V2 Frankfurter Allgemeine Zeitung Verlagsspezial / Nachhaltigkeit und Klimaschutz / 7. November 2019Herr Fuß, das Kundeninteresse steigt, und
neue Modelle gehen in Serie. Was spricht
für die Batteriewagen?
Bei einem batteriebetriebenen Fahrzeug
wird die Motorkraft viel direkter auf die
Antriebsräder übertragen. Damit ist eine
spürbar kraftvollere Beschleunigung als
mit herkömmlichen Antrieben möglich –
das bedeutet mehr Fahrfreude als bei einem
Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Zusätz-
lich erzeugt der Elektromotor beim Betrieb
keine CO 2 -Emissionen oder Stickoxide, was
der Umwelt und damit den Menschen vor
Ort unmittelbar zugutekommt. Auch die
viel geringere Geräuschkulisse eines Elek-
troautos im Vergleich zu einem Verbren-
nungsmotor führt insbesondere in Innen-
städten zu einer deutlichen Reduzierung von
Lärmemissionen – ebenfalls eine positive
Begleiterscheinung von Elektrofahrzeugen.
Allerdings bedarf es dann noch anderer
Signalgeber, um auf ein herannahendes laut-
loses Fahrzeug aufmerksam zu machen.Der Umstieg auf eine neue Antriebsart
ist mit Risiken verbunden. Besonders die
Batterien und die Batteriezellen bereiten
der Automobilindustrie Sorgen. Reichen
die weltweiten Produktionskapazitäten
für Batteriezellen aus, oder sind
Lieferengpässe zu erwarten?
Derzeit bestehen in der Zellherstellung noch
global Überkapazitäten. Dies wird sich aber
im Zusammenhang mit dem Hochlaufen der
Produktion von Elektrofahrzeugen schnell
ändern. Nahezu monatlich verkünden daher
diverse Hersteller von Batteriezellen den Bau
von neuen Zellfabriken – nicht nur in Asien,
sondern auch in Europa. Auch die ersten
Autobauer sind inzwischen der Meinung,
dass die Batteriezelle eine wichtige Kompo-
nente für den Antriebsstrang der Zukunft
darstellt und zur Kernkompetenz eines
Automobilherstellers gehören sollte – auch
um zu große Abhängigkeiten von Zulieferern
zu vermeiden. Um mit der eigenen Batterie-
zellenproduktion auch fi nanziell erfolgreich
zu sein, bedarf es allerdings sehr großer
Produktionsvolumina; da haben asiatische
Batteriezellenhersteller derzeit noch die
Nase vorn.In einer aktuellen Untersuchung kommen
das World Economic Forum und dieUnternehmensberatung McKinsey zu dem
Schluss, dass sich der heutige Zellbedarf
bis zum Jahr 2030 vervierzehnfachen
wird. Wie lässt sich das Problem der
Rohstoff-Verfügbarkeit lösen?
Mit dem zunehmenden Markterfolg von
batteriebetriebenen Fahrzeugen wird die
Nachfrage nach Batteriezellen und damit
nach Rohstoffen wie Lithium oder Kobaltdeutlich ansteigen. Klar ist, dass diese
wichtigen Rohstoffe nur begrenzt verfügbar
sind und ihr Preis bei zunehmender Nach-
frage über die nächsten Jahre ansteigen
wird. Einige Länder mit großen Rohstoff-
reserven reagieren bereits auf die steigende
Nachfrage, indem sie die Abbaukapazitäten
deutlich erhöhen. Wenn auch die bekann-
ten Rohstoffreserven unter Berücksich-tigung diverser Hochrechnungen für die
Produktion von Batteriezellen noch Jahr-
zehnte ausreichen werden, so werden
die Entwicklungen rund um den Einsatz
anderer Materialen wie etwa Nickel oder
Natrium voranschreiten müssen. Hierzu
gehören auch Verfahren, um wertvolles
Material wie Kobalt durch Recycling
wiederverwenden zu können.Ein anderes Argument gegen Elektroautos
lautet, die Herstellung der Batterien sei so
CO2-intensiv, dass die Gesamtbilanz eines
E-Autos im Vergleich zum Verbrenner-
Pkw schlechter ausfalle.
