39
REVUE
I
ch will ihm in die Parade fahren, doch er
kommt mir zuvor. Seine Stimme zittert etwas.
„Überlasst das mal mir. Ich trage die Last
dieser gottverdammten Welt auf meinen Schul
tern. Ich habe selber Hemmungen, da rum
zupfuschen. Ich würde auch lieber Blumen, Na
tur, Liebe und Frieden zeichnen. Kunst ist ein
Austausch von Ideen. Ich weiß, dass das ein Kli
schee und unglaublich kitschig ist, aber deshalb
spiele ich mit. Das habe ich mein ganzes beschis
senes Leben lang getan. Und es hat mir absolut
nichts gebracht. Aber ich kann nicht von Bord ge
hen. Das ist das Einzige, was ich kann.“
Das hört sich absolut resigniert an für je
manden, der mit einer der größten Galerien der
Welt arbeitet. Ganz offensichtlich ist Pettibon
seit Jahren von Menschen umgeben, die sich um
ihn kümmern, auf jede seiner Reaktionen und
Bedürfnisse achten. Seine Assistentin hält per
manent Blickkontakt. Erst vor Kurzem hat Kim
Jones, der Direktor von Dior Homme, die Win
terkollektion 2019/20 mit Motiven von Pettibon
entworfen, der auch eigens designte Leoparden
muster, Bilder von Vögeln und noch nie gezeigte
Zeichnungen beisteuerte – und das Logo von
Dior neu interpretierte. Da kann er nicht wirklich
Geldsorgen haben. Seine Motive wurden zum
Teil mit Tausenden von Pailletten handbestickt,
extrem aufwendig und schön umgesetzt. Ich er
zähle Pettibon, dass die Modenschau mit den Boys,
die rüberkamen, als würden sie gerade am First
Class Boarding stehen oder in der Rue du Fau
bourg SaintHonoré auf einen Sugar Daddy
warten, gespenstisch aussah. Das wirkte tatsäch
lich so, als hätten sie Pettibons Motive im Wald
der Subkultur erlegt und sich wie Jagdtrophäen an
die Klamotten geheftet. Er entgegnet, das
Modelbusiness sei doch schon längst durch die
Kardashians und die Hadids korrumpiert, das
sei Nepotismus. Ich schnappe nach dem Köder
und versuche schnell, den Kunstbetrieb und die Modeindustrie als
Maschinerie des Bösen zu verkaufen, die nur den Superreichen dient.
Doch er bleibt völlig ungerührt. Das sei Quatsch, „light weight
Marxism“, es gäbe keine Konspiration der Reichen gegen den Rest
der Menschheit. Er sei all seinen Galeristen dankbar, besonders
David Zwirner, er habe auch nichts gegen seine Sammler, er würde
nur nicht mit ihnen rumhängen. Er sei auch nicht bei der Moden
schau gewesen: „I am not part of the company.“
Seit den frühen Neunzigern wachsen Pettibons Zeichnungen
in Ausstellungen mit Wandmalereien zusammen, bilden Cluster,
vernetzen sich. Sie werden selbst auch immer malerischer, farbiger,
voller – mit Texten, ornamentalen Elementen, Strahlen, Verwi
schungen. Erfand Phil Spector in den Sechzigern die „Wall of Sound“,
Popmusik mit tausend Effekten und unglaublicher Klangdichte,
schafft Pettibon seit seinem Eintritt in die Kunstwelt eine ähnlich
überorchestrierte „Wall of Poetry“. Ein absolutes AllOver, ein
TextBildGedankengeflecht, das den Betrachter überflutet und sein
Denken komplett überfordert.
Da ist immer noch das Repertoire, das Pettibon schon in den
Achtzigern entwickelt hat: die zeitreisende Knetgummifigur Gumby
und ihr Pony Pokey aus dem SixtiesKinderfernsehen, der Gedan
kenzug, der durch amerikanische Weiten oder die Weiten der Seele
streift, die Atombombenpilze, Baseballspieler und die tsunamiarti
gen Gedankenwellen, durch die klitzekleine Surfer gleiten. Und da
ist der wohl wichtigste Charakter in Pettibons Bilderwelt: der Eski
mojunge Vavoom aus dem FelixtheCatComic, von dem man wie
bei Kenny in Southpark nur die Kapuze sieht. Er schreit immer
nur ein Wort: VAVOOM! Doch Pettibons Kosmos hat sich verändert,
O.O.T. (FOR MY 2)T. (FOR MY 2)
2011, Acryl und Collage auf Papier, 76× 57 cm
© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung DIE WELT -2019-10-19-ab-22 2dd4ee8fe593fed5467e953d1e57646c
UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws