Süddeutsche Zeitung - 15.10.2019

(Chris Devlin) #1
von wolfgan g wittl

München– Andersals sonst beginnt die
CSU-Vorstandssitzung ungewöhnlich still.
MarkusSöderbittetalleAnwesendenzuei-
ner Schweigeminute für die Opfer des An-
schlags von Halle, dann kommt der Partei-
chef schnell zur Sache. Schon um kurz
nach sieben Uhr morgens – fast drei Stun-
den vor der Sitzung – war er am Montag in
der Landesleitung eingetroffen, auf der
Agenda standen letzte Beratungen vor
demParteitag.Mehrals3000Menschener-
wartet die CSU am Freitag und Samstag in
der Olympiahalle. „Es tut uns gut, wenn
wir am Wochenende ein gutes Bild abge-
ben“, ermahnt Söder seine Leute.
So banal der Satzklingt, hater durchaus
seineBerechtigung.DieCSUhatindenJah-
renunionsinternenStreitsvieleBilderpro-
duziert, nicht immer gute. Unvergessen ist
jenes vom Parteitag 2015, auf dem Horst
SeehoferundAngelaMerkelkörperlichge-
meinsam auf der Bühne standen, in der
FlüchtlingsfrageaberKilometervoneinan-
dergetrennt. So etwas soll nie mehrwieder
passieren, dashabensichdiebeidenneuen
Vorsitzenden von CDU und CSU geschwo-
ren. Die CSU stehe nun wieder für „Stabili-
tät in die Union hinein“, behauptet Söder.
Annegret Kramp-Karrenbauer dürfe sich
jedenfalls auf einen freundlichen Emp-
fang freuen. Die CDU-Chefin werde „min-
destens so euphorisch begrüßt“ wie am
Wochenende bei der Jungen Union.
ZweipolitischeGegnerhatSöderidenti-
fiziert, die CDU gehört anscheinend nicht
mehr dazu. Er nennt einerseits die „Igno-
ranten und Hetzer, die AfD“, die er künftig
noch stärker stellen will (zum Beispiel mit
der Forderung, sich von Björn Höcke zu
trennen).Unddann gebeesandererseitsje-
ne, „die maßlos auftreten, die Grünen“.
Aus Söders Sicht bewegen sich die Grünen

ausderpolitischenMittewiedernachlinks


  • zumindest käme ihm das wohl gelegen.
    Die Attacke kommt nicht überraschend.
    Bei der Europawahl im Mai lag die CSU in
    der Gunst der Jungwähler weit hinter den
    Grünen; ein Trend, der schon lange vorher


eingesetzt hat. Um ihn zu stoppen, propa-
giert Söder seit Jahresbeginn ein Ziel: Jün-
ger,moderner,weiblichermüsse seinePar-
tei werden, sich gesellschaftlich öffnen.
Auch deshalb verabschiedet der Vorstand
am Montag einen Leitantrag zur Parteire-
form. 75 Punkte hat eine Kommission un-
terGeneralsekretärMarkus Blumeformu-

liert, damitdieParteifortschrittlicherwer-
de. Die Liste liest sich wie eine Summe von
Versäumnissen.„ZugezogeneundNeubür-
ger“ will die CSU gewinnen, „die Themen
der jungen Generation zu unseren ma-
chen“ und „die Großstädte neu erobern“ –
also genau jenes Klientel ansprechen, bei
dem die Grünen besonders erfolgreich ab-
schneiden. Mit einem Forum „Klima und
Umwelt“ wollen die Christsozialen zeigen,
dass es ihnen wirklich ernst ist.
Auch digital hat die CSU einiges vor: Mit
einerortsungebundenen Online-Mitglied-
schaft wirbt sie um neue Anhänger. Ein
Stimmrecht haben sie zwar nicht, aber die
Mitgliedschaft könne jederzeit zu einer
normalenerweitertwerden.Außerdemsol-
lenMitglieder ihreAnträgeimSinnederdi-
gitalenMitbestimmungonlinestellenkön-
nen. Je mehr Zustimmung sie im Internet

finden, desto höher ist ihre Dringlichkeit
bei der Beratung am Parteitag. Analog zu
Schatzmeistern oder Schriftführern sollen
in Orts- und Kreisverbänden bald Digital-
beauftragte gewählt werden. „Wir wollen
eine ganz andere Tiefen- und Breitenwir-
kung erzielen“, sagt Söder.
Dass der Leitantrag einstimmig durch-
gewinkt wird, daran hatten Söder und Blu-
me vielleicht selbst nicht mehr geglaubt.
„Ein mehrmonatiger Prozess bis an die
Grenzen der Belastbarkeit“ liege hinter ih-
nen, sagt Söder. Im Streit um die Frauen-
quote hatten sich wieder mal die stärksten
Parteigliederungenverkantet:Frauen-Uni-
on contra Junge Union. Die FU setzt durch,
dass die 40-Prozent-Frauenquote vom
Landes- und den Bezirksvorständen auf
Kreisvorstände ausgeweitet wird. In enge-
ren Vorständen – Vorsitz, Stellvertreter,
Schriftführer, Schatzmeister – soll der
weibliche Anteil auf 50 Prozent steigen.
Die JU darf für sich reklamieren, dass es
in Kreis- und Bezirksvorständen einen
Stellvertreter unter 35 und im Landesvor-
stand unter 40 Jahren geben soll. Die FU-
Vorsitzende Ulrike Scharf und JU-Landes-
chef Christian Doleschal sprechen unisono
von einem „guten Kompromiss“. Dole-
schal betont aber, mittelfristig müsse jede
Form von Quote wieder gekippt werden.
Katrin Albsteiger und Astrid Freuden-
stein, die Oberbürgermeisterkandidatin-
nen von Neu-Ulm und Regensburg, sollen
schon diesmal ohne Quote ins Präsidium
aufrücken. Albsteiger, 35, als Schatzmeis-
terin, Freudenstein, 46, als Schriftführe-
rin.AuchSödersagt, erwerdealsVorsitzen-
der antreten. Auf einen wirtschaftspoliti-
schen Leitantrag verzichtet die CSU entge-
gen ursprünglicher Pläne, stattdessen gibt
es jetzt einen gegen Antisemitismus: Man
wolle jüdisches Leben in Bayern schützen
und pflegen.

Feldkirchen– Derumstrittene bayerische
Jägerpräsident Jürgen Vocke lässt sein
Amt an der Spitze des Landesjagdver-
bands ruhen. Dies ist nach Angaben von
Teilnehmern das Ergebnis einer achtstün-
digen Präsidiumssitzung am Montag in
der Verbandszentrale in Feldkirchen. Da-
mit beugt sich der ehemalige CSU-Land-
tagsabgeordnete dem wachsenden Druck
aus den Kreisgruppen und dem Präsidi-
um.Vocke,derdenVerbandeinVierteljahr-
hundert geführt hat, werden zahlreiche fi-
nanzielle Unregelmäßigkeiten vorgewor-
fen. So soll er beträchtliche Aufwandsent-
schädigungenkassiertsowiehoheSpesen-
summen abgerechnet haben.
Ein im Frühjahr zur Klärung der Unre-
gelmäßigkeiten eingesetzter Wirtschafts-
prüfer sieht deswegen sogar die Gemein-
nützigkeit des Jagdverbands in Gefahr.
Vocke hatte zuletzt versucht, diesen Wirt-
schaftsprüfer durch eine andere Kanzlei
ablösen zu lassen. Doch nachdem Vocke
amMontagnachmittagseinenRückzuger-
klärt und die Präsidiumssitzung nach vier
Stunden gegen 15 Uhr verlassen hatte, be-
schlossen die verbliebenen Mitglieder
nach Teilnehmerangaben, den Prüfer von
seiner Schweigepflicht zu entbinden. Da-
mitkannerbeistrafrechtlichenErmittlun-
gen gegen Vocke als Zeuge auftreten.
Am Montag vergangener Woche hatten
dieStaatsanwaltschaftunddieKriminalpo-
lizei die Zentrale des Jagdverbands und
Vockes private Räumlichkeiten durch-
sucht und zahlreiche Unterlagen und Da-
tenträger sichergestellt. Grund für die Er-
mittlungen ist eine Strafanzeige wegen
des Verdachts auf Untreue, die der Mem-
minger Jäger-Kreisvorsitzende Andreas
Ruepp gegen Vocke und den früheren Lan-
desschatzmeister des Verbands gestellt
hatte. Auch die 2018 ins Amt gewählte
Schatzmeisterin Mechtild Michaela Mau-
rer hatte auf Aufklärung gedrängt. Zuletzt
hatten immer mehr Kreisgruppen für die
außerordentliche Delegiertenversamm-
lung am 26. Oktober in Schrobenhausen
Anträge auf eine sofortige Abwahl Vockes
oder gleich des gesamten Präsidiums ge-
stellt. Die verbliebenen Präsidialen wollen
am nächsten Jägertag im März in Lindau
voraussichtlicheineNeuwahldeskomplet-
tenPräsidiumsanbieten.FürdiesenJäger-
tag hatte Vocke schon vor Monaten seinen
Rückzug angekündigt. Nach Vockes Ab-
gang am Montag soll nun übergangsweise
sein Stellvertreter Thomas Schreder den
Verband führen. Der Vizepräsident ist
auch Vorsitzender der oberbayerischen Jä-
ger und hauptamtlicher Sprecher des Ver-
bands. Er leitete auch die zweite Hälfte der
Sitzung am Montag. matthias köpf

Augsburg– Esging um technischeGeräte,
die den Stromverbrauch im Haushalt hal-
bieren sollten, und es ging um die Wurst,
sozusagen: Um eine Metzgerei-Kette in
Nordrhein-Westfalen, einen Familienbe-
trieb,derwachsenundimmerweiterwach-
sensollte. In Wirklichkeit aber, so stellte es
am Montag das Landgericht Augsburg
fest,ging esum Betrug:DieWundergeräte,
die Metzgereien, alles „nur Luftnum-
mern“,wiederVorsitzendeRichterChristi-
an Engelsberger sagte, Kleinanlegern soll-
te so das Geld aus der Tasche gezogen wer-
den. Das gelang trefflich über viele Jahre,
der Schaden geht in die Millionen. Am En-
de eines umfangreichen Prozesses mit
21Verhandlungstagen und den Aussagen
von 32Zeugen fällte die neunte Strafkam-
mer am Montag das Urteil: Drei Angeklag-
te müssen ins Gefängnis, eine Angeklagte
kommt mit einer Bewährungsstrafe da-
von. DermutmaßlicheHauptverantwortli-
che aber ist immer noch auf freiem Fuß –
wohl untergetaucht in den USA.
„Wurstwelten-Prozess“ nennen sie den
Betrugsfall in Augsburg, der deutschland-
weiteAuswirkungenaufAnlegerhat,aller-
dingshierverhandeltwird,weildieFinanz-
produkteteilsausder Stadtherausvertrie-
ben wurden. Es ist ein komplexes Firmen-
geflecht, das die Ermittler zu durchleuch-

ten hatten, unter anderem mit einer Firma
namensWurstwelten,dieauseinpaardefi-
zitärenMetzgereienbestand.„Einumfang-
reiches, komplexes und auch rechtlich
schwieriges Verfahren“, sagte Richter En-
gelsberger, an dessen Ende sich aber laut
Strafkammer ein klares Bild abzeichnete:
Die Angeklagten waren demnach Teil ei-
nes Kapitalanlagebetrugssystems, das so
ausgeklügelt war, dass teils sogar die Fi-
nanzvermittlerdaranglaubten.DasUnter-
nehmensgeflecht habe aus mehr als
200Firmen bestanden, großteils Briefkas-
tenfirmen. Es habe durch die Anleger über
mehr als zwölf Millionen Euro Kapital ver-
fügt,abernichtsseiindie–ohnehindubio-
sen – Geschäftsideen investiert worden,
diemitteilsfalschenBehauptungenbewor-
ben wurden. Stattdessen soll der unterge-
tauchte Firmenpatriach Geld abgezweigt
haben: unter anderem eine Million Dollar
für eine Immobilie in den USA.
Es ist der Vater von drei der Angeklag-
ten,dervierteAngeklagtearbeitetealsVer-
triebsleiter. Den Anlegern wurde etwa vor-
gegaukelt, dass das Filialnetz der Metzge-
reien ausgeweitet werde, was nie geschah.
Die sogenannten Halbstrom-Geräte, die
den Verbrauch anderer technischer Geräte
im Haushalt drastisch reduzieren sollten,
waren laut Ermittlungen ein Schwindel:

