4INTERNATIONAL Dienstag, 22. Oktober 2019
Japans Kaiser positioniert sich als moderner Mann
Der neue Monarch will wie sein Vater Bürgerkaiser se in – und scheint auch zum Vorkämpfer für die Frauen zu werden
MARTINKÖLLING,TOKIO
Japans neuer Kaiser Naruhito verbindet
Altertum und Moderne.Am Dienstag
wird er in einer mehr als tausendJahre
altenTracht vor Honoratioren aus 190
Ländern zeremoniell denThron bestei-
gen, den er faktisch seit dem1. Maiinne-
hat. Aber dieJapaner haben schon in
denersten fünf Monaten seiner Amtszeit
bemerkt, dass sich der gegenwärtigeVer-
treter der ältesten Monarchie derWelt
als moderner Mann neu positioniert.
Nichtnur parliertender Kaiser und
die Kaiserin Masako fliessend in frem-
den Sprachen mit den ausländischen
Gästen.Naruhito behandelt seineFrau
auch als gleichberechtigtePartnerin. So
stehe die Kaiserin bei Staatsempfängen
nicht wie ihreVorgängerinnen mindes-
tens einen Schritt hinter ihrem Mann,
sondern auf gleicher Ebene, notiert der
Kaiserhausjournalist Eiichi Miyashiro
von der linkenTageszeitung «Asahi».
Auch darf sie ihn in der Öffentlichkeit
ansprechen. «Beide zeigen eine starke
Präsenz,und sie bewegen sich alsTan-
dem», meint Miyashiro, «das ist derRei-
wa-Stil.»Reiwa heisst dieRegierungs-
epoche, die mit dem Amtsantritt von
Naruhito begonnen hat.
Wenig Spielraum
Mit Spannung erwarten die Japaner nun,
was Naruhito noch soan Veränderungen
einführen wird. Denn als Kaiser muss er
verschiedene Rollen erfüllen. So ist er
etwa Oberpriester des Shinto,gleich-
zeitig aber auch –so s agt es dieVerfas-
sung–Symbol des Staats und der Ein-
heit desVolks und damit de facto Staats-
oberhaupt.Immerhin, Gott ist Naruhito
nicht mehr. Sein Grossvater Hirohito
musste nach dem verlorenen Zweiten
Weltkrieg auf diesen Status verzichten.
Viel Spielraum hat der Kaiser dabei
nicht. Denn alles ist strengreglemen-
tiert. Die Mitglieder der Kaiserfamilie
haben weder einenPass nochReise- und
schon garkeine Redefreiheit. Denn als
Symbol darfsich der Tenno, so ein japa-
nischesWort für Kaiser,nicht zu politi-
schenFragen äussern. Stattdessen muss
er viele alte Shinto-Riten durchführen
und imAuftrag derRegierung auslän-
dische Staatsgäste sowie hin und wieder
japanische Bürger empfangen.
«Kaiser Naruhito wird dieRolle des
Kaiserhauses neu interpretieren», dies
erwartet Ernst Lokowandt, Experte für
denTenno. Er erinnert daran, dass der
zurückgetretene Kaiser Akihito sich
zum ÄrgerkonservativerJapaner poli-
tisch eingemischt hat – zurückhaltend
zwar, aber dennoch deutlich. Etwa, weil
er sich für mehrAussöhnungmit den
Opfern des japanischen Imperialismus
eingesetzt hat. Ob der neue Kaiser das
fortführen wird, ist noch offen. Aber
Naruhito werde sicherlich internationa-
ler werden, meint Lokowandt.
Auch ProfessorinKeiko Hongo sieht
Naruhito in den Fussstapfen seines
Vaters Akihito. Dieser hatte mit seiner
Frau Michiko die Nähe zumVolk ge-
suchtund warden Japanerinnen und
Japanern vor allem nach Naturkata-
strophen tröstend zur Seite gestanden.
Dass Kaiser und Kaiserin den Opfern
die Hände hielten, war anfänglich eine
Sensation. Bis dahin war es unvorstell-
bar gewesen, dass Normalsterbliche den
Tenno berühren.
