Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
Kundgebung
in Jena:
Nach zwei Wahl-
kampfniederlagen
im Osten steht
Teuteberg
unter
Erfolgszwang.

dpa

Teuteberg


muss viel


schärfer,


pointierter,


inhaltlich


stärker


auftreten.


Andrea Römmele
Professorin an der
Hertie School of
Governance

Tanja Kewes Erfurt

E


s riecht nicht ein bisschen nach Kuh-
mist in Frohndorf bei Sömmerda in
Thüringen an diesem Tag. Es stinkt. Es
stinkt, wie 1 000 Kühe eben stinken,
die in offenen Laufställen unterge-
bracht sind und natürlich alle Exkremente fallen
lassen. Der Gestank ist atemraubend.
Linda Teuteberg lässt sich den Atem nicht rau-
ben. Die Generalsekretärin der FDP entsteigt ihrem
5er-BMW wie in der Taft-Haarspray-Werbung: Die
blonde Lockenfrisur steht, der Blazer, die Bluse,
die Ballerinas sitzen, und Teuteberg hat auch noch
genug gute Luft, um zu lächeln. Sie lächelt dieses
freundlich-neutrale Lächeln mit dem leicht geöff-
neten Mund und den hochgezogenen Mundwin-
keln, das schon in ihrer noch kurzen Amtszeit zu
ihrem Markenzeichen geworden ist.
Den Gestank von Kuhmist wegzulächeln dürfte
in dieser Zeit eine ihrer leichtesten Übungen gewe-
sen sein. Teuteberg hat seit fünf Monaten ein Amt
inne, das sehr herausfordernd ist. Die 38-Jährige ist
Generalsekretärin der FDP, einer Partei, die es
zwar im September 2017 nach nur einer Legislatur-
periode in der außerparlamentarischen Opposition
mit 10,7 Prozent der Stimmen prompt wieder ge-
schafft hat, in den Deutschen Bundestag einzuzie-
hen; einer Partei aber auch, deren Spitzenpersonal
es seitdem in der politischen Großwetterlage sehr
schwerfällt, sich zu positionieren.
Die FDP kann derzeit nicht von der Schwäche
der beiden sogenannten Volksparteien CDU und
SPD profitieren. Sie verharrt seit Monaten Umfra-
gen zufolge deutschlandweit bei rund acht Prozent.
Ja, sie droht sogar zwischen den beiden neuen gro-
ßen kleinen Parteien, den Grünen und der AfD,
zerrieben zu werden, die in Umfragen deutlich
zweistellig liegen. Für diese Lage wird neben Par-
teichef Christian Lindner zunehmend auch Teute-
berg mit verantwortlich gemacht. Sie sei zu un-
sichtbar, zu still, zu wenig krawallig, lächele nur.
In ihrer erst kurzen Amtszeit musste die gebürti-
ge Brandenburgerin schon zwei Wahlniederlagen
mit vertreten: Die Landtagswahlen in Brandenburg
und Sachsen im September endeten für die FDP de-
saströs. Die Liberalen scheiterten an der Fünfpro-
zenthürde und sind weiter nicht in den Landtagen
vertreten. In Thüringen, wo am 27. Oktober gewählt
wird, besteht zumindest noch die Hoffnung, dass
Spitzenkandidat Thomas Kemmerich und seine li-
beralen Getreuen den Wiedereinzug schaffen. Für
Teuteberg wäre das ein erster, notwendiger Erfolg.

D


amit das gelingt, dafür ist Teuteberg
als „Chefwahlkämpferin“ an diesem
Tag in Erfurt und Umgebung unter-
wegs. Sie – und auch andere Spitzen-
liberale wie Lindner und sein Vize
Wolfgang Kubicki – bringen sich ein, wie sie es in
Brandenburg und Sachsen nicht getan haben. In
Thüringen geht es auch um die eigene Ehre.
Teuteberg ist an diesem Morgen aus Berlin nach
Erfurt gekommen. Spät am Abend geht es weiter
nach Jena. Ein Fahrer bringt sie von Termin zu Ter-
min. Stets eine Autolänge voraus: Thomas Kemme-
rich. Er und Teuteberg sind ein ungleiches Paar,
schätzen sich aber eigenen Aussagen zufolge sehr.
Er ist ein kräftiger Fast-Zwei-Meter-Mann mit
Glatze, lauter Stimme, von Haus aus Unternehmer,
gebürtiger Aachener, aber seit der Wende in Thü-
ringen tätig, bekannt für klare Kante. So tönt er
beim Ausstieg aus seinem Dienstwagen in Sömmer-
da: „Puuuh, extrem gute Landluft hier ...“ Und auf
seinen Wahlplakaten steht: „Endlich eine Glatze,
die in Geschichte aufgepasst hat.“
Sie dagegen: eine zierliche Blondine, Juristin
(Verwaltungsrecht), die lieber lächelt und zuhört
als poltert und alles besser weiß. Erfahren im poli-

