Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1

DER POLITISCHE FRAGEBOGEN


»Büdenbender,


du bist Richterin!«


Welches Gesetz haben Sie gebrochen? Diese Woche beantwortet


Elke Büdenbender, Frau des Bundespräsidenten, unsere Fragen


1 Welches Tier ist das politischste?
Die Ameise. Sie baut Staaten, sie muss
sich organisieren, und – das finde ich
einfach außergewöhnlich – es funktio-
niert.


2 Welcher politische Moment
hat Sie geprägt – außer
dem Kniefall von Willy Brandt?
Die Wiedervereinigung. Ich war in Gie-
ßen, ich habe damals studiert und habe
mit Freunden am Fernseher geklebt. Das
hat mich wirklich sehr nachhaltig beein-
druckt: zu sehen, dass man die Men-
schen am Ende doch nicht einsperren
kann, dass der Freiheitsdrang größer ist.


3 Was ist Ihre erste
Erinnerung an Politik?
Das Misstrauensvotum gegen Willy
Brandt, auch da hat die ganze Familie
vor dem Fernseher gesessen.
Was haben Sie damals empfunden, ge-
dacht?
Ich war damals noch ein Kind. Ich
wusste: Es liegt etwas in der Luft. Was
genau, das habe ich erst später ver-
standen.


4 Wann und warum haben
Sie wegen Politik geweint?
Mich hat vieles erschüttert, aber ge-
weint habe ich nur in Jad Vaschem.
Wann war das?
Bei dem Staatsbesuch 2017. Diese Hal-
le, diese Namen, ich konnte nicht an-
ders, als zu weinen. Wenn man durch
diesen Raum geht, wo die Kerzen leuch-
ten, das ist so unbeschreiblich. Man ver-
steht dann noch mal neu die Dimensio-
nen dessen, was da passiert ist.
Haben Sie versucht, sich die Tränen zu
verkneifen?
Nein. Das hätte ich auch nicht ge-
schafft.


5 Haben Sie eine Überzeugung,
die sich mit den gesellschaftlichen
Konventionen nicht verträgt?
Ich bin kein Mensch, der gegen Kon-
vention verstoßen muss.


6 Wann hatten Sie zum ersten Mal
das Gefühl, mächtig zu sein?
Das war bei einem Warnstreik Ende der
Siebziger in Gießen. Rechts und links
von mir standen die großen Männer
aus dem Stahlwerk. Da habe ich mich
richtig mächtig gefühlt. Ich dachte:
Wir stehen jetzt hier zusammen, wir
sind eine Mauer, und gegen uns kommt
jetzt keiner an. Es war ein richtiges
Aha-Erlebnis.


7 Und wann haben Sie sich besonders
ohnmächtig gefühlt?
Bei der schweren Erkrankung meiner
Mutter – weil wir nichts tun konnten.


8 Wenn die Welt in einem Jahr untergeht



  • was wäre bis dahin Ihre Aufgabe?
    Sie dürfen allerdings keinen Apfelbaum
    pflanzen.
    Das ist mir zu dystopisch. Mir würde
    noch so viel einfallen, was alles auf mei-
    ner Liste steht, Dinge, die ich noch ab-
    arbeiten möchte. Ich kann und will
    mich nicht für eine Sache entscheiden.
    Also Sie würden für eine Verlängerung
    plädieren?
    (lacht) Unbedingt. Bitte verschieben Sie
    den Weltuntergang.


9 Sind Sie lieber dafür oder dagegen?
Dafür.


10 Welche politischen Überzeugungen
haben Sie über Bord geworfen?
Dass der Sozialismus automatisch zu
einer gerechten Gesellschaft führt.
Entstand die Einsicht nach und nach,
oder gab es ein bestimmtes Ereignis?
Es war ein evolutionärer Prozess. Ich
bin 1979 in die Gewerkschaft einge-
treten. Das waren meine prägenden
politischen Jahre, ich bin mit viel Elan
und Sympathie für eine solidarische
Gesellschaft eingetreten. Aber dass das
Sozialistische das Nonplusultra ist, das
hat sich mit der Zeit verflüchtigt, nach
und nach.


11 Könnten Sie jemanden küssen,
der aus Ihrer Sicht falsch wählt?
Jemanden, der so richtig antidemokra-
tisch wählt? Nein. Da kann er auch
noch so schön sein, das ist mir voll-
kommen wurscht. Es küsst sich leich-
ter, wenn man in den Grunddingen
übereinstimmt.


