Dallas/Cranford
F
ast 20 Minuten muss man in der
großen Arena in Dallas warten, bis
das Wort fällt, das Amerika seit ei-
nigen Wochen beherrscht. So lange
braucht Donald Trump, bis er wie
auf einem Spielbrett all die sprach-
lichen Figuren aufgebaut hat, mit
denen er die Welt seit drei Jahren beschreibt: radi-
kale Demokraten, das Stehlen einer demokrati-
schen Wahl, Umsturzversuch. Die Zuschauer in
der American Air lines Arena sind nahezu kom-
plett in Fan-Kleidung erschienen. Wie zu einem
Fußballspiel. Jedes Reizwort kommentieren sie
wie eine Rote Karte gegen einen ihrer Spieler, mit
ohrenbetäubendem Buh-Gebrüll. Dann malt der
Präsident aus, wie ihr Leben in Texas ohne ihn
aussehen würde: keine Religion, keine Waffen,
kein Öl. Als endlich das Wort Im peach ment fällt,
landet es genau dort, wo Donald Trump es haben
will – mitten im Netz all jener Begriffe, die als
gefährlich gelten. Seine Fans assoziieren mit dem
Wort Im peach ment nicht nur einen Angriff auf
Trump (er spricht vom »Lynchen«), sondern auch
einen Angriff auf sie selbst. Vielleicht auch des-
halb ist Trump nach einer für ihn desaströsen
Woche erstaunlich guter Laune.
Diese Woche begann damit, dass sich mehrere
Diplomaten der Anweisung des Weißen Hauses
widersetzten, nicht im Amtsenthebungsverfahren
vor dem Untersuchungsausschuss auszusagen. Bis-
lang hatte das Weiße Haus immer erfolgreich ge-
mauert, wenn die Demokraten Unterlagen sehen
oder Zeugen vernehmen wollten. Aber vor die Wahl
gestellt, Trump oder einen verfassungsmäßigen
Prozess wie das Amtsenthebungsverfahren zu unter-
stützen, entschieden sich die Beamten für das Recht.
Dann erntete Trump heftigen Zorn in seiner eigenen
Partei, als er eigenmächtig den Abzug der amerika-
nischen Truppen aus Nordsyrien ankündigte. Auf
einmal erschien Amerika als wortbrüchig und treu-
los, als ein Land, auf das man als Verbündeter im
Zweifel nicht zählen kann.
Schon im Dezember könnte das
Impeachment beginnen
Als Trump dann am Donnerstag schon in der Luft
und unterwegs nach Texas war, leistete sich sein
Weißes Haus zwei weitere Unglaublichkeiten.
Trumps amtierender Stabschef Mick Mulvaney
kündigte auf einer Pressekonferenz an, das nächste
G7-Treffen werde in Trumps eigenem Doral Golf
Resort in Florida stattfinden. Dass das die Kritik
befeuern würde, Trump missbrauche sein Amt zu
persönlicher Bereicherung, schien ihm egal zu sein.
In dieser Wir-machen-was-uns-passt-Haltung gab
er überdies genau das zu, was Trump bislang hart-
näckig geleugnet hatte: Mulvaney informierte darü-
ber, dass Trump die 400 Millionen Dollar Militär-
hilfe für die Ukraine tatsächlich zurückgehalten habe,
um Druck auf das Land auszuüben. Die Ukrainer
hätten ihm belastendes Material beschaffen sollen,
das er gegen seine politischen Gegner benutzen könn-
te. Der Vorgang wird in Amerika unter dem Stich-
wort Quidproquo heiß debattiert.
Dass es zu einer Amtsenthebungsklage durch
das Repräsentantenhaus gegen Donald Trump
kommen wird, steht mittlerweile fest. Der Senat,
vor dem die Klage verhandelt werden wird, berei-
tet sich auf ein langwieriges Verfahren vor. Mögli-
cherweise wird es schon im Dezember beginnen.
Man wird Zeugen vernehmen und Ermittlungs-
ergebnisse begutachten. Genau wie vor Gericht.
