Neue Zürcher Zeitung - 22.10.2019

(John Hannent) #1

Dienstag, 22. Oktober 2019 FEUILLETON 41


Konfetti wirbeln im Museum

Das Schweizerische Architekturmuseumstartete vor 35 Jahrenmit einem Schnellkauf. Nun feiert es seinBestehenmit einer Versteigerung


ANTJE STAHL


Das Konfetti liegt auf dem Boden, so
wie es sich für einMuseum gehört.
Angeblich sollen sich Architekten am
Vorabend darin gesuhlt haben,wäh-
rend Songs aus demJahr1984 aus den
Lautsprechern dröhnten. Mit demRo-
man von George Orwell oder mit Dio-
nysos im Überwachungsstaat hatte das
aber nichts zu tun.TinaTurner, George
Michael und Prince sangen gewisser-
massen Geburtstagsständchen. 1984
wurde das Schweizerische Architektur-
museum, kurzSAM, inBasel gegründet.
35 Jahre ist es also alt.Wäre«Säääm»,
wie der Direktor AndreasRuby es in
diesenTagenväterlich nennt, einJunge
aus den Südstaaten, würde man sagen:
«Er ist jetzt wirklich erwachsen. – Und
hat hoffentlich seine ersten beruflichen
Erfolge gefeiert, sonst wird das mit der
Karriere nicht mehr so richtig was.»
Damit es aber weitergeht, haben
Freunde des Hauses wieDuplex Archi-
tekten, EM2N, Harry Gugger und viele
mehr für dieVersteigerung vomkommen-
den Samstag Objekte aus ihremFundus
mitgebracht.Darunter sind grossartige
Lampen, Hocker,Drucke, Türgriffe,ver-
griffene Kataloge und sogar Bodenplat-
ten.Das Konfetti soll bis zu derVeran-
staltungauch liegenbleiben.


Basel zeigtKulturengagement


Damals vor 35Jahren trug das Archi-
tekturmuseum inBasel das «Schweize-
rische», die Nation, zwar noch nicht im
Namen. Die Stiftung,die durch gross-
zügige Gönner vornehmlich aus derBau-
branche ins Leben gerufen wurde, um
denAusstellungsbetrieb finanziell zu tra-
gen, nannte sich:«Architekturmuseum in
Basel». Aber so eine lokalverliebtere Set-
zung brachte auchVorteile mit sich, daran
sollte man anlässlichderJubiläumsfeier
vielleicht noch einmal erinnern.
1984 also haben einige ausgewählte
Personen in einerheldenhaftenAktion
ein Eckhaus vor dem Abriss gerettet,
das mit seinerVorhangfassade dem
International Style zwischen altstädtli-
chen Gassen und Gässlein inBasel alle
Ehremachte. Das sogenannte Domus-
Haus, Ende der fünfzigerJa hre vonRas-
ser undVadi erbaut, wurde von einer
ei gens zu diesem Zweck spontan ge-
gründeten Aktiengesellschaft mit Mar-
cus Diener alsVerwaltungsratspräsident
für das Architekturmuseum erworben
und dem Museum gratis zurVerfügung
gestellt. Die Architekten des Stiftungs-
rats undweitere 17 Aktionäre,die in
nur zwei Monaten gefunden werden
mussten, haben je Aktien imWert von
200000 Franken übernommen.
Der Gründungsstiftungsrat bestand
aus Max Alioth,Timothy Nissen (spä-
ter vonTomKoechlin abgelöst),Werner


Jehle, UlrikeJehle-Schulte Strathaus als
Gründungsdirektorin undRoger Die-
ner. Letztgenannter baute dann die
oberen drei der fünf Obergeschosse des
modernenKubus für dieAusstellungs-
nutzung um.Fürsorge für dieWerke von
Kollegensowie der intellektuelleWille,
der Architektur jenseits ihrer gebauten
Realität ein politischesForum zu schen-
ken, stecken mit anderenWorten in die-
ser einzigartigen Gründungsgeschichte –
diezugleicheiner der Gründe ist, warum
Roger Diener 20 19 alserster Architekt
denKulturpreis der StadtBasel zuge-
sprochen bekommt.

