Der Stern - 17.10.2019

(Jacob Rumans) #1
Noch vor Jahren galt die Region selbst
als angeschimmelt. All die Billigtouristen,
die sich den lieblichen Moselwein in die
Kehle leerten, hatten der Gegend den Ruf
beschert, ein Rentnerballermann zu sein.
Ganz so, als hätte jemand die kreuzfidele
Schunkelzeit der Wirtschaftswunderjah-
re eingefroren.
Den Friedens gilt es heute als Glücksfall,
dass ihr kleiner Ort Nittel nie als schnucke-
lig genug galt, um dieses Klientel anzuzie-
hen. Horst Frieden hatte den Betrieb mit
großteils Fassweinproduktion übernom-
men. Wo Kühe und Kälber standen war das
Flaschenlager errichtet worden. Aber er hat
früher als andere an sein Produkt geglaubt


  • und an die natürliche Spontangärung des
    Weins, die weniger planbar ist, eigensinnig,


aber im Idealfall individuell. Er reiste zu
den großen Namen der Gastronomie, nach
Hamburg – ins berühmte Landhaus Scher-
rer. „Ich setzte mich ins Restaurant und
investierte in ein Menü, das ich mir nicht
leisten konnte, und sagte dem Kellner, er
möge dem Chef ausrichten, ein junger Win-
zer würde um ein Gespräch bitten.“ Eine
Viertelstunde habe der Spitzengastronom
Heinz Wehmann ihm widerwillig gewährt


  • aus der mehrere weinselige Stunden wer-
    den sollten. Beim Wein wie beim Weinbau-
    er gilt: Auf den Charakter kommt es an.


Eine Region wie ein Gedicht


Wenn sich frühmorgens die Mosel damp-
fend aus ihrem Bett erhebt und ihre Nebel
über die Ufer schickt, möchte man spontan
über das Naturschauspiel dichten können.
Nicht umsonst hat ein begabter Verwand-
ter der Friedens den Spruch „Wine is bott-
led Poetry“ an die Wände des Weinkellers
gesprayt. Viele sind diesem Drang erlegen


  • schon in der Römerzeit. „Man sieht durch
    deinen glatten Spiegel hinab, Strom, der
    kein Geheimnis hat“, schwärmte der
    Dichter Ausonius um das Jahr 371 in seiner
    „Mosella“ und ließ Flussnymphen in „reb-
    grünen Hügeln“ naschen. Natürlich zählt
    auch Goethe zu den Reihen der Moselrei-
    mer sowie Tucholsky, der sich langsam den
    Fluss hinabgesoffen hatte, bis der Wein bei
    Koblenz „Papa und Mama“ sagen konnte,
    „wir aber nicht mehr“.
    Auch gelehrte Geister saufen gern.
    Friedrich Engels soll stets einen Teil seiner
    „schlanken Männer“ – womit die Mosel-
    weinflaschen gemeint waren – an den Kol-
    legen Marx nach London abgetreten haben.
    Der stammte selbst aus einer Familie, die
    sich von Trier aus im Weinbau versucht
    hatte. Heute steht der alte Marx mit stei-
    nerner Miene unweit der Porta Ni gra. Das
    Denkmal hat ihm die Volksrepublik China
    zum 200. Geburtstag gesetzt. Chinesische
    Touristen strömen zu Hauf nach Trier, um
    des Philosophen Statue zu bestaunen. So-
    wie den eigenartigen Einfall, den Verfasser
    des „Kommunistischen Manifests“ als Am-
    pelmännchen zum Einsatz zu bringen.
    Dies gilt nicht als einziges Mysterium
    zwischen römischen Mauern und Fach-
    werkfassaden der Moselmetropole. Stau-
    nend betrachten Touristen die Tafeln hin-
    ter dem Tresen der Weinstube Kesselstatt.
    Geduldig übersetzt der Wirt, was es mit
    „Hobelkäse Sbrinz“ und „Himmel un’ Äd“
    auf sich hat. Dabei ist die eigentliche At-
    traktion des Lokals der Riesling aus dem
    Weingut Reichsgraf von Kesselstatt. Glück-
    lich sitzen die Urlauber dann im weinum-
    rankten Gastgärtchen, picken in dem


M


it bedeutungsvollem Gesichts-
ausdruck zeigt Horst Frieden
zum Deckengewölbe seines
Weinkellers: „Sehen Sie das?“
Man schaut und wundert sich,
denn da schimmert es bloß
schwarz und grau. Ist das Schimmel? „Ganz
genau!“, freut sich Horst Frieden und beugt
sich verschwörerisch nach vorn. „Hab ich
persönlich abgekratzt in Kellern der
Champagne, nicht ganz legal, aber sehr
hilfreich!“
So muss eine perfekte Weinreise wohl
beginnen – mit einem Prachtexemplar von
Moselwinzer, der einen gleich in die wun-
dersamen Geheimnisse seines Schaffens
einweiht. Etwa in die Wirkung dieser
„sauberen Schimmelkulturen“, welche der
Spontangärung seiner Weine zuträglich
sind. Horst Frieden und Sohn Max stehen
geradezu phänotypisch für ihre Region.
Man blickt auf eine lange Familientradi-
tion im Weinbau zurück, die leider nicht
weiter zurück als bis Mitte des 18. Jahrhun-
derts belegbar ist, da alle älteren Doku-
mente mit dem Einmarsch des verdamm-
ten Napoleons verbrannt wären. Obwohl:
nichts Schlechtes über Franzosen und
schon gar nicht Luxemburger, denen man
gegenüber – auf der anderen Flussseite –
in die Wohnzimmer schauen kann. „Wir
sind Lothringer und Teil des Pariser Be-
ckens!“, sagt Frieden senior. Dieser Fluss
soll keine Grenze sein. 4

Bei Kröv ist eine der berühmtesten
Moselschleifen zu bewundern.
Die Ansicht ziert seit 2016 eine Brief-
marke. Rechts: Winzer Horst Frieden

114 17.10.2019

GENUSS

Free download pdf