Axel Höpner München
E
ine der wichtigsten Ent-
scheidungen in seiner
Karriere traf Martin
Schnaack sehr früh.
Gleich bei der ersten
Physikvorlesung stellte er fest, dass
das nicht seine Welt ist, und brach
das Studium ab. Stattdessen organi-
sierte er 1985 in München eine Mode-
messe für junge Designer. Für Mode
interessierte er sich zwar weniger als
für Physik. „Doch ich dachte, ich
könnte schnelles Geld verdienen und
schöne Mädchen kennen lernen“, er-
innert sich der 56-Jährige heute.
Der Rest ist ein Stück deutscher
Marketinggeschichte. Die Messe
schlug ein, viele Sponsoren interes-
sierten sich für die Veranstaltung.
Und so erfand Schnaack mit seiner
Agentur das, was man heute Event-
marketing nennt. Früher als andere
erkannte der Unternehmer, dass
Markenerlebnisse und Emotionen
mindestens so wichtig sein können
wie das Produkt selbst. So inszenier-
te er Präsentationen und Roadshows
für Mercedes und Porsche. Für die
Einführung eines neuen Joghurt-
drinks errichtete er Pop-up-Bars, in
denen sich die Zielgruppe der Millen-
nials an den Wänden künstlerisch be-
tätigen konnte.
Von einer „Experience Economy“
spricht Schnaack. „Man muss die
Menschen aus ihrer Lethargie he-
rausholen und begeistern“, sagt er.
Die Brand Experience – also die Er-
fahrung mit der Marke – soll die po-
tenziellen Kunden zu Fans machen.
Wichtig dabei: Die Erlebnisse müssen
„instagramable“ sein, das Erlebnis
soll auf den digitalen Kanälen mit an-
deren geteilt werden.
Das Konzept ist aufgegangen.
Avantgarde hat den Umsatz stetig alle
fünf Jahre verdoppelt. In diesem Jahr
dürfte der Honorarumsatz laut Bran-
chenschätzungen bei knapp 100 Mil-
lionen Euro liegen, der Gesamtum-
satz zum Beispiel inklusive des Perso-
nalvermittlers Avantgarde Experts
bei deutlich mehr als 200 Millionen
Euro.
Nun steht der nächste große Ein-
schnitt bevor. Der Finanzinvestor
EMH Partners hat die Mehrheit über-
nommen. „Mittelfristiges Ziel ist ein
Börsengang“, sagte Schnaack dem
Handelsblatt. Mit dem Eigentümer-
wechsel – zuvor hatte Afinum eine
Minderheitsbeteiligung gehalten –
soll sich Avantgarde von der Inhaber-
agentur zu einem managementge-
führten Unternehmen wandeln.
Seine unkonventionelle Art hat
sich Schnaack bewahrt. Der Unter-
nehmer trägt Jeans und Turnschuhe,
die Haare sind im Künstlerstil schul-
terlang. Ein Chefbüro gibt es in den
neuen loftartigen Räumen im Werk 3
in München nicht. Und mit den Mit-
arbeitern diskutiert Schnaack gern
über Politik. Für die AfD würde er
nicht arbeiten, seine Steuern zahlt er
gern. „Das Geld wird gut investiert,
zum Beispiel in Bildung.“
Nur die früheren basisdemokrati-
schen Vorstellungen haben sich ein
wenig abgeschliffen. Nach dem Um-
zug wollte die Belegschaft in allen
Räumen Klimaanlage. Aus ökologi-
schen Gründen lehnte Schnaack das
ab. Im Zweifel hat der Chef das letzte
Wort.
Eventmarketing ist heute wichtiger
Bestandteil der Werbeplanungen von
Unternehmen. Der Branchenverband
Famab schätzt, dass die größeren Un-
ternehmen in Deutschland zuletzt et-
wa 31 Milliarden Euro für Kommuni-
kation ausgaben. Knapp ein Viertel
davon entfalle auf „integrierte Mar-
kenerlebnisse“ – davon wiederum et-
wa die Hälfte oder 3,7 Milliarden
Euro auf Messen. Dem Verband ist
Schnaack nie beigetreten.
