Neue Zürcher Zeitung - 15.10.2019

(Barry) #1

Dienstag, 15. Oktober 2019 FINANZEN 29


Dividendenperlen überzeugen


auch beim Wachst um


Dass Firmen mit hohen Dividendenausschüttungen die Gewinne nicht steigern, ist ein Mythos


PATRICK HERGER


Kevin Hassett hatsich mit einer Börsen-
prognose zum Narren gemacht.Der Öko-
nom amtierte bis vor vier Monaten als
Chef des Council of EconomicAdvisers
(CEA), des wichtigsten Beratungsorgans
für den amerikanischen Präsidenten in
Wirtschaftsangelegenheiten. Bekannt
wurde Hassett aber vor zwanzigJahren
für ein Buch «Dow 36000». Darin pro-
gnostizierte er einen baldigenAnstieg des
DowJones von damals etwa 9000 Punk-
ten auf 36000 Punkte. Selbst heute ist
der wichtige US-Index mit knapp 27 000
PunktenvonsolchenHöhenweitentfernt.
Aber es war nicht die Höhe seiner Pro-
gnose, die Hassett zum Gespött machte,
sondern seine Argumentation. Er errech-
nete, dass für amerikanische Aktien nur
etwaein Viertel des tatsächlichenWertes
gezahlt würde. Und weil sich dies bald
korrigiere, vervierfache sich derWert des
DowJones. Hassett ist einFehler unter-
laufen. Bei seinen Berechnungen stützte
er sich auf das Gordon-Growth-Modell,
auch Dividendenwachstumsmodell ge-
nannt.Aberstattder Dividenden setzte
er die Gewinne in dieFormel ein,weshalb
er auf viel zu hoheWerte kam.


Das Modigliani-Miller-Theorem


Kevin Hassetts peinlicherFehler sorgte
fürvielHäme.Dividendensindallerdings
kein ganz leichtesThema.Das zeigten
Merton Miller undFranco Modigliani
spätestens1958 in einem vielzitierten
Aufsatz. Ihrekontraintuitive Erkennt-
nis:DerWert eines Unternehmens hängt
nichtvonderDividendenpolitikab.Divi-
denden und Kapitalgewinne sind in die-
ser Sichtweise nur zwei unterschiedliche
Ausprägungen der Investmentrendite.
Der einzigeFaktor, der denWert eines
Unternehmens beeinflusst, sind die Ge-
winne. Und diese ergeben sich unmittel-
bar aus der Investmentpolitik des Unter-
nehmens sowie aus seinen Zukunftsaus-
sichten.Konkret heisst dasFolgendes:
Wenn ein Unternehmen2$proAktie an
Dividenden auszahlt, sinkt der Aktien-
kurs um genau diese2$.An der Ge-
samtbewertung, also Kurswert plus Divi-
dende, und an den Zukunftsaussichten
ändert sich nichts. DerAnsatz von Modi-
gliani und Miller ist brillant,hat aber mit
der Realität nichts zu tun. Modigliani
und Miller betonen auch selber, dass ihr
Modell nicht dieRealität abbilde.
Denn um zu ihrem Ergebnis zu ge-
langen, mussten Modigliani und Mil-
ler sehrrestriktive Annahmen treffen.


Dazu gehören etwa effiziente Märkte,
keine Transaktionskosten undkein In-
formationsvorsprung einerPartei. Nun
könnte man glauben, dasTheorem von
Modiglianiund Miller sei irrelevant,
weil keine der Bedingungen in derRea-
lität erfüllt ist. Dennoch ist es selbst als
Mythos von Belang, weil es Hinweise
da rauf gibt, welcheVerletzungen der
Modellannahmen dazu führen, dass die
Dividendenpolitik in derRealität ein
wichtigerRenditefaktor ist.
Manche Investorenkombinieren da-
her die Erkenntnis des Modigliani-Mil-
ler-Theorems, wonach vor allem die In-
vestmentpolitik eines Unternehmens
dessenWert bestimmt, mit derTatsache,
dass der Unternehmenswert in derRea-
lität eben doch von der Dividendenpoli-
tik abhängt. Sie gehen davon aus, dass
Firmen,welche einengrossenAnteil der
Gewinne zurückbehalten, dieses Geld
in Projekte stecken, die in Zukunftein
hohes Gewinnwachstum und damit ein-
hergehend überdurchschnittlicheRendi-
ten bewirken.Firmen, die einen hohen
Anteil der Gewinne als Dividenden
ausschütten,sollt en dementsprechend
ein geringeres Gewinnwachstumver-
zeichnen.Aber dieseAnsicht ist falsch;
es ist gerade umgekehrt. BeiFirmen
mit hohen Dividenden ist das Gewinn-
wachstum grösser als beiFirmen,die we-
nig Geld an die Aktionäre ausschütten.
Es gibt zwei mögliche Erklärungen
dafür.Das PhänomenkönnteAusdruck
von Insiderwissen sein. Die Manager
wissen mehr über das Unternehmen als
aussenstehende Investoren, geben die-
se s Wissen aber nicht preis. Die Divi-
dendenpolitik gibt den Anlegern Hin-
weise darauf, was die Manager wirklich
denken.Wenn die Manager optimistisch
für die Zukunft sind,weil sie die guten
Aussichten des Unternehmenskennen,
können sie hohe Dividenden auszahlen.
Sind die Manager dagegen pessimistisch,
schüttet das Unternehmen nur wenig
Geld an die Aktionäre aus.
Es könnte aber auch sein, dass die
höheren Cash-Bestände, die aufgrund
einer geringenAuszahlungsquote vor-
handen sind, dasManagement dazu
verführen, bei derAuswahl von Invest-
mentprojekten nachlässiger zu wer-

