Regina Krieger Rom
W
arum nicht Lufthansa? Das Ziel
muss doch sein, Alitalia eine
Zukunft zu geben und nicht
wieder alles aufzuschieben“,
sagte Luciano Benetton vor ein
paar Tagen in London, wo er wegen seiner Kunst-
stiftung weilte. Die Worte des Chefs des Familien-
unternehmens aus Ponzano Veneto heizten die
Übernahmegerüchte für die italienische Krisen-Air-
line sofort wieder an. Denn Benetton spricht sehr
selten öffentlich und wenn, dann über Kunst oder
die neue Kollektion des Modeunternehmens.
„Ich habe bei der Übernahme anderer Airlines
gesehen, dass Lufthansa große Erfahrung hat“, füg-
te er hinzu, „und auch Alitalia sollte an den gehen,
der Ahnung von Technik und Verwaltung hat.“ Das
war ein Signal an die Regierung in Rom, die noch
immer nicht über die Zukunft der Fluggesellschaft
entschieden hat, die sie seit zwei Jahren mit einem
Überbrückungskredit finanziert.
Der Patron ist wieder da. Mit 84 Jahren. Und
mischt sich nach einem Horrorjahr für das Famili-
enunternehmen wieder ein. Erst Ende 2017 war er
aus dem Ruhestand zurückgekehrt an die Spitze
von „United Colours of Benetton“. Es müsse aufge-
räumt werden, schimpfte er damals. Das Manage-
ment „ohne Herz und Leidenschaft“ habe „krimi-
nelle Züge“ angenommen und die Läden sähen
heute dunkel und traurig aus „wie damals im kom-
munistischen Polen“.
Doch mit bunten Pullovern verdient die Familie
schon lange kein Geld mehr. Die bringen nur noch
rund zehn Prozent des Geschäfts. Deren Absatz
ging Anfang der 2000er-Jahre zurück, aber da hat-
ten die Benettons schon lange diversifiziert und die
Milliarden, die sie in den 80er-Jahren verdient hat-
ten, in andere Beteiligungen investiert.
Und deshalb kommt Alitalia ins Spiel. Familie Be-
netton ist direkt an der Zukunft der Airline betei-
ligt, da sie über ihre Familienholding „Edizione“
Mehrheitseigner beim Infrastrukturkonzern Atlan-
tia ist. Atlantia, wo neben den Benettons internatio-
nale Banken und Investmentfonds vertreten sind,
besitzt auf der ganzen Welt beispielsweise Flughä-
fen und Autobahnen. Und Atlantia ist der größte
Partner des geplanten neuen Alitalia-Konsortiums.
Dazu kommen noch die staatliche Eisenbahn FS,
das Wirtschafts- und Finanzministerium und Delta
Airlines – oder aber jetzt statt der Amerikaner Luft-
hansa. Entschieden ist noch nichts.
Aber die Familie hat ein Problem. Und deshalb
war für Luciano Benetton 2018 ein Horrorjahr.
Denn Atlantia gehörte auch über eine Beteiligung
an Autostrade per l‘Italia das Stück Autobahn der
A10 in Genua, das beim Brückenunglück im August
2018 einstürzte. 48 Menschen starben. Wer Schuld
an dem Unglück hat, ist noch nicht geklärt. Die Ge-
richte streiten seitdem, doch die damalige Populis-
tenregierung, vor allem die Bewegung Fünf Sterne,
gab sofort lauthals den Benettons die Schuld und
drohte mit dem Entzug der Konzession für Auto-
strade.
Erst da wurde überhaupt öffentlich bekannt,
dass die Familie beteiligt ist. Denn in der Holding
und bei den Investitionen taucht der Name Benet-
ton nicht auf – ganz bewusst, wie Experten sagen.
Zum Shitstorm trotz fehlender Beweise und zur
Schädigung der Marke kamen für den Patron zwei
weitere Unglücke hinzu. 2018 verlor er seine bei-
den Brüder Carlo und Gilberto. Jetzt gibt es noch
seine Schwester Giuliana und ihn und deren Fami-
lien, vier Stämme.
