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in letztes Mal noch soll er die
ganz große Bühne bekommen,
wenn am Freitag in der Münch-
ner Olympiahalle der CSU-Par-
teitag beginnt. Tausend Ausga-
ben sollen bereitliegen, für jeden Delegier-
ten eine. Die Damen und Herren werden
die historische Stunde bestimmt zu würdi-
gen wissen und sich, wenn die Antragsbera-
tung wieder mal nicht ihre komplette Auf-
merksamkeit erfordert, statt in ihr Smart-
phone in denBayernkuriervertiefen. Um
der guten alten Zeiten willen.
Wenn derSpiegelaus Hamburg das
Sturmgeschütz der Demokratie war, dann
war derBayernkurier der Stutzen des
Gebirgsschützen Franz Josef Strauß.
„Nicht das meinungslose, verschwomme-
ne Sowohl-als-auch“, forderte Strauß von
seinem persönlichen Kampfblatt, „son-
dern das klare und jedermann einsichtige
Entweder-oder“. Und derBayernkurierlie-
ferte. Zu seiner, na ja, besten Zeit war er kei-
ne Münchner Regierungszeitung; es war
ein Bonner Oppositionsblatt. Er verkörper-
te den bundespolitischen Anspruch der
CSU, er war der Papier gewordene Aus-
druck des bisweilen grotesk übersteiger-
ten Sendungsbewusstseins einer bayeri-
schen Regionalpartei.
Im aktuellen Heft werden die Delegier-
ten gleich mehrere Artikel über die bevor-
stehende Reform der CSU finden. Die Par-
tei will sich fit machen für ein neues Zeital-
ter der politischen Kommunikation, sie
will jünger werden, weiblicher, moderner
- und vor allem digitaler. Im Grunde wid-
met sich derBayernkurierseinem eigenen
Ableben. Ende des Jahres wird das Blatt
eingestellt, es ist eine Zäsur nicht nur für
die CSU. DerVorwärtsder SPD wird dann
die letzte gedruckte Parteizeitung in
Deutschland sein, und auch beim roten
Zentralorgan wurde längst akute Atemnot
diagnostiziert.
In anderen Zeiten wäre das Ende des
Bayernkurierin der CSU dem Untergang
des Abendlandes gleichgekommen, des-
sen Verteidigung bis aufs Messer sich die
bayerische „Prawda“ auf die Druckfahne
geschrieben hatte. Jahrzehntelang ordne-
te die Redaktion unübersichtliche Lagen
mit hemmungsloser Einseitigkeit, warnte
vor „Radikalinskis“, „Apo-Gammlern“
und „entmenschten Vandalenhorden“. Für
den Fall, dass es ein „Linksfaschist“ oder
„Rocker“ in das Büro desBayernkurier-
Chefs geschafft hätte, hatte dieser einen
Alarmknopf unter dem Schreibtisch. Zu
Gelassenheit war derBayernkurier höchs-
tens im Umgang mit der eigenen Partei
fähig. Über die „Amigo-Affäre“ berichtete
er lieber nicht, um seine braven Leser nicht
um den wohlverdienten Schlaf zu bringen.
Stattdessen analysierte er den sich nach
Bayernkurier-Informationen stets rapide
beschleunigenden Niedergang der SPD.
DerBayernkurierkannte keine Freun-
de außerhalb der CSU, von den Sechziger-
bis in die Achtzigerjahre kannte er eigent-
lich nur die Gefahr: dass die SPD das Vater-
land an die Kommunisten im Osten verra-
ten könnte und die Weichlinge von der
CDU ihr dabei auch noch zur Hand gehen
könnten. Jede sozialistische Anwandlung
der Schwesterpartei wurde den bayeri-
schen Lesern sofort zur Kenntnis gebracht,
verbunden mit der Warnung, dass es mit
Freistaat, Bundesrepublik und Nato so den
Bach runtergehe.