den oder Prestigeprojekte zu finanzie-
ren; beides bremst das Gewinnwachs-
tum. Hohe Dividendenausschüttungen
könnten dagegen eine disziplinierende
Wirkung entfalten, was die Qualität der
Investmententscheidungen durch das
Managementsteigert.
Unklar ist, ob die eine oder die an-
dereder Erklärungen oder eineKombi-
nation derbeiden dieRealitätam besten
beschreibt. Klar ist, dass Aktien, die an-
sehnliche Dividenden ausschütten, den
Anlegern überdurchschnittlicheRendi-
ten bieten.Vor allem langfristige Inves-
toren profitieren von Dividenden.Wäh-
rend kurzfristig Bewertungsänderungen
als grös ste Renditetreiber einer Aktie
fungieren, sind langfristig die Dividen-
den rendite und das Dividendenwachs-
tum die wichtigstenRenditetreiber.

Klumpenrisikovermeiden


Wie entscheidend die Dividenden für
die Gesamtrenditesind, kann der An-
leger leicht selberüberprü fen. Er muss
nur den SMI oder den S&P500 mit dem
entsprechenden Total-Return-Index
vergleichen, der diereinvestierten Divi-
denden enthält. Aber Dividenden-
aktien habenein en weiterenVorteil:
Sie bieten einen wirksamenRezessions-
schutz. DieserVorteil, zusammen mit
dem Umstand, dass Dividenden einen
grossen Anteil an den Gesamtrenditen
von Aktieninvestments ausmachen, hat
in den letztenJahren zu einem verstärk-
ten Interesse an Dividendenstrategien
geführt.Anleger sollten jedoch vorsich-
tig sein, wenn sie in Eigenbauweise ein
Div idendenportfolio zusammenstellen.
ZweiFehler sind besonders verbreitet.
ZumeinenbestehtdieGefahr,dassein
Investor seinPortfolio zu wenig diversifi-
ziert .HoheDividendenrenditenetwakon-
zentrieren sich oft in bestimmten Sekto-
ren oder Branchen.Wer nur auf die Divi-
dendenalseinzigesKriteriumzurAktien-
auswahl schaut, handelt sich schnell ein
Klumpenrisiko ein. Zum anderen gibt
es die «dividend traps»,Aktien, die trotz
scheinbar guten Dividendenkeine guten
Renditen bringen. Manche Investoren
scannendasAktienuniversumnachTiteln
mi t einer steigenden Dividendenrendite.

Dies darf aber nicht das einzige Krite-
rium sein. Denn die Dividendenrendite
kann steigen, weil das Unternehmen die
Dividenden erhöht,aber auch, weil der
Aktienkurs sinkt. Ist Letzteres derFall,
besteht die Gefahr, dass der Investor sich
in ein Unternehmen einkauft, das mit er-
heblichen Problemen kämpft.

Qualitätberücksichtigen


Um das Risiko von «dividend traps»
zu minimieren, müssen Investoren die
Qualität des Unternehmens berück-
sichtigen. Einerder einfachsten und
gleichzeitig überzeugendstenTests für
die Qualität ist es, wenn das Unterneh-
men über zwanzigJahre oder mehr jedes
Jahr eine Dividende ausgeschüttet hat.
Noch besser sind Unternehmen, wel-
che über mindestens die letzten zwan-
zig Jahre eine Dividende ausgeschüt-
tet haben und diese niekürzen mussten.
Investoren sollten ausserdem daran den-
ken, auch für gute Unternehmenkeine
überrissenen Preise zu akzeptieren.
Für die meisten Privatinvestoren
empfiehltessichangesichtsdernichtun-
wese ntlichenRisiken,Dividendenstrate-
gien mittelsFonds oderETF zu verfol-
gen. Mittlerweile gibt es über 300Fonds
und ETF, die eine einkommensorien-
tierte Strategie verfolgen (wobei aller-
dings die meistenkeine Vertriebszulas-
sungfürdieSchweizhaben).Dabeimuss
sich der Investor zwischen aktiven und
passiven Produkten entscheiden, wobei
einesderwichtigstenKriteriendieNach-
Kosten-Rendite ist. Es gibt einige Divi-
dendenindizes, die eineVorauswahl der
Unternehmen anhand von Qualitäts-
merkmalen treffen. Investorenkönnen
also auch auf günstigePassivprodukte
setzen, welche solcheIndizes abbilden.
Der eingebaute Rezessionsschutz
sowie die Plausibilität und die schein-
bare Einfachheit von Dividendenstra-
tegien sollten Privatanleger allerdings
nicht dazu verführen, ihre Hausaufga-
ben nicht zu machen. Gerade wenn es
um Dividenden geht, istes entschei-
dend, sich diekorrekten Informationen
zu verschaffen. Sonst ist dasResultat
rasch ein bittererReinfall.Kevin Has-
sett kann ein Lied davon singen.