tischen Betrieb, im unternehmerischen eher im
Auszubildendenstatus. Dass man sie nicht unter-
schätzen sollte, das hat sie schon früh bewiesen.
Teuteberg gewann 2013 den Pro-Sieben-Wettkampf
„Absolute Mehrheit“ von und mit Stefan Raab.
Das ungleiche Paar steht inzwischen am Kuhstall
der Agra GmbH in Sömmerda und hört sich die
Sorgen und Fragen von Geschäftsführer Sylvio Key
an. Der mittelgroße und kräftige Mann mit dem
Schnurrbart und der Steppweste über dem Hemd
klagt über die neue Düngemittelverordnung, die
Verteuflung des landwirtschaftlichen Großbetriebs
(„Ich soll 400 meiner 1 000 Kühe verkaufen ...?!“)
und die durch Brüssel überbordende Bürokratie.
Seine Litanei endet in der resignierenden Aussage:
„Ich finde nur Restriktionen. Ich fühle mich wie
Don Quijote!“
Teuteberg lächelt, hört zu, nickt, lächelt, fragt
nach („Quersubventionierung?“), nickt, kommen-
tiert („Wollen wir ehrlich sein ...“), lächelt. Wäh-
rend des Gesprächs mit Key schreibt sie Stichpunk-
te in ihr kleines blaues Notizbuch, das sie stets bei
sich trägt. Sie wirkt ehrlich interessiert und kennt
sich auch aus. Die Lage der ostdeutschen Bauern
ist ihr aus ihrer Zeit als Landtagsabgeordnete in
Brandenburg grundlegend vertraut. Und sie weiß:
Die früheren DDR-Großbetriebe sind quasi der Mit-
telstand und die Industrie weiter Teile Ostdeutsch-
lands. Und die Geschäftsführung und Mitarbeiter
sind somit potenzielle FDP-Wähler. Ob Key dazu ge-
hören wird, ist fraglich. „Sie ist eine gute Zuhöre-
rin“, lobt er nach dem Gespräch, und sagt weiter:
„Ich hätte mir aber mehr Dialog gewünscht und
auch Aussagen, was sie für uns tun kann.“

E


s ist Wahlkampf. Die Brandenburgerin
soll mit diesen und anderen Einsätzen
ihrer Partei im Allgemeinen und einer
Person im Speziellen dienen: Christian
Lindner. Der 40-Jährige hat die Partei
aus der traurigsten Phase ihrer Geschichte heraus-
geführt: der außerparlamentarischen Opposition.
Im Frühjahr entschied sich der Parteivorsitzende
überraschend für Teuteberg als neue Generalsekre-
tärin. Beobachter hatten seinen alten Parteifreund
Johannes Vogel an seiner Seite gesehen. Doch Lind-
ner ist schlau genug, seinem eigenen Impuls zu fol-
gen. Die Juristin hatte sich zuletzt als Sprecherin
bei dem umstrittenen Thema Migrationspolitik gut
geschlagen: hart in der Sache, weich im Ton.
Das Duo Lindner/Teuteberg erscheint auch vielen
Beobachtern und Parteifreunden eine Erfolg ver-
sprechende Konstellation: Mann und Frau; beide
jung, aber politisch erfahren; beide eloquent; er, ein

