30 PANORAMA DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT FREITAG,18.OKTOBER2019
A
ls er nach seinem
Namen gefragt
wird, antwortet der
Angeklagte mit den
schlohweißen Haa-
ren ohne Zittern in der Stimme.
Laut und deutlich spricht Bruno
Johannes D. seinen vollen Na-
men ins Mikrofon. Dabei hält er
den Blick auf die Richterin Anne
Meyer-Göring gerichtet. Wie
ein Greis wirkt er nur, weil der
Rollstuhl sein hohes Alter ver-
rät: dass hier ein 93-jähriger
Mann vor Gericht steht. An sei-
ner Seite sitzt seine Tochter, die
zum Islam konvertiert ist, sie
ist ganz in Zartrosa gehüllt und
trägt eine Kopfbedeckung. Ne-
ben ihrem Vater, der wegen Be-
teiligung zum Mord in 5230 Fäl-
len im Konzentrationslager
Stutthof von 1944 bis 1945 ange-
klagt ist, wirkt sie wie ein
Fremdkörper.
VON PER HINRICHS
AUS HAMBURG
Normal aber ist an diesem
VVVerfahren ohnehin nichts. Dererfahren ohnehin nichts. Der
Zeitraum, der von der Tat bis
zur Anklageerhebung verstri-
chen ist, beträgt sieben Jahr-
zehnte, beinahe ein Menschen-
leben. Der Angeklagte ist sehr
alt, aber auch so gesund, dass
wenigstens für zwei Stunden
am Tag verhandelt werden
kann.
Und in den USA, in Israel und
in Australien leben immer noch
Männer und Frauen, die zur
Tatzeit in dem Lager waren, das
der Angeklagte zu bewachen
hatte – jenem Lager, in dem
engste Familienmitglieder er-
schossen, verbrannt, mit Gas
getötet, als Arbeitssklaven er-
mordet oder zu Tode geprügelt
wurden. Und oben, auf einem
WWWachturm, saß er, der damalsachturm, saß er, der damals
1 7-jährige SS-Schütze Bruno D.,
ein Gewehr im Arm, und passte
auf, dass die ausgemergelten
Gestalten unter ihm keine An-
stalten machten zu fliehen.
Er hörte Schreie aus der Gas-
kammer, er hörte Schüsse, er
sah die Leichenberge, all das hat
Bruno D. ja schon in den staats-
anwaltlichen Vernehmungen im
Sommer 2018 gesagt. Damit
leistete er nach der Anklage-
schrift, die Oberstaatsanwalt
Lars Mahnke verlas, in seiner
Zeit in Stutthof vom 9. August
1 944 bis zum 26. April 1945 Bei-
hilfe zum Mord in mindestens
5 230 Fällen.
Im Saal sitzen mehrere Enkel
und Urenkel von Bruno D., als
moralische Unterstützung, wie
die Richterin Meyer-Göring
sagt. Und eines bringt die ganze
AAAbsurdität dieses späten, allzubsurdität dieses späten, allzu
späten Versuchs einer Rechts-
fffindung zum Ausdruck: Es wirdindung zum Ausdruck: Es wird
nach Jugendstrafrecht über ei-
nen Greis geurteilt.
Denn der Prozess findet un-
ter Ausschluss der Öffentlich-
keit statt, weil der Angeklagte
zur Tatzeit 17 Jahre alt war und
daher eine Jugendschutzkam-
mer tagt. Nur 48 Journalisten
und einige andere Zuhörer sind
zugelassen worden. Als Ober-
staatsanwalt Mahnke die Ankla-
ge vorliest, schüttelt einer der
VVVerwandten den Kopf underwandten den Kopf und
kneift den Mund zusammen.
Bruno D. möchte an diesem
ersten Prozesstag selbst nichts
sagen, lässt aber seinen Anwalt
Stefan Waterkamp eine Entgeg-
nung auf die Anklage verlesen,
ein sogenanntes Opening State-
ment. Danach stehe er zu sei-
nen Aussagen im Ermittlungs-
verfahren, die der Staatsanwalt
als „teilgeständige Einlassun-
gen“ wertet.
Er sei allerdings nicht freiwil-
lig in die SS eingetreten, son-
dern als Wehrmachtssoldat
dorthin versetzt worden, weil
er als nicht kriegsdienstverwen-
dungsfähig eingestuft gewesen
sei. „Er war kein Anhänger des
Systems“, sagt sein Anwalt Wa-
terkamp.
Und überhaupt: Was soll die-
ser Prozess nun, mehr als 70
Jahre später? Die Justiz habe
doch alle Zeit der Welt gehabt,
warum musste dieses Verfahren
nun noch in Gang gebracht wer-
den? Schon 1975 versickerten
VVVorermittlungen der Staatsan-orermittlungen der Staatsan-
waltschaft München, und 1982
vernahm ihn die Hamburger Po-
lizei in einem weiteren Stutt-
hof-Verfahren als Zeuge. Beide
VVVernehmungen hatten keineernehmungen hatten keine
Folgen für ihn.
