Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

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REVUE


FORET DANS LA MONTAGNE(((Wald in den BergenWald in den Bergen)


circa 1890, Monotypie auf Papier, 31× 41 cm


Aufmacherseite: PAYSAGE VERT (Grüne Landschaft)


1890, Monotypie auf Papier, 31× 40 cm


E


dgar Degas war ein paradoxer Mensch,


beunruhigend im Reden und Handeln,


beunruhigend in seiner Erscheinung.


„Mit seinem Seidenhut auf dem Kopf, der


blauen Brille vor den Augen und, nicht zu


vergessen, dem Schirm, gab er das Bild eines


Notars ab, eines Bourgeois aus der Zeit


von Louis-Philippe“, so beschrieb ihn Paul


Gauguin. Wirklich, ein Notar? Nicht in den


Augen des Dichters Paul Valéry, der erzählt


hat, wie der Maler die Ateliertür öffnete,


„in Pantoffeln heranschlurfte, wie ein Bettler


gekleidet, mit hängenden, niemals zuge-


knöpften Hosen“. Gegen Ende seines Lebens,


fast schon erblindet, malte Degas ein Selbstfast schon erblindet, malte Degas ein Selbstfast schon erblindet, malte Degas ein Selbst - -


porträt und fand, dass er wie ein alter Hund


aussähe. Sein Freund, der Bildhauer Bartho-


lomé hielt dagegen: Er sei schöner denn je,


wie ein alter Homer, der seine Augen auf


die Ewigkeit gerichtet habe.


Vielleicht können wir uns darauf einigen:


Degas besaß keine Eigenschaft ohne ihr


Gegenteil. „Er war charmant oder unfreund-


lich“, so hat ihn Valéry erlebt. Er verbrachte


Tage allein in seinem Atelier. Aber er konnte


auch mitten im Pandämonium eines Fami-


lienalltags wie im Hause seines Bruders malen,


„bei unmöglichem Licht, ständigen Störun-


gen und mit liebevollen, aber auch ziemlich


ungenierten Modellen“.


Degas’ Kunstanspruch war derart kom-


plex, dass es ihm schwerfiel, ein Bild los-


zulassen, solange er immer noch einen Blick


auf die zahllosen malerischen Möglichkei-


ten werfen konnte, die er im Laufe seines


Lebens erkunden sollte. Er war in der Lage,


das Bein einer Tänzerin zehn oder zwanzig


Mal zu überarbeiten, aber er hatte, wie es


Valéry ausdrückte, „überaus simple und ent-


schiedene politische Ansichten“. Während


der Dreyfus-Affäre brach er mit seinem


langjährigen Freund Ludovic Halévy, dem


Librettisten von Carmen und Autor des


Romans Les Petites CardinalLes Petites CardinalLes Petites Cardinal, den er selbst , den er selbst


illustriert hatte, als ein Gast auf dessen


Dinnerparty seine Sympathie für den zu Un -


recht des Landesverrats angeklagten jüdi -


schen Offizier Alfred Dreyfus bekundete.


Er wird Halévy erst an dessen Totenbett


wiedersehen.


Seine Tänzerinnen


im weißen Tutu


sind weltberühmt.


Aber man versteht


Edgar Degas erst,


wenn man sein


Werk vom Ende her


betrachtet: von den


Landschaften,


die der experiment-


elle Drucker aus


der Fantasie geschaf-


fen hat


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