„Luciano, der Älteste, ist das Familienoberhaupt,
der unangefochtene Chef des Clans, der unterei-
nander eng zusammenhält“, sagt der Mailänder
Ökonom und Professor Giulio Sapelli. „Er ist gebil-
det und kunstsinnig und war äußerst innovativ. Er
steht aber auch für die Transformation von Unter-
nehmern zu Shareholdern.“ Das sei schade. „Erst
gaben sie vielen Menschen Arbeit, heute sind sie
Rentiers.“
Die Finanzgeschäfte und die Investitionen täti-
gen andere für sie. „Die Familienholding Edizioni
war immer der Tresor der Benettons“, sagt Andrea
Colli von der Mailänder Wirtschaftsuniversität Boc-
coni. „Die vier Geschwister haben sich nie in die
Strategie der Holding eingemischt, sondern das
den Managern überlassen, und das war auch gut
so.“ Und es gab viel Geld zu investieren, denn die
Idee, bunte Pullover zu verkaufen, schlug in Italien
und in anderen Ländern seit den 70er-Jahren ein
und passte zur Zeit. 1965 starteten die vier Ge-
schwister ihr Familienunternehmen im Veneto. Die
Schwester Giuliana war fürs Design zuständig, Lu-
ciano für die Vermarktung, Carlo für die Produkti-
on und Gilberto für die Finanzen.
Retter von Alitalia?
International bekannt wurde „United Colours of
Benetton“ durch die Fotos von Oliviero Toscani,
der Werbekampagnen erfand, die sich völlig von
anderen abhoben. Die einprägsamen, oft provozie-
renden und auch teilweise zensierten Fotos etwa
von einem Aidskranken oder von einem Priester
und einer Nonne, die sich küssen, bildeten das
Image eines avantgardistischen Labels. „Anfang
der 80er waren die Gewinne außerordentlich
hoch“, sagt Wirtschaftsprofessor Colli. „Die Pullo-
ver wurden rund um Treviso gefertigt, und alle Ge-
schäfte waren im Franchising-System vergeben.“
Gilberto Benetton begann mit der Diversifizierung
der Strategie.
Lange ist es her. Doch jetzt droht der Staat, At-
lantia die Konzession für die Autobahnen zu entzie-
hen. Das wäre ein Millionenverlust. Die Benetton-
Manager haben deshalb nach Rom an die Regie-
rung geschrieben, dass sie ihr Engagement für
Alitalia zurückziehen, wenn das Thema Konzessio-
nen nicht geklärt werde.
Ob die Alitalia-Rettung gut ausgeht oder über-
haupt stattfindet, ist noch unklar. Die anderen, in-
ternationalen Atlantia-Aktionäre würden genau
hinschauen, denn sie wüssten, dass Alitalia kein
gutes Geschäft sei, meint Colli. „Alle warten ab“,
sagt er. Und wenn sich der Clanchef jetzt öffentlich
äußere, so sei das, weil er das Gesicht und der Na-
me der Marke sei.
Der Patron greift ein, wenn auch indirekt. Der
Atlantia-CEO musste gehen, und auch bei „Edizio-
ni“ rollten Köpfe. Manager Gianni Mion wurde zu-
rückgeholt, der ein enger Vertrauter der Familie ist
und für sie schon gearbeitet hatte.
Bei den „United Colours of Benetton“ räumt Lu-
ciano noch viel mehr auf. Als Designer verpflichte-
te er den französischen Modeschöpfer Jean-Charles
de Castelbajac, der die „Pop-Mode von morgen“
kreieren will. Und „Signor Luciano“, wie er im Un-
ternehmen genannt wird, zog noch ein As aus dem
Ärmel: Er rief Starfotograf Toscani zurück, auch
mittlerweile 77. Für die neue Werbekampagne foto-
grafierte dieser 28 Kinder aus 13 Ländern aller Kon-
tinente: „ein Abbild der heutigen Welt und ein Plä-
doyer für Integration“.
„Das Unternehmen braucht ihn, ohne Luciano
Benetton und sein Prestige geht es nicht“, sagt
Ökonom Sapelli. „Er muss sagen, wo es langgeht.“
Auch mit 84 Jahren.
Luciano Benetton
Der Patron
greift durch
Nach einem Horrorjahr ist der Benetton-Chef zurück auf
Expansionskurs – nicht nur mit bunten Pullovern,
sondern auch mit Investments der Familienholding.
Luciano Benetton:
Sinn für Kunst und
Geschäft.
ROPI
Das
Unternehmen
braucht ihn.
Ohne
Luciano
Benetton und
sein Prestige
geht es nicht.
Giulio Sapelli
Ökonomieprofessor
Familienunternehmen
des Tages
MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197