„Headquarter likes your style“ lobte er die, die sich beim
Fotografieren nicht zickig gerierten, sondern mitspiel-
ten. Er fand, dass wer im Bilder-Business arbeitete, auch
selbst optisch etwas hermachen sollte. Als die Haare
grau wurden, trug er sie deshalb lang und wallend.
Das weiße Zähnchenlachen garnierte er mit einem
schwarzen Schnauzbart und den Nadelstreifen-Anzug
mit Turnschuhen – lange bevor CEOs auf diese Idee
kamen. Volker Hinz wurde ein Amerikaner im Leib
eines Hamburger Jung. Und wie alle bedeutenden
Gesellschaftsreporter knipste er nicht für den Tag.
Seine Bilder sollten überdauern. Manchmal füllte der
Haufen verschossener Filme eine Reisetasche, ohne
dass das eine, das entscheidende Bild dabei gewesen
wäre. Aus seiner Sicht jedenfalls.
Hinz machte Menschen zu Ikonen, das ist bekannt.
Und das konnte ihm gelingen, weil die Zeit es zuließ.
Aber auch deshalb, weil er das Nah-dran-Sein be-
herrschte wie kaum ein anderer. Er nannte es „hinznah“.
Andere Fotografen, erst noch im Bonner Regierungs-
viertel und später in Berlin, stöhnten oft, weil es ihnen
kaum glückte, einen Politiker zu bannen, ohne dass Hinz
mit auf dem Bild war. Franz Beckenbauer und Pelé lie-
ßen sich von ihm beim Duschen fotografieren. Helmut
Schmidt besuchte seinen Vater im Altersheim – mit
Hinz im Schlepp. Muhammad Ali ließ ihn gewähren, als
er sich so ganz und gar nicht wie der tänzelnde Schmet-
terling, die stechende Biene fühlte, sondern fast depres-
siv in einem Ledersessel hing. Willy Brandt wirkte in
der Minute seines Rücktritts vom Kanzleramt wie eine
in sich erstarrte Marionette. Und Mega-Superstar
Madonna schien nach einer Versace-Show erkaltet und
knochenherzig wie Fräulein Rottenmeier. Arnold
Schwarzenegger selig schlafend wie ein Kind oder
zubeißend wie ein Kampfhund, Hillary Clinton mit
geschlossenen Augen im Abgrund ihrer Gedanken ver-
loren. So sah Hinz sie.
Die Liste der Modepäpste (Armani, Lagerfeld und Yves
Saint-Laurent, zitternd am Boden kauernd), Künstler
(Keith Haring, Woody Allen, Clint Eastwood, Andy War-
hol), Großschriftsteller (William S. Burroughs, Stephen
King) und Poplegenden (Joe Cocker, die Stones und Paul
McCartney), die er vor dem Objektiv hatte, ist so lang
wie der Fluss, an dem er aufwuchs. Die Elbe, Hamburg.
Er nahm das immer wörtlich: Tor zur Welt.
Unser erstes Mal war 1997. Wir reisten mit dem dama-
ligen Ministerpräsidenten Schröder durch die USA.
In San Francisco holte uns Hinz vom Flieger ab und
zeigte uns, Schröder und seiner Delegation die Stadt.
Er kannte jeden Winkel.
In Seattle präsentierte er uns den Flohmarkt, auf dem
er seine umfangreiche Salzstreuerpärchen-Sammlung
komplettierte. Netter Mann, dachte ich.
Dort an der Westküste kannte er als Einziger Bill Gates
schon vor der Schröder-Audienz. Und der kannte Volker.
In Chicago wusste er das beste Steakhouse der Stadt.
In Detroit hatte jemand aus der Delegation Liebes-
kummer, Volker lud in eine Karaoke-Bar, die er dort seit
Jahren kannte.
In New York verkrachten wir uns auf ewig in der Dreh-
tür des Hotels „The Pierre“.
Bei der Landung in Hannover waren wir wieder ver-
söhnt und planten unsere nächsten Geschichten. Über
Harald Schmidt, Lady Gaga, die Berliner Partygesell-
schaft und Angela Merkel. Mit Volker Hinz war man
immer auf der sicheren Doppelseite. Immer!