Die Eröffnungsausstellung im
Domus-Haus von 1984 verhinderte
folgerichtig und offensichtlich, dass
seine Flächen im klassischen, büroall-
tagtauglichen Sinne genutzt werden
konnten: Christo verpackte dasInte-
rieur und verhüllte dieFussböden und
Tr eppen mit Stoffbahnen.Anlässlich der
Schau «35JahreSAM» liegt der kleine
Katalog zu dieser schönenAusstellung
aus. ChristosFrauJeanne-Claude wird
darin zwar nicht erwähnt, aber wir sind
einfach so frei und erweitern die mit
sehr vielen Männern besetzte Chronik
derAusstellungsgeschichte um eine der

Frauen, die nachweislich die Projekte
genausokonzeptionell verantworteten
wie ihrPartner.
Immerhin: Hilla Becher und Mar-
lenePoelzig wurden von der damali-
gen Direktorin UlrikeJehle-Schulte
Strathaus neben ihrenPartnern Bernd
und Hans honoriert. Und1989 bespiel-
ten Beate Schnitter, FloraRuchat und
InèsLamunière die drei Stockwerke.
Im ÜbrigenkonzentrierteJehle-Schulte
Strathaus sich in ihrer 22-jährigenLauf-
bahn eher auf monografischeAusstel-
lungen zum allseits bekannten männer-
lastigenPanorama vonFiguren wieJean
Prouvé, Lux Guyer,Adolf Loos, Le Cor-
busier, RemKoolhaas, FrankO.Gehry,
Hannes Meyer,Theo Hotz, Mario Botta,
Peter Märkli und so weiter.

Fassade ist Ausstellungsfläche


Ebenfalls1989 erklärten Herzog & de
Meuron die transparenteFassade des
Domus-Hauses zurAusstellungsfläche
und beklebten dieFenster mit Siebdru-
cken, die ihre Gebäude abbildeten. So
gehörte ihre Architektur unweigerlich
zum Stadtbild, das durch die Drucke
und imTageslicht erkennbar blieb. Dies
ist ein weiteres Beispiel für einexperi-
mentelleresAusstellungsformat, das sich
eben nicht nur um die gute alteReprä-
sentation, sondern um Ort undRaum,
dieKonfrontation zwischen Architekt
und Stadt schert.
Nun drehten sich bei weitem nicht
alleAusstellungen auf dieseWeise um
die Architektur des Domus-Hauses. In
vielen wurden Modelle aufTische oder
Sockel gestellt undFotografien, Pläne
oder Zeichnungen an (Stell-)Wände ge-
hängt.Tr otzdem ist mit dem Umzug in
das Gebäude derKunsthalleBasel am
SteinenbergimJahr 2004 ausgerechnet
das architektonische Alleinstellungs-
merkmal des Architekturmuseums ver-
loren gegangen.
Die Institution ist heute weder von
aussen noch nach Eintreten in das neo-
klassizistische Gebäude erkennbar.
Schreitet man die steinerneTr eppe hin-
auf, blickt man auf einen Buchladen und
dieKunsthalle – ergoAusstellungen
zeitgenössischerKunst. Erst wenn man
nachrechts abbiegt, erreicht man den
erstenRaum des Architekturmuseums,
von dem man nur leider auch nicht so
genau sagen kann, ob er einVorzim-
mer oder doch nur ein sehr breiter Flur
sein soll. Ein schweizerisches Architek-
turmuseum, wie sich das Haus seit 2006
nennt, hat doch eigentlich etwas anderes
verdient, als denPagen für dieKunst zu
spielen, oder nicht?
2006 konnten dann auch sämtliche
Aktien der Domus-HausAG,die Be-
sitzerin des Hauses,für die Stiftung er-
worben und in ihr Eigentum überführt
werden: Eine neue Ära begann. Dem

Engagement des ursprünglichen Mit-
begründers Max Alioth ist es schliess-
lich zu verdanken, dass die Hypothek,
di e seit dem Kauf des Hauses bestan-
den hat, zurückbezahlt und das Haus der
Stiftung unbelastet überlassen werden
konnte.Auf zu neuen Abenteuern also?