Als sich diese Ängste irgendwann zer-
schlugen, fehlte demBayernkurierein Geg-
ner. Die Zeiten wurden ruhiger, das Blatt
auch. 2015 wurde aus der Zeitung ein Heft,
bunt und gegenwärtig, das auch mal eine
Karikatur aus der ehedem als linksterroris-
tisch bekämpften taz nachdruckte und in
Interviews CSU-Chef Horst Seehofer Fra-
gen stellte, die man mit gutem Willen für
kritisch halten konnte. DerBayernkurier
war plötzlich ein solides Magazin, aber er
war auch ein Produkt, das seinem Namen
wie Donnerhall nicht mehr gerecht wurde.
Auf dem Höhepunkt 1990 hatte derBay-
ernkuriereine Auflage von 180000, aber
schon damals war er ein Luxus, den sich
die CSU leistete. Spätestens Anfang der
2000er-Jahre, als das Zwangsabonnement
für Mitglieder aus Kostengründen abge-
schafft wurde, entwickelte er sich zu ei-
nem massiven Problem für die Parteifinan-
zen. Eine Million Euro Miese soll er Jahr
für Jahr gemacht haben. Nun sind ihm
20000 Druckexemplare geblieben, gerade
mal 5000 Abos. DerBayernkurierwar Bal-
last geworden auf dem eh schon mühseli-
gen Weg der CSU in die digitale Zukunft.
Die CSU rühmt sich zu Recht ihrer Gras-
verwurzelung, der flächendeckenden Prä-
senz in Bayern, der Durchdringung von
Schützenverein und Kirchenchor, der Ho-
heit über die Stammtische. Doch der
Stammtisch ist selbst in Bayern nicht mehr
das, was er mal war. „Näher am Bürger“,
lautet der alte und neue Slogan der CSU,
und in der Zentrale brütet man über der
Frage, wo dieser Bürger im 21. Jahrhundert
eigentlich anzutreffen sein wird – nur am
Stammtisch allein, das hat man akzeptiert,
wird es wohl nicht sein.
Politische Kämpfe werden heute in an-
deren Arenen mit anderen Mitteln ausge-
fochten. Kurz vor der Europawahl veröf-
fentlichte Rezo, ein blauhaariger Youtu-
ber, der im altenBayernkuriergewiss als
„Gammler“ geführt worden wäre, ein Vi-
deo mit dem programmatischen Titel „Die
Zerstörung der CDU“. Die CSU durfte sich
in diesem Fall mitangesprochen fühlen.
Das eher schlichte Video wurde mehr als
16Millionen Mal aufgerufen. Als CDU-Che-
fin Annegret Kramp-Karrenbauer dazu
nur die Frage einfiel, welche Regeln im In-
ternet gelten, reifte beim CSU-Kollegen
Markus Söder der Entschluss, die Digitali-
sierung seiner Partei noch radikaler voran-
zutreiben als eh geplant.
Ende Mai feierte man im CSU-Vorstand
das gute Ergebnis bei der Europawahl, als
Söder am Ende noch mal das Wort ergriff:
Bei aller Freude, es bleibe noch viel zu tun.
Digitaler müsse die CSU werden und dafür
„analoge Mittel umschichten“. Was das
hieß, durfte Generalsekretär Markus Blu-
me aussprechen: das Ende für denBayern-
kurier. „Die alte Welt“, sagte Söder, „be-
ginnt sich zu verabschieden.“ Einen Monat
später beschloss der Vorstand offiziell das
Aus. „Keine Gegenrede, keine Gegenstim-
me“, erzählt einer, der dabei war. Ja, hat
denn niemand Angst, dass Franz Josef
Strauß aus dem weiß-blauen Himmel Blit-
ze gen Erden schickt?