Nullemissionen während des Fahrbetriebes
bedeuten eben noch nicht, dass auch bei
einer „von der Wiege bis zur Bahre“-Betrach-
tung das Elektroauto energetisch wirklich so
vorteilhaft gegenüber einem traditionellen
Verbrenner-Pkw ist. Hier muss schon der
Strom des Batterieautos regenerativ erzeugt
werden, um deutlich emissionsreduziert
unterwegs sein zu können. Strom aus dem
Kohlekraftwerk verhagelt die Energiebilanz
des bestromten Autos deutlich. Betrachtet
man die energetische Gesamtbilanz, also
inklusive der energieintensiven Gewinnung
von Rohstoffen wie Kobalt oder Lithium
für die Herstellung von Batterien, schmilzt
der CO 2 -Vorteil des E-Autos dahin. Insoweit
müssen bei der nachhaltigen Ausgestaltung
von neuen Antriebskonzepten wie der Batte-
rie alle relevanten Faktoren berücksichtigt
werden, damit nicht mit Milliardensummen
verbundene Investitionen in eine klima-
politische Sackgasse führen. Deshalb ist
eine Technologieoffenheit für unterschied-
liche Antriebsformen sehr wichtig, ob Ver-
brennungsmotor mit traditionellen oder
synthetischen Kraftstoffen, Batterie oder
Brennstoffzelle. Nur im richtigen Gesamt-
mix kann das Optimum für unterschiedliche
Fahr situationen – Langstrecke, Kurzstrecke,
Lastverkehr etc. – aus Klimaschutzgründen
erreicht werden.Ein weiteres Problem ist die
Umweltbelastung durch Alt-Akkus,
die entsorgt werden müssen. Welche
Lösungen gibt es?
Aktuell bieten sich zwei Lösungen an:
Entweder werden Alt-Akkus als stationäre
Speicher weiterverwendet, oder sie wer-
den dem Recycling zugeführt. Im Rahmen
der Weiterverwertung können neue und
interessante Geschäftsmodelle rund um
ein dezentrales Energiesystem entstehen.
Bekanntlich sind Sonnen- und Windenergie-
systeme sehr wetterabhängig. Hier können
Alt-Akkus helfen, Schwankungen in der rege-
nerativen Stromerzeugung auszugleichen
und überschüssige Energie zweitweise zu
speichern. Andererseits hilft das Recyclingvon Alt-Akkus, wertvolle und beschränkt
vorhandene Rohstoffe wie Lithium zurück-
zugewinnen. Allerdings sind die notwendi-
gen Verfahren derzeit noch sehr aufwendig
und kostenintensiv.Wer ist die Zielgruppe für „Second-Life-
Batterien“?
Bereits seit Jahren sind Unternehmen aus
der Automobil- und Energiebranche dabei,
die Weiterverwendung von Alt-Akkus zu
untersuchen und auch in der Praxis anzu-
wenden. So können „Second-Life-Batterien“
wie bereits gesagt als Zwischenspeicher
von Stromspitzen genutzt werden – ob pri-
vat oder gewerblich. Je nach Alterungsver-
halten der „Second-Life-Batterien“ können
Traktions batterien durchaus noch viele
Jahre oder sogar Jahrzehnte eingesetzt wer-
den, bis auch diese dem Recycling zugeführt
werden. Hieraus ergeben sich aus heutiger
Sicht viele neue Geschäftsmodelle, die erst
am Beginn ihrer Entwicklung sind.Das Interview führte Dirk Mewis.„Technologieoffenheit für unterschiedliche Antriebsformen“Deutsche Autobauer investieren Milliarden in die E-Mobilität, die Kundennachfrage steigt. Gleichzeitig will die EU die Stromer-Quote massiv erhöhen.Peter Fuß, Partner bei EY, über Rohstoffe, Recycling und die Frage, wie umweltfreundlich Elektroautos wirklich sind.Lithium-Abbau im argentinischen Jujuy: Zwei Drittel der weltweiten Reserven lagern in Argentinien und Chile. FOTO XENI4K A/ISTOCKPeter Fuß ist Senior Advisory
Partner für das Automotive Team
von EY in Deutschland, Österreich
und der Schweiz. Er berät seit
mehr als 25 Jahren internationale
Automobilhersteller und -zulieferer
zu strategischen und operativen
Fragestellungen.FO
TO
EY
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ter
Fu
ß
D
as unscheinbare Äußere der
Alge mit dem romantischen
Namen Palmaria Palmata lässt
nicht auf ihr Potential schlie-
ßen. Vor tausend Jahren diente
das gehaltvolle Meeresgemüse
den Wikingern als Proviant auf ihren See-
reisen, und in einigen Gegenden Nordeuropas
hat sich die Speckalge, wie sie auch prosai-
scher genannt wird, als Leckerbissen gehal-
ten. Nun ist sie Mittelpunkt einer Geschäfts-
idee, und so könnte ihr eine glanzvolle zweite
Karriere bevorstehen – jedenfalls, wenn es
nach Friedrich Schneider geht. Er ist einer
der Gründer des Berliner Start-ups alvego,
und aus der kulinarisch getunten Rotalge
bestehen die ersten Produkte des Jungunter-
nehmens, darunter drei Fischsalate und ein
Proteinsnack namens Riff Raff.