12 Haben Sie mal einen Freund oder eine
Freundin wegen Politik verloren? Und


wenn ja – vermissen Sie ihn oder sie?
Ich glaube, nicht. Ich bin ja nun auch
schon 57, man verliert über die Jahre
hinweg natürlich Menschen aus dem
Blick. Aber nicht wegen Politik.

13 Welches Gesetz haben
Sie mal gebrochen?
Ich bin einmal versehentlich schwarz-
gefahren. Ich habe zwar ein BVG-Ti-
cket, aber das war in einer anderen Ta-
sche. Aber auf dem Rückweg habe ich
die Fahrkarte gekauft, weil ich dachte:
Mein Gott, Büdenbender, du bist Rich-
terin! Stell dir vor, du wirst erwischt.
Aber es war wirklich unbeabsichtigt.
Ist das alles?
Na ja. Ich bin auch mal zu schnell ge-
fahren. Dafür habe ich einen Punkt in
Flensburg bekommen.

14 Waren Sie in Ihrer Schulzeit beliebt
oder unbeliebt, und was
haben Sie daraus politisch gelernt?
Ich habe an meine Schulzeit sehr gute
Erinnerungen. Ich würde sagen, ich war
normal beliebt, der Star der Klasse war
ich bestimmt nicht. Ich habe damals
gelernt, dass man im Team viel mehr
erreichen kann. Wenn wir mit dem Un-
terricht oder mit einem Lehrer unzu-
frieden waren, haben wir uns schon
immer zusammengeschmissen und ver-
sucht, gemeinsam etwas zu tun. Ich
habe gelernt, dass das Gespräch gut ist,
dass man durch Reden immer etwas
erreichen kann. Ich habe, glaube ich,
wirklich argumentieren gelernt.

15 Welche politische Ansicht Ihrer Eltern
war Ihnen als Kind peinlich?
Meine Eltern waren mir nie peinlich.

Gab es denn manchmal politische Dis-
kussionen oder politischen Streit in Ihrem
Elternhaus?
Ja. Meine Eltern waren viel konservati-
ver als ich eingestellt, und da gab es oft
Diskussionen.

16 Nennen Sie eine gute Beleidigung für
einen bestimmten politischen Gegner.
Ich bin da nicht so kreativ. Aber ich
finde, es gab ja mal so wirkliche Hoch-
zeiten der unflätigen politischen Belei-
digungen – Wehner und Strauß. So et-
was wie »Übelkrähe«, das fand ich
schon witzig.

17 Welche Politikerin, welcher Politiker
hat Ihnen zuletzt leidgetan?
Theresa May. Als ich sah, wie die
kämpfen musste und mit welchen Un-
vernünftigkeiten sie zum Teil zu tun
hatte, habe ich schon gedacht: Wie hält
die Frau das aus? Ich dachte, das hat
niemand verdient.

18 Welche Politikerin, welcher Politiker
müsste Sie um Verzeihung bitten?
Da fällt mir keiner ein.

19 Welche Politikerin, welcher Politiker
sollte mehr zu sagen haben?
Frauenrechtlerinnen und Menschen,
die für Kinderrechte streiten. Es gibt
in unendlich vielen Ländern Frauen,
die schrecklich leiden oder nicht
gleichberechtigt sind, da muss mehr
getan werden.
Sind Sie Feministin?
Ja.

20 Welche politische Phrase
möchten Sie verbieten?

»Das wird man ja wohl noch sagen dür-
fen.« Bei uns darf man wirklich alles
sagen außer den Dingen, die unser
Strafgesetzbuch verbietet.

21 Finden Sie es richtig, politische
Entscheidungen zu treffen, auch
wenn Sie wissen, dass die
Mehrheit der Bürger dagegen ist?
Wenn man zu dem Schluss kommt,
dass etwas das Richtige ist, dann muss
man es umsetzen. Man muss auch mal
vorangehen, das gehört für mich zur
politischen Verantwortung dazu. Ich
kann nicht alle meine Entscheidungen
davon abhängig machen, wie sich ge-
rade so die Meinungen drehen.

