Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

wir uns in Deutschland und Europa nicht
beugen.«
Auch der Washingtoner Lobbyist Ri-
chard Burt plädiert für eine härtere Gangart.
»Die Deutschen treten etwas zu schwach
auf«, findet er. Sie sollten sagen: »Wenn ihr
uns die Pipeline verweigert, werden wir
die LNG-Terminals nicht bauen und auch
kein Gas aus den USA kaufen.« Burts Rat:
»Manchmal muss man Dinge hart spielen,
oder man wird herumgeschubst.«


Ein Spaltkeil durch Europa
Und Europa? Die EU müht sich, eine ei-
gene Linie zu finden, wird aber de facto
zum Spielball unversöhnlicher Konkur -
renten. »Deutschland und die EU drohen
zwischen Russland und den USA aufgerie-
ben zu werden«, sagt Kirsten Westphal,
Energieanalystin bei der Stiftung Wissen-
schaft und Politik in Berlin. Die Ostsee -
pipeline habe einen Spaltkeil in den Kon-
tinent getrieben.
Vor gut fünf Jahren herrschte noch Ei-
nigkeit. Als Reaktion auf Moskaus Militär -
intervention auf der Krim verständigten
sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine ge-
meinsame Energiepolitik. Das Ziel: die Ab-
hängigkeit von russischem Gas zu ver -
ringern, alternative Quellen auszubauen,
einen Binnenmarkt zu etablieren.
Die EU ließ LNG-Terminals errichten
und die Pipelines enger vernetzen. Von
einer »Energieunion« war die Rede – bis
Kanzlerin Merkel aus dieser Koalition aus-
scherte, für die Ostseepipeline der Russen
eintrat und damit viele Verbündete vor
den Kopf stieß.
Möglicherweise beschleunigt die Eska-
lation des Pipelinekonflikts einen Prozess,
der die Europäer wieder näher zusammen-
rücken lässt. Verhängen die USA tatsäch-
lich Sanktionen gegenüber Unternehmen,
die für russische Energiekonzerne arbei-
ten, könn ten die Konsequenzen weit über
den Bau von Nord Stream 2 hinausreichen.
Allein die Diskussion darum stört bereits

jetzt den Betrieb der Erdölraffinerie PCK
in Schwedt.
Jeden Tag produziert die Anlage ausrei-
chend Treibstoff für rund 250 000 Autos,
60 000 Laster oder 50 Flugzeuge. Berlin,
Brandenburg und große Teile Ostdeutsch-
lands sind stark von den Erdölprodukten
aus Schwedt abhängig. Die Raffinerie wird
mehrheitlich von Rosneft kontrolliert, die-
ser Umstand stellt für einige deutsche und
amerikanische Firmen ein Problem dar.
Aus Angst vor Strafen drängen sie darauf,
die Zusammenarbeit zu beenden, obwohl
die Amerikaner noch gar keine Sanktio-
nen ausgesprochen haben.
So haben deutsche Banken mit Hinweis
auf die Möglichkeit solcher Konsequenzen
bereits angekündigt, ihre Kreditlinie für
Rosneft in Deutschland nicht verlängern
zu können. Siemens will aus demselben
Grund keine neuen Dienstleistungsverträ-
ge übernehmen. PCK-Zulieferer aus den
USA bestehen darauf, für ihre Leistungen
sofort bezahlt zu werden. Die Firmen woll-
ten sich auf Anfrage des SPIEGELnicht zu
den Vorgängen äußern.
Daraus kann sich eine Lage entwickeln,
die nicht nur für PCK ein Risiko darstellt,
sondern auch die Versorgung Hundert -
tausender Bürger gefährdet. Die Leitstelle
der Raffinerie, hermetisch abgeriegelt und
vor Feuer und Angriffen geschützt, wurde
von einem US-Industriekonzern mitge-
plant, gebaut, ausgestattet und gewartet.
Das Unternehmen hat den Russen mitge-
teilt, es werde seine Dienste einstellen,
sollte die US-Regierung Sanktionen ver-
hängen.
»Dann«, sagt Rosneft-Sprecher Burk-
hard Woelki, »ist die Raffinerie nicht mehr
zu steuern und eine sichere Versorgung
des Umlandes samt der Flughäfen in
Berlin unmöglich.« Die Gefahrenlage hat
Rosneft über den Ost-Ausschuss der deut-
schen Wirtschaft auch der Bundesregie-
rung zur Kenntnis gebracht.
An der Empfangsstation in Lubmin star-
tet derweil die letzte Bauphase. Arbeiter
installieren einen Metallzaun, sie befes -
tigen Lampen an den Großventilen. Die
beiden Ostseeröhren, die schräg aus dem
Boden ragen, bleiben bis zum Anschluss
mit blauen Plastikdeckeln verstöpselt, wie
überdimensionale Packungen Smarties.
Läuft alles nach Plan, sind die Vorarbei-
ten in knapp vier Wochen abgeschlossen.
Dann könnte das Verlegeschiff die Lücke
schließen.
Ob der Zeitplan hält und die Nord
Stream 2 dann tatsächlich mit Gas befüllt
wird? Bauleiter Haussmann gibt sich keiner
Illusion hin. Die Eröffnungsfeier wird er
vermutlich erst als Rentner erleben.
Frank Dohmen, Alexander Jung,
Roland Nelles
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019 75

Wirtschaft

GREG KAHN / DER SPIEGEL
Nord-Stream-Lobbyist Burt
»Die Deutschen treten zu schwach auf«
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