Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

D


ie »Frankfurter Allgemeine« (»FAZ«)
legt Wert auf gediegene Sprache
und kluge Analysen. Journalistische
Enthüllungen zählen nicht zum Marken-
kern. Und so vermeldete der Südamerika-
korrespondent Fritz Otto Ehlert in der
Ausgabe vom 30. Mai 1960 besonders
stolz einen kleinen Scoop: Nach »schwie-
rigen Nachforschungen« sei es ihm gelun-
gen, Klaus Eichmann zu sprechen, Sohn
des Holocaust-Organisators Adolf Eich-
mann. An die »FAZ«-Zentrale in Frankfurt
schrieb er, er sei der »erste und einzige
Journalist«, der Zugang zur Familie Eich-
mann gefunden habe.
Der Name Eichmann prangte damals
auf den Titelseiten vieler Zeitungen. Der
Massenmörder war nach Kriegsende un-
tergetaucht und schließlich nach Argen -
tinien geflohen. Wenige Tage vor Ehlerts
Veröffentlichung hatte ein Kommando des
israelischen Geheimdienstes Mossad Eich-
mann aus Buenos Aires entführt und nach
Israel gebracht, wo ihm der Prozess ge-
macht werden sollte. Da schien es ein pu-
blizistischer Erfolg der »FAZ«, Eichmann
junior befragen zu können.
Doch wie hatte Ehlert den Eichmann-
Sohn so schnell gefunden? Hatte der
»FAZ«-Mann etwa Adolf Eichmann ge-
kannt, der sich in Argentinien als Ricardo
Klement ausgegeben hatte, aber um des-
sen wahre Identität zahlreiche Deutsche
in Buenos Aires wussten? Intern beteuerte
Ehlert, er habe den Namen Eichmann
»zum ersten Mal in Zeitungen« gelesen,
aber die Zentralstelle zur Aufklärung
von NS-Verbrechen in Ludwigsburg und
der hessische Generalstaatsanwalt Fritz
Bauer nahmen den Journalisten ins Visier.
Die Ermittlungen wurden allerdings ein-
gestellt.
Nun hat der Historiker Maximilian
Kutzner die Spur aufgenommen. Kutzner
zählt zum Team um den Würzburger Pro-
fessor Peter Hoeres, das die Geschichte
der »FAZ« erforscht hat und dem die Zei-
tung Zugang zum Hausarchiv gewährte*.


* Maximilian Kutzner: »Marktwirtschaft schreiben. Das
Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
1949 bis 1992«. Mohr Siebeck; 360 Seiten; 59 Euro.

Die »FAZ« zeigte »ein großes Herz« für
Männer mit NS-Vergangenheit im eigenen
Haus, urteilt Historiker Hoeres.
Wie bei anderen Medien – etwa der »Süd-
deutschen Zeitung« oder dem SPIEGEL–
handelte es sich um eine Minderheit unter
den Mitarbeitern. Diese wird allerdings
von den Verlagen längst nicht mehr ver-
schwiegen. Umso erstaunlicher, dass die
»FAZ« ihre braunen Köpfe bei den Feiern
und Veröffentlichungen zum 70. Geburts-
tag in diesen Wochen überging.
Die Zeitung löste dann eine andere De-
batte aus, als sie die AfD-Politiker Alexan-
der Gauland und Stephan Brandner zum
Jubiläumsempfang lud. Gauland verharm-
lost das »Dritte Reich«, Brandner spielt
mit antisemitischen Klischees.
In den Gründungsjahren und danach be-
schäftigte die »FAZ« etliche überzeugte
ehemalige Nazis. Etwa den Wirtschafts -
experten Hans Roeper, der es bis zum SA-
Gruppenführer gebracht hatte, was dem
Rang eines Generalleutnants entsprach.

Der Verlagsmanager Viktor Muckel, Erfin-
der des Slogans »Dahinter steckt immer
ein kluger Kopf«, hatte schon in den Zwan-
zigerjahren für Hitler getrommelt. Der
Londonkorrespondent Heinz Höpfl hatte
einst in der NSDAP-Zeitung »Völkischer
Beobachter« über eine jüdische Weltver-
schwörung schwadroniert.
Oder eben Ehlert, geboren 1904, NSDAP-
Mitglied seit 1933.
Während des Zweiten Weltkriegs arbei-
tete er in Madrid als Berichterstatter des
»Eildienstes für amtliche und private Han-
delsnachrichten«. Insgeheim hatte er den
Auftrag, im neutralen Spanien Nazipropa-
ganda zu verbreiten. Als die Amerikaner
1947 von den Spaniern verlangten, ihn zu
überstellen, floh er nach Argentinien. 1950
heuerte er bei der »FAZ« an.
Aus seiner rechten Gesinnung machte
Ehlert in Buenos Aires kein Geheimnis.
Er kannte den Unternehmer und Ex-
SS-Hauptsturmführer Horst Carlos Fuld-
ner, der Eichmann und anderen NS-
Verbrechern bei der Flucht nach Argen -
tinien geholfen und sie in seiner Firma
Capri beschäftigt hatte. Auch war Ehlert
mit Wilfred von Oven befreundet, einst
Pressereferent von Hitlers Propaganda-
chef Joseph Goebbels und Teil des Netz-
werks aus Nazis in Buenos Aires, das
Eichmann deckte.
Ausgerechnet 1960 – im Jahr der Ver-
haftung Eichmanns – heuerte Oven bei
der »FAZ« an. Er und Ehlert teilten sich
ein Büro. Oven schrieb unter Pseudonym,
doch seine wahre Identität war in Frank-
furt bekannt. Nebenher leitete er die fa-
schistische Zeitschrift »La Plata Ruf«.
Als Ehlert 1973 starb, veröffentlichte
Oven dort einen zweifelhaften Nachruf.
Ehlert habe »aus seiner betont deutsch-
nationalen Einstellung nie ein Hehl ge-
macht«. Ein halbes Jahr später beendete
die »FAZ« die Zusammenarbeit mit Oven,
der 1951/52 auch für den SPIEGELge-
schrieben hatte. Die Zeiten hatten sich ge-
ändert, die Toleranz für Altnazis schwand.
Je länger Oven für die »FAZ« arbeite, ur-
teilte Mitherausgeber Bruno Dechamps,
»desto gefährlicher« würde es.
Und der Eichmann-Scoop von Ehlert?
Als dieser seinen Artikel schrieb, gab
es noch Zweifel, wo die Israelis Eichmann
erwischt hatten. Ehlert verbreitete die Ver-
sion des Sohns, der Vater sei seit 1945 ver-
misst oder tot, was sich bald als Fehlinfor-
mation erwies. Vielleicht hatte Eichmann
junior den »FAZ«-Journalisten belogen,
wie dieser intern behauptete. Vielleicht
wollte Ehlert dem Eichmann-Sohn aber
auch bei einem Verschleierungsversuch
helfen.
Klären lässt sich das wohl nicht mehr.
Klaus Wiegrefe
Mail: [email protected]

54 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019

Deutschland

Braune


Köpfe


ZeitgeschichteDie »Frankfurter
Allgemeine« feiert ihren 70. Ge-
burtstag. Die ehemaligen Nazis
in der Redaktion der Gründer-
jahre sind dabei kein Thema.

LAIF

Angeklagter Eichmann in Jerusalem 1961
Scoop der »FAZ«

»FAZ«-Journalist Ehlert um 1960
Nazipropaganda in Spanien
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