DESIGN
Fotos: Nikola Blagojevic/Studio_SPEKTROOM
FOCUS 42/2019 107
Er liebt futuristisches Plastik, die Farbe Pink und biomorphe Formen. Star-Designer
Karim Rashid entwirft Alltägliches für die Zukunft – und jetzt eine Rennjacht
Bunt fürs Leben
D
as Käsebrett. Karim Rashid
unterbricht kurz seinen
überaus schwungvollen
Redefluss und wird für
einen Moment fast senti-
mental, als er an sein ers-
tes Produkt denkt. Er hat
es einst im dritten Jahr
seines Grundstudiums entworfen. Und
das dazugehörige Käsemesser, das sich
elegant im Brett versenken ließ,
gleich mit. Im Holz befanden sich
kleine, weiße Behältnisse für Oli-
ven und andere feuchte Dinge.
Selbst auf dem dicht gedrängten
Käsebrett-Markt von heute kön-
ne seine alte Idee noch mühelos
bestehen, glaubt der New Yorker
Designer. „Gut, dass Sie mich
danach gefragt haben. Ich den-
ke, ich werde es wiederbeleben.“
Nun ist es nicht so, dass Rashid
sonst nichts zu tun hätte. Der 1960
in Kairo geborene und in Kanada
aufgewachsene Industriedesigner
ist einer der erfolgreichsten Ver-
treter seines Fachs. Laut seiner
Webpage sind derzeit mehr als
4000 von ihm gestaltete Produkte
in Produktion, über 300 Auszeich-
nungen hat man ihm in seiner
35-jährigen Karriere überreicht.
Er sagt, dass er momentan mit
70 Projekten gleichzeitig beschäf-
tigt sei. „Ich arbeite Tag und Nacht,
manchmal so viel, dass ich mich
frage, warum ich mir das über-
haupt alles auflade.“
Erst kühlbare Schuhe, dann eine Jacht
„Prince of Plastic“ nannte der „New Yor-
ker“ den Designer wegen seiner Vorliebe
für Kunststoff, biomorphe Formen und
Computertechnik. Rashid entwarf schon
Cyber-Couture, die sich der Körpertem-
peratur anpasst, und kühlbare Schuhe mit
GPS und Blutdruckmesser, als die Indus-
trie noch mit Prototypen experimentierte.
2002, mit nur 41 Jahren, veröffentlichte er
seine Monografie mit dem Titel „I Want
To Change The World“.
Rashids jüngste Arbeit ist das Branding
der Rennjacht „Hugo Boss“, mit der der
britische Segler Alex Thomson im kom-
menden Jahr an der Vendée Globe teil-
nehmen wird. Bei der Nonstop-Regatta
für Einhandsegler, die nur alle vier Jahre
stattfindet, geht es von der französischen
Atlantikküste zunächst Richtung Südpo-
larmeer, um am Kap der Guten Hoffnung
links abzubiegen, dann bis Kap Hoorn
den Kurs zu halten und schließlich wieder
zum Starthafen zurückzuschippern. Mehr
als 70 Tage sind die Segler dabei allein
unterwegs – ohne zwischendurch Land
betreten zu dürfen. Weshalb Rashid sich
natürlich größte Mühe gegeben hat, die
Jacht besonders ästhetisch zu gestalten.
„Aber eine Rennjacht wie diese muss so
leicht sein, wie es nur irgend geht“, sagt
er. „Da darf man gar nicht erst anfangen,
sie großartig zu dekorieren.“ Ja, man dür-
fe sie nicht einmal anstreichen, Farbe ist
einfach viel zu schwer.
Rashid sitzt im Londoner Restaurant
„Butler’s Wharf Chop House“ direkt an
der Themse und genießt den Blick auf
sein Werk. Ein Jahr lang war er mit dem
Projekt befasst und grübelte zum Beispiel
darüber nach, wie man den Namen der
Jacht an die Jacht bekommt, wenn man
ihn nicht draufpinseln darf. Die zündende
Idee: Er sägte die Buchstaben aus dem
schwarzen Carbonfaser-Rumpf heraus,
um die Löcher hinterher wieder
mit weißer Carbonfaser zu stopfen.
Eine gewichtsneutrale Lösung,
das hat vorher noch niemand so
versucht. Für das Segel wählte er
Material, das so leicht ist, dass man
hindurchsehen kann. „Ich erken-
ne sogar die Gebäude hinter der
Jacht“, sagt er. „Ich wünschte, Sie
könnten sie sehen, Fotos werden
der Realität leider nicht gerecht.“
Er macht die Farbe Pink männlich
Besonderen Wert legte Rashid auf
die farbliche Gestaltung. Damit das
Boot kraftvoll und positiv wirkt,
wählte er als Akzent die Farbe
Pink. Wie er zu seiner großen Ver-
blüffung feststellte, kam Pink bis-
lang im Regattasport nur selten vor.
„Na ja, Segelrennen sind wohl eher
ein Macho-Sport und dem Selbst-
verständnis nach sehr maskulin“,
sagt er. Folglich waren die Reak-
tionen auf seine Farbwahl zunächst
auch eher verhalten. Der Segler
Alex Thomson sei deswegen ganz
nervös geworden. „Er wollte auf
keinen Fall Pink an seinem Boot haben“,
doch mittlerweile sind alle mit den neon-
pinken Details im Kontrast zum ansonsten
schwarzen Boot rundum glücklich.
Schon vor zehn Jahren schrieb das
amerikanische „GQ“-Magazin über
Rashid, dass es seine Mission sei, Pink
männlich zu machen. Er sagt, er liebe
das Zitat, obwohl es ihm eigentlich darum
gehe, der Farbe jedwede geschlechtliche
Konnotation zu nehmen. „Pink ist einfach
wunderschön, die Farbe hat eine tolle
Energie.“ Und sie fällt auf.
Styling ist alles Karim Rashid, 59, trägt am liebsten
Selbstkreiertes – von der Brille bis zu den Sneakers