Der Clou des Meeresgemüses: Es enthält
nicht nur hochwertige Proteine und Jod,
sondern lässt sich mit der richtigen Tech-
nik sowohl in Richtung Fleisch- wie auch
Fischgeschmack aufbereiten. Und Gründer
Friedrich Schneider weiß, wovon er redet:
Er hat in der Schweiz Kulinarik studiert
und anschließend in Sternerestaurants
in Berlin und Barcelona gekocht. Wie er
berichtet, kam Riff Raff bei den ersten Test-
essern auf Veggie-Festivals schon mal blen-
dend an. Die Makroalge zeichne sich aber
nicht nur durch Nährwert und Geschmack
aus, sondern habe auch eine tadellose CO 2 -
Bilanz zu bieten, da sie Kohlendioxid bindet
und Sauerstoff freisetzt. Und das nicht zu
knapp: „Jedes zweite Sauerstoffmolekül in
der Atmosphäre wird durch Makroalgen
produziert“, weiß Schneider, damit sei das
Gewächs „sehr wahrscheinlich die nachhal-
tigste Pfl anze auf dem Planeten.“ Und abge-
sehen davon auch eine der ältesten.Geschäftliches PotentialAlvego, hinter dem die Berliner Hochschule
für Wirtschaft und Recht (HWR) als Haupt-
investor steht, ist eines der Start-ups, das
sich derzeit unter anderem im Inkubator der
Ernährungsorganisation ProVeg – früher
Vegetarierbund VEBU – für den nächsten
Schritt in den Markt coachen lässt.
Ebenso wie Pläin aus Freising bei
München, das eine neuartige Rezeptur für
Milchersatz entwickelt hat. Die Milchalter-native soll, so verspricht Michael Sysoev,
einer der drei Gründer, anders als die
meisten bisherigen Angebote ein „leichtes,
frisches und cremiges Geschmackerlebnis
bieten, das der echten Kuhmilch sehr ähn-
lich ist“. Und die Nachteile vermeiden. Denn
Kühe, die mit ihren beim Verdauungs prozess
entstehenden Methangasen die Atmo-
sphäre aufheizen und durch ihren Dung
das Grundwasser belasten, braucht es für
die Herstellung der Milchalternative nicht
mehr. Was Nachhaltigkeit angeht, gibt es
bei der Nahrungsmittelproduktion viel Luft
nach oben: Laut FAO, der Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten
Nationen (Food and Acriculture Organization),
verursacht die Massentierhaltung knapp
15 Prozent des weltweiten Ausstoßes an Treib-
hausgasen wie Kohlendioxid und Methan.Wie andere Gründer der Veggie-Szene
nennt auch Sysoev neben dem geschäftli-
chen Potential den Umweltaspekt als wichti-
ges Motiv, um in die Nahrungsmittelbranche
einzusteigen. Das Leben auf einem Bauern-
hof habe er bei seinen Großeltern kennen-
gelernt, und während seines Studiums der
Umwelttechnologie sei bei ihm der Wunsch
gereift, berufl iche Ziele mit Engagement
für die Umwelt zu verbinden. Hinzu kommt
für Sysoev ein weiterer wichtiger Gesichts-
punkt: Durch das Impfen der Kühe entwi-
ckeln sich immer häufi ger Keime, die gegen
Antibiotika resistent sind – eine Bedrohung
auch für die Menschen, der schon eine
sechsstellige Anzahl zum Opfer gefallen sei.
Dass immer mehr große Lebensmittel-
konzerne auf den Veggie-Trend aufsprin-
gen, schreckt Sysoev nicht: „Es gab sehrlange Zeit keine großen Innovationen in der
Lebensmittelbranche“, was den Start-ups
heute helfe. Angebote wie der ProVeg Inku-
bator ermöglichten es jungen Unternehmen,
„ohne große Investitionen die ersten Schritte
zu machen und dabei unterstützt zu wer-
den.“ Für Friedrich Schneider von alvego
haben die großen Player in der Regel nicht
die Strukturen, um ebenso agil, fl exibel
und beweglich Produkte zu entwickeln wie
Start-ups – daher würden sie sich an diesen
beteiligen oder selbst welche gründen.
