat. Die DZ Bank wiederum hofft,
dass sie ihr größtes Sorgenkind, den Ver-
kehrsfinanzierer DVB, bald endgültig
stabilisiert bekommt. Nachdem das
Landtransportkreditportfolio an die Lan-
desbank Hessen-Thüringen und das
Factoring-Geschäft an VW Financial ver-
kauft wurden, könnte der vereinbarte
Verkauf der Flugzeugfinanzierungen an
Mitsubishi UFJ noch vor Weihnachten
abgeschlossen werden. Dann verblieben
noch 700 bis 800 Millionen Euro an
Schiffsfinanzierungen, die selbst abgewi-
ckelt werden. (Kommentar Seite 26.)svs.HAMBURG. Autofahrer sollen
schon in wenigen Jahren Autos kau-
fen können, die nahezu selbständig
auch durch dichten Stadtverkehr ih-
ren Weg zum Ziel finden. Bis Mitte
des kommenden Jahrzehnts will
Volkswagen ein entsprechendes Sys-
tem auf den Markt bringen, wie Kon-
zernvorstand Alexander Hitzinger
am Mittwoch in Hamburg sagte. In
der Hansestadt hat VW im Frühjahr
eine Teststrecke für Roboterautos in
Betrieb genommen. Die Ergebnisse
aus diesen Fahrten fließen nun in die
Arbeit der neugegründeten „Volkswa-
gen Autonomy GmbH“, die das selbst-
fahrende System entwickeln will. Sie
soll laut Hitzinger „das Kompetenz-
zentrum für autonomes Fahren im
Konzern“ werden. Im Sommer hatte
sich Volkswagen mit rund 2,6 Milliar-
den Dollar am Spezialisten Argo AI
beteiligt, einem Tochterunterneh-
men des Kooperationspartners Ford.
Eines der derzeit größten Proble-
me sind die hohen Kosten für das au-
tonome Fahren. Hitzinger geht des-
halb davon aus, dass es sich zunächst
in kommerziellen Anwendungen wie
Robotaxis oder Lieferwagen durchset-
zen wird. Mit steigenden Volumina
und sinkenden Kosten würden die
Systeme dann zunächst in Premium-
autos und später auch in Massenmo-
dellen verbaut. Das autonome Fah-
ren wird auf fünf Stufen unterschie-
den: Angefangen auf Stufe 1 mit seri-
enüblichen Fahrassistenten bis hin
zur Stufe 5, auf der Insassen zu reinen
Passagieren werden und das Auto
alle Vorgänge komplett selbständig
übernimmt. Woran Volkswagen und
andere derzeit mit Hochdruck arbei-
ten, ist Level 4, auf dem das Fahrzeug
zwar überwiegend das Fahren über-
nimmt, der Fahrer jedoch stets im
Notfall eingreifen können muss. Die-
ser Punkt steht immer wieder im Mit-
telpunkt, wenn es zu meist schweren
Unfällen mit Autopiloten kommt.
Gegenüber dem relativ geregelten
Verkehr auf Autobahnen und Land-
straßen stellt autonomes Fahren im
komplexen Stadtverkehr extrem
hohe Anforderungen an die Technik
und vor allem an die Software. „Die
Entwicklung von Level 4 ist so kom-
plex wie eine Marsmission“, sagte
Hitzinger. Dennoch: „Die Teststrecke
in Hamburg hat uns erlaubt, reale Sze-
narien zu erproben und das System
daraufhin zu optimieren.“ Man habe
wertvolle Informationen erhalten,
etwa über deutliche Geschwindig-
keitsüberschreitungen von Autofah-
rern, über rote Ampeln laufende Fuß-
gänger oder Radfahrer, die jenseits
der vorgesehenen Wege unterwegs
sind, hieß es.Läuft wie geschmiert? Foto dpa
Kurze Meldungen
Im autonomen VW Foto dpa
Burgfrieden für Heideldruck
DZ Bank erhöht die Gewinnprognose
Spitzeninstitut der VR-Banken hält sich von großen Akquisitionsfinanzierungen fern
VW setzt auf
Roboterautos
Konzern erwartet die
Marktreife bis 2025
Aufsichtsratschef
Siegfried Jaschinski
geht im Streit, und ein
Großaktionär stellt sich
hinter den Vorstand.
Von Bernd Freytag,
MainzSEITE 22·DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019·NR. 259 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG