Welche Bilder heute in seinem Büro hän
gen, weiß ich nicht, weil ich in seinem
Büro noch nie war, seitdem es zu einem
Ministerpräsidentenbüro aufgestiegen ist.
Als es noch ein – auch nicht gänzlich un
bescheidenens – Finanzministerbüro war,
schwebte an einer der vier Wände jeden
falls ein fast lebensgroßer Astronaut durchs
Weltall. Völlig losgelöst, nicht nur von der
Erde, sondern auch von der auf ihr behei
mateten CSU. Musste da jemand, so fragte
ich mich, überdeutlich zeigen, dass er sich
zu Höherem berufen fühlt? Hatte da ein
politisierter Major Tom jede ground control
verloren? Sah sich da gar ein überehrgeiziger
Finanzministerbürobewohner als erwach
sene Version jenes rästelhaften Astro
nautenfötus, der in Stanley Kubricks Kult
film 2001: Odyssee im Weltraum erlöser
gleich der Erde entgegenschwebt? Egal.
Der Moment, in dem ich das Bild sah,
war der Moment, in dem ich begann,
Markus Söder zu mögen. Ausgerechnet
ihn, das unheimliche Wesen aus der christ
sozialen Welt. Söder galt einmal als Polari
sierer und Spalter, als politisches Alphatier
von der dunklen Seite der Macht. Als ein
Mann, der vor allem eins wollte: nach
oben. Als Horst Seehofer noch etwas zu
sagen hatte in der CSU, attestierte er sei
nem bei dieser Gelegenheit abwesenden
Parteifreund »charakterliche Schwächen«
und einen Hang zu »Schmutzeleien«. Sö
der, so urteilte Seehofer, sei von »Ehrgeiz
zerfressen«. Das öffentlich zu sagen zeugte
natürlich von charakterlicher Stärke und
einem Hang zur politischen Sauberkeit.
Seehofer, so musste man da denken, sei so
sehr von Nächstenliebe und Selbstauf
gabe beseelt, dass einem der Minister ge
wordene Makel Söder schon wieder ganz
menschlich vorkam. Da mochte ich ihn
noch ein bisschen mehr.
Als bayerischer Landesvater und CSU
Chef ist der verhinderte Astronaut Söder
nun in Galaxien vorgedrungen, die nie ein
Christdemokrat zuvor gesehen hat: in die
Lichtjahre vom Wesenskern seiner Partei
entfernte Welt der Frauenquote. Diese
Pioniertat verdient Bewunderung. Noch
fremder als die Quote erschien der eigenen
Partei aber die plötzliche Milde ihres Chefs
- sie verweigerte ihm die Gefolgschaft.
Muss man nun mit dem Star WarsPhilo
sophen Yoda feststellen: »Begonnen der
Angriff der Klonkrieger hat«? Wohl kaum.
Es reicht, eine Erkenntnis zu gewinnen:
Die Frauenquote ist ein kleiner Schritt für
den Menschen Söder, aber ein zu großer
Sprung für die Männer der CSU.
LIEBE
Böse Zungen sagen, Markus Söder wolle mit allen Mitteln nach oben. Dabei ist er nur ein verhinderter Astronaut VON PETER DAUSEND
Peter Dausend
ist Politischer
Korrespondent
im Hauptstadt-
büro der ZEIT
Das ging aber daneben! Unser
Kolumnist Ulf Poschardt über
den TwitterTiefpunkt der Woche
Der Stallgeruch der Sozialdemokratie stellte
über Jahrzehnte hinweg sicher, dass die
SPD ihre Wurzeln als Arbeiterpartei ebenso
wenig vergaß wie ihre schmerzhafte Ge
schichte. Der linke Traditionalismus war
eine Kulturgeschichte des Stolzes auf Er
rungenes und Erkämpftes, auf bitter Be
zahltes, historisch Einzigartiges (die Rede
von Otto Wels gegen das Ermächtigungs
gesetz der Nazis!) und würdevoll Ertragenes.
In den 156 Jahren seit Gründung des All
gemeinen Deutschen Arbeitervereins hat
die Sozialdemokratie viel geleistet für das
Land, oft genug Heroisches. Auch in düste
ren Zeiten gab dies den Genoss*innen das
Gefühl, auf der richtigen Seite der Ge
schichte zu stehen. Es war eine Sache nicht
nur des Verstandes, sondern des Herzens.