ErstensverfügtendieBetrügernurüberet-
wa 100 Stück dieser Geräte, zweitens er-
brächtensienichtannähernddiebeschrie-
bene Leistung. Damit sei klar, sagte der
Richter, dass das Modell „von Anfang an
auf Betrug“ angelegt gewesen sei. Anle-
gern seien 15 Prozent Rendite bei 180 Ta-
genAnlagedauer versprochenworden.Sol-
che Versprechungen klängen zwar nicht

unbedingtserös,dieAnlegerseien aberge-
schickt getäuscht worden: Teils seien ih-
nen dieProdukte von Vermittlern angetra-
gen worden, mit denen sie bereits erfolg-
reich zusammengearbeitet hätten. Zu-
nächst seien auch Zinsen bezahlt worden,
wodurch neue Anleger durch Empfehlun-
gen gewonnen wurden, bis eben kein Geld
mehr für den Betrug da war. Übrig bleiben
Anleger,dieteilsHunderttausendeEuroin-
vestierten und dabei ihre Altersvorsorge
verloren.
DieAngeklagten,dasrechneteihnendie
Strafkammeran,hattenumfassendausge-
sagt und die Ermittlungen so deutlich er-
leichtert. Die drei Geschwister sagten auch

gegen ihren Vater aus: Falls er eines Tages
verhaftetwird,könnendieAussagensoge-
gen ihn verwendet werden. Sie hätten das
Betrugssystem auch nicht erfunden und
teils gar nicht komplett durchschaut. Ohne
den Vater, sagte Richter Engelsberger, wä-
re es nie so weit gekommen. Er sei eine do-
minante Person gewesen, es habe den Ge-
schwistern nicht leicht fallen können, sich
schließlich von ihm loszusagen. Spätes-
tens aber, als er sich Ende des Jahres 2015
in die USA abgesetzt und entgegen seinen
Versprechungen nicht mehr zurückge-
kehrt sei, hätten die Geschwister den Be-
trug komplett durchschauen und stoppen
müssen.
Der Richter machte den Angeklagten
deutlich, dass er am unteren Ende des
Strafrahmensgebliebensei.Die39Jahreal-
te Tochter wurde zu drei Jahren und zehn
Monaten Gefängnis verurteilt.Ihr 36 Jahre
alter Bruder bekam zwei Jahre und zehn
MonateHaft.EineweitereTochterdesIniti-
ators wurde nicht wegen der betrügeri-
schenGeschäfte verurteilt,sondernerhielt
unteranderemwegenInsolvenzverschlep-
pungeineBewährungsstrafevonzehnMo-
naten. Der Vertriebschef muss drei Jahre
ins Gefängnis – er war bereits einschlägig
vorbestraft wegen Betrugs mit Versiche-
rungen. fl orian fu chs

Garmisch-Partenkirchen– Nachdem ein


junger Braunbär vergangene Woche in der


Nähe der bayerischen Grenze in eine Foto-


falle getappt war, gehen die Spekulationen


um seinen Aufenthaltsort weiter. Der zu-


ständige Bezirksjägermeister aus Reutte


(Österreich), Arnold Klotz, sagte am Mon-


tag:„MankanndenWegdesBären nievor-


hersehen, er kennt keine Landesgrenzen.“


Er könne also auch schon durch Bayern


streifen, gesehen wurde er seitdem jedoch


nicht.DerPlanseein TirolistnurwenigeKi-


lometer von der Grenze im Landkreis Gar-


misch-Partenkirchen entfernt.


Dem Bayerischen Landesamt für Um-

welt liegen keine Informationen dazu vor,


dass der Bär sich in Bayern aufhält, wie ein


Sprecher sagte. Falls das Tier über die


Grenze kommt, greife der sogenannte


Wildtier-Management-Plan, der für „gro-


ße Beutegreifer“ wie Bären, Luchse und


Wölfe gilt und wegen „Problembär“ Bruno


2006 ins Leben gerufen worden war. Was


mit einem Bären in Bayern geschieht, ent-


scheiden demnach Vertreter verschiede-


ner Interessensgruppen – aus Natur-


schutz-, Jagd-, Land- und Forstwirtschaft


sowie Eigentümern. Der Braunbär ist in


Deutschland streng geschützt.


