Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
kommen abschließen, die USA hingegen sehr eng
begrenzte Deals, die kaum mit den WTO-Regeln
vereinbar sind.

So wie gerade mit China?
Was sie jetzt mit China vereinbart haben, was soll
das sein? China kauft mehr Agrargüter, und die
USA verhängen keine weiteren Zölle – ist das ein
Deal? Ein Handelsabkommen ist es jedenfalls nicht.

Eher ein Waffenstillstandsabkommen.
Es ist immer gut, die Wogen etwas zu glätten. Aber
die Vereinbarung löst keines der großen Probleme.

Europa wird zum Kollateralschaden des Konflikts
zwischen USA und China. Die exportabhängige
deutsche Wirtschaft taumelt bereits am Rande
der Rezession.
Auch die gesamte EU leidet darunter, ebenso wie
die Weltwirtschaft. Ich höre von vielen Unterneh-
men, dass sie Investitionen auf Eis legen, und zwar
sowohl in den USA als auch in China. Die Unsicher-
heit ist groß, nichts mögen Investoren weniger.

Der Handelskonflikt zwischen USA und China ist
politisch stark aufgeladen. Ist eine Einigung da
überhaupt noch möglich?
Wer weiß das schon.

Worum geht es Ihrer Meinung nach? Um den
Kampf um die Vorherrschaft?
Der Konflikt hat viele Ebenen. Die USA kritisieren
zum einen das Verhalten Chinas – dass China seine
Industrie subventioniert, Überkapazitäten schafft,
die Preise verdirbt und Know-how stiehlt. All das
teilen wir. Aber es geht auch um die Angst vor Do-
minanz: Laut Prognosen wird Chinas Wirtschaft in
15 Jahren größer sein als die US-amerikanische.

Geht es Trump auch um die wirtschaftliche Ent-
koppelung von China, um De-Globalisierung?
Der Präsident hat seinen Wählern „America first“
versprochen. Das bedeutet auch, die Abhängigkeit
von anderen Ländern und globalen Wertschöp-
fungsketten zu reduzieren und abgewanderte Fer-
tigung zurückzuholen. Insofern ist er konsistent.

Wird die Strategie funktionieren?
Ich glaube nicht. Die Entkoppelung ist in einer mo-
dernen Ökonomie kaum erreichbar und auch nicht
erstrebenswert.

Sie waren bei dem Treffen von Jean-Claude Juncker
und Trump im Weißen Haus dabei, und sprechen
regelmäßig mit Trumps Beratern. Haben Sie ein
Gespür entwickelt, wie der US-Präsident denkt?
Einige Dinge sind recht offensichtlich. Diese Regie-
rung mag Zölle und setzt sie gerne als geopoliti-
sches Instrument ein. Sie misst den Wert von Han-
delsbeziehungen einzig in Handelsdefiziten oder
-überschüssen. Sie misstraut China, und sie miss-
traut dem Multilateralismus. Aber was diese Regie-
rung stattdessen anstrebt, das ist mir weniger klar.

Ist Trump ein Ideologe oder flexibel genug, um
Kompromisse zu machen?
Es steht mir nicht zu, den US-Präsidenten mit
Schlagwörtern zu beschreiben. Aber es ist sehr
schwer vorherzusagen, was aus dem Weißen Haus
kommt. Die Stimmung schwankt bisweilen. Es fällt
mir immer noch schwer, das wirklich zu verstehen.

Die USA blockieren die Berufung neuer Richter an
der Berufungsinstanz der WTO, Mitte Dezember
dürfte das Streitschlichtungsgremium handlungs-
unfähig werden. Was passiert dann?
Dann wird nur noch die erste Instanz übrig sein,
viele der komplizierten Fälle gehen aber in die
zweite. Sollte es dazu kommen, wäre das sehr be-
dauerlich. Die USA sind bislang nicht bereit, sich
mit dem Problem auseinanderzusetzen. Sie haben
alle unsere Reformvorschläge abgelehnt, aber sie
sagen auch nicht, was sie stattdessen wollen.