Markus Söder sitzt an einem Bespre-
chungstisch im Heimatministerium in
Nürnberg, das so eine Art Nebenstaats-
kanzlei ist für den lokalpatriotischen Mi-
nisterpräsidenten. Nürnberg ist die Stadt,
in der Söder seine Jugend schlafend unter
einem Strauß-Poster verbrachte. Dass der
junge Söder Besucherinnen mit Strauß ver-
schreckte, hat auch mit demBayernkurier
zu tun. „DerBayernkurierwar die Zeitung
der Wahrheit für mich“, sagt Söder. „Er war
die Stimme von Franz Josef Strauß in Zei-
ten, in denen es keine digitalen Medien,
kein Twitter oder Internet gab.“
Söder schnitt Artikel aus und sammelte
sie in einem Ordner, besonders die Leitarti-
kel von Wilfried Scharnagl, dem ewigen
Chefredakteur, über den Strauß sagte:
„Scharnagl schreibt, was Strauß denkt,
und Strauß denkt, was Scharnagl
schreibt.“ Es war Söders Munition für sei-
ne Wortgefechte mit all den Lehrern und
Mitschülern am Albrecht-Dürer-Gymnasi-
um, die sich Palästinenser-Tücher um den
Hals banden und zum Demonstrieren
nach Wackersdorf fuhren. Söder war poli-
tisch ziemlich allein am Dürer-Gymnasi-
um, aber er war allein mit demBayernku-
rier. Heute redet er über Scharnagl-Texte
wie über seine Lieblingsfolgen von „Game
of Thrones“: „Die habe ich verschlungen.“
Vor einem Jahr ist Scharnagl gestorben,
und mit ihm auch derBayernkurier. Man-
che sagen sogar, die Zeitung sei schon 1988
mit Strauß verschieden. Oder, als Schar-
nagl 2001 die Redaktion verließ, weil der
impertinente Generalsekretär Thomas
Goppel ihm, dem Mann der Worte, mit Zah-
len kam. Zu Scharnagls Lebzeiten jeden-
falls hätte Söder denBayernkuriernicht zu-
gesperrt. Er habe aber, sagt er, bald nach
seiner Wahl zum Parteichef im Januar ge-
wusst, was die Stunde geschlagen hat: „Im
Internet erreichen wir heute tausendmal
mehr Menschen.“ Bestärkt worden sei er
im Landtagswahlkampf, „wo wir digital
einfach nicht gut aufgestellt waren“.
Söder ist ein Mann, der Aufwand und Er-
trag kühl abwägt. „Die Zukunft liegt heute
in digitaler Kommunikation, dafür brau-
chen wir einfach die Mittel.“ Mit einem
Liebhaberstück ohne Relevanz und Renta-
bilität kann man nichts mehr gewinnen,
aber viel verlieren. Und trotzdem: Die Al-
ten in der Partei, die Scharnagl-Fankurve
- die werden leiden. Und sauer sein auf
den schrecklichen Modernisten Söder.
Der Bankangestellte Albin Schäfer trat
am 17. März 1956 in die CSU ein, die damals
eine Oppositionspartei war. Kurz darauf
wunderte er sich, was da im Briefkasten
lag. Schäfer wusste nicht, dass jedes
Mitglied denBayernkurierzugeschickt be-
kommt, aber er hat sich schnell damit ange-
freundet. „Ich wollte immer gut informiert
sein. Man will sich ja orientieren.“
Schäfer trägt schwarze Lederweste zur
weißen Kurzhaarfrisur, mit Grautönen hat
er es auch beim Lesen nicht so. Er findet:
„In der Politik muss man sagen, was Sache
ist.“ So gesehen ist ihm derBayernkurier
fast zu brav geworden, „zu weich gekocht,
aber das liegt wohl an unserer Zeit“. Schä-
fer war Ortsvorsitzender der Jungen Union
im unterfränkischen Gemünden am Main,
saß sechs Jahre im Stadtrat. Heute ist er Eh-
renbürger und ein fitter 84-Jähriger. Am
Abend hat er Bandprobe, jetzt zupft er zu
seinem Kaffee einen Krapfen auseinander.