Anders als bei Bruno, der erschossen

wurde,handlesich essichJägerKlotzzufol-


ge bei dem gesichteten um ein sehr scheu-


en und harmlosen Jungbären – auch wenn


er laut DNA-Test für den Riss eines Hir-


schen im Juli verantwortlich sei. Der Alles-


fresser sei seit vier Monaten im Grenzge-


biet unterwegs. Im Dezember werde sich


dasTiervermutlich einWinterquartierwei-


ter südlich suchen, wo es mehr seiner Art-


genossen gebe. Ursprünglich, so vermutet


Klotz, stamme der Bär ausdem Trentino in


Norditalien. Einen Namen hat er bislang


nicht bekommen.
Sorgen bereitet der Bär im Grenzgebiet


dem Almwirtschaftlichen Verein Oberbay-


ern, der auf jegliche Spur oder Sichtung


größerer Raubtiere im Gebirgsraum emp-


findlich reagiert, weil er die Viehhaltung


aufBayerns Almenbedrohtsieht.AmAlm-


bauerntag in Mittenwald forderte der


scheidendeAlmbauern-VorsitzendeGeorg


Mair am Wochenende zum wiederholten


Mal den sofortigen Abschuss von Bären


und Wölfen im Gebirge. Zu ihrem neuen


Vorsitzenden wählten die Almbauern


Mairs bisherigen Stellvertreter Josef Glatz


aus Garmisch-Partenkirchen. dpa, kpf


DasgoldeneOktoberwetterlocktindiesenTagenScharenvonbegeisterten BergwandererninsAllgäu.Abernichtnurdiesegenießen
dieFernsicht.EinennochbesserenBlickaufdasBergpanoramagenießenallerdingsjene,die,wiehierbeiScheidegg,miteinemHeiß-
luftballon über die Alpen fahren. Vom Frühjahr an bis in den Herbst sind Ballonfahrten aus Witterungs- und Temperaturgründen in
der Regel nur kurz nach Sonnenaufgang oder kurz vor Sonnenuntergang möglich. ALSP/FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAND/DPA

München– Bayerns Ärzten ist wohl be-
wusst, dass das Thema heikel ist, doch ihr
Beschlussfieleinstimmig:Aufdem78.Bay-
erischen Ärztetag in München forderten
dieDelegiertenamWochenendedieStaats-
regierung auf, „bayernweit Drogenkon-
sumräume zuzulassen und den notwendi-
gen Personalaufwand staatlicherseits zu
fördern“. Heidemarie Lux, die Suchtbeauf-
tragte der Bayerischen Landesärztekam-
mer, hatte diesen Antrag gestellt. „Da geht
es um Suchtkranke, und die müssen an-
ständig versorgt werden“, kommentierte
Lux am Montag ihren Vorstoß. „Bis April
2019 gab es in Bayern wohl bereits 30Pro-
zent mehr drogenbedingte Todesfälle als
im Vorjahreszeitraum“, sagte sie.
Im Jahr 2017 wies die Statistik landes-
weit 308 Drogentote auf, 2018 ging die
Zahl laut Gesundheitsministerium auf
243Todesopfer zurück. Um nun wieder
steil nach oben zu gehen, wie Lux befürch-
tet. In Drogenkonsumräumen aber stünde
der Drogenkonsum „unter der Überwa-
chung durch geschultes Personal“, das bei
lebensgefährlichen Situationen eingreifen
könne.„JedereinzelneTodesfallverpflich-
tet uns, Menschen noch besser vor den Ge-
fahren von Drogen zu schützen und sie vor
denoftmalstödlichenFolgenihresDrogen-
konsums zu retten“, heißt es im Antrag von
Lux, dem alle Delegierten folgten. Die
Kranken bräuchtenHilfeundkeineStigma-
tisierung. Hauptursache der fatalen Zwi-
schenfälle seien nach wie vor Vergiftungen
durch Opioide wie beispielsweise Heroin.
Klar ist, dass Gesundheitsministerin
Melanie Huml (CSU) auch nach diesem Vo-
tum des Ärztetags keinen Millimeter vom
bisherigen Kurs abweichen wird. Sie hat
stets klargestellt, die großen Kommunen
in Bayern verfügten längst „über Netze
niedrigschwelliger Hilfen für Suchtkran-
ke“.Drogenkonsumräumeindeserleichter-
ten den Drogengebrauch. Und sie schaff-
ten„gewissermaßeneinestaatlichtolerier-
teDrogenszene“.Dasaberstehe„imWider-
spruch zur strafrechtlichen Verfolgung
von Besitz und Erwerb von illegalen Dro-
gen“, sagte Huml.
Die Meinung der Ministerin deckt sich
mit der offiziellen Parteilinie, doch es gibt
auch CSU-Politiker, die das anders sehen.
So etwa Josef Mederer, der Präsident des
oberbayerischenBezirkstags,deramMon-
tag auf Nachfrage betonte: „Ich bin nach
wie vor davon überzeugt, dassDrogenkon-
sumräume insbesondere in den Großstäd-
tenwieMünchenoderNürnbergnebenvie-
len anderen Maßnahmen ein Weg wären,
der hohen Zahl der Drogentoten in Bayern
entgegenzuwirken.“ In dieser Meinung se-
heer sich nun auch durch den Ärztetag voll
bestätigt. dietri ch mittl er