Die SPD war eine Partei mit Seele.
Das ist sie heute nicht mehr. Ein Ge
nosse wie Tobias Dünow, ehemaliger Spre
cher der SPD und nun in der Landes
vertretung Niedersachsens untergebracht,
folgt einem Trend zum kühl Ahistori
schen. Keine Partei hat ihre Kanzler so
mies behandelt wie die SPD (und die
CDU hat es mit Helmut Kohl wirklich
versucht), keine Partei kann sich über
staatsmännische Triumphe wie die Hartz
Reform so wenig freuen, kaum eine Partei
sehnt sich so oft weg von den Mühen der
Realpolitik wie die SPD. Ein schrotkörni
ger SPDChef wie Franz Müntefering
wusste darüber zu klagen. Ein hanseati
scher Kerzengerader wie Helmut Schmidt
auch.
Die Partei entwickelt sich zur postmo
dernen Farce, zu einem linkspopulären
Meinungsbrei. Sie hat sich dafür gerade auf
Regionalkonferenzen amüsiert feiern las
sen. Dabei fehlt der Partei aber jener Zug
zur Macht, der mit den großen historischen
Schuhen zu tun hat, die sich die Nachfolger
Bebels, Lassalles und Brandts anziehen
müssen. Sie können es nicht mehr. Deswe
gen wird das Erbe fast zynisch weggewischt.
Substanz, Format und Charisma eines Willy
Brandt müssten all seine Urenkel zur Ein
kehr und ins Bootcamp treiben.
Die Latte liegt hoch, Brandts Kniefall in
Warschau war der größte Moment der
Nachkriegsgeschichte vor dem Fall der
Mauer. Das war nur möglich, weil Brandt
im ganzen Wissen um die Geschichte seines
Landes, seiner Partei und seiner Biografie
wusste, was er tat. Er fühlte es. Es war keine
Strategie. Er tat es für uns alle. Wir können
nicht ohne ihn auskommen, weil er uns
immer noch prägt.
VERTWITTERT
Wer wird Millionär? Um Choupette, Lieblingstier des verstorbenen Karl Lagerfeld, tobt ein Erbstreit:
Wer hat die Vermarktungsrechte an der Katze? Ihre Nanny Françoise Caçote – oder doch Ashley Tschudin,
die Betreuerin ihres InstagramAccounts? Choupettes Werbewert soll bei 30 Millionen Euro liegen
Foto: Instagram/choupettediary
@TobiasDuenow
Willy Brandt war toll, ist aber tot. Wir
sollten uns an den Gedanken gewöhnen,
dass wir jetzt ohne ihn auskommen müssen.
Es rettet uns kein höh‘res Wesen.
getwittert am 21. Okt. 2019 um 7:42 Uhr
60
ZEILEN
...
Ulf Poschardt ist
Chefredakteur
der Welt Gruppe.
An dieser Stelle
schreibt er im
Wechsel mit
Anja Reschke,
der Moderatorin
der ARD Sendung
»Panorama«
Online mitdiskutieren: Mehr Streit finden Sie unter zeit.de/streit
12 STREIT 24. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 44
IRGENDWAS IST JA IMMER
Quittung in fünf Jahren
Berlins Mietendeckel soll Not lindern – und verschärft sie nur VON TOBIAS BLANKEN
F
ür den Berliner Mieterverein ist er »eine
historisch einmalige Chance für ein
besseres Mietensystem«. Der Eigentü
merverband Haus & Grund spricht von
einem »unverhohlenen Klassenkampf
gegen kleine und mittelständische Ei
gentümer«. Und CDU und FDP ha
ben bereits angekündigt, den Klage
weg zu beschreiten. Der am Dienstag
vom Berliner Abgeordnetenhaus mit
den Stimmen der Regierungskoalition von SPD,
Linker und Grünen beschlossene Mietendeckel spal
tet die Hauptstadt – und nicht nur sie. Die tages
zeitung titelte schon im Vorfeld siegesgewiss »Ihr Spe
kulanten der Welt: Schaut auf diese Stadt!«, während
Kritiker die DDR bemühen mit Worten wie »Plan
wirtschaft«, »Sozialismus« und »Ruinen schaffen ohne
Waffen«.