„Wissen Sie, ich hätte denBayernkurier
gerne noch weiter bezogen“, sagt Schäfer.
„Aber mir ist klar, dass man ins Digitale in-
vestieren muss.“ Kein Ärger, dass nach
mehr als sechzig Jahren alles vorbei ist?
Kein Frust? „Ach, so vernarrt war ich nie.“
Schäfer hat alle Ausgaben gelesen, dann
hat sie sein Sohn gegen dieMad-Heftchen
eines Klassenkameraden eingetauscht.
Der Niedergang desBayernkurierwar
ein quälend langer Prozess. So ganz kam
das Blatt nie in der Gegenwart an, man
merkte das auch an kleinen Dingen, vor ei-
nigen Jahren etwa an der Werbung für eine
Leserreise ins Baltikum, bei der die Reise-
gruppe „nach dem Frühstück ins russisch
besetzte Ostpreußen“ aufbrechen sollte.
Man merkte es daran, dass sich Peter Gau-
weiler darüber echauffierte, dass ihm die
Redaktion im Kampf gegen die Euroret-
tung keine Hilfe war. Die Allerletzten merk-
ten es, als Horst Seehofer fallen ließ, den
Bayernkurierlese er nachts, weil er dann
so gut einschlafe.
Albin Schäfer ist dem Bayernkurier
stets treu geblieben, er hat alle Veränderun-
gen mitgemacht. So will er es auch jetzt hal-
ten. Es sei doch so im Leben: „Wir müssen
die Zukunft annehmen, ob’s einem gefällt
oder nicht.“ Und wenn der Briefkasten bald
leer bleibt? Albin Schäfer, 84, sagt: „Dann
lese ich eben am Tablet weiter.“
Ob die MarkeBayernkurierim Netz in ir-
gendeiner Form weiterexistiert, ist noch
nicht ausgemacht. Immerhin gibt es noch
30000 E-Paper-Abos, aber die gehören in
großer Mehrheit CSU-Funktionären,
deren Liebe für die Zeitung womöglich
pflichtschuldig ist. DerBayernkurierwird
ja derart von Mythen umwabert, dass man
eines oft übersieht: Er war nie das Leib-
und Magenblatt der ganzen CSU. Selbst zu
seinen Hochzeiten gab es Klagen über die
„Strauß-Postille“, über Pseudo-Intellek-
tualität und seltsame Distanz zur Basis.
„Natürlich war derBayernkuriereine In-
stitution in der CSU“, sagt Alois Glück, 79,
der frühere Landtagsfraktionschef, „aber
er war nie ein Forum der Meinungsbildung
und der Diskussion“. Glück war einer, der
seine Argumente nie Zeitschriften entneh-
men musste, ihn hat am ehesten die Be-
richterstattung aus den Arbeitsgemein-
schaften der CSU interessiert. DerBayern-
kurier, sagt er, sei auch „längst nicht mehr
identitätsstiftend für die Partei. Ich persön-
lich bin da nicht melancholisch“.
Ist überhaupt wer melancholisch? Ein
Besuch bei Peter Hausmann, der alle Sei-
ten des Journalismus kennt: Er arbeitete
für denMünchner Merkur, den BR, eine PR-
Agentur, er war Sprecher der CSU und von
Helmut Kohl. 2008 wurde er Chef desBay-
ernkurier. Der war für ihn „das alte Zirkus-
pferd, das bei der Musik wieder zu traben
anfängt“. Doch das Zirkuspferd erwies sich
schnell als malade. Hausmann: „Parteizei-
tungen waren schon damals die Dinosauri-
er der Medienlandschaft.“
In der Weimarer Republik bestimmten
Parteizeitungen den politischen Diskurs.