Aktionsplattform im Museum


Das Programm veränderte sich in dieser
Zeit immerhin so grundlegend, dass man
von einer neuen heissen Phase spre-
chen darf. Die hatte zwar weniger mit
dem Umzug, derAuflösung der Aktien-
gesellschaft und der Hypothek oder der
Namensänderung als vielmehr mit der
neuen DirektorinFrancescaFerguson
zu tun. Ab 2006 kuratierte sie themati-
scheAusstellungen wie «Instant Urba-
nism» (2008) oder «Ornament neu auf-
gelegt»(2009) und arbeitete seismogra-
fisch, etwa wie mit «Balkanology», einer
Überblicksschau über die «Architek-
tur und urbane Phänomene in Südost-
europa». Zudem verzichtetesieauf die
Produktion von Katalogen, gab stattdes-
sen lieber ein Magazin heraus, das den
Diskurs vorantreibensollte.Ausserdem
engagierteFerguson das BüroClaudia-
basel, das das unverwechselbare typo-
grafielastige Grafikdesign entwarf, das
dasSAM bis heute prägt.
Wenn man sich überlegt, wie oft
Institutionen undFirmen ihre Logos
redesignen lassen und wie dominant
soziale Plattformen wie Instagram oder
Pinterest geworden sind, ist es eigent-
lich erstaunlich, dass nach wie vor die
Typo und nichtetwa das Bild die visu-
elle Sprache des Hauses trägt. Aber viel-
leicht ist das die helvetische DNA, auf
die ein schweizerisches Architektur-
museum mit internationalerAusrich-
tung nicht verzichten kann.
Der mittlerweile vierte Direktor
AndreasRuby holt ja die landestypi-
schen Archi-Phänomene und -Probleme
wieVerdichten, Agglomeration,Beton
oder dasBaden in Flüssen in dieAusstel-
lungsräume, ergänzt sie aber geschickt
um architektonischePositionenmiteiner
Art Spiegelfunktion:«Bengal Stream»
zeigte Architektur ausBangladesh, die
ohne Millionenbudgets auskommt und
trotzdem das Leben unzähliger Men-
schen verbessert. Und die nächste,
Mitte November zu eröffnende Schau
«UntermRadar» versammelt Architek-
ten, die nicht nur Häuser bauen, sondern
wieForensic Architecture ihr Handwerk
nutzen, um über macht- und wirtschafts-
politische Grenzen und territorialeVer-
brechen aufzuklären.Das ist auch eine
Art derKonfrontation.

DieAusst ellungundJubilä umsfeier«35Jahre
SAM»amSteinenber g7inBaseldauertnoch
bis zum 27.Oktober. Am 26.Oktober ab 11
Uhr findet die Auktionst att.

In diesem Laden werden Kinoträume wahr


Indie Haut der Stars könnenwir nicht schlüpfen –aber inihre Kleider. Ein Vintage-ShopinLos Angeles macht’s möglich


SARAH PINES


Es gab eine Zeit,lange vor demWein-
stein-Skandal und allseitiger Ernüchte-
rung,als Hollywood andere,glitzernde
Farben undFormen hatte. Es war die
Ära, in der ClarkGable und Cary
GrantDamen beschützendden Arm
um die Schultern legten und Stumm-
film-Schauspielerinnen nachts in seidige
Kissenweinten, weil derTonfilm gekom-
men war. Und an manchen Orten in Los
Angeles zeigt sie sich noch.
Etwa wenn man mit demAutoLa
BreaAvenue gen Osten kreuzt, wo
die Häuser nicht mehr adrett und fla-
mingofarben sind wie in Beverly Hills,
sondern achtlos hingestellten Schach-
teln gleichen.Frauenkommen mit ver-
krumpeltenTüten aus mexikanischen
Bäckereien, und in denAuslagen ste-
hen blasseKuchen mit Sirup undrosa-
farbener Crème.


