Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

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Netz mit großen Löchern


LeitartikelDie Bundesregierung muss verhindern, dass sich Huawei am 5G-Netz beteiligt.


D


iese Woche veröffentlichte der IT-Branchenver-
band Bitkom eine Umfrage unter rund tausend
deutschen Unternehmen. 75 Prozent gaben an, sie
seien in den vergangenen zwei Jahren Opfer von
Datendiebstahl, Spionage oder Sabotage geworden, zuvor
waren es erst 53 Prozent gewesen. Als »Hauptakteure«
machte der Verfassungsschutz Russland, China und Iran
aus, wobei hinter chinesischen Angriffen maßgeblich »staat-
liche Organe« steckten. Mit anderen Worten: Chinas Regie-
rung schnüffelt so munter wie nie in Deutschland herum.
Nun ergibt sich ein paradoxes Bild: Einerseits bekämpft
die Spionageabwehr des Verfassungsschutzes im Auftrag
der Bundesregierung das Treiben
der Agenten aus dem Osten. Ande-
rerseits erleichtert die Regierung
denselben Agenten das Geschäft
möglicherweise mit einer heiklen
Entscheidung: Sie will chinesische
Technikkonzerne wie Huawei
erlauben, sich am Ausbau des neu-
en Mobilfunkstandards 5G in
Deutschland zu beteiligen. Damit
verletzt sie eine grundsätzliche
Pflicht, die ein Staat gegenüber sei-
nen Bürgern hat: den Schutz gegen
Angriffe von außen.
Natürlich, es gibt auch andere
Pflichten, zum Beispiel das grund-
gesetzliche Staatsziel, ein gesamt-
wirtschaftliches Gleichgewicht her-
zustellen, wozu in der Regel Wirt-
schaftswachstum nötig ist. Dabei
hilft ein schneller Ausbau des 5G-
Netzes. Es ist das zentrale Nerven-
system der Zukunft, für künstliche
Intelligenz, für selbstfahrende
Autos oder die digitale Vernetzung von Geräten (»Internet
of things«).
Kein anderes Unternehmen stellt die nötige Technik so
schnell und günstig bereit wie Huawei. Schließt Deutsch-
land das Unternehmen aus und setzt allein auf die europäi-
schen Anbieter Nokia und Ericsson, nimmt es in Kauf, dass
der Ausbau teurer wird und sich verzögert, womöglich um
Jahre – ein schwerer Nachteil im Kampf um die Spitze des
technischen Fortschritts.
Trotzdem ist der Ausschluss Huaweis nötig. Nach dem
chinesischen Geheimdienstgesetz müssen alle IT-Unterneh-
men ihren Staat rückhaltlos unterstützen. Wünscht die
Regierung Informationen, haben die Unternehmen zu lie-
fern. Darauf weist auch der Bundesnachrichtendienst hin.
Über seine 5G-Technik hätte Huawei theoretisch die
Möglichkeit, nicht nur auf politisch und wirtschaftlich rele-
vante Informationen zuzugreifen, sondern auch auf private

Daten. Zugleich hätte es die Macht, Funktionen zu verlang-
samen, zu verändern oder zu blockieren, etwa bei selbst-
fahrenden Autos. China könnte Deutschland lahmlegen.
Selbst wenn man der Regierung in Peking die Klugheit
unterstellt, die lukrative Beteiligung nicht durch solche
Aktionen zu gefährden, selbst wenn es für Huawei-Spio -
nage keine Belege gibt, selbst wenn die Bundesregierung
dafür sorgen würde, dass sensible Bereiche wie das
Re gierungsnetz Huawei-frei blieben, muss man fragen:
Wären künftige Regierungen auch so standhaft? Wie
bekommt man die Wanze wieder aus dem Bett, wenn sie
es sich darin gemütlich gemacht hat?
Die Bundesregierung hantiert
bislang mit Verwaltungsakten:
Die Aufsichtsbehörden sollen die
Anbieter zertifizieren, ihre Pro-
grammiercodes ansehen dürfen
und ihnen das Versprechen ab -
nehmen, nicht zu spionieren. Es
wäre trotzdem ein Sicherheitsnetz
mit großen Löchern.
Zudem geht dieses Thema weit
über technische Details hinaus, es
hat eine geopolitische Dimension.
Die Vereinigten Staaten befinden
sich mit China im Handelskrieg
und drohen, die nachrichten-
dienstliche Zusammenarbeit mit
Deutschland einzuschränken, soll-
te Huawei beteiligt werden. Das
ist zwar mehr Kulisse als echte
Drohung, aber Deutschland muss
sich entscheiden, auf welcher
Seite es steht. Mit fast jedem zu
können, weil die wirtschaftlichen
Interessen vor den politischen
stehen, hat lange funktioniert. Seit Trump ist es Diplomatie
von gestern.
Der Fall Huawei verlangt auch eine industriepolitische
Antwort. China hat sich in Deutschland in vielen Branchen
eingekauft, das ist der Preis der Globalisierung. Huawei ist
bereits mit seiner Technik am deutschen Mobilfunknetz
beteiligt. Für sicherheitsrelevante Bereiche muss künftig
aber gelten: Germany first, noch besser: Europe first.
Nach Druck aus der Union gibt es im Innenministerium
Stimmen für eine Verschärfung der Kriterien, sodass Hua-
wei von 5G faktisch ausgeschlossen würde. Das Kanzler-
amt sollte diesem Vorschlag folgen. Und es muss alles
daransetzen, dass in Europa für 6G, für die nächste Revolu-
tion, ein Unternehmen entsteht, das der Konkurrenz aus
den USA und China ebenbürtig ist. Notfalls mit viel staatli-
chem Geld. Nicht anders ist Huawei an die Spitze gelangt.
Martin Knobbe

VCG / IMAGO IMAGES

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DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019
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