AAAber bedeutet dies, dass erber bedeutet dies, dass er
sich – auch juristisch – wirklich
nichts hat zuschulden kommen
lassen? Für Waterkamp scheint
das so zu sein: „Er muss sich
VVVorwürfen stellen, die sein gan-orwürfen stellen, die sein gan-
zes Leben infrage stellen und
die ihn schwer belasten.“ Für
die Ermordeten und Gepeinig-
ten, die sein Mandant bewachte,
hat der Anwalt nur einen Satz
übrig, der sich aber auch wieder
auf den Mandanten bezieht.
„Durch seinen Wachdienst kam
kein Mensch zu Schaden“, sagt
der Verteidiger. Nun solle Bru-
no D. „für alles, was geschehen
ist, verantwortlich sein“.
Er habe also keinem Men-
schen geschadet, weil er „nur“
auf dem Wachtturm gestanden
DPA
/MARKUS SCHOLZ
PAKETDIENST HERMES
Mitarbeiter starben
natürlichen Todes
Die zwei Todesfälle beim Paket-
dienstleister Hermes in Sach-
sen-Anhalt sind auf natürliche
Umstände zurückzuführen. Das
teilte die Polizei in Magdeburg
mit. Dies hätten die Obduktio-
nen ergeben. Die zwei ungeklär-
ten Todesfälle binnen weniger
Stunden hatten den Betrieb bei
Hermes in Haldensleben lahm-
gelegt und für einen Groß-
einsatz von Feuerwehr und
Polizei gesorgt. Hinweise auf
gesundheitsgefährdende Sub-
stanzen fanden die Einsatz-
kräfte jedoch nicht. Inzwischen
ist der Betrieb des Versandzen-
trums wieder in vollem Umfang
angelaufen. Durch die vorüber-
gehende Stilllegung des Be-
triebsablaufs waren rund
300.000 Sendungen liegen-
geblieben.
USA
Massachusetts droht
„Bombenzyklon“
Teile der Ostküste der USA sind
von einem schweren Sturm
heimgesucht worden. Im Bun-
desstaat Massachusetts be-
schädigte das Unwetter Strom-
leitungen und knickte Bäume
um, wie örtliche Behörden mit-
teilten. US-Medien warnten vor
der möglichen Entstehung ei-
nes besonderen und schweren
Sturms, einem sogenannten
„Bombenzyklon“. In der Nacht
waren zeitweise mehr als
430.000 Haushalte in acht Bun-
desstaaten ohne Strom. In Mas-
sachusetts allein waren rund
194.000 Haushalte betroffen,
wie eine Karte der Katastro-
phenschutzbehörde des Bun-
desstaats zeigte.
KÖLN
Zerstückelte Leiche:
Ehefrau verurteilt
Im Prozess um eine zerstü-
ckelte Leiche hat das Land-
gericht Köln die Ehefrau des
Opfers am Donnerstag wegen
Mordes zu lebenslanger Haft
verurteilt. Ihr früherer Gelieb-
ter erhielt wegen Beihilfe zum
Mord eine Freiheitsstrafe von
viereinhalb Jahren. Laut Urteil
hatte die 38-jährige Polin ihren
Mann mit „einer Vielzahl an
Messerstichen in den Oberkör-
per“ getötet. Anschließend half
der mitangeklagte 45 Jahre alte
Deutsche ihr beim Zerteilen der
Leiche im Badezimmer. Dann
versenkten die Angeklagten die
Leichenteile in der Maas in
Belgien. Mit dem Urteil folgte
das Gericht dem Antrag der
Staatsanwaltschaft.
LÖRRACH
Rektorin schließt
ihre Grundschule
Wegen Sicherheitsbedenken hat
eine Rektorin im südbadischen
Lörrach eigenmächtig ihre
Grundschule geschlossen. Einer
Elternbeirätin zufolge hatte in
der vergangenen Woche eine
Deckenlampe einen Schwel-
brand in der Schule ausgelöst.
Das Gebäude sei dringend sa-
nierungsbedürftig. Die Stadt
muss nun nach Angaben des
Regierungspräsidiums über-
prüfen, ob die Sicherheit in der
Schule gewährleistet ist. Dem
Kultusministerium zufolge
wurden in den vergangenen
Jahren über zwei Milliarden
Euro in die Sanierung der ba-
den-württembergischen Schu-
len investiert. Der Sanierungs-
stau habe so bereits ein gutes
Stück abgebaut werden können.
KOMPAKT
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Enkel folgt dem späten Prozess