eher scharfer Charakter, der gerne auch mal austeilt;
sie, ein kontrollierter Typ, der den Ausgleich sucht.
Nicht umsonst ist ihr Markenzeichen ihr Lächeln
und sein Markenzeichen seine krausgezogene Stirn.
Der Parteitag bestellt Teuteberg mit 92,7 Prozent
der Stimmen. Sie nimmt das Amt ohne zu zögern
an. „Das ist mein Traumjob“, sagt sie in Erfurt, und
weiter: „Ich mache Politik, um gehört zu werden,
etwas auslösen zu können. Als Abgeordnete war
ich bisher nur in der Opposition. Dieses Parteiamt
gibt mir große Freiheit und Einfluss.“
Doch in der politischen Realität lässt der Erfolg bis-
her auf sich warten. So genial Lindner die FDP wie-
der auf die große politische Bühne zurückgebracht
hat, so übermütig dominiert er die Partei seitdem.
Sein Führungsstil wird deshalb selbst schon von Po-
litikwissenschaftlern wie Karl-Rudolf Korte von der
Universität Duisburg-Essen kritisiert. „Ich mache mir
Sorgen um ihn. Christian Lindner sieht plötzlich alt
aus. Sein Stil, seine schneidige Selbstgewissheit
kommt bei der bildungsbürgerlichen Klientel derzeit
nicht an.“ Seine Empfehlung an Lindner: Er sollte
„räsonierender und reflektierender“ auftreten.
Und Teuteberg? „Es braucht in diesem Amt kein
zweites Alphamännchen. Teuteberg muss dennoch
viel schärfer, pointierter, inhaltlich stärker auftre-
ten. Sie dringt in der großen Öffentlichkeit mit ih-
ren Thesen derzeit gar nicht durch. Ein Generalse-
kretär ist ein Kampfhund, kein Schoßhund. Diese
Rolle muss sie ausfüllen, sonst ist sie auf Dauer eine
Fehlbesetzung“, sagt Andrea Römmele, Professo-
rin für politische Kommunikation an der Hertie
School of Governance, und weiter: „Teuteberg
steht unter Beobachtung. Als Generalsekretärin ist
sie für die Wahlkampfstrategie verantwortlich.
Wenn die FDP in Thüringen wieder keine fünf Pro-
zent holt, kriegt sie ein Problem.“

F


ür Teuteberg geht es deshalb um viel
an diesem Wahlkampftag in Erfurt. Um
12 Uhr ist sie zum Lunch der Familien-
unternehmer in der Weinstube im Ho-
tel Zumnorde geladen. Sie kommt
leicht verspätet, das Essen ist schon bestellt, die
Gläser bis auf ihres gefüllt. Sie entschuldigt sich,
legt ihre Handtasche ab, stellt sich an den Tisch
und legt los. Sie spricht 20 Minuten. In ihrer Tisch-
rede kommt alles vor, was das Unternehmerherz
begehrt: niedrigere Steuersätze, höhere Investiti-
onsquote, hehre Mittelstandskultur, weniger Büro-
kratie, schneller Breitbandausbau, Überregulie-
rung ... Und Thomas Kemmerich macht den Sack
zu, schließt mit: „Wie Linda schon sagte: Brauchen
wir erst eine Rezession, um wach zu werden? Es
macht dieses Mal absolut Sinn, uns zu wählen!“
Die anwesenden Unternehmer nicken, lehnen
sich zurück, lassen das servierte Essen stehen und
kalt werden, hören zu, erwidern ihre Blicke. Sie
fühlen sich gut unterhalten, auch abgeholt, aber
richtig begeistert ist keiner. „Überzeugt hat mich
der Auftritt nicht!“, konstatiert Andreas Lißner, Ge-
schäftsführer des Medizintechnikunternehmens
Asskea. Und Colette Boos-John, Geschäftsführerin
des Bauunternehmens Bauer und Landesvorsitzen-
de der Familienunternehmer in Thüringen, sagt:
„Teuteberg bringt auf jeden Fall frischen Wind rein.
Leider war der Auftritt viel zu kurz, es blieb kaum
Zeit zum Austausch.“ Nicht umsonst hätten die Un-
ternehmer längst eine eigene, parteipolitisch unge-
bundene Kampagne gestartet, in der sie für „stabi-
le politische Verhältnisse und ein weltoffenes Klima
in unserem Land“ werben.
Der Auftritt zeigt beispielhaft, was weder der
FDP im Allgemeinen noch der Generalsekretärin
im Besonderen gerade gelingt: ihre Klientel zu be-
geistern. Die Meinungen darüber, wie Teuteberg ih-
rer Partei als Sekretärin zu dienen hat, gehen dabei

Unter Beobachtung


Linda Teuteberg ist die neue Generalsekretärin der FDP. Mit ihrer sachlichen Art will


sie die Wähler von liberalen Werten überzeugen und ihre Partei aus dem


Stimmungstief führen. Gelingt der FDP in Thüringen der Wiedereinzug in den Landtag,


ist das auch ihr Erfolg. Scheitert sie, könnte das ihre Position deutlich schwächen.


Report


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WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
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