Neue Zürcher Zeitung - 25.10.2019

(vip2019) #1

Freitag, 25. Oktober 2019 ZÜRICH UND REGION 19


Soll sich die Wahlverliererin SP nach links oder rechts


bewegen oder auf beide Flügel setzen? SEITE 20


Immer wieder verpasst die SVP den Einzug


in den St änderat – was hauptsächlich an ihr liegtSEITE 21


Fussballpräsident schuldig gesprochen

Heinrich Schifferle wird wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung be i sein em früheren Arbeitgeber verurteilt


Der Präsident derSwissFootball


League hat dieVersicherung


seines Aston Martin über die


Firmenkasse abgerechnet


und ein dubioses Abkommen


mit seinem Zahnarzt geschlossen.


Dafür erhält er eine bedingte


Geldstrafe.


FLORIAN SCHOOP


Dies ist die Geschichte einer wüsten
Auseinandersetzung, eine Geschichte
von zweiKontrahenten, die inWinter-
thur angesehene Grössen sind – und
sich in der Öffentlichkeit aufs Übelste
bekämpfthaben.Aufder einen Seite
steht Heinrich Schifferle, der sich schon
langedemFussball verschrieben hat.
Schifferle, das frühereVorstandsmit-
glied beim FCWinterthur,Schifferle,
der Mann, der 2011 zum Präsidenten der
SwissFootball League(SFL) gewählt
wurde und damit gleichzeitig auch Mit-
glied des Zentralvorstands ist.
Auf der anderen Seite steht Günter
Heuberger, Sohn des EhepaarsRobert
undRuth Heuberger,das Mitte der
1950erJahre einregelrechtes Immobi-
lienimperium aufbaute.Ein Unterneh-
men, das eine Bilanzsumme von mehre-
ren hundert MillionenFranken aufweist
und in der Deutschschweiz 20 00 Woh-
nungen sowie mehrere Einkaufszentren
besitzt.Auch das «Banana City», der
markante Hotel- und Bürokomplex am
Winterthurer Hauptbahnhof, gehört zu
HeubergersFirmenportfolio, der Siska
ImmobilienAG.


Günter, der älteste Sohn des Ehepaars,
ist heute Siska-Verwaltungsratspräsident



  • und nebenbei auch Mehrheitsaktionär
    und Geschäftsführer vonRadio undTele
    Top. Nochvor fünfJahren lenkte jedoch
    HeinrichSchifferle die Geschicke von
    Heubergers Immobilienfirma – bis er
    KnallaufFall entlassen wurde. DerVor-
    wurf: ungetreue Geschäftsbesorgung.
    Am Donnerstag wurde Schifferle
    nun vom BezirksgerichtWinterthur in
    genau diesem Punkt verurteilt. In seiner
    früheren Tätigkeit als Siska-Geschäfts-
    führer hat er sich gemäss Urteilsdispo-
    sitiv in mehreren Punkten schuldig ge-
    macht. So hat er privateFahrzeugver-


sicherungen sowie eineAuto-Schutz-
decke für seinen Aston Martin über die
Firmenkasse abgerechnet.
Was aber schwerer wiegt, ist ein
dubioser Deal mit seinem Zahnarzt.
Schifferle hatte seit den1990erJahren
denAuftrag, dessen Buchhaltung zu
führen.Dafür musste er fürkeine sei-
ner Behandlungen bezahlen. Brisant
ist, dass nicht er selber die Bücher des
Zahnarztes bereinigte. Schifferle liess
die Arbeit durch einen Siska-Buchhal-
ter erledigen.Dabei soll derFirma laut
Anklage über dieJa hre ein Schaden von
33000 Franken entstanden sein.
Der Schuldspruch ist der vorläufige
SchlusspunkteinerAuseinandersetzung,
die im Mai 20 14 begann. Nach 27Jahren
Tätigkeit für die Siska wurde Schifferle
entlassen. Anfangs begründete man den
Schritt noch mit «unterschiedlichen An-
sichten». Doch schon bald war von «Un-
regelmässigkeiten» dieRede. Per sofort
übernahm Günter Heuberger, der äl-
teste Sohn des Gründers,dasRuder.
Heuberger warf dem geschassten Chef
vor, eine Misswirtschaft aufgezogen zu
haben. Schifferle hingegenkonterte mit
demVorwurf derRufschädigung.

Nur kurze Zeit nach der Entlassung
reichte GünterHeuberger Strafanzeige
gegen Schifferle ein. Er sprach von einer
«Lawine von Hinweisen», die den ehe-
maligen Geschäftsführer belasten wür-
den. Schifferle hingegen wehrte sich
vehement. Alle Anschuldigungen seien
komplett falsch, entgegnete er.