Derneue Tenno werde denWeg zum
Bürgerkaiser, den seinVater eingeschla-
gen hat,konsequent weitergehen,sagt
die Expertin für kaiserliche Riten am
Historiografischen Institut derTokio-
Universität.Darauf deutet für sie schon
Naruhitos Lebenslauf hin. Der Kaiser
wurde am 23.Februar1960 als erstes
Kind des damaligen Kronprinzenpaa-
res geboren. SeinVater Akihito machte
nicht nur denrevolutionären Schritt,
eine Bürgerliche statt einerAdligen zu
heiraten.Das Ehepaar entschied sich
auch,sein e Kinder selber zu erziehen,
statt dies Gouvernanten zu überlassen.
Zudem durfte Naruhito als erster
Kronprinz imAusland studieren. Die
zweiJahre an der britischen Universi-
tät Oxford beschrieb er später als die
glücklichste Zeit seines Lebens. Zum
ersten und letzten Mal in seinem Le-
benkonnte er dort frei durch eineStadt
mit demFahrrad fahren und selbst ein-
kaufen. Und so trat1985 nach seiner
Heimkehr ein sichtbar selbstbewusste-
rer Kronprinz seine Brautsuche an.
«Ich habe in Oxford gelernt, dass ich
selbst denken, entscheiden und Dinge in
die Tat umsetzen kann», sagte er auf einer
Pressekonferenz. Dies wolle er nach Mög-
lichkeit beibehalten.Auch seine ideale
Partnerin solle ihre eigene Meinung ver-
tretenkönnen undFremdsprachen be-
herrschen, da man vielKontakt mitAus-
ländern haben werde, so der Prinz.
In einer Zeit, in der japanischeFrauen
meist in derKüche wirkten, wählte er
sich unter den jungenFrauen aus bes-
ten Familien, die ihm vorgestellt wurden,
eine globalisierte Karrierefrau zur Ge-
mahlin: Masako Owada. Diese war als
Diplomatentochter schon während ihrer
Kindheit weit in derWelt herumgekom-
men und sprach Englisch,Russisch,
Französisch und Deutsch. Zudem hatte
sie an der amerikanischen Eliteuniversi-
tät Harvard und der japanischenTokio-
Universität studiert und im Anschluss
die schwierige Prüfung für eine Diplo-
matenkarriere bestanden.
1993 heirateten die beiden. 2003
tauchte Masako auf einmal ab. Das Kai-
serliche Hofamt gab erst eine Gürtelrose,
später eine Anpassungsstörung inBezug
auf das Leben am Hofals Gründean. Die
Medienvermuteten aber einen anderen
Grund: den unglaublichen Druck auf der
Prinzessin, nach derTochterAiko endlich
einen männlichenThronfolger zu gebä-
ren. Denn inJapankönnen nur Männer
denThronbesteigen.
Tenno mit Durchsetzungskraft
Naruhito stellte sich schützend vor seine
Frau. Masako, die ausgebildete Diplo-
matin, habe sich als Kronprinzessin für
die internationalen Beziehungen enga-
gieren wollen, sagte er. «Doch Auslands-
besuche wurden ihr nicht erlaubt.Dar-
unter hat sie sehr gelitten.» Es sei wahr,
dass es Bestrebungen gegeben habe,
Masakos Karriere undPersönlichkeit
zu leugnen, fügte Naruhito an und legte
einen veritablenFamilienstreit offen.
Sein BruderFumihito und seinVater
zeigten sich öffentlich überrascht über
NaruhitosVorgehen.
Jahrelang trat die Kronprinzessin
kaum in Erscheinung, während Naru-
hito seinen alternden Vater immer
stärker allein entlastete. Doch seit der
Amtsübernahme am1. Mai sehen die
Japaner, wie sich Masako als Kaiserin
an der Seite von Naruhito entfaltet.