Die EU will ein Streitschlichtungsgremium paral-
lel zur WTO aufsetzen, wenn die USA weiter blo-
ckieren. Finden Sie dafür genügend Mitstreiter?

Wir brauchen dazu eine kritische Masse von Län-
dern, und die haben wir noch nicht. Viele Länder
halten sich bislang bedeckt. Ich hoffe, das ändert
sich, wenn die Krise wirklich akut werden sollte.

Wird die EU künftig robuster auftreten und stär-
ker ihr wirtschaftliches Gewicht nutzen müssen,
um politische Interessen durchzusetzen? Die
neue Präsidentin Ursula von der Leyen spricht da-
von, sie wolle eine „geopolitische Kommission“.
Wenn wir uns in der EU einig sind, können wir viel
erreichen. Die von uns abgeschlossenen Freihan-
delsabkommen zeugen davon, und sie senden
auch ein politisches Signal. Aber wenn wir uns
nicht verständigen können, bekommen wir ver-
wässerte Stellungnahmen zu den großen Konflik-
ten in der Welt. Das schwächt uns.

Sollten die EU-Staaten also künftig in außenpoliti-
sche Fragen nicht mehr einstimmig, sondern mit
Mehrheit entscheiden?
Ich hielte das für richtig. Aber dafür wäre eine Än-
derung der EU-Verträge nötig, und das ist ein sehr
schwieriges Thema für viele Mitgliedstaaten. Aber
man könnte ja mit wenigen Fragen anfangen.

Was halten Sie von den Überlegungen, Investitio-
nen aus Ländern wie China in der EU noch genau-
er zu prüfen?
Ich habe nichts dagegen. Allerdings haben wir ja
gerade erst einen neuen Koordinierungsmechanis-
mus auf EU-Ebene für das Screening solcher Inves-
titionen beschlossen. Dieser sollte sich erst einmal
einspielen. Die Diskussion darüber hat schon viel
bewegt: Mein Heimatland Schweden etwa hat den
Mechanismus lange abgelehnt, aber nun gibt es
auch dort Vorschläge, ein eigenes Kontrollsystem
einzuführen.

Sie selbst propagieren, über Handelsabkommen
die europäischen Werte und Ziele zu exportieren ...
Und es funktioniert! Vietnam hat gerade damit be-
gonnen, auf unseren Druck hin sein Arbeitsrecht
zu reformieren.

Können Sie über das Mercosur-Abkommen auch
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro dazu bewegen,
den Regenwald im Amazonas zu schützen?
Das Abkommen ist jedenfalls ein sehr wichtiges In-
strument dafür. Die brasilianische Regierung hat
darin verbindlich zugesagt, ihre Verpflichtungen
aus dem Pariser Klimaschutzabkommen etwa zur
Aufforstung zu erfüllen. Und ich habe dem Außen-
minister klar gesagt: Wenn Sie diese Zusagen nicht
erfüllen, werden wir das Abkommen nicht ratifizie-
ren können. Es ist aber ein sehr wichtiges Abkom-
men für Brasilien und die Bemühungen der Regie-
rung, die eigene Wirtschaft zu reformieren.

Sie haben 2014 als Handelskommissarin angefan-
gen, auf dem Höhepunkt der Proteste gegen TTIP.
Sie enden mit Mercosur, das ebenfalls viele Bürger
besorgt. Warum ist Freihandel so umstritten?
Die meisten Europäer unterstützen den freien
Handel. Sechs von zehn Bürgern sagen in einer
noch unveröffentlichten Eurobarometer-Umfrage,
dass sie davon profitieren. Das sind 16 Prozent-
punkte mehr als 2010. Früher ging es bei Handels-
abkommen nur um die Abschaffung von Zöllen.
Heute geht es um sehr viel mehr. Um Themen, die
die Menschen bewegen: den Regenwald, die Si-
cherheit unserer Lebensmittel, die Arbeitsbedin-
gungen. Der Handel wird für viele Probleme in die
Haftung genommen, kann sie aber allenfalls teil-
weise lösen. Die Verantwortlichen müssen des-
halb erklären, was wir erreichen können, und was
nicht.

