Die Zeit - 24.10.2019

(lu) #1

  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 44 GLAUBEN & ZWEIFELN


Revolution aus dem Regenwald


Der Papst will eine amazonische Kirche, gegen alle Widerstände. Bei der Bischofssynode in Rom haben wir mit Teilnehmern


aus dem Amazonasgebiet gesprochen. Einige setzen für die gerechte Sache ihr Leben aufs Spiel VON EVELYN FINGER


E


ine der ihren ist, seit sie in Rom
sind, bereits erschossen worden.
Die Frau war eine brasilianische
Indigene und gehörte zu jenen
Staudammgegnern, von denen es
im Amazonasgebiet immer mehr
gibt; aber man darf sich das nicht
wie bei den Klimademos in Westeuropa vorstellen,
dass man hingeht und seine Meinung kundtut und
dafür noch Applaus von den Zeitungen erntet. Da,
wo sie herkommen, ist Klimaschutz oder das, was
die Kirche »Bewahrung der Schöpfung« nennt, le-
bensgefährlich. Im Fall der Brasilianerin wurde
gleich noch ein Freund, der gerade zu Besuch war,
erschossen. Und deshalb ist auch das dreiwöchige
Amazonastreffen im Vatikan, das noch bis kom-
menden Sonntag dauert, eine existenzielle Sache.
Manche in Deutschland glauben, es gehe da halt
wieder um die Umwelt, zumal der Papst dieser Tage
gern von »ganzheitlicher Ökologie« spricht und zur
Synode auch zwei Koryphäen vom Potsdam-Institut
für Klimafolgenforschung eingeladen hat; andere
glauben, es gehe um die Abschaffung des Zölibats
und die Durchsetzung des Frauenpriestertums in der
katholischen Kirche, zumal die Amazonasbischöfe
mehrheitlich dafür sind und acht von neun circuli
minori, den Sprachgruppen der Synode, sich bereits
auf die Forderung nach dem Diakonat der Frau ge-
einigt haben sollen. Tatsächlich geht es um mehr,
eigentlich um alles.


Bischof Kräutler sagt, das Schönste am tropischen
Regenwald sei für ihn dieses Bild von oben: Wie er
das erste Mal mit einer kleinen Propellermaschine
über das unendliche Grün hinwegflog – mittendrin
aber leuchteten gelb und lila blühende Bäume. Das
war vor 54 Jahren, Kräutler damals ein junger Pfarrer
aus Österreich, der die verkohlten Baumgerippe und
Aschelandschaften, die nach Brandrodungen zurück-
bleiben, noch nicht kannte. Die vom Rauch geröte-
ten Augen der Kinder. Die eigene Atemnot beim
Zelebrieren der Messe.
Heute sagt er, dass jede Blume ein Lächeln Gottes
sei. Dass er Bäume liebe, weil sie einem nie den Rü-
cken zudrehten. Und dass ohne jene Farben, die er
damals vom Flugzeug aus erblickte, Amazonien auch
nur ein großes Brokkolifeld wäre. Dom Erwin, wie
sie ihn nennen, macht überhaupt gern Scherze. Der
77-Jährige mit dem schlichten Bischofskreuz aus
Holz ist wie viele seiner Amtsbrüder aus dem Ama-
zonasgebiet von auffallender Heiterkeit, Herzlichkeit,
Offenheit. Vielleicht muss man so sein, um die Be-
drohung durch die, die im Regenwald nur ein Re-
servoir von Bodenschätzen sehen, zu erdulden. Auf
die Frage, was das Schlimmste in seiner Zeit in Bra-
silien gewesen sei, sagt Kräutler schlicht: »Die Morde
an den Menschen, die ich lieb gewonnen habe.«
Kräutler sitzt an einem Holztisch in einer schlich-
ten Herberge nahe dem Vatikan, und erzählt von dem
inszenierten Unfall, bei dem sein Auto gerammt
wurde: Ein Mitbruder, 31 Jahre alt, sei sofort tot
gewesen. Ihm selbst, damals seit zwei Jahren Bischof,
sei das Gesicht eingedrückt gewesen, der Brustorb.
Es war der 16. Oktober 1987, beim Datum muss er
nicht überlegen. Lange Zeit habe er das aber nicht
erzählen können.


»Das Schlimmste


waren die Morde an


Menschen, die ich


liebgewonnen habe«


Bischof Erwin Kräutler

»Die Schöpfung


verteidigen


heißt leiden und


Jesus nachfolgen«


Kardinal Pedro Barreto

»Es schmerzt mich,


wenn die Indigenen


Heiden genannt


werden«


Bischof Edson Damian

»Die Kirche soll den


Schwachen helfen


gegen die Macht der


Großkonzerne«


Schwester Irene Lopes dos Santos

»Zwei Päpste haben


die Ureinwohner um


Vergebung gebeten.