Lohnabrechnung veröffentlicht


Im Sommer 20 15 ging Günter Heu-
berger einen Schritt weiter. Im Inter-
net veröffentlichte er zahlreiche
Dokumente,welche Schifferle belas-
ten sollten – unter anderem den Ge-
schäftsführervertrag sowie die Lohn-
abrechnungen des entlassenen Chefs.
Schifferle erwirkte daraufhin beim Be-
zirksgerichtWinterthur eine super-
provisorische Massnahme. Heuberger
musste schliesslich die Dokumente wie-
der vom Netz nehmen.
Nach diesen hässlichen Querelen
konnten sich die beidenKontrahenten
auf eine Stillschweigevereinbarung ei-
nigen.Dann wurde es ruhiger. Bis im
Sommer 20 18 Anklage gegen Schifferle
erhoben wurde.

Überraschenderweise forderte die
Staatsanwaltschaft in mehrerenPunk-
ten einenFreispruch Schifferles.So etwa
beimVorwurf, der ehemalige Siska-Chef
habe sichregelmässig imRestaurant des
«Banana City» verpflegt und dieRech-
nung das Geschäft bezahlen lassen.Das-
selbe gilt für seine jahrelange Mitglied-
schaft im Golfklub Lipperswil, die über
dieFirmenkasse abgerechnet wurde.
Anfang Oktober stand Heinrich
Schifferle vor dem BezirksgerichtWin-
terthur. Dort stritt er erneut alle Berei-
cherungsvorwürfe ab. SeinVerteidiger
forderte einenvollumfänglichenFrei-
spruch. Schifferle habe stets im Sinne
vonRobert Heuberger, demFirmen-
gründer, gehandelt.
Der heute 97-jährige Gründer des
Immobilienimperiumskonnte aus ge-
sundheitlichen Gründen nur einmal
zu denVorwürfen befragt werden, und
zwar vor vierJahren.Damals stritt er
alle Absprachen kategorisch ab. Der
Staatsanwalt aber hielt seineDarstel-
lungen überraschenderweise für un-
glaubwürdig – und warfRobert Heu-
berger vor, sich seinerseits mit dem
Sohn abgesprochen zu haben. Er be-

gründete dies mitAussagen von Heu-
bergersTochter, dieim Elternhaus ein
Telefongespräch zwischen demVater
und ihrem Bruder Günter mitgehört
haben will.Darin sei Heuberger senior
von seinem Sohn instruiert worden, wie
er auszusagen habe.
Einen Schuldspruch Schifferles for-
derte der Staatsanwalt aber wegen der
Fahrzeugversicherungen und des Zahn-
arzt-Deals – wofür dieser nun verur-
teilt wurde. Bereits vor Gerichträumte
der frühere Siska-Chef bezüglich der
VersicherungenFehler ein. Im Alltags-
geschäft habe er die Unterlagen ver-
sehentlich an die Buchhaltung weiter-
geleitet. Und bei der Zusammenarbeit
mit seinem Zahnarzt sei er davon aus-
gegangen, dass die Siska ihm irgend-
wann eineRechnung für die Buchhal-
terdienste stellen würde.
Dem schenkte das Gericht offen-
sichtlichkeinen Glauben. Es verurteilt
Schifferle zu einer bedingten Geldstrafe
von180 Tagessätzen zu 800Franken, was
einem Betrag von 144000 Franken ent-
spricht. DerVollzug der Geldstrafe wird
aufgeschoben und die Probezeit auf drei
Jahre festgesetzt.

Konsequenzfür Präsidenten?


Zudem muss der ehemalige Siska-Chef
seiner früheren Arbeitgeberin einen
Schadenersatz von 90 00 Franken sowie
eineParteienentschädigung von über
12000 Franken bezahlen. Und schliess-
lich wird ihm einAchtel der Gerichts-
kosten aufgelastet. Doch auch Schifferle
erhält eine Entschädigung, für seine an-
waltlicheVerteidigung wird ihm ein Be-
trag in der Höhevon 72 00 0 Franken
gutgeschrieben.
In fünf Anklagepunkten spricht ihn
das Gerichtaber frei. So etwa vomVor-
wurf der Bezahlung seiner Golfklub-
Mitgliedschaft über die Firmenkasse
oder von jenem des Abrechnens privater
Tankkosten zulasten des Unternehmens.
Die schriftliche Begründung des Urteils
liegt noch nicht vor. Gegen den Entscheid
kann Berufung angemeldet werden.
Ob der EntscheidKonsequenzen für
Schifferles Tätigkeit bei derSwissFoot-
ball League haben wird, ist noch unklar.
CEO Claudius Schäfer wollte sich auf
Anfrage dazu nicht äussern, da es sich
bei dem Entscheid um ein erstinstanz-
liches Urteil handle. Zuständig für die
Wahl des Liga-Präsidenten sind aber
ohnehin die Präsidenten der zwanzig
Schweizer Profiklubs.

