Bowanenkowo-Gasfeld
Labytnangi
Salechard
Jar-Sale
Moskau
Greifswald
Frankfurt/Oder
EUROPA
RUSSLAND
DEUTSCHLAND
Nord Stream Gaspipeline
Jamal
500 km
Sabetta
Halbinsel
Jamal
Der Zug könnte auch in den Wolken
unterwegs sein oder in einer Mehl-
dose. Alexander Mironowitsch, der
Lokführer, blickt aus dem Fenster:
weiß. Sicht: ins Nichts. Vier Wörter
kennt das Russische für Schnee-
sturm, zwei davon beschreiben
Gestöber; ein weiteres heißt „Purga“.
Dann geht nichts mehr, die Welt ein
kalter Wattebausch.
In der Kabine ist es warm, nur
manchmal, wenn der Zug bei den
Streckenwärtern stoppt, tragen Besu-
cher die Kälte in eisigen Wellen hi-
nein. Immer wieder wischt der Lok-
führer mit einem Lappen Gucklöcher
in die Eisblumen am Fenster. „Am
Anfang“, sagt Mironowitsch, „habe
ich mich schon gefragt, was ich hier
verloren habe.“ Am Bullauge neben
ihm, dort, wo sein Gehilfe sitzt,
blubbert im Kessel das Teewasser.
Hightech hielte der Kälte kaum
stand, der Arbeitsplatz des Lokfüh-
rers sieht deshalb eher robust aus:
keine Touchdisplays, stattdessen
Hebel aus Stahl. Wenige Kilometer
vor der Lok schaufelt ein Schnee-
räumzug die weißen Massen von
den Schienen. Lange bleiben sie
nicht blank. Auf der Strecke hilft des-
halb nur Schleichen. Mit 30 km/h
kriecht die Bahn durch die Wüste aus
Eis, schneller als 40 wird sie hier nie.
Früher hat Mironowitsch in Kalu-
ga gearbeitet, Zentralrussland, knapp
200 Kilometer südwestlich von Mos-
kau. Frau und Kinder leben immer
noch dort. Einen Monat lang bleibt
er bei ihnen, dann kehrt er wieder für
einen Monat zurück in die Kälte. Auf
der Halbinsel Jamal, hinter dem
Polarkreis, steuert er den vielleicht
ungewöhnlichsten Pendlerzug der
Welt, denn so hoch im Norden 4
D
80 24.10.2019