Es sei zwar noch zu früh, über den
neuen Kaiser zu urteilen, meint der
emeritierteWirtschaftsprofessor Ha-
ruo Shimada, der unter anderem das
frühere Kaiserpaar einmal beraten hat.
«Aber die Menschen hegen positive Ge-
fühle für den Kaiser und besonders für
die Kaiserin.» Sie sei schwach gewesen,
wirke nun aber stark und selbstbewusst,
selbst imKontakt mit Staatsoberhäup-
tern vom Kaliber eines DonaldTrump
oder Emmanuel Macron.
Wie schon seinVater zeige auch der
neue Kaiser, dass er seineFrau liebe,
sagt Shimada.Für ihn ist dasPaar damit
auch gesellschaftlich einSymbol für das
Zusammenleben von Mann undFrau.
Und vielleicht nimmt der Kaiser damit
auch eine möglicheReform des japani-
schen Kaisertums vorweg. Aus Mangel
an männlichen Erben mussJapan die
Diskussionen über eine weibliche Erb-
folge irgendwann wieder aufnehmen.
Kaiser Naruhito und seine GattinMasako haben keine Macht – MinisterpräsidentAbe erweist ihnen dennoch die Ehre.EUGENE HOSHIKO /AP
Die australische Presse sieht die Medienfreiheit in Gefahr
Aus Protes t gege n Eingriffe der konservativen Regierung sind alle grossen Zeitun gen am Montag mit geschwärzten Titelseiten ersc hienen
ESTHER BLANK
Wer inAustralien am Montag Zeitung
lesen wollte, sah nur schwarz.Neun-
zehn Zeitungen, von politisch eher links
bis erzkonservativ, schwärzten dieTexte
auf ihrenTitelseiten ein. Sie protestier-
ten damit gegen eine zunehmende Ein-
schränkung der Pressefreiheit. Auch
im Radio und imFernsehen disku-
tiertenJournalisten, Menschenrechts-
anwälte und Oppositionspolitiker über
die seit demTerrorangriff in NewYork
am 11.September 2001 ständig ausge-
weiteten Sicherheitsgesetze, welche die
Arbeit vonJournalisten sowie die In-
formations- und Meinungsfreiheit aller
Australier einschränken.
Im Zwei felsfallvor Gericht
Die Aktion der australischen Medien,
die selbst schärfsteKonkurrenten zu-
sammenbrachte, wendet sich gegen die
Auswirkungen von fast 75 Sicherheits-
gesetzen. Die internationale Organisa-
tionReporter ohne Grenzen bezeich-
net sie als drakonisch. Anders als in der
Schweiz oder in Deutschland gebe es in
Australienkein Grundrecht auf Mei-
nungs- oder Pressefreiheit,erklärt die
Verfassungsrechtlerin AnneTwomey
von der Universität inSydney. DieFrei-
heit der Medien sei in der australischen
Verfassung nur «impliziert» und müsse
im Zweifelsfall vonFall zuFall vor Ge-
richt erstritten werden.Das sei oft teuer
und aufwendig.
Der MedienprofessorPeter Greste,
der 400Tage wegen seiner Berichterstat-
tung in einem ägyptischen Gefängnis
sass, gibt zu bedenken, nationale Sicher-
heitsgesetzeseien auch für demokrati-
scheRegierungen eineVersuchung, un-
angenehmeMedienberichte zu verhin-
dern. In Australien seien viele Sicher-
heitsgesetze in Wahlkampfzeiten in
grosser Eile und oft schludrig formuliert
worden, ohne dass man alleKonsequen-
zen betrachtet hätte.Allein dieTatsache,
dass ein Medienbericht «wahr» sei, rei-
che vor Gericht nicht unbedingt alsVer-
teidigung. Er müsse auch «im öffent-
lichen Interesse» sein und dürfe nicht
der «nationalen Sicherheit schaden»
oder «australische Interessenverletzen».
