Fotos:
Kjetil Alsvik, Gaetan Bally/dpa, NASA/Lori Losey
86 FOCUS 42/2019
Das Verfahren ist nur in gigantischem
Maßstab sinnvoll. Schließlich geht es um
Milliarden Tonnen von Gas, die eliminiert
werden müssen. Andere Wissenschaftler
erwägen Projekte, die den Strahlungs-
haushalt der Atmosphäre verändern
würden. Geoengineering oder Climate
Engineering nennen sich die weltwei-
ten großtechnischen Eingriffe, die den
Klimawandel stoppen sollen. Manchmal
klingt es so, als würden größenwahnsin-
nige Wissenschaftler Gott spielen.
Die amerikanische Weltraumbehörde
NASA zum Beispiel will große Teile der
Sahara mit schnell wachsenden Bäumen
bepflanzen. Riesige, einen Kilometer tief
unter der Erde liegende Grundwasser-
speicher sollen dafür angezapft werden.
Auf einer eine Milliarde Hektar großen
Fläche sollen eine Billion Bäume jähr-
lich 10 bis 30 Milliarden Tonnen CO 2
aus der Atmosphäre filtern – etwa so
viel, wie die Menschheit mit dem Ver-
brennen von Kohle, Gas, Benzin und Öl
hineinbläst.
Das Meer umwälzen
Andere Pläne sehen vor, ganze Gebirgs-
ketten zu Rollsplitt zu zermalmen, weil
pulverisierter Stein CO 2 binden kann.
Auch eiskaltes Tiefenwasser aus dem
Ozean, mit gewaltigen Pumpen nach
oben befördert, könnte viel CO 2 auf -
nehmen. Das deutsche Alfred-Wegener-
Institut sowie Organisationen in Kanada,
Peru, Chile und Südkorea wollen Millio-
nen Quadratkilometer Meeresoberfläche
mit Eisenpulver bestreuen. Dadurch wird
das Algenwachstum angeregt. Die Algen
brauchen dafür – wie in den Versuchen an
der TU in München – CO 2. Nach ein paar
Wochen sterben sie ab und verhaken sich
zu schleimigen Klumpen. „Wir konnten
nachweisen, dass über 50 Prozent der
Planktonblüte mehr als 1000 Meter tief
absank“, behauptet der Versuchsleiter
Victor Smetacek in einer Pressemittei-
lung. „Dies deutet darauf hin, dass ein
Teil des Kohlenstoffs der Algenblüte über
Zeitskalen von mehr als 100 Jahren im
tiefen Ozean und in den Sedimenten am
Meeresboden gespeichert werden kann.“
Treffer, versenkt!
Mancher Versuch ging daneben
Allerdings sind andere Versuche auf
hoher See gründlich misslungen. Statt
abzutauchen, dümpelten die Algenlei-
chen wochenlang an der Meeresober-
fläche und erstickten dort jedes Leben.
„Totzonen“ nennen das die Forscher.
Norwegen filtert CO 2 aus der Luft und
presst es in leer gepumpte Ölfelder unter
der Nordsee. Auch Großbritannien arbei-
tet daran. Aber die Projekte sind noch in
der Versuchsphase. An der verlassenen
Gasplattform Goldeneye, 100 Kilome-
ter vor der schottischen Küste, werden
gerade drei Tonnen CO 2 mit chemischen
Markern versehen und in die Bohrlöcher
gedrückt. Mithilfe der Marker will man
erkennen, ob die Kavernen unter dem
Meeresboden dicht sind.
Da ist Brücks Münchner Projekt schon
weiter. In einer Testanlage auf dem Air-
bus-Gelände im Süden von München
wachsen die Algen auf einer Fläche von
1500 Quadratmetern in zwei großen
Pools. Microchloropsis ist eine Salzwas-
seralge. Das ist gut, weil Salzwasser einen
höheren ph-Wert als Süßwasser hat und
dadurch mehr CO 2 speichert. Im offe-
nen Meer allerdings kann man die Alge
schlecht züchten – zu viele Wellen, Strö-
mungen, Fische und sonstige Unwäg-
barkeiten. Die Pools sollen deshalb in
Strandnähe entstehen, das Meerwasser
wird dann dorthin gepumpt. Auch im Bin-
nenland vermehrt sich Microchloropsis
prima, vorausgesetzt, man streut das rich-
tige Salz ins Wasser. „Das zu finden“, sagt
Brück, „war eine Herausforderung.“Als
ideal erwies sich Salz aus dem Alpen-
ort Bad Reichenhall, mit dem bayerische
Brezen bestreut werden. Brück hat ein
Abo für 40 Tonnen pro Jahr.
Wenn man die Algen gut salzt, Stick-
stoff, Phosphor und Eisen als Dünger hin-
zufügt, jede Menge CO 2 ins Wasser bläst,
die Temperatur stimmt und die Sonne
scheint, dann wächst Microchloropsis
zehnmal schneller als jede Landpflanze
und verarbeitet 90 Prozent des CO 2 in
Biomasse. Nach 14 Tagen wird der Algen-
brei abgefischt und zentrifugiert. Das
glibberige Grünzeug ist ziemlich ölig.
Es enthält bis zu 73 Prozent Fett in der
Trockenmasse.
So wertvoll wie Erdöl
Das hat mit einem Trick zu tun, den die
Forschergruppe um Brück sich ausge-
dacht hat. Kurz vor der Ernte werden
die Algen unter Stress gesetzt, indem
Ab in die Tiefe
Beim Northern-Light-Projekt in Norwegen wird Kohlendioxid von der Plattform Sleipner aus
in stillgelegte Gaskavernen unter der Nordsee gepresst. Großbritannien testet ähnliche Verfahren.
Noch ist nicht sicher, ob die unterirdischen Lagerstätten dauerhaft dicht halten
Schadstoffe aus der Luft filtern
Das Schweizer Start-up Climeworks der Gründer Christoph Gebald und Jan Wurzbacher baut
Anlagen, die CO 2 mit Filtern aus Zellulose und Stickstoffverbindungen aus der Luft holen.
Auch Firmen aus den USA und Kanada produzieren solche Maschinen. Sie verbrauchen viel Energie