Die Zeit - 24.10.2019

(lu) #1
Der Amerikaner Tyler Mitchell ist erst 24 Jahre alt und
schon ein Star in der Welt der zeitgenössischen Fotografie.
Mitchell ist ständig unterwegs, er hat kaum Zeit – für die-
ses Interview verabreden wir uns mit ihm am Ende im In-
ternet. Die Konversation findet per Videokonferenz statt.
Die Interviewer sitzen im Berliner Büro des ZEITmagazins,
Mitchell auf dem weißen Bett eines Hotels in Paris. Sein
Flieger aus New York ist erst vor ein paar Stunden gelandet.

Herr Mitchell, sind Sie sehr im Jetlag?
Vielleicht. Weiß ich noch nicht so richtig. Ich bin noch
nicht lange genug hier, um das spüren zu können.
Was führt Sie nach Paris?


Hier wird heute ein neues Parfum von Comme des Garçons
vorgestellt. Ich habe den Film und die Fotos für die Werbe-
kampagne gemacht.
Sie sind gerade 24 geworden. Sie haben Beyoncé für das


Cover der amerikanischen »Vogue« fotografiert, hatten eine
Einzelausstellung im Foam in Amsterdam, einem der wich-


tigsten Fotografie-Museen, Sie fliegen für die Kampagnen


globaler Mode-Imperien um die Welt. Können Sie uns er-
zählen, wie Sie das gemacht haben: so schnell so erfolgreich
zu werden? Wie fing das überhaupt an?
Ich komme aus Atlanta, Georgia. Die Stadt besteht im
Grunde aus lauter aneinandergewachsenen Vorstadtge-
meinden. Die, aus der ich stamme, heißt Marietta. Bevor
das mit der Fotografie losging, war ich ein gewöhnliches
Mittelklassekind. Wie viele Altersgenossen war ich ziem-
lich sportbegeistert. Irgendwann als Teenager habe ich auf
You Tube Skate- Videos entdeckt, und ich schaute mir die
so gerne an, dass ich mir schließlich selbst das Skaten bei-
brachte. Dadurch lernte ich ein paar andere Skater aus mei-
ner Gegend kennen, und das wurden meine engen Freunde.
Und na ja, eines Tages brachte ein Freund eine Kamera mit,
und wir begannen, uns damit gegenseitig beim Skaten zu
filmen und aus dem Material kleine Filmchen zu schneiden.
Ich entwickelte dann sehr schnell eine regelrechte Leiden-
schaft mit diesem Filmen und Schneiden, es interessierte
mich bald viel mehr als das Skaten selbst. Ich habe meine
Filme ins Netz hochgeladen, brachte mir immer mehr über
Kameraführung, Schnitt, Farbkorrektur und solche Sachen
bei, das kann man ja alles leicht online lernen. Und ich bin
total in dieser Welt des Films und der Filmemacher versun-
ken, ich schaute mir so viel an, wie ich konnte, und las so
viel, wie ich konnte. Es war eine Ob ses sion!
Beim Skaten muss man ja auch seine eigene Angst über-
winden, man fällt dabei auch ganz gerne mal auf die Nase.
Meinen Sie, dass Ihnen das dabei geholfen hat, sich der
Welt von Film und Foto unbefangen zu nähern?
Das kann sein. Ich fühle mich jedenfalls heute ziemlich
furchtlos!
Sie lachen.
Im Ernst: Es ist schon erstaunlich, wie viele kreative Leute
auch gern skate boar den. Vielleicht hat es damit zu tun, dass
man da eigentlich immer gegen sich selbst antritt. Das ist in
vielen kreativen Berufen dann ja ähnlich. Der nächste Trick
muss besser sein. Das nächste Foto muss besser sein.
Haben Sie Ihren Ehrgeiz also beim Skaten entwickelt?
Bestimmt. Aber ich bin auch ein Einzelkind. Ich war immer
schon selbstkritisch.
Was machen Ihre Eltern beruflich?
Mein Vater macht irgendwas mit Beratung, das ich nicht
verstehe. Nein, warten Sie. Er wäre traurig, wenn ich das
so sagen würde. Ich verstehe es ja auch. Also, er arbeitet als
Finanzberater für kleinere Unternehmen. Er hat das Unter-
nehmen anfangs aus unserer Garage betrieben.
Etwas alleine auf die Beine zu stellen, und das von zu Hause
aus: Das haben Sie sich bei Ihrem Vater abgucken können.
Absolut! Und das war auch immer eine große Wunschvor-
stellung für mich, ein Studio im eigenen Zuhause. Ich bin
ein Zuhause-Typ.
Und Ihre Mutter?
Die ist Eventmanagerin. Sie ist eine fantastische Logisti-
kerin, sie kann das irre gut, planen, was wann wo sein muss
und wie das gehen soll. Das habe ich zum Glück von ihr

Von CHRISTOPH AMEND und ALARD VON KITTLITZ

Tyler Mitchell, 24, ist in Atlanta, Georgia geboren.
Er hat an der berühmten New Yorker Tisch
School of the Arts studiert. Seine Fotos sind in
Museen wie der National Portrait Gallery in
Washington, D. C., zu sehen und in
Modekampagnen weltweit. Er lebt in Brooklyn

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