Heuchlerische Politiker
Doch diese Interessen werden von aus-
tralischenRegierungen, vonPolizei und
Geheimdiensten oft anders interpretiert
als vonJournalisten.Das zeigt sich be-
sonders, wenn sich Medienberichteauf
zugespielte Dokumente oder Informan-
ten berufen, die Missstände aufRegie-
rungsebene, in Ministerien, Behörden,
beim Militär, der Polizei oder Geheim-
diensten offenbaren. Der australische
Home-Affairs-MinisterPeter Dutton,
der für alle Sicherheitsdienste verant-
wortlich ist, machte in einemFernseh-
interview klar, dass investigativeJour-
nalisten,die sichauf als geheim klassifi-
zierte Informationen berufen, nach gel-
tendem australischemRecht kriminell
handeln. Marcus Strom, der Präsident
der australischenJournalistengewerk-
schaft MEAA, hält das fürreine Heu-
chelei. Selbst Minister leiteten ständig
ebenfalls als geheim oder vertraulich
eingestufte Informationen an Medien
weiter, wenn es für sie günstig sei.
Die australischen Medien kämpfen
seitJahren gegen die stetig zunehmen-
den Einschränkungen. Durchsuchun-
gen bei einer mehrfach ausgezeichneten
Journalistin des Murdoch-Medienkon-
zerns News Corp und beim nationalen
Sender ABC sowie offener Druck auf
Journalisten, ihre Quellen offenzulegen,
brachten dasFass zum Überlaufen. Die
ABC-Chefin Ita Buttrose bezeichnete
dieDurchsuchungen als eindeutigen
Versuch, die Medien einzuschüchtern.
Journalisten in ganzAustralien protes-
tiertenmitPlakaten mit derAufschrift
«Journalismis nota crime». Die austra-
lische Menschenrechtskommission, der
Presserat und die Oppositionsparteien
stimmten in die Kritik ein.
Auch ausländischeJournalisten sind
betroffen. So wurden ein französischer
Reporter und sein Kamerateam beim
Filmen eines Protests gegen denTrans-
port vonKohle durch dasBarrierReef
ohne jede Erklärung festgenommen.
DieVereinigung der Auslandskorre-
spondenten inAustralien, FCA, sprach
von einer «bösartigen und gefährlichen»
Behinderung der Arbeit vonKorrespon-
denten inAustralien. DieVorwürfe
gegen den französischenReporter wur-
den kurz darauf fallengelassen.
AustralischenJournalisten und ihren
Informanten oderWhistleblowern dro-
hen Gefängnisstrafenvon bis zu 60Jah-
ren. Medienvertreter fordern daher
einen besseren gesetzlichen Schutz für
Whistleblower undJournalisten, trans-
parenteRegeln für die Klassifizierung
von Dokumenten, einen besseren Zu-
gang zu Behördeninformationen,die
Möglichkeit, Durchsuchungsbefehle
anzufechten, undAusnahmen bei den
Sicherheitsgesetzen, die esJournalisten
erlauben,Recherchen im öffentlichen
Interesse durchzuführen.
BeschwichtigendeWorte
Die australischeRegierungreagiert bis
heute mit dem Standardsatz, dass jeder
vor dem Gesetz gleich sei, auchJourna-
listen.Journalismus sei zwar wichtig für
eine Demokratie, aber die Sicherheits-
gesetze gältenfür alle.Immerhin mahnte
der Home-Affairs-MinisterDutton die
australische Bundespolizei, die Bedeu-
tung der Medienfreiheit bei Ermittlungen
gegenJournalisten oder Medienorganisa-
tionen künftig in Betracht zu ziehen. Und
der Generalbundesanwalt meinte beruhi-
gend, alle polizeilichenDurchsuchungen
von Medienunternehmen und beiJourna-
listen müssten in Zukunft zuerst ihm per-
sönlich gemeldet werden. Doch von einer
besseren gesetzlichenVerankerung der
Meinungsfreiheit und des Schutzes von
Whistleblowern undJournalisten sagten
beide bisher nichts..
Journalisten
und ihren Informanten
oder Whistleblowern
drohen Gefängnisstrafen
von bis zu 60 Jahren.