Berliner Zeitung - 26.10.2019

(Ron) #1

Report


2 Berliner Zeitung·Nummer 249·26./27. Oktober 2019 ·························································································································································································································································································


W


iederreden dieBilder.
Noch immer,nach so
vielen Jahren. Welt-
bildhaft und bedeu-
tungsschwer.Voller Anspielungen,
Zitate,Symbole,Metaphernaus der
griechischen oder biblischenMy-
thologie.Die bestenMaler der DDR
entzogen sich trickreich, listig, ele-
gantdemLeitsystemundDogmaSo-
zialistischerRealismus.Das war da-
mals,vom Oktober 1987 bis zum
April1988 im Dresdner Albertinum,
aufderX.KunstausstellungderDDR.
Seit Nachkriegszeiten gab es alle
fünf Jahredie Leistungsschau der
KunstausderDDR,dasostdeutsche
Pendant zurwestdeutschenWelt-
kunstschau Documenta inKassel.
DasgewaltigeAufgebot derBilder,
Plastiken,Skulpturen,derGrafik,Fo-
tografieundSzenografie,desKunst-
handwerks und derFormgestaltung
versammelte,wasvondergroßenVi-
sionvonFreiheit,Demokratie,Krea-
tivität übrig geblieben war,das,was
eigentlich möglich gewesen wäre.
Diese zehnte „Leistungsschau“ im
Albertinum sollte die letzte sein im
schon bröckelndenStaat, dem bald
die Jugend, darunter auch Künstler,
inScharenweglaufenwürde.
Wasdie StädtischeGalerie Dres-
den jetzt alsExtrakt vondamals re-
konstruiert,istkeineNostalgie.Esi st
einAktderErinnerung,derkulturel-
lenVergewisserung,auchdermaleri-
schen Analyse einerSituation. An-
derthalbJahre, bevordieMauerfiel,
pilgerten über eineMillion DDR-
Bürger nachDresden, ins Alberti-
num,umebendieseBilderzusehen.
DieLeute wurden dazu keineswegs
gezwungen.Siekamen freiwillig, in
Familie,alsBrigadeoderArbeitskol-
lektiv.Undmancheliebereinzeln.


DIE BILDKUNST HATTE IN DER DDR
eine kuriose,die Werkeund deren
Macher fast überforderndeBedeu-
tung im Land der vielen hohlen
Phrasen,derLügenundderSprach-
losigkeit.Maler setzten oft auf die
Macht der Metaphernfür ihr eZeit-
und Staatskritik, für dasEwig-Ty-
pisch-Menschliche,von Träumen
undÄngsten,vondem,wasdieWelt
im Innersten zusammenhält und
vondem,wasdieWeltzerstört, weil
die Menschen und die Mächtigen
einfachnichtdazulernen.
In der DDR gab es ein gewisses
unterschwelliges Selbstverständnis


Ermüdete


Utopien


DieX.ZentraleKunstausstellungderDDR


wardieletzteihrerArt.MehralseineMillionBesucher


kamenvonOktober1987bisApril1988.


DenndieMalerbeherrschtenmeisterlichdieKunstdes


„Anderssagens“.JetztzeigtdieStädtischeGalerieDresden


nocheinmal34GemäldeausderSchau


VonIngeborg Ruthe, Dresden


Doris Ziegler:„Selbst mit Sohn“, 1986/
KLASSIK STIFTUNG WEIMAR/VG BILDKUNST BONN 2019