Sie persönlich betrifft das bald nicht mehr. Was
werden Sie künftig machen?
Ich verlasse die Politik. Ich gehe zurück nach
Schweden und habe vor, mein Wissen weiterzuge-
ben, solange es noch frisch und wertvoll ist.

Frau Malmström, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Till Hoppe.

Jens Gyarmaty/VISUM Leben Malmström
wurde 1968 in Stock-
holm geboren, ist ver-
heiratet und hat Zwil-
linge. Sie spricht flie-
ßend Englisch, Fran-
zösisch und Spanisch,
beherrscht zudem ein
wenig Deutsch und
Italienisch.

Karriere Sie ging
Ende der 80er-Jahre
für die Partei Libera-
lerna in die Politik.
1999 wurde sie Euro-
paabgeordnete, 2006
Europaministerin
Schwedens. Seit 2010
ist sie EU-Kommissa-
rin, zunächst für Inne-
res, dann für Handel.
Der neuen Kommis-
sion wird sie nicht
mehr angehören.

Vita Cecilia
Malmström

Es ist ein wenig ruhiger geworden darum. Aber wir
wissen nicht, was der Präsident denkt. Er hat auch
in seinen Gesprächen mit Vertretern der Mitglied-
staaten keine Hinweise gegeben. Wir stellen aber
fest, dass in der US-Industrie nur wenige die Auto-
zölle für eine gute Idee halten.


Es heißt, auch Trumps Handelsbeauftragter Ro-
bert Lighthizer lehne Autozölle ab.
Manche Berater raten ihm wohl dazu, andere da-
von ab. Die Frage wird sein, auf wen er hört.


Sollte sich der Präsident für Autozölle entschei-
den: Wie wird die EU reagieren?
Die Mitgliedstaaten haben schon im Frühjahr ent-
schieden, in dem Fall die Handelsgespräche abzu-
brechen und Gegenzölle zu erheben.


Bereits an diesem Freitag dürfte die US-Regierung
Strafzölle gegen die EU verhängen. Sie will die an
Airbus beteiligten Staaten so dazu bringen, die
Hilfen für den Flugzeugbauer einzustellen. Wird
ihr das gelingen?
Wir sind dazu bereit, aber nur, wenn es auf Gegen-
seitigkeit beruht. Viele der alten Subventionen für
Airbus wurden bereits abgeschafft, und die vier
Mitgliedstaaten werden natürlich die Vorgaben der
Welthandelsorganisation befolgen. Aber Boeing hat
auch viele Fehler gemacht, und der Bundesstaat
Washington subventioniert das Unternehmen bis
heute. Deshalb haben wir vorgeschlagen, über die
fünf oder sechs Bereiche zu reden, in denen Hilfen
fließen. Und die Zölle so lange auszusetzen.


Die US-Regierung will aber bei sich selbst kein
Fehlverhalten erkennen. Ist eine Spirale aus Zöl-
len und Gegenzöllen daher unvermeidlich?
Die US-Strafzölle werden am Freitag sehr wahr-
scheinlich in Kraft treten. Wir erwarten, dass die
WTO uns zu Vergeltungsmaßnahmen in ähnlicher
Höhe ermächtigen wird, der Schiedsspruch dürfte
Anfang nächsten Jahres kommen. Unsere Zolllisten
dafür sind mehr oder weniger fertig. Wir werden
dann mit den Mitgliedstaaten darüber diskutieren,
wie wir verfahren.


Diese US-Regierung verlangt stets viel von den an-
deren und will selbst wenig geben. Kann man mit
ihr überhaupt Deals schließen?
Es ist schwierig. Wir wollen zudem umfassende Ab-


Wirtschaft & Politik
1


WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
9

Free download pdf