Welches Urteil am Ende gesprochen wird, hat je-
doch, anders als vor Gericht, wenig mit den prä-
sentierten Fakten oder dem Gesetz zu tun. Denn
diejenigen, die das Urteil sprechen werden, sind
keine unabhängigen Juristen, sondern von ihren
Wählern abhängige Politiker: 47 demokratische
und 53 republikanische Senatoren. Für die Amts-
enthebung ist eine Zweidrittelmehrheit von 67
Stimmen nötig. Die Entscheidung hängt also
vorwiegend davon ab, wie die Wähler in den
kommenden Wochen über das Im peach ment
denken werden. Darum tobt zwischen Demokra-
ten und Trumpisten jetzt der Kampf um die
Köpfe. Wer wird ihn gewinnen?
In Dallas haben sich rund 20.000 Zuschauer
in der Arena eingefunden, mehrere Tausend ver-
folgen die Show draußen auf Großbildleinwän-
den. Und wenn auch Trumps Rede mitunter un-
gelenk wirkt und er andauernd Begriffe und Sätze
wiederholt, hat seine Rhetorik doch Methode.
Trump benutzt eine eigene systemverachtende
Sprache, deren Begriffe es vielfach in den Alltag
aller Amerikaner geschafft haben. Fake- News zum
Beispiel oder »die Karawane«, was für die Flücht-
linge aus Südamerika steht.
Für seine Politik führt Trump an diesem Abend
in Texas den Begriff »unkonventionell« ein. Im-
mer wieder benutzt er ihn, ob im Zusammenhang
mit Syrien oder der Ukraine. An einer Stelle spielt
er einen »konventionellen« Politiker vor. Er lässt
die Arme steif herunterhängen, drückt den Rü-
cken durch, schiebt seinen Kopf nach hinten und
begrüßt das Publikum mit monotoner Stimme.
Die Zuschauer können sich vor Begeisterung
nicht mehr auf den Sitzen halten.
Der Präsident, dem Machtmissbrauch vorge-
worfen wird, reagiert mit einem Sketch. Man
könnte auch sagen: Er verachtet die Regeln des
Systems, an dessen Spitze er steht.
Wenige Tage nach Trumps Auftritt in Dallas be-
nutzt der mächtige republikanische Senator Lindsey
Graham den neuen Begriff zum ersten Mal. Er
hatte Trumps Entscheidung in Syrien als einer der
Ersten kritisiert. Nun nennt auch er sie »unkon-
ventionell« und fügt hinzu, dass sie vielleicht doch
zum Erfolg führe. Graham weiß, dass Trump die
Identität seiner Partei verändert hat. Und dass die
Parteibasis den Abzug aus Syrien mehrheitlich befür-
wortet. In Dallas pumpen die Männer glücklich ihre
Fäuste in die Luft, die Frauen schwenken lachend
ihre Plakate. Durch die Arena donnert der Sprech-
chor: four more years, four more years. Diese Leute
sind Trump für immer sicher.
Zwei Tage später, im Gemeindezentrum von
Cranford in New Jersey. Tom Malinowski legt die
rechte Hand auf sein Herz, dann spricht er ge-
meinsam mit 200 Anwesenden den Treueid auf
die amerikanische Fahne. Durch die dünnen Tü-
ren hört man das Quietschen der Turnschuhe in
der benachbarten Basketballhalle. Malinowski ist
einer jener moderaten Demokraten, die in den
Midterm-Wahlen vor einem Jahr einen republika-
nischen Bezirk gewonnen haben. Er hält die Hoff-
nung der Demokraten am Leben, dass der Kampf
im die Köpfe noch nicht entschieden sei.
Das Amtsenthebungsverfahren ist gefährlich,
denn es zwingt Wähler, die erstmals für einen
moderaten Demokraten wie Malinowski ge-
stimmt haben, in einen Loyalitätskonflikt. Sind
Trumps Verstöße gravierend genug, um ihn des
Amtes zu entheben? In Michigan musste sich
Malinowskis Kollegin Elissa Slotkin, eine ehe-
malige CIA-Analystin, vor drei Wochen auf drei
Town-Hall-Veranstaltungen heftige Kritik an-
hören. Einige der Anwesenden nannten das Im-
peach ment einen Umsturzversuch, die Fakten,
TITELTHEMA: WENDET SICH DAS BLATT?
In Texas findet der Präsident
immer noch begeisterte
Zustimmung – und schwört
seine Anhänger auf den
Showdown ein
VON KERSTIN KOHLENBERG
die Slotkin vortrug, Fake- News. Sie klangen wie
Trump in Dallas.