über dieRolle der BildendenKunst.
Siehatte derAufklärung und dem
Gutenzudienen.UnddieKunstließ
sich auch gerne inDienst nehmen,
als Dialog-Vehikel, alsVentil, wenn
mansowill.EsgabseitJahrzehnten
so ein Verständnis,das gerade die
Malerei –zumeist verschlüsselt –
thematisierte,was in den parteichi-
nesischen DDR-Verlautbarungs-
Medientabuwar,weilder vormund-
schaftlicheStaatunddieallmächtige
Partei es nicht zuließen.DieMaler
beherrschten meisterlich dieKunst
des„Anderssagens“.Unddas Publi-
kumlernte,gutzulesen.
34 Gemälde sind nun imDresd-
ner Stadtmuseum noch einmalver-
sammelt, geliehen aus Museen,
Sammlungen, aus privatenKollek-
tionen. Galerie-Direktor Gisbert
Porstmannsagt,vielederBilderhät-
ten„EingangineinimaginäresBild-
gedächtnis gefunden“, seien „mit
den Gefühlen vonHeimat, Verlust
undZugehörigkeitverbunden“.
DiemeistenderBilderwarenseit
demMauerfallkaumoderniemehr
zu sehen. „Das aber“, so erklärtes
der Dresdner Museumsmann, „er-
lebten viele Leute aus der ehemali-
genDDRalsgroßesManko.AlsIgno-
ranz, auchHerabsetzungvorallem
der figürlichen, gegenständlichen
Malerei.“ Erwartet hatten die vielen
Künstler inOstdeutschland Akzep-
tanzundEinordnungihrerWerkein
diedeutscheKunstgeschichte.
Gerade in Dresden, ebenso in
Leipzig, entluden sich beimKunst-
Publikum darobEnttäuschung, Är-
ger,jaWut.Imverg angenenJahrhol-
ten die StaatlichenKunstsammlun-
gendes FreistaatesendlichdieBilder
der wichtigsten Dresdner Meister
nach1945bis1989ausdemDepot.
Dieser Bildextrakt der X.Kunst-
ausstellungliestsichheutegenauso
wie damals.Ich sehe wieder das
Emotionale,das Enttäuschte,Resi-
gnierende.DasMelancholischeund
Dystopische.Manche Motivesind
trotzig,garprovozierend. Wiedieex-
pressionistischeFraumitdergleich-
sambrennendenHautvormFernse-
her,mit der schwarzenKatze, die
denBetrachterunverwandtanstarrt.
Derart mysteriös,dass es beklem-
mend wirkt.Wasder damals junge
BerlinerTrakWendischdasoobszön
aussehenlässt,war–esw arsokühn
wie leichtsinnig–hochpolitisch ge-
meint. Er stellte die klaustrophobi-
scheEngedesLandesunddieideo-

logischeOnanie dar ,auch dieEin-
samkeitvielerAndersdenkender,die
1987/88nochnichtaufdenStraßen
demonstrierten,aberschließlicham
9.November 1989 dieMauer zum
Einsturzbrachten.
Wendisch, SchülervonBernhard
Heisig undMeisterschülerGerh ard
Kettners,sagtheute,esh ättedurch-
aus passieren können, dass dasvon
einer Jury ausgewählteBild noch in
derNachtvormBesuchderZK-Dele-
gation mit dem schon schwerkran-
ken Honecker abgehängt worden
wäre. Ihmwar es schon 1982 so er-
gangen, mit einerGrafikserie über
durchdenMauerbauabgebrochene
BerlinerBrücken.
Nurwenige hatten damals schon
seinen„Seiltänzer“von1984zusehen
bekommen, jenesBild, das seit dem


  1. Oktober 2019 in derGalerie von
    Schloss Bellevue,dem Amtssitz des
    Bundespräsidenten, hängt.EinSeil-
    tänzermitKetzerhutübereinemAb-
    grund. Gleichnis für das,was dann
    kam –der Balanceakt eines ganzen
    Volkes,hinüber in ein unbekanntes,
    teils erträumtes,teils gefürchtetes
    System,dieFreiheitunddenKapita-
    lismus.


BEKANNT WAR, DASS SCHON IM
JAHR 1982,in der neuntenKunst-
ausstellung der DDR,Werkeaussor-
tiertwordenwaren.InderNachtvor
dem Rundgang der „Zensoren“
wurde damalsSighardGilles „Die
GesellschaftundihrWächter“–eine
böse Anspielung auf dieStasi –ent-
fernt. DasWerkbekamnieeinDDR-
Bürgerzusehen.DerSammlerPeter
Ludwig aus Aachen hat es noch in
besagterNachtgekauftundandern-
tagsinseinMuseumnachOberhau-
senbringenlassen.
Aber