So, erklärt Hausmann, sei das auch nach
dem Zweiten Weltkrieg gewesen: „Franz Jo-
sef Strauß sah darin eine Plattform, sich
auszubreiten, ohne beschnitten zu wer-
den.“ Parteizeitungen galten lange als ex-
klusive Nachrichtenlieferanten. Das ließ
sich durchhalten, bis auf allen Kanälen ge-
sendet wurde, früh, mittags, abends. Als
Kanzlersprecher hat Hausmann dann er-
lebt, wie das Internet das Tempo noch mal
beschleunigte. „Es hat dazu geführt, dass
die Zeit der Leitmedien vorbei ist. Wo ist da
noch Platz für eine Parteizeitung?“
Hausmann kaut in seiner Küche in Grä-
felfing bei München auf einem Stück Le-
berkäs herum, dann sagt er: Die Aufgabe
bestehe doch nicht darin, darüber nachzu-
denken, was war. Sondern, wie es sein
wird. Als Hausmann sich vor einer Weile
über den Berliner CSU-Statthalter Alexan-
der Dobrindt ärgerte, hat er kurzerhand
seinen privaten Blog wiederbelebt. Heute
hat er bis zu 30000 Leser. Söders Digitalof-
fensive sei schon richtig, findet er. Die De-
batte über Rezo habe aber gezeigt, dass die
Parteien sämtlich noch keine Ahnung hät-
ten, worauf sie sich da einließen. Die AfD le-
be ja auch im Internet von Inhaltsleere und
Grenzverletzung.
Sechs Jahre hat Hausmann denBayern-
kuriergeleitet. Bedauert er sein Ende?
Auch bei Hausmann ist da nichts zu holen.
„Nein“, sagt er. Jedoch: „Ich würde die Mar-
ke im Internet retten.“ Neues Format, jun-
ge Leute, frische Ideen. „Aber es muss
mehr sein, als ein Greta-Buh. Das ist nicht
die Antwort auf die Fragen unserer Zeit.“
Bislang waren die Internet-Abenteuer
der CSU nicht glücklich, unvergessen ist
die „Facebook-Party“, zu der Seehofer
2012 in die Münchner Disco P1 einlud und
zu der dann mehr Journalisten kamen als
Gäste. Die Karriere des Twitter-Nutzers
Seehofer endete später nach exakt zwei
Tweets, die offenbar weder äußere Wir-
kung noch innere Befriedigung gebracht
hatten. Söder, 18 Jahre jünger, unterrichtet
die Welt auf allen Kanälen in hoher Fre-
quenz über Trends in den Bereichen Poli-
tik, fränkische Küche und Haustiere.
Es ist nicht so, dass die CSU im Netz
schlecht unterwegs wäre. Im Moment hat
sie 200 000 Facebook-Freunde, die Bun-
des-SPD hat 191 000. Twitter-Follower:
160 000 CSU, 368 000 SPD. Instagram-
Fans: 25 000 CSU, 41 000 SPD. Schon vor
zehn Jahren raunte man von einem gehei-
men „War Room“, in dem Generalsekretär
Alexander Dobrindt Social-Media-Kampa-
gnen steuere. Als Journalisten dorthin vor-
gelassen wurden, entpuppte sich der War
Room als Zimmer mit ein paar Computer-
arbeitsplätzen und zwei Flatscreens.
Stammtisch und Schützenverein, das
war die Arena des alten politischen Spiels
in Bayern, die CSU hat es haushoch gewon-
nen. Jetzt beginnt ein neues Spiel, das dar-
über mitentscheidet, ob die CSU Volkspar-
tei bleibt. Dafür gehen die Christsozialen
auch dahin, wo es wehtut: 2016 holten sie
sich in den USA Inspiration beim Präsident-
schaftskandidaten Bernie Sanders –
einem Sozialisten. Das aktuelle Vorbild ist
ideologisch leichter verdaulich: die ÖVP
des CSU-Spezls Sebastian Kurz.