Er sieht sich ohnehin schon einen
Schritt weiter. Seine Agentur will
nicht nur einprägsame Events für Fir-
men organisieren, damit die ihre Pro-
dukte besser verkaufen können. Er
will mit Avantgarde verstärkt die Un-
ternehmen bei der Entwicklung neu-
er Geschäftsmodelle beraten. Denn
wenn der Besitz eines Produkts weni-
ger zählt als das Erleben, hat das
Konsequenzen fürs Kerngeschäft.
Im Zeitalter des autonomen Fah-
rens könnten Autohersteller zum Bei-
spiel Rennstrecken betreiben, auf de-
nen leidenschaftliche Autofahrer
noch selbst am Steuer sitzen können,
schlägt er zum Beispiel vor. Oder viel-
leicht werde es für einen Hersteller
von Luxuskoffern sinnvoll sein, Rei-
sen zu veranstalten und dabei die
Koffer an die Kunden zu verleihen.
„Gerade Konsumgüterhersteller müs-
sen sich extrem umstellen.“
Fahrradwerke in Afrika
Für Avantgarde verspricht dies Poten-
zial. Im kommenden Jahr inszeniert
die Agentur den Auftritt von Volkswa-
gen bei der Fußball-Europameister-
schaft und baut den Pavillon von
Großbritannien auf der Expo. Unter
dem neuen Mehrheitseigentümer soll
es mit zweistelligen Wachstumsraten
weitergehen. Auch vor dem Konjunk-
turabschwung ist Schnaack nicht
bange. Noch spüre man die Flaute
nicht. Die Unternehmen müssten alte
Produkte aus den Lagern bekommen
und die neuen Innovationen wie
Elektroautos auf die Straße bringen.
Den Umsatz will er weiter alle fünf
Jahre verdoppeln, auch in der neuen
Eigentümerstruktur. Vor vier Jahren
war Afinum mit einer Minderheitspo-
sition eingestiegen, als kleinere An-
teilseigner verkaufen wollten. Nun
verkaufte der Finanzinvestor die An-
teile an EMH Partners, Schnaack und
andere Partner gaben weitere ab. So
kommt der neue Investor auf eine
Mehrheit. Der Gründer ist aber wei-
ter maßgeblich beteiligt und bleibt
die nächsten Jahre an Bord.
„Der Brand Experience Markt ver-
spricht in Zukunft hohe Wachstums-
raten sowie großes Digitalisierungs-
potenzial und ist daher für Invest-
ments besonders attraktiv“, sagte
EMH-Partner Thomas von Werner.
Die Fonds sind bereits unter ande-
rem an der Medizintechnikfirma
Brainlab und dem Beleuchtungsspe-
zialisten Occhio beteiligt.
Für Schnaack ist der Eigentümer-
wechsel auch ein Weg, das Thema
Übergang zu klären. Schnaack sieht
sich aber noch einige Jahre als Im-
pulsgeber, der immer wieder alles in-
frage stellt. Doch ewig will er nicht
weitermachen. An Hobbys mangelt
es ihm ohnehin nicht. Der sportliche
Unternehmer ist ein leidenschaftli-
cher Radfahrer, der mal mit dem
Rennrad den Mount Ventoux in der
Provence erklimmt und mal in zwei
Tagen mit dem Mountainbike zum
Gardasee fährt. Zudem liest er viel.
Aber auch unternehmerisch hat er
noch einiges vor. Eine Fahrradfirma
aufzubauen schwebt ihm vor, mit
Produktionsstätten bei Flüchtlingsla-
gern in Afrika. Dem Visionär geht es
nicht darum, einfache Fahrräder für
den lokalen Gebrauch zu fertigen.
Modernste Räder will er bauen und
in aller Welt verkaufen. „Ich weiß,
wie man eine Weltmarke aufbaut.“
Die „Brand Experience“ wird dabei
eine Rolle spielen, so viel ist gewiss.
Martin Schnaack
Der Erlebnis-Vermittler
Der Gründer der Agentur Avantgarde hat das Eventmarketing in
Deutschland mitbegründet. Nun hat ein Finanzinvestor die Mehrheit
übernommen. Mittelfristig ist ein Börsengang geplant.
Martin Schnaack:
Mit seiner Agentur
Avantgarde hat er
den Umsatz alle fünf
Jahre verdoppelt.
Avantgarde
Familienunternehmen
des Tages
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DONNERSTAG, 17. OKTOBER 2019, NR. 200
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