Etwas weiter gibt es Geschäfte für
Festbedarf, in denAuslagen hängen glit-
zerndeTaufmäntelchen, die wie Braut-
kleider ausschauen; an einer Ecke quel-
len an diesem Nachmittag drei jubelnde
Mädchen mit Plastikdiademen aus dem
Dach einer weissen Limousine.

Boas,Kimonos,Kristall


Auf LaBrea findet sich auch«T heWay
We Wore»,vielleicht der einzigeVin-
tage-Laden der Stadt,wo das alte Holly-
wood nochgenauso zu sehen ist, wie es
war – einRausch aus schillernden Klei-
dern, Umhängen und Boas. Das Licht ist
senfgelb, vonLampenschirmen aus dün-
nem Stoff gedämpft. DenWänden ent-
lang hängen dieKollektionen, die mit
der Stummfilmzeit beginnen, den zwan-
zigerJahren, Flappersilhouetten, Prä-
riekleider. Es folgtJahrzehnt umJahr-
zehnt bis in die späten neunzigerJahre:

edle Hüte in Melonenform, irre Schul-
terpolsterkreationen derachtzigerJahre,
Seidenkimonos aus den vierzigerJahren,
in Seidenpapier eingeschlagene Kleider
mit aufgenähten Kristallblumen.Vieles
war in Privatbesitz oder entstammt Gar-
deroben vonFilmsets.
EineKundin tritt ein. Sie ist dunkel
gekleidet und wird mit einer Mischung
aus Überschwang und Gelassenheit be-
grüsst. «Ich brauche einen schwarzen
Hut, die Krempe nicht zu tief, aberauch
nicht zu flach. Die Kameramuss das
Gesicht auch einfangen, wenn man den
Kopf neigt.»
Hinter dem mitTaschen, Schatullen
und grossen Schmuckstücken behange-
nenTr esenmacht die grauhaarigeDame
inTunika einem sehr schlanken Mann
mit unmerklichemKopfnicken ein Zei-
chen. Dieser stürzt hervor, bringt Hut-
schachteln und mit Hüten bekleidete
Styroporköpfe. DieDame in Schwarz

beugt sich über die Schachteln, begut-
achtet,reibt mitDaumen und Zeige-
finger denFilz eines Hutes, der geformt
ist wie eine Diskusscheibe. «Der hier,
ach, wunderbar...Den nehme ich. Die
Kamera, das Lichtwirddas perfekt ein-
fangen.Ich brauchte dann noch eine
Stola...»IhreStimme verweht.
Vor einem Spiegel dreht sich eine
rothaarigeDame in einem sehrroten
und sehr gemusterten Kaftan aus den
siebzigerJahren hin und her, der Stoff
schaukelt sachte,ihreWangen leuchten.
Ich selber probiere ein braun-schwarz
meliertes Minikleid an, das zwar passt,
aber an den Schultern fürchterlich
spannt.«In den sechzigerJahren hatten
Frauen viel schmalere,um nicht zu sa-
gen: kraftlosere Oberkörper»,sagt die
Ankleidehilfe und zupft abwesend einen
Fussel von einer Stola.
«T heWay We Wore»ist ein verlore-
ner Ort, den die genderneutraleWelt

nicht braucht. Nichts geht naiver oder
bockiger am Zeitgeist vorbei als Cor-
sagen,Schalen-BH(vor allem, wenn
sie trichterförmig spitz zulaufen) oder
Polarfuchs-Boas, wie Marilyn Monroe
sie trug. Heute denkt man in den USA
da und dort schon über ein generelles
Pelzverbot nach.

In jedemKleid eineGeschichte


An den Stangen hängen Kleider, die
den weiblichenKörper in die mittler-
weile als unterwürfig kritisiertePo-und-
Brust-raus-Haltung zwingen, dennoch
sind sie wunderschön. Es sind Klei-
dungsstücke,zudenenmansichGe-
schichten ausdenkt, ob sie nun wahr sind
oder falsch – was soll es auch. Manche
wurden schliesslich von den schönsten
Frauen desFilmsgetragen, und was er-
zählt Kino anderes als wunderbare, son-
derbare Geschichten?

DerersteStandort des Architekturmuseums imDomus-Haus am Pfluggässchen.C. BAUR
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