Viele von uns nehmen


das sehr ernst«


Patricia Gualinga Montalvo

einige sogenannte Konservative jetzt von den Indi-
genen als Heiden reden, ja wenn soeben heilige Bilder
der Indigenen aus einer Kirche nahe dem Petersdom
entwendet und in den Tiber geworfen wurden? »Es
ist mir peinlich, so viel Unverständnis zu erleben.«

Dom Edson Damian findet es mehr als peinlich. Er
ist Amazonas-Bischof einer riesigen brasilianischen
Diözese im Becken des Rio Negro, wo über 90 Pro-
zent Indigene leben, die fast alle katholisch sind. 23
Ethnien mit 18 lebendigen Sprachen. Drei dieser
Sprachen sind heute auch Amtssprache. Auf 500
Gemeinden kommen hier nur 21 Priester. Bischof
Edson, 71, ist froh, dass Rom endlich hört, was das
Volk an der Peripherie will. Von den 390 Völkern des
Amazonas wurden vor der Synode ja 179 befragt. »Es
schmerzt mich sehr, wenn die Indigenen Heiden ge-
nannt werden.« Nicht nur weil so viele von ihnen
Christen geworden sind. »Ich habe von ihnen gelernt,
was die frohe Botschaft bedeutet. Sie beginnen jeden
Tag mit einem Gebet. Sie nehmen von der Natur nur,
was sie zum Leben brauchen. Sie leben in Genügsam-
keit.« Daraus lasse sich ableiten, was Dom Edson eine
indigene Theologie nennt. Sie passt zu dem neuen
Katakombenpakt, den die Amazonas-Bischöfe am
vergangenen Sonntag geschlossen haben. Eine Re-
volution: In den Katakomben der Dormitilla, wo
während des Zweiten Vatikanischen Konzils in den
Sechzigerjahren bereits Bischöfe ein Leben in Ein-
fachheit gelobten, verpflichteten nun auch sie sich zu
einem Leben des Dienstes, zum Verzicht auf die In-
signien kirchlicher Macht, zur Einfachheit.

Kardinal Pedro Ricardo Barreto aus Peru war auch
dabei. Der Vorsitzende der Synode gehört zu jenen
Getreuen von Franziskus, die Zuversicht ausstrahlen:
Diese Revolution gelingt. Aufgewachsen in der Stadt
Lima am chemieverseuchten Fluss Rimac, habe er,
sagt Barreto, die Natur erst finden müssen und damit
einen tieferen Zugang zu Gott. Bei den Indigenen sei
er in die klaren Gewässer eingetaucht, bei ihnen habe
er buchstäblich gelernt, in den Fluss zu springen und
sich ans andere Ufer tragen zu lassen. Den Macht-
kampf in seiner Kirche sieht der Jesuit gelassen. Denn
die Macht, um die es hier gehe, sei nicht die Macht
des Evangeliums. Barreto sagt, die Schöpfung zu ver-
teidigen, heiße leiden und Jesus folgen bis zum Tod.
Das mag in den Ohren westeuropäischer Christen
pathetisch klingen. Barreto sagt es bescheiden lä-
chelnd. Man versteht, was er meint, wenn man weiß:
In seiner Heimat haben sie, weil er gegen die Minen
und die Metallindustrie protestierte, schon einen Sarg
mit seinem Namen darauf durch die Stadt getragen.

Informationen zu Hilfsmöglichkeiten in der Amazonas-
region unter http://www.misereor.de und http://www.adveniat.de