22 Was fehlt unserer Gesellschaft?
Mut. Und Zuversicht in unsere Fähig-
keiten.

23 Welches grundsätzliche Problem
kann Politik nie lösen?
Am Ende komme ich wieder auf mein
Thema, die Gerechtigkeit. Ich glaube,
wir müssen versuchen, alle Menschen
mitzunehmen, sie teilhaben zu lassen
am Leben, an Bildung, an Entwick-
lungsmöglichkeiten. Aber ich fürchte,
das werden wir am Ende nicht immer
für alle erreichen können. Es muss
aber immer unser oberstes Ziel blei-
ben.

24 Sind Sie Teil eines politischen
Problems?
Ich? Nö.

25 Nennen Sie ein politisches Buch, das
man gelesen haben muss.
Im letzten Jahr habe ich zwei Bücher
entdeckt: Rückkehr nach Reims von Di-
dier Eribon und auch Hillbilly-Elegie
von J. D. Vance.

26 Bitte auf einer Skala von eins bis zehn:
Wie verrückt ist die Welt gerade?
Und wie verrückt sind Sie?
Bei der Welt würde ich zurzeit sagen:
sechs bis sieben. Und bei mir kommt
es darauf an, wen Sie da fragen. Ich
finde mich normal verrückt, also fünf
maximal.

27 Der beste politische Witz?
Ich bin ja Katholikin, und ich leide,
ehrlich gesagt, im Moment ein biss-
chen an meiner Kirche. Daher erzähle
ich an dieser Stelle einen Papst-Witz:
Der Papst geht durch Rom. Er trifft
einen alten Herrn und fragt ihn: »Sa-
gen Sie, könnten Sie mir sagen, wo
der nächste Supermarkt ist?« Der alte
Herr erwidert: »Ja, weiß ich, ich sag es
Ihnen aber nicht.« Darauf der Papst:
»Dann kommst du nicht in den Him-
mel.« Und der alte Mann: »Und du
nicht in den Supermarkt.« Der Witz
ist so richtig schön blöd – und un-
politisch.
Warum leiden Sie an der Kirche?
Wegen des entsetzlichen Leids der
missbrauchten Kinder, über das wir
jetzt endlich, aber dennoch viel zu spät
sprechen.

28 Was sagt Ihnen dieses Bild (siehe das
Foto von Bettina Wulff, ehemalige
Partnerin des früheren Bundespräsi-
denten Christian Wulff, links)?
Für mich zeigt es Verletzbarkeit und ein
bisschen Traurigkeit.

29 Wovor haben Sie Angst – außer
dem Tod?
Ich habe natürlich Angst, dass meinen
Liebsten etwas passiert.

30 Was macht Ihnen Hoffnung?
Hoffnung machen mir Kinder. Ich bin
ganz viel unterwegs mit jungen Leu-
ten, weil ich Bildung zu einem meiner
Hauptthemen gemacht habe. Einmal
waren wir in der Bekaa-Ebene im Li-
banon unterwegs, in einem der Flücht-
lingscamps. Die Lebensbedingungen
sind dort wirklich denkbar schlecht,
aber die Kinder spielen, die Kinder
lernen. Für sie ist das Lernen über-
haupt das Allerwichtigste. Das sind
Kinder, die haben schlechte Karten,
aber geben alles. Hoffnung machen
mir auch die Frauen, die in Indien
durch Säureattentate verletzt wurden.
Wie die aufstehen und sagen, wir neh-
men unser Leben wieder in die Hand,
das finde ich ganz großartig. Das zeigt
mir am Ende, dass die Menschen wei-
termachen können.

Die Fragen stellte
Tina Hildebrandt

Jede Woche stellen wir Politikern
und Prominenten die stets selben
30 Fragen, um zu erfahren, was sie
als politische Menschen
ausmacht – und wie sie dazu
wurden. Und wo sich neue Fragen
ergeben, haken wir nach.
Die Nachfragen setzen wir kursiv.

Bettina Wulff
(siehe Frage 28)

Die organisierte Ameise
(siehe Frage 1)

Elke Büdenbender, 57, wurde in Siegen-Weidenau geboren,
ist Richterin und seit 1995 mit Frank-Walter Steinmeier verheiratet.
Ab 2000 arbeitete Büdenbender am Verwaltungsgericht Berlin.
Nach der Wahl ihres Mannes zum Bundespräsidenten im Jahr 2017
ließ sie sich vom Richteramt beurlauben

Illustration: Alex Solman für DIE ZEIT; kl. Fotos (v. o.): Harry Schnitger; Juan Carlos Ulate/Reuters

10 POLITIK 17. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43

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