von f l orian fuchs

D


a überstehen sie unbeschädigt
den „Nuxit“, die Abspaltung der
Stadt Neu-Ulm, verteidigen vehe-

ment ihre Einheit und ihren Boden, und


dann das: Der Kreisausschuss des Land-


kreises Neu-Ulm stimmt einer Änderung


derLandkreisgrenzezuundtrittdamitei-


nenTeilseinesHoheitsgebietsandasUn-


terallgäu ab. Circa 240 Quadratmeter


futsch, einfach so: quasi ein Reiheneck-


haus mit handtuchgroßem Vorgarten, al-


lerdings für landwirtschaftliche Nut-


zung. Was haben sie gekämpft, damit die


Stadt Neu-Ulm weiter zum Landkreis


Neu-Ulm gehört und keine kreisfreie


Stadtwird,dannsindsievomFreistaater-


hört worden, und nun geben sie fast


kampflos klein bei: An der Grenze zwi-


schen der Gemeinde Pleß im Unterallgäu


undKellmünz im LandkreisNeu-Ulm hat


ein Landwirt seinen Grund verkauft, und


weil der neue Landwirt sein Gebiet gerne


nurin einem Landkreis verwalten würde,


soll sich Neu-Ulm nun verkleinern. Das


Unterallgäu hat zugestimmt, Neu-Ulm


nun auch, jetzt muss die Regierung von


Schwaben die Grenzänderung absegnen.


In Ermershausen zum Beispiel kön-

nen sie nur den Kopf schütteln über die


Neu-Ulmer. Nie hätten sie sich in Unter-


franken was wegnehmen lassen, mehr


als 15 Jahre kämpften sie, als sie der Frei-


staat mit der Gebietsreform 1978 in die


Gemeinde Maroldsweisach eingegliedert


hat.MehrereHundertschaftenvonBereit-


schaftspolizisten marschierten auf, über


die Jahre boykottierten die Ermershaus-


ener Wahlen, bis der Innenminister Ed-


mund Stoiber in den Neunzigern ein Ein-


sehen hatte und das widerstandsfähige


unterfränkische Dorf erneut eigenstän-


dig werden ließ.


Vielleicht ernennen sie bald den Neu-

Ulmer Kreisrat Heinz-Peter Ehrenberg


vondenGrünenzumErmershausenereh-


renhalber,ister dochdereinzige, dersich


gegen den Plan der Landwirte gestemmt


hat. Einen immensen Verwaltungsauf-


wand produziere das, kritisierte er laut


Neu-Ulmer Zeitung, und überhaupt: die


Kosten! Der Kämmerer erläuterte dann,


dass die Kosten die Landwirte schon sel-


ber tragen, Heinz-Peter Ehrenberg aber


ließ sich nicht erweichen. Während alle


RäteimKreisausschussfürdieVerkleine-


rung stimmten, verweigerte er trotzdem


das Ja. Seine schöne Begründung: „I hab’


koi Lust.“


Der CSU-Parteivorstand startet seine Sitzung mit einer Gedenkminute für die Op-
fer des Anschlags von Halle. FOTO: RACHEL BOßMEYER/DPA

„Ein mehrmonatiger Prozess bis


an die Grenzen der Belastbarkeit“


liege hinter ihnen, sagt Söder


Der Untergang der Wurstwelten


Das Landgericht Augsburg verhängt in einem bizarren Betrugsfall Haftstrafen, doch der Drahtzieher bleibt verschwunden


Der Bär ist wieder


da – und dort


75 Punkte fürs Image


Jünger, weiblicher, digitaler: Der CSU-Vorstand hat einen Leitantrag zur Parteireform verabschiedet.


Damit soll vor allem in den Großstädten den Grünen Konkurrenz gemacht werden


Vocke zieht


sich zurück


Umstrittener Jägerpräsident lässt


sein Amt nach Vorwürfen ruhen


Anleger haben teils
Hunderttausende Euro und

ihre Altersvorsorge verloren


Schöner schweben


Bayerns Ärzte plädieren


für Fixerstuben


MITTEN IN BAYERN


Neu-Ulm


schrumpft



DEFGH Nr. 238, Dienstag, 15. Oktober 2019 R11


BAYERN

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