Auch nicht, wie in seinem Bistum die Zucker-
rohrbauern, die um ihren Lohn geprellt worden
waren, eine Zufahrtsstraße blockierten und den Bi-
schof baten, mitzugehen. Als die Polizei Kräutler
festnahm, drehten sie ihm den Arm nach hinten,
stießen ihn mit dem Gesicht in den Dreck und traten
zu. Vergeblich schrien die Leute: Lasst ihn los, das ist
unser Bischof! Die Polizei führte ihn und einen Fa-
milienvater ab, mit der Drohung an die Streikenden:
Wenn ihr die Blockade nicht abbrecht, seht ihr die
beiden nie wieder! Natürlich war die Blockade damit
zu Ende. Von den Stunden im Polizeigewahrsam
erzählt Kräutler lieber nicht, nur wie sie ihn zurück-
brachten: »Da schmissen sie mich in die wartende
Menge aus Männern, Frauen und Kindern.«
Heute steht Kräutler unter Polizeischutz, seit nun
13 Jahren. Die Personenschützer seien von derselben
Einheit wie die, die ihn einst verhafteten. Aber das ist
noch nicht die Pointe, sondern: »Ich habe ja mittler-
weile drei von denen gefirmt! Die mussten immer mit
mir in die Messe.« Irgendwann hätten sie um die Ein-
segnung gebeten, sagt er und lacht. Vielleicht ist es
das, was sie im Vatikan mit Neuevangelisierung mei-
nen – und worüber die Weltkirche so zerstritten ist:
Müssen wir uns endlich wieder auf die Tradition be-
sinnen oder uns schleunigst modernisieren? Führt der
Weg zum Heil zurück oder nach vorn? Leute wie
Kräutler wissen, dass das die falschen Fragen sind. Und
vielleicht ist das auch der Grund, warum Franziskus,
der argentinische Papst, diese Amazonassynode an-
beraumt hat – weil Leute wie Kräutler darin geübt
sind, arme Kirche für die Armen zu sein.
Apropos modernisieren. Kräutler sagt, das Wort
Viri probati liebe er nicht. Gemeint sind verheiratete
Männer, erprobte Katholiken, die geweiht werden
und priesterliche Aufgaben übernehmen könnten.
Manchen in Deutschland gilt das schon als Gipfel
des Fortschritts, manchen in Rom gilt es als der fort-
schrittsfanatische Anfang vom Ende, der verhindert
werden muss. Kräutler: »Meine Kirche muss endlich
lernen, dass Mann und Frau beide nach dem Bild
Gottes geschaffen sind.« Was den Zölibat angehe,
wer ihn heute mit allen Mitteln verteidige, solle sich
einmal vorstellen, wie in den riesigen Bistümern des
Amazonas nur alle paar Jahre ein Priester ins Dorf
komme. Jahrelang blieben da die Leute an Weih-
nachten und Ostern, bei Geburt und Tod ohne Sa-
krament. Übrigens: Im Jahr 1872 waren noch 99
Prozent der Brasilianer katholisch, bei der Zählung
vor zehn Jahren unter fünfzig Prozent.
Herr Kräutler, und was tun Sie nun gegen die
Angst? Er habe versucht, sie zu ignorieren – bis 2005
die Ordensschwester an seiner Seite erschossen wur-
de. Danach kamen die Albträume. Und als ein Mi-
litärkommandant ihn warnte, Dom Erwin, gehen

Sie weg, wir wissen mehr als Sie. Kräutler blieb. Er
sagt: Man muss vertrauen! Dann eilt er los, zurück in
die Synode, wo er darum ringt, dass die 183 Syno-
denväter für das Amazonas-Dokument nicht nur
Kompromissformeln, sondern klare Worte finden.

Schwester Irene befürchtet, dass nach der Synode
die Situation für die Kirche in Brasilien sich ver-
schlimmert – vor allem, wenn die vatikanischen Be-
schlüsse gegen die Interessen der heimischen Regie-
rungen ausfallen. Also: Je ökologischer und kapita-
lismuskritischer die Synode, desto gefährlicher für
die Synodalen aus der Amazonasregion. Trotzdem
gehört sie zu denen, die Kräutler unterstützen. Denn
es gebe zu wenig Mutige wie ihn.
Maria Irene Lopes dos Santos trat 1985 in einen
kleinen Orden der Karmeliterinnen ein, 1990 legte
sie den Habit ab und geht seither in Zivil, »um näher
bei den Menschen zu sein«. Als Bergoglio zum Papst
gewählt wurde, war sie Mitarbeiterin der brasiliani-
schen Bischofskonferenz. »Wir dachten: Oh, ein
Franziskus!, und konnten es erst gar nicht glauben.«
Ein Papst der Einfachheit, des Dienstes, des Auf-
bruchs. Es war dann aber doch wahr. Kardinal Clau-
dio Hummes, der Bergoglio nach der Wahl ermahn-
te, die Armen nicht zu vergessen, ist jetzt Vorsitzender
der Amazonassynode. Und Schwester Irene ist die
Kontaktfrau der brasilianischen Bischofskonferenz
zu den Indigenen, zum Indianermissionsrat CIMI.
Schon während sie die Synode vorbereiten half,
kam das Militär in ihr Büro in Brasília und beschwerte
sich, dass die Ergebnisse der Befragungen des Kir-
chenvolkes direkt an den Vatikan gegangen seien. »Sie
wollen uns einschüchtern. Aber ich halte es mit Kar-
dinal Hummes, der die Synode aufgefordert hat:
›Sprecht frei und ohne Angst!‹« Sie vertreten ja in Rom
nun die Ärmsten des Amazonas: die Indigenen, die
Flussbewohner, die Nachfahren der entflohenen
Sklaven. Sie bitten ihre katholischen Bischöfe, wann
immer es Verhandlungen um Landrechte, um Wasser-
rechte gibt: Seid an unserer Seite! Die Kirche soll ihnen
helfen gegen die Macht der Großkonzerne.
Schwester Irene – die in Rom den Kreuzweg der
Völker Amazoniens mitgeht, von der Engelsburg bis
zum Petersdom, viele Demonstranten bewehrt mit
den Ikonen ihrer Helden wie des erschossenen Bi-
schofs Óscar Romero – sie findet, das sei das Min-
deste. Sie kennt die Klagen der Ureinwohner, dass
am Ort der heiligen Grabstätten ihrer Vorfahren nur
noch Sojafelder sind. Sie kennt die Synodenteil-
nehmer, deren Familien nun zu Hause von der Mi-
litärpolizei bedroht werden. Auch sie selber hat Ein-
schüchterungen erlebt. Sie hofft: »Die Kirche in Rom
wird nach der Synode nicht mehr dieselbe sein.«