Dabei soll der Mietendeckel den Berliner Mietern
vor allem Zeit kaufen. Ein Ansinnen, dem der Mie
tendeckel kurzfristig gerecht werden kann – allerdings
auf Kosten der Zukunft.
Wer in der aufgeheizten Atmosphäre betont sach
lich auftritt, ist der Regierende Bürgermeister Michael
Müller (SPD). Müller macht das, was von einem Re
gierungschef erwartet wird: Er erklärt das Regierungs
handeln. Erklärt, dass der Mietendeckel nur eine von
mehreren Maßnahmen sei, mit dem die Mieter ge
schützt werden sollen. Erklärt, dass die Stadt »bauen,
kaufen, deckeln« will. Dass der Wohnungsneubau an
gekurbelt, der kommunale Wohnungsbestand durch
Zukäufe erhöht und nun eben auch ein befristeter
Mietendeckel eingeführt wird. Denn der Mietendeckel
ist, was die »Freiheit oder Sozialismus«Rufer gern
übersehen, auf fünf Jahre begrenzt.
Dem Mietendeckel liegt eine Feststellung zugrun
de, der sowohl Kritiker als auch Befürworter zustim
men dürften: In den vergangenen Jahren ist in Berlin
zu wenig neuer Wohnraum geschaffen worden. Die
Nachfrage nach Wohnungen wuchs viel schneller als
das Angebot. Gründe für den Nachfrageboom gibt es
viele, etwa demografische. Immer mehr Senioren und
Alleinstehende benötigen pro Kopf einfach mehr
Wohnraum als Familien. Aber vor allem ist die Stadt
gewachsen, von 3,39 Millionen Einwohner im Jahr
2010 auf zuletzt 3,74 Millionen Mitte 2019 – ein Zu
wachs von 350.000 Menschen, was der Einwohner
zahl Wuppertals entspricht. Durch die gestiegene
Nachfrage bei knapper werdendem Angebot kannten
die Mietpreise nur eine Richtung: nach oben. Ver
mieter konnten dank der Wohnungsnot zum Teil
abenteuerliche Mieten verlangen.
Aber zurück zum Regierenden Bürgermeister Mül
ler. Anfang dieser Woche erklärte er in einem Tages
schauInterview: Der auf fünf Jahre befristete Mieten
deckel sei »ein wichtiger Baustein«, »um den Miete
rinnen und Mietern eine Atempause zu verschaffen,
bis mehr neuer Wohnraum geschaffen ist«. Womit
Müller jedoch einer Vorstellung anhängt, die viel mit
Wunschdenken, aber wenig mit der Realität auf dem
Berliner Wohnungsmarkt zu tun hat.
Denn Berlin schafft es nicht nur seit Jahren nicht,
für ausreichend neue Wohnungen zu sorgen, die Stadt
schneidet auch beim Neubau weiterhin schlechter als
andere Großstädte ab. Hamburg zum Beispiel kam im
vergangenen Jahr auf 58 neue Wohnungen je 10.
Einwohner, während es in Berlin gerade einmal 46
waren. Mehr noch, Hamburg verzeichnet für dieses
Jahr erneut einen deutlichen Zuwachs bei den Bau
genehmigungen, während diese in Berlin rückläufig
sind. Entsprechend räumte Regierungschef Müller
auch ein, dass Berlin derzeit auf rund 16.000 neue
Wohnungen im Jahr kommen würde, während 18.
bis 20.000 gebaut werden müssten.
Nein, solange kein Wunder geschieht, wird Berlin
es in der fünfjährigen »Atempause« nicht schaffen, die
Wohnungslücke zu schließen. Schlimmer, die Berliner
Bauwirtschaft beklagt bereits Auftragsrückgänge. Wer
möchte angesichts massiver Eingriffe in den Woh
nungsmarkt dort noch sein Geld investieren? Setzt
sich diese Entwicklung fort, wären die guten Absich
ten hinter dem Mietendeckel konterkariert, schließ
lich würde damit der Wohnungsneubau nicht ange
kurbelt, sondern abgewürgt werden. Was dann dazu
führen könnte, dass die Mieter in fünf Jahren sogar
schlechter dastehen. Womit keine Zeit gekauft, son
dern auf Kosten der Zukunft gelebt worden wäre. kl. Fotos: Lengemann/Welt; Urban Zintel für DIE ZEIT (u.)