Cranford ist ein hübsches, wohlhabendes Ört-
chen, eine Autostunde von Manhattan entfernt,
aber eben auch konservativ. Tom Malinowski for-
muliert an diesem Tag, so wie es die Partei intern
geraten hat, sehr vorsichtig, als er seine Entschei-
dung erklärt, das Im peach ment zu unterstützen.
Das Verfahren sei kein Spaß, und er habe sich die
Entscheidung nicht leicht gemacht, sagt er.
Und dann erklärt er, warum es so gefährlich sei,
dass Trump, der mächtigste Mensch der Welt,
dem Präsidenten eines Landes wie der Ukraine ein
solches Ansinnen unterbreitet habe. »Stellen Sie
sich einmal vor, Ihr Haus brennt und Sie rufen die
Feuerwehr an«, sagt Malinowski. »Der Feuerwehr-
mann nimmt den Anruf entgegen und sagt: Ja, da
können wir wohl helfen. Aber vorher möchte ich
Sie noch um einen Gefallen bitten.«
Malinowski trägt das nicht komödiantisch wie
Trump vor. Der schmale Mann im Anzug ohne
Krawatte neigt nicht zum Überschwang. Er war stell-
vertretender Staatssekretär im Außenministerium
unter Obama, hat für Human Rights Watch gearbei-
tet, in Berkeley Politik und in Oxford Philosophie
studiert. Er ist die Verkörperung dessen, was Trump
als deep state bezeichnen würde: Demokrat, Diplo-
mat, dem System treu.
In wenigen Worten erklärt Malinowski, was
mit einem Land geschieht, dessen Politiker sich
nicht mehr an demokratische Normen und Gesetze
halten. »Dass unsere Feuerwehr, unsere Banken,
unsere Schulen nicht nach kleinen Gefälligkeiten
fragen, ist der Unterschied zwischen uns und Ve-
nezuela«, sagt er. Und die 200 Menschen im Saal?
Sie applaudieren laut.
Natürlich sind 200 Bürger keine 20.000. Mali-
nowski hat 31.500 Follower auf Twitter, Trump
66 Millionen. Die Lokalzeitungs-Artikel über Ma-
linowski werden am folgenden Tag von 660 Lesern
kommentiert. Bei Trumps Auftritt in Dallas
schauten auf Fox News vier Millionen zu. Und
doch ist eine Mehrheit der Amerikaner für ein Im-
peach ment (siehe den nebenstehenden Artikel).
Nach dem Auftritt in Cranford klopfen Mali-
nowski viele Leute auf die Schulter, ein Bekannter
reicht ihm eine Packung legefrischer Eier, dann
setzt sich der Abgeordnete in seinen Tesla. »Ich
denke, die Mehrheit der Amerikaner glaubt immer
noch an Fakten«, sagt er. »Und die Fakten sind auf
unserer Seite.«
Bevor Trump in Dallas auf die Bühne trat,
stand dort Brad Par scale. Wer ihn nicht kennt,
könnte den Zweimetermann mit den breiten
Schultern, dem kahl rasierten Schädel und dem
langen Fusselbart für einen Wrestler halten. Par-
scale ist ein beliebter Einheizer im Vorprogramm
von Trump und der Chef der Wiederwahl-
Kampagne. Seine Spezialität ist der Online-Wahl-
kampf. Gemeinsam mit der Republikanischen Par-
tei hat er online bereits 125 Millionen Dollar ge-
sammelt, allein 13 Millionen binnen zweier Tage,
nachdem die Demokraten das Amtsenthebungs-
verfahren angekündigt hatten.
Zehn Millionen davon gibt Trumps Kampagne
nun aus, um die Demokraten anzugreifen. Der Tenor
ist, dass diese vor lauter Im peach ment ihre Arbeit im
Kongress vernachlässigten. Trump nennt sie in Texas
immer wieder die do-nothing Democrats. Er drillt
seinen Fans das Wort regelrecht in den Kopf. Später
wird es seinen Twitter-Feed füllen. Es zielt nicht zu-
letzt auf Leute wie Malinowski; der sitzt im außen-
politischen Ausschuss des Repräsentantenhauses,
einem der drei Ausschüsse, in deren Hand zurzeit das
Im peach ment- Ver fah ren liegt.