Die Neuausrichtung der Kommunikati-
on obliegt nun einem Mann, der schon vor
zwanzig Jahren, zum 50. Geburtstag des
Bayernkurier, Nachdenklichkeit unter die
Glückwünsche mischte. Markus Blume
war Chef der christsozialen Studenten, er
mahnte „Aufholbedarf“ an: Das Blatt müs-
se wie die CSU eine „Plattform“ im Inter-
net bieten, die nicht mehr nur „one way“
funktioniere. Heute referiert der General-
sekretär Blume den Waschzettel des Auf-
bruchs: Online-Mitgliedschaft, Online-
Umfragen, Online-Anträge. Und ein neuer
Sound in den sozialen Medien.
Zuspitzung und Emotionalisierung müs-
se sein, sagt Markus Blume, frech, aber
nicht ätzend. Er hat auch ein Beispiel pa-
rat, etwas von Instagram. Der Post zeigt ei-
nen Bundeswehrsoldaten in Tarnfleckuni-
form und den Satz: „Das sind Grüne, die
wirklich was für unsere Sicherheit tun!“
Reicht das, um die Grasverwurzelung der
CSU in eine neue Zeit zu retten? Was ist,
wenn Rezo nur der Anfang war? Wenn bald
auch andere Influencer Politik machen mit
ihren Millionen Followern?
Blume sagt: „Wir wollen nicht nur dabei
sein, wir wollen auch in dieser neuen Welt
die Debatten-Hoheit haben.“ Bisher stellen
die Parteien indes einfach Filmchen ins In-
ternet. Die CSU-Landesgruppe hat auf Re-
zo mit einem blond gefärbten Armin geant-
wortet. Man wird sich dieses Armins eines
Tages eher nicht als des Typen erinnern,
der für die CSU die Vorherrschaft im Netz
erobert hat. Was hilft gegen Rezo? Diana
Kinnert, die Hipsterin vom Dienst bei der
Schwesterpartei CDU, sagt, dass keine Par-
tei den Ton der Jugend simulieren könne –
es brauche ganz schlicht junge Politiker,
bei denen der Ton authentisch ist. Das wä-
re für sie „wahres Ernstnehmen“.
In der CSU-Zentrale erzählt Markus Blu-
me im Konferenzraum „Kleine Lage“ von
der großen Frage, die ihn leite: „Was würde
Franz Josef Strauß heute machen?“
Strauß, glaubt Blume, würde heute keinen
Bayernkuriermehr gründen. „Wenn man
im Jahr 2019 an Kommunikation denkt,
denkt man nicht zuerst an eine Zeitung.“
Womöglich, sagt Blume, würde Strauß ei-
nen Youtube-Kanal einrichten.
Franz Josef Strauß sagte über den langjährigen Chefredakteur des „Bayernkuriers“, Wilfried Scharnagl: „Scharnagl schreibt, was Strauß denkt, und Strauß denkt, was Scharnagl schreibt.“ FOTO:HARTMUT REEH / DPA
DEFGH Nr. 240, Donnerstag, 17. Oktober 2019 (^) DIE SEITE DREI HF2 3
Vielleicht bleibt die Marke im
Internet erhalten: „Aber es muss
mehr sein, als ein Greta-Buh.“
Adios Amigos
Eswaren herrliche Zeiten für den „Bayernkurier“, als er
das Wort von Franz Josef Strauß verkündete und die „Apo-Gammler“ bekämpfte.
Vorbei. Ein Nachruf auf das Zentralorgan der CSU
von roman deininger und wolfgang wittl
Der eher schlichte Rezo wird von
16 Millionen aufgerufen. Die Zeit
verlangt also nach anderen Waffen
Markus Söder redet über die Texte
von Wilfried Scharnagl wie
andere über „Game of Thrones“
Eine Hipsterin von der CDU hat
eine Idee, wie die Parteien wieder
junge Leute erreichen könnten