Urteil DG180102-K vom 24.10. 2019, noch
nicht rechts kräftig.

Bis vor fünfJahrenlenkte Heinrich Schifferle die Geschicke einerWinterthurer Immobilienfirma. PETER KLAUNZER / KEYSTONE

Schifferle muss
in den Ausstand treten
Kommentar auf Seite 13

Ein Staatsbürger und Erzähler


Zum Hinschied von Martin Haas


DIETER KLÄY


Nach einemreich erfüllten Leben ist
der ehemalige Stadtpräsident vonWin-
terthur, Martin Haas, am 13. Oktober
im Alter von 84Jahren friedlich ein-
geschlafen. Er hinterlässt eine Ehefrau,
zwei Söhneund fünf Enkel.
Der aus St. Gallen stammende und
inWinterthur wohnhafte Historiker
unterrichtete zwischen1962 und 1981
an der KantonsschuleRychenberg Ge-
schichte und prägte in dieser Zeit viele
Generationen von Mittelschülerinnen
und Mittelschülern im Geschichts- und
Politikverständnis. Selbst war Martin
Haas politisch in verschiedenenFunk-
tionen tätig. So präsidierte er die FDP
Winterthur von1976 bis zu seinerWahl


in den Stadtrat 1981.Von1971 bis 1989
nahm er Einsitz im ZürcherKantons-
rat, wo er in verschiedenen kantons-
rätlichenKommissionen zumThema
Energie, Gesundheit, Bildung, Finanz-
ausgleich sowie Kirchen- und Staats-
politik aktiv war. Zudem war er von
1975 bis1983 Mitglied der ständigen
Finanzkommission und als Präsident
der FDP-Fraktion von1983 bis 1989
im Büro des Kantonsrates.In seinem
Rücktrittsschreiben führte er aus, er
fühle sich in der parlamentarischen
Arbeit am wohlsten, wennkonstruk-
tive und tragfähige Lösungen hätten
erreichtwerdenkönnen.
Konstruktive und tragfähige Lösun-
gen strebte Martin Haas auch als Stadt-
rat und Stadtpräsident vonWinterthur

an.Von 1981 bis1986 stand er als Stadt-
rat demKulturellen vor und leitete da-
nach von1986 bis1990 das Departe-

ment Sicherheit und Umwelt. In seiner
Amtszeit als Stadtpräsident von 1990
bis 2002 hat er massgeblich den Um-
bruchWinterthurs von der Industrie-

stadt zum modernen Dienstleistungs-
undTechnologiezentrum lanciert und
mitgeprägt. Als einer der Ersten hat
Martin Haas pionierhaft die Idee des
Stadtmarketings umgesetzt. AuchAus-
senbeziehungen waren ihm wichtig.
Martin Haas engagierte sich imVo r-
stand des Schweizerischen Städtever-
bandes und wirkte in dieserFunktion
in einerKommission des Europarates
in Strassburg mit. Zudem begründete
er imJahr1989 nach dem Mauerfall
die Städtepartnerschaft zwischenWin-
terthurund Pilsen.
Martin Haas war weit über diePar-
teigrenzen hinweg sehr akzeptiert, was
sich in all seinenWahlresultaten, beson-
ders aber in seinerWahl zum Stadt-
präsidenten zeigte. Er galt als zurück-

haltende, umsichtige Persönlichkeit,
entpuppte sich aber durchaus auch
als brillanter Geschichtenerzähler, der
seineAusführungen mit zahlreichen
anekdotischen Episoden und Details
anreichernkonnte. Nach seiner poli-
tischenKarriere 20 02 widmete er sich
seinem angestammten Beruf als His-
toriker und veröffentlichte einenBand
mit Quellen zurReformation.
Mit Martin Haasverlieren die Stadt
Winterthur und der Kanton Zürich
einen engagierten Staatsbürger und
die FDP ein treuesParteimitglied und
einen gutenFreund.

DieterKläyist Präsident der FDP Winterthur
und Kantonsrat spräsident.

Martin Haas
Stadtpräsident
PD Winterthur1990–
Free download pdf