Vorsorglich hatte Malinowski in Cranford da-
her auf die Stühle des Gemeindezentrums jeweils
drei Ausdrucke legen lassen: Sie führten all die Ge-
setzesinitiativen auf, die seine Demokraten im Ab-
geordnetenhaus verabschiedet haben und die von
den Republikanern im Senat blockiert wurden.
Als Malinowski schon zu seinem nächsten Termin
unterwegs ist, steht John Witherington noch im
Gemeindezentrum und sortiert seine Gedanken. Er
wird ihm Geld für seine Wiederwahl spenden. Aber
er macht sich Sorgen. Witherington ist 77 Jahre alt,
Rentner, abends zappt er sich durch die Kabelkanä-
le. Und dort sieht er dann, wie heftig die Republika-
ner die Demokraten angreifen. Warum halten die
Demokraten die Im peach ment- Be fra gun gen hinter
verschlossenen Türen ab?, fragt er. Warum bieten
sie es Trump regelrecht an, dass er sie dafür kritisiert?
Der dreht den Spieß einfach um. Macht aus Adam
Schiff, dem Leiter der Im peach ment- Er mitt lun gen,
»shifty Schiff«, den verschlagenen Schiff, der alles
geheim hält.
Was er abends im Fernsehen mitbekommt,
gefällt ihm nicht
Auch Trump zappt bekanntermaßen abends durch
die Sender. Was er sieht und hört, scheint sich von
dem zu unterscheiden, was Witherington wahr-
nimmt. Trump sah da zum Beispiel vor einigen
Wochen den bekannten Fox-News-Moderator Shep
Smith, der sich traute, ihn, Donald Trump, für das
Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten zu kri-
tisieren. Er sah auch eine Handvoll Republikaner in
Washington, die so klangen, als ob sie für seine Amts-
enthebung seien. Und er sah die massive Kritik an
seiner Entscheidung zu Syrien. Am Ende zwang ihn
auch diese Kritik dazu, seinen Kurs etwas abzuändern
und einige wenige Soldaten in Nordsyrien zu belas-
sen. Auch in der G7-Angelegenheit musste er seine
Entscheidung zurücknehmen.
So etwas verträgt Trump nicht, weshalb er am
vergangenen Montag im Weißen Haus vor Journa-
listen gegen seine eigene Partei ausholte. Er be-
klagte, dass die Republikaner ihn nicht vehemen-
ter verteidigten. Die Demokraten seien da ganz
anders, sagt er. Die hielten fest zusammen. Das
klang schon fast ein bisschen beleidigt.
Kritik an Trump hat allerdings Konsequenzen.
Der Fox-News-Moderator kündigte kurz nach
seiner kritischen Aussage. Der republikanische
Abgeordnete Francis Rooney aus Florida, der eine
Amtsenthebung für richtig erachtet, wird sich
nicht mehr zur Wiederwahl stellen. Er weiß, dass
die Mehrheit der republikanischen Wähler hinter
Trump steht, wie die Fans in Dallas. Und 88 Pro-
zent der Republikaner lehnen ein Amtsenthe-
bungsverfahren ab. An den Rändern bröckelt es,
aber die Republikanische Partei ist noch immer
Trumps Verein. Die Frage ist, ob das genügt, um
den Präsidenten an der Macht zu halten.
Trump weiß allerdings, dass er nicht die Mehr-
heit aller Amerikaner braucht. Die hatte er schon
2016 nicht. Die Zahl seiner Anhänger kann sogar
noch weiter schrumpfen, ohne dass für ihn alles
verloren ist. Denn seine Wähler sitzen in strategisch
vorteilhaften Staaten. Laut einer Studie der Finanz-
firma Moody’s Analytics ist seine Wiederwahl sogar
wahrscheinlich, sollte die Wirtschaft stabil bleiben.
Trumps Kampagnen-Manager Brad Par scale gibt
sich siegessicher. Gleich nachdem Mick Mulvaney
das Quidproquo zugegeben hatte, ließ Par scale
T-Shirts mit dem Satz drucken, den Mulvaney am
Ende der Pressekonferenz gesagt hatte: Get over it!
Regt euch ab. Für 30 Dollar kann man sie online
bestellen.
Es
brodelt
Illustration: Luca D’Urbino für DIE ZEIT
- OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 44 POLITIK 3