In Monaco machten wir in einem Hotel der „Oetker
Collection“ die höchste Spesenrechnung unseres Lebens:
2000 Mark die Nacht! Im berühmten „Sporting Club“
zeigte mir der Fotograf an lebenden Objektinnen, wie
„gemachte Brüste“ aussehen. Er kannte so was aus sei-
ner Zeit in den USA.
Abends tanzte ich unterm Sternenhimmel, verliebte
mich erfolglos in einen Baron, und Volker kugelblitzte
Liz Taylor. Wie er an die Karten für den Ball der mone-
gassischen Fürstenfamilie Grimaldi gekommen war,
weiß ich bis heute nicht. Wahrscheinlich waren die Tür-
steher von seiner Anmutung geblendet. Von der Toten-
kopfkrawatte, die er immer zum Smoking trug, und von
den Samtschläppchen an seinen Füßen. Unsere Ge-
schichte erschien dann leider nie. Der neu eingewech-
selte Chefredakteur wollte keine „Promis“.
In Washington beschimpfte uns Helmut Kohl und
wollte uns nicht die Hand geben. In Rom segnete uns
dafür der Papst, in England kochte der angehende
britische Premier Tony Blair in seinem Haus in Durham
Tee für uns. Volker fotografierte Blair mit nackten Füßen.
Ich verliebte mich prompt auch in den, aber es wurde
nichts daraus. Im Dom zu Speyer haben wir anschlie-
ßend eine Kerze angezündet, weil das Leben im Auftrag
des stern so groß war und so schön.
Volker Hinz hat dem Magazin zu Ansehen und Ein-
zigartigkeit verholfen. Sein Blick hat das Blatt geprägt
und die Doppelseiten dominiert. Auch deshalb haben
sie es ihm durchgehen lassen, dass er noch mit echtem
Film fotografierte, als alle anderen längst ihre Blatt-
schüsse digital machten. Manchmal habe ich es gehasst,
wenn ein Gesprächspartner im Interview um die rich-
tige Antwort rang, und dann machte es aus Volkers Rich-
tung laut und langsam „Kaaalack“, oder war es mehr ein
„Kaaalick“? Und darf man das in einem Nachruf über-
haupt erwähnen?
Einmal waren wir bei Lady Gaga. „Okay, Volker, you’ve
got seven minutes“, sagte die Pressetante nach dem acht
Minuten dauernden Interview. Und er machte „Klack“.
Sieben Bilder. Es waren die besten und intensivsten An-
sichten, die man bis dahin je von Lady Gaga gesehen hat-
te. Er war ein Geschwindigkeitsmeister. Und das mit der
langsamsten Kamera der Welt. Er trug seine Hasselblad
auf Reportagen und in Gesellschaften wie einen Säug-
ling im Arm durch die Menge. Dann blitzte er mal hier-,
mal dorthin. So schnell war kein Doppelkinn in Deckung,
kein Dekolleté in Form gebracht, wie Volker Hinz gucken
und blitzen konnte. Im tiefsten Gewimmel entdeckte er
dann noch den schönsten Damenfuß im noch schönste-
ren Damenschuh. „Guck mal“, sagte er, „ein Geschenk.“
Volker Hinz ist tot. Er starb mit 72 Jahren in Hamburg.
Möge er nun irgendwo, am besten über Amerika, auf
einer kreisrunden weißen Wolke sitzen und amüsiert
und mit weitestem Winkel das Wimmeln der Erde
betrachten. Das wünschen wir ihm.
Nur, wer zeigt jetzt den jungen Reportern die Welt?
Wer findet zufällig eine Liz Taylor am Katzentisch und
wer den besten Winkel in der Papstaudienz? Wer kennt
eine Karaoke-Bar in Detroit? Und wer traut sich, in
Angela Merkels offene Handtasche zu blitzen?
Vor allem aber: Wer hält jetzt für uns mit seinen
Bildern die Welt an? 2
stern-Fotografie
Portfolio Nr. 67,
Volker Hinz
erschienen 2012,
96 Seiten, 4,95 Euro,
Bestellung über
stern-Kundenservice,
Tel. 040/55 55 78 09
24.10.2019 61