POLITIK PORTRÄT
46 FOCUS 42/2019
droht zu einem Kampf der politischen Ex-
treme zu werden: links gegen rechts. Was
bleibt in der Mitte?
- August 2019. Am Jahrestag des Mau-
erbaus hat Mohring Journalisten aus der
Hauptstadt nach Apolda eingeladen. Sie
sollen sich ein Bild vom Herausforde-
rer machen. Geschickt lotst er die Grup-
pe über die Dörfer, von Ansiedlungs-
zu Sanierungserfolgen. Im besten Fall
steht nach dieser kurzen Reise in den
Notizbüchern: „Was Mohring anpackt,
das klappt.“ Doch die Journalisten stellen
ihm vor allem eine Frage: Mit wem will
er denn nach dem 27. Oktober regieren?
Dem CDU-Chef schwebt eine Art All-
parteien-Koalition vor, also alle ohne
Linkspartei und AfD. Dieses Vierer-Bünd-
nis aus CDU, SPD, Grünen und FDP wäre
bislang ohne Beispiel in der Republik.
Aber es könnte die Antwort einer selbst-
bewussten Mitte sein in Zeiten sich auf-
schaukelnder Ränder. An diese Hoffnung
klammert er sich. Die nächste Umfrage
sieht etwas besser aus: Die CDU erreicht
24 Prozent, kommt nun auf Platz zwei. - September 2019. Mike Mohring ver-
folgt die Landtagswahlen in Sachsen und
Brandenburg zu Hause vor dem Fernse-
her. Genau analysiert er die Wahlschlap-
pe von Parteifreund Ingo Senftleben in
Potsdam und den Zittersieg von Michael
Kretschmer in Dresden. Beide hatten ihre
Mühe mit den Auftritten der Werteunion,
namentlich mit Ex-Verfassungsschutz-
präsident Hans-Georg Maaßen. Denn der
hinterließ bei seinen Anhängern regel-
mäßig die Botschaft, es gebe auch eine
Mehrheit rechts der Mitte. Eine gefähr-
liche Rhetorik vor allem in Thüringen, wo
Björn Höcke die AfD führt.
Mohring pflegt zur Bundes-CDU in-
zwischen eine Politik des freundlichen
Abstands. Er kritisiert seine Parteifreunde
im Bund jetzt ganz offen: Sie haben es
immer noch nicht geschafft, eine Grund-
rente zu verabschieden. Mohring braucht
dringend Erfolge, wenn er den 1,8 Millio-
nen Wahlberechtigten weismachen will,
dass eine von ihm geführte Landesregie-
rung die Nöte der Thüringer ernst nimmt. - September 2019. Die Bundesregie-
rung beschließt das sogenannte Klima-
paket. Zur gleichen Zeit stellt die CDU
Thüringen Großplakate auf. „Wind-
rad-Wahnsinn – Schluss damit!“ steht
auf einem. Was die Bundeskanzlerin in
Berlin und New York als Durchbruch fei-
ert im Bemühen, die internationalen Kli-
maschutzverpflichtungen zu erreichen,
erscheint vielen Thüringern als Pakt
gegen Berufspendler und Hausbesitzer.
„Die Bürger fragen uns an den Wahl-
kampfständen, ob sie jetzt ihre Ölheizung
rausreißen müssen“, berichtet Mohring
resigniert. E-Scooter und Carsharing ken-
nen Menschen in Jena, Gera und Nord-
hausen nur aus dem Fernsehen. Als Sach-
sen und Brandenburg gewählt haben,
war von steigenden Benzinpreisen keine
Rede. Die Thüringen-Wahl ist die erste
Abstimmung nach dem Klimapaket.
Als wäre das nicht schon genug, kündigt
Kurt Biedenkopf, der ehemalige CDU-
Ministerpräsident von Sachsen an, dass
er sich demnächst mit Bodo Ramelow
treffen wolle. „Er kommt mir vernünf-
tig vor, was mich selbst erstaunt hat“,
sagt der 89-Jährige. Eine CDU-Legen-
de lobt sechs Wochen vor der Wahl den
einzigen Ministerpräsidenten der Links-
partei. Es ist zum Verzweifeln.
- September 2019. „Er ist die Nummer
zwei, die demnächst einen Kopfschuss
von uns erhält.“ Die „Bild“-Zeitung be-
richtet über eine Morddrohung gegen
Mike Mohring, das Landeskriminalamt
ermittelt. Absender der handgeschriebe-
nen Postkarte soll ein Reichsbürger sein.
Mohring verzichtet auf Personenschutz. - September 2019. Weimarer Land. Vor
drei Stunden hat Christine Lieberknecht
die Gruppe in der Kirche von Sachsenhau-
sen gesegnet, wir sind inzwischen über
die Felder bis nach Wohlsborn gelaufen.
Mohring oft vorneweg, manchmal bleibt
er zurück und telefoniert.
Es ist verrückt: Als er am Boden war,
zu Beginn des Jahres, da führte er in den
Umfragen. Jetzt, körperlich wieder fit,
schwächeln Mohrings politische Werte:
Die CDU liegt nun auf dem dritten Platz,
hinter der AfD. Die Linkspartei erreicht
29 Prozent, es ist ihr bester Wert seit bei-
nahe vier Jahren.
Mike Mohring hat fast 200 Wahlkampf-
termine hinter sich, er weiß, dass er in
der persönlichen Begegnung überzeugen
kann. Also geht der Kandidat laufen. Viele
Hundert Thüringer begleiten ihn auf sei-
nen Bergtouren, alles professionell beglei-
tet von einem Social-Media-Team.
Er gibt die Hoffnung nicht auf. Sagt
er. Im Gegenteil: Es stehen noch zwei
TV-Duelle mit Bodo Ramelow aus. Noch
ist nichts entschieden. Es muss klappen.
Die Hoffnung hat ihn doch schon ein-
mal getragen in diesem Jahr. Und nicht
enttäuscht.
Die Frage muss dennoch sein: Was pas-
siert, wenn am 27. Oktober weder die rot-
rot-grüne Koalition von Bodo Ramelow
eine Mehrheit bekommt noch das Allpar-
teien-Bündnis, mit dem Mohring regie-
ren möchte? Was geschieht, wenn eine
Minderheitsregierung unter Ramelow die
oppositionelle CDU bittet, mit ihr zu stim-
men, für das Land und gegen die AfD?
Oder wenn Werteunionisten das Wahl-
ergebnis von CDU und AfD addieren und
beginnen, über eine Koalition rechts der
Mitte zu fantasieren? Was dann?
Mike Mohring schweigt. Wir stehen auf
einem Feldweg zwischen Wohlsborn und
Großobringen nördlich von Weimar. Seine
Hand fährt unwillkürlich durch das wieder
volle schwarze Haar.
Auf diese Frage will Mohring nicht ant-
worten. Es wird schon gut gehen, sagt sein
Blick. Irgendwie.n
Es ist verrückt: Als er
am Boden war, zu
Beginn des Jahres, da
führte er in den
Umfragen. Jetzt,
körperlich wieder fit,
schwächeln seine
politischen Werte
- September 2019
Mike Mohring geht seit Wochen
wandern. Begleitet von einem
Social-Media-Team