Fotos: Peter Rigaud für FOCUS-Magazin, dpa
FOCUS 42/2019 3
EDITORIAL
am späten Mittwochabend, als ich die Bil-
der der vielen trauernden Bürger in Halle
sah, bekam dieser 9. Oktober wenigstens
ein bisschen tröstliche Herzenswärme
zurück. Menschen halten Kerzenlichter,
rücken zusammen. Sie trauern um die
Opfer des Attentäters Stephan Balliet, 27,
der am Nachmittag in ihrer Stadt Men-
schen jüdischen Glaubens ermorden woll-
te und zwei Passanten tötete.
Es war ein schwarzer Tag für Deutsch-
land, und er ist nicht zu Ende. Denn das,
was in Halle geschah, ist ein Anschlag auf
uns alle. Es ist der traurige Beweis dafür,
dass Antisemitismus in Deutschland
immer noch lebt – allen Nie-wieder-Mah-
nungen zum Trotz. 1799 antisemitische
Straftaten zählte das Bundesinnenminis-
terium allein im vergangenen Jahr.
An Jom Kippur, dem höchsten jüdi-
schen Feiertag, waren am Mittwoch bis
zu 80 Gemeindemitglieder im Gottes-
dienst, als der Neonazi die Synagoge im
Hallenser Paulusviertel stürmen wollte.
In Kampfanzug, mit Sturmmaske, Stahl-
helm. Auf dem Helm ist eine Kamera
installiert, mit der er sein Morden live ins
Internet überträgt wie schon der Rechts-
terrorist Brenton Tarrant, der im März in
Christchurch 51 Menschen in Moscheen
ermordete. Nun sieht man also den Deut-
schen mit einem Gewehr, der umgebau-
ten Schrotflinte und den Sprengsätzen
in seinem gemieteten VW Golf. Man
hört sein widerliches Gemurmel: „Fuck,
fuck!“, als er merkt, dass die Tür zu dem
Gotteshaus von innen verschlossen ist
und sich auch nicht aufschießen lässt.
„Scheiß drauf. Sprenge ich mich halt
rein.“ Und man sieht schockiert, dass er
erst nach ewig langen 22 Minuten und
16 Sekunden Amoklauf der Polizei gegen-
übersteht. Wo waren die Einsatzkräfte bis
dahin, und warum wurde die Synagoge
in Halle nicht geschützt?
Für mich war der 9. Oktober bislang
ein Tag der Freiheit. Vor 30 Jahren, vier
Wochen vor dem Mauerfall, fühlte ich sie
unvergesslich – mit meinen Eltern inmit-
ten von fast 100 000 Demonstranten auf
der Montagsdemonstration in Leipzig.
Jetzt mussten wir erleben, wie brüchig
unsere Freiheit ist.
Von Robert Schneider, Chefredakteur
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Unsere brüchige Freiheit
Herzlich Ihr
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Stilles Gedenken
Trauernde Bürger vor
dem Roten Turm auf dem
Marktplatz von Halle
Wenigstens einer,
der gut zuhört.
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