WALL-STREET-NOTIZEN

Crispr br ingt


grosse Risiken


mit sich


Technologie zur DNA-Manipulation


KRIM DELKO, SAN FRANCISCO

Was Jennifer Doudna 2012 in Berkeley
zusammen mit anderenForschern ent-
deckthat,istdieTechnologiedes21.Jahr-
hunderts.Sose henesvieleSilicon-Valley-
Investoren,dieinDoudnas’wissenschaft-
lic hemDurchbruch,kurzCrisprgenannt,
die Grundlage der nächsten Generation
von innovativenWertveränderungstech-
nologiensehen.GenausowiederTransis-
tor in den fünfzigerJahren zurBasis der
Computerrevolution wurde,soll Crispr
zum nächsten Kapitel des SiliconValley
werden. Crispr schlägt die Brücke zwi-
schen Biologie und Software, ein Schritt,
von dem dieVenture-Capital-Branche
geträumt hat. Crisprerlaubt die präzise
Manipulation von genetischem Material.
Wie eine Schere geht Crisprin die DNA
derZelle,schneideteinenTeilherausund
verändertdasgenetischeMaterial.Damit
können spezifische Gene gezielt je nach
Bedarfangepasstwerden,ohnedabeiden
Rest der DNA zu beschädigen.
DieInvestorenredennichtnurvonden
Möglichkeiten, sie lassen auch ihre Brief-
taschensprechen.VielKapitalistseit2012
in den Bereich investiert worden, und
zahlreiche Startups handeln an der Börse.
DochesgehtbeiCrisprnichtnurumGeld
und Renditen.Kürzlich ist auch die ethi-
sche Seite dieser futuristischenTechnolo-
gie ins Zentrum geraten, zumal einKon-
sortiumvon Crispr-Startups ein Manifest
veröffentlicht hat,bei dem unteranderem
auf die Anwendung von Crispr inrepro-
duktiven menschlichen Zellen zumindest
temporär verzichtet wird.

Ethische Grundlagen


Angesichts der enormen Möglichkei-
ten von Crispr im Bereich der medizini-
schenForschung und der Entwicklung
von neuartigen Medikamenten ist die
Euphorie der Branche durchaus berech-
tigt. Doch mit solchen Heureka-Durch-
brüchen sind immer auch grosse Gefah-
ren verbunden.Jede Technologie kann
für Gutes oder Schlechtes benutzt wer-
den. Im Fall von genetischer Manipula-
tion durch Crispr muss man auch davon
ausgehen,dassgutgemeinteForschungs-
arbeit durch Unfälle unvorhergesehene
Konsequenzen haben kann. Deshalb ist
der Vorstoss desKonsortiums sehr er-
freulich.ImmerhinsindhierStartupsauf
der Liste wie CrisprTherapeutics,Au-
dentesTherapeutics, Bluebird bio oder
Editas Medicine, deren Marktkapita-
lisierung teilweise schon auf Milliar-
denhöhe gewachsen ist.Auch grosse
Pharmakonzernesind mitKollaboratio-
nenindenBereicheingestiegen.Jennifer
Doudna selber befindet sich seitJahren
auf einer Mission,die ethischen Grund-
lagenvonGenmanipulationimZeitalter
von Crispr festzulegen.Nur so kann eine
solch explosiveTechnologie nachhaltig
in der Gesellschaft akzeptiert werden.

Akzeptanz wichtig


Zyniker behaupten, dass ethische Stan-
dards eines privatenKonsortiums nutz-
los sind, zumal dieForschung auch in
Chinavorangetrieben wird, wo man sich
kaum an die Richtlinien eines solchen
Konsortiums halten wird.Das mag zum
Teil stimmen.Trotzdem ist derVorstoss
der Crispr-Branche richtig. Darauf ach-
ten müssenauch die Investoren, die sich
oft vomPotenzial solcherDurchbrüche
blenden lassen und die Risiken gerne
übersehen.Technologienmüssenvonder
Gesellschaftgetragenwerden.Wenndem
nicht so ist,dann wirdauch nichts aus
der Forschung. Das hat die Atomener-
gie schmerzhaft lernen müssen. Insofern
sind die Bemühungen von Doudna und
der gesamten Branche richtig.

DerÖkonomKevin Hassett machte sichmit seiner fehlerhaften Prognose derDow-Jones-Entwicklung zum Gespött. BLOOMBERG

Euro/Fr.
1,0999-0.05%

Dollar/Fr.
0,99780.03%

Gold($/oz.)
1490,000.49%

SMI
9964,24-0.53%

DAX
12486,56-0.20%

DowJones
26787,36-0.11%
Stand 22.1

Erdöl(Brent) 2Uhr
59,18-2.47%
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