Die Geschäftsideen, an denen die am
Inkubator-Programm teilnehmenden Jung-
unternehmen werkeln, bilden ein breites
Spektrum innovativer Ansätze ab. Cell
Farm beispielsweise, mit Geschäftssitz
in London und Buenos Aires, baut eine
Stammzellenbank für argentinische Rinderauf. Die Zelllinien sollen in Zukunft erlau-
ben, das Fleisch zu kultivieren, aus dem
die hochwertigen Steaks bestehen – statt
Zigtausende von Rindern zu halten und
zu schlachten. Das spanisch-französische
Start-up Epicuure will die mittels Zwangser-
nährung von Enten und Gänsen hergestellte
Stopfl eber durch ein rein pfl anzenbasiertes
Produkt ersetzen. iFood aus Schweden will
Fleischesser mit seinen veganen Fleisch-
bällchen und anderen Fertiggerichten
überzeugen. In Schweden ist das Unter-
nehmen bereits erfolgreich und will in den
deutschen Markt starten.
Die Unternehmen nehmen am dritten
Durchlauf des vor einem Jahr gegründeten
Inkubators teil. Das Coaching-Programm des
international vernetzten Innovations zen-
trums für vegane Ernährung erstreckt sichüber drei Monate, insgesamt vier Wochen
lang besuchen die Jungunternehmer
Intensiv-Workshops in Berlin zu Themen
wie Marktzutritt und Lebensmitteltechno-
logie, dazwischen gibt es Online-Kurse. Die
Teilnehmer kommen überwiegend aus dem
Ausland. Albrecht Wolfmeyer, der Leiter des
Programms, berichtet: „Wir haben bislang
33 Start-ups aus mehr als 15 Ländern aufge-
nommen. Von Anfang an war das Bewerber-
feld sehr international.“ Eine Auswahljury
stellt die Gruppen aus je rund zehn Start-
ups zusammen, für die es jeweils zwischen
30 und 60 Bewerbungen gab.
Auf 450 Quadratmetern stehen rund
40 Arbeitsplätze zur Verfügung, neben
Konferenzräumen gibt es eine Arbeits-
küche. Jedes der ausgewählten Jungun-
ternehmen bekommt einen Mentor, der
den Gründern hilft, ihre Geschäftsmodelle
weiterzuentwickeln, den Markt zu erfor-
schen und Vertriebswege aufzubauen. Am
Ende des Programms steht eine Präsentation
vor Investoren.Große TestcommunityFür die Teilnehmer interessant sind neben
den Workshops die Kontakte, die der 15 000
Mitglieder zählende Verein bietet. Inkubator-
Leiter Albrecht Wolfmeyer nennt in dem
Zusammenhang „unsere große Testcom-
munity – theoretisch können wir 23 000
Interessenten für Produkttests ansprechen“.
Finanziert wird der Inkubator bislang durch
Spenden, die Einnahmen von ProVeg wie-
derum bestehen neben Spenden aus Mit-
gliedsbeiträgen und den Gebühren für die
Zertifi zierung vegetarischer und veganer
Produkte. Das bringt dem agilen Verein nicht
immer eine gute Presse ein, die in dieser Art
von Pragmatismus eine zu große Nähe zur
Industrie wittert. Allerdings profi tieren die
Teilnehmer des Inkubators von den guten
Kontakten in die Wirtschaft. Für alvego-
Gründer Friedrich Schneider steht fest: „Das
Netzwerk ist einzigartig, was Experten für
Technologie und Märkte oder potentielle
Investoren angeht – das gibt es nicht noch
mal in dieser Form. Bei Gesprächen mit
internationalen Interessenten aus dem Netz-
werk, etwa in den Vereinigten Staaten, geht
es gleich um Beträge, die zwei bis drei Nullen
mehr haben.“Speckalge mit PotentialIn Berlin betreibt die Ernährungsorganisation ProVeg einen Inkubator, in dem Start-ups daran arbeiten, pfl anzliche Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten zu entwickeln.Funktionieren die Pläne, reduzieren sie Bedarf an Massentierhaltung und den Ausstoß von Treibhausgasen. Von Hajo HoffmannKlimakiller: Die Massentierhaltung verursacht knapp 15 Prozent des weltweiten Ausstoßes an Treibhausgasen wie Kohlendioxid und Methan. FOTO DUTCHSCENERY/ISTOCK