Patricia Gualinga Montalvo ist eine der Frauen, die
dafür garantieren. Die Ecuadorianerin gehört zu den
zwanzig Indigenen, die von Franziskus persönlich zur
Bischofssynode eingeladen wurden. Sie hat bei der
Anhörung im Synodensaal ganz am Schluss gespro-
chen. Sie findet, es mache keinen Unterschied, ob in
Lateinamerika Linke oder Rechte regierten, die
Amazonasregion sei so oder so bedroht. In Ecuador
kommen die Gelder zur Ausbeutung der Boden-
schätze jetzt aus China, Russland und dem Iran. Aber

seit die neue Regierung sich zu den USA hingewendet
hat, ist die Lage noch gefährlicher geworden. Patricia
Gualinga kam acht Tage zu spät nach Rom, weil in
Ecuador Anfang Oktober Massendemonstrationen
ausbrachen, allein 20.000 Indigene waren auf den
Straßen, nachdem die wirtschaftliche Lage für die
Ärmsten sich rapide verschlechtert hatte. Dann
wurde der Notstand ausgerufen. Die Zufahrten zum
Flughafen waren blockiert. Irgendwie schaffte sie es
trotzdem in den Vatikan. Sie sitzt auf einer stillen
Terrasse, vor ihr schwebt die Kuppel des Petersdoms,
während sie die Bilanz des Chaos in Ecuador auf-
zählt: 1380 Verletzte, 1200 Verhaftete, acht Tote.
Die Polizei hat die Indigenen zur Gewalt zu provo-
zieren versucht. Zum Glück hätten katholische Uni-
versitäten ihre Pforten geöffnet und geholfen.
Konkrete Hilfe. Das ist, was sich Patricia Gua linga
aus dem Volk der Sarayaku, deren Vorfahren spiri-
tuelle Führer waren und deren Eltern Katecheten
sind, jetzt von ihrer Kirche erhofft: Beistand für die
Ureinwohner. Nein, es empöre sie nicht, dass von den
Verbrechen der Kirche während der Kolonisierung,
von Zwangsmissionierung und Inquisition in der
Synode kaum die Rede sei. Es gehe jetzt nicht um die
Vergangenheit, sondern um die Gegenwart. Sie
wolle jedenfalls nicht im Zustand der Rache leben.
»Zwei Päpste, Johannes Paul II. und Franziskus,
haben die Ureinwohner bereits um Vergebung ge-
beten. Viele von uns nehmen das sehr ernst. Jetzt
muss die Kirche zeigen, ob sie etwas aus dieser Bitte
gelernt hat.« Patricia Gualinga sagt freundlich, aber
bestimmt, worauf es jetzt ankomme: dass die Kirche
den Kampf der Inidgenen um ihr Land, um das
Überleben ihrer Kultur unterstützt. Sie gibt aber auch
zu, manche Häuptlinge nähmen ihr übel, dass sie
Frieden geschlossen habe mit dieser Kirche.
Was heißt Frieden? Natürlich kritisiert sie im
Vatikan diejenigen scharf, »die immer noch nicht
verstanden haben, dass Gott verschiedene Ausdrucks-
formen des Glaubens geschaffen hat«. Und wenn

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Fotos: Valeria Scrilatti/Contrasto für DIE ZEIT
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