Der Stern - 24.10.2019

(ff) #1
Florian Gless, Chefredakteur

S


Sonntagmorgen, erstes Aufwachen, Sonnenstrah-
len an der Zimmerdecke, genauso soll es sein.
Und dann: „UUUUHHHHH! AAAAHHHHH!
UUUUUHHHH! AAAAAHHHH!“
Ich lüge nicht: Es ging minutenlang. Ein Kind
unten vorm Haus, offensichtlich bester Laune,
völlig außer Rand und Band. Und mit einer Stimm-
höhe, die auch durch das geschlossene Fenster
hindurchdrang. Ich dachte, ich werde wahnsinnig.
Es geht nicht darum, dem Kind einen Vorwurf
zu machen. Wirklich nicht. Wir wohnen neben
einem Spielplatz, da härtet man über die Jahre
durch. Wenn dort am Sonntagnachmittag kein
Halten mehr ist, will ich nicht der Spießer sein,
der vom Balkon bölkt. Ekel Alfred ist kein Vorbild
für mich. Aber manchmal werde ich fahrig, wenn
Kinder ohne Pause kreischen und quieksen – und
offensichtlich niemand mal sagt: „Benediktine
und Johannes, kommt mal ein bisschen runter.
Wir sind hier nicht alleine!“
Kinder werden sich immer ihren maximalen
Freiraum nehmen, und das ist auch gut so. Aber
die Grenzen dieses Freiraums bestimmen wir
Erwachsenen. Mit sorgsamem Blick auf das Kind,
aber auch mit Rücksicht auf uns selbst und auf
unsere Umgebung. Mich ärgert nicht das krei-
schende Kind auf dem Spielplatz und auch nicht
das plärrende abends um halb zehn im Restau-
rant. Mich nervt die Hilflosigkeit der Eltern,
die nicht in der Lage sind, mal energisch ein-
zuschreiten. Ihr cooles Laisser-faire verbirgt nur
allzu oft ihre nicht eingestandene Hilflosigkeit.
Warum so viele Eltern heute an einem einfachen
„Nein!“ scheitern, erzählt mein Kollege Tobias
Schmitz ab Seite 28.
Danke, dass Sie den stern lesen!

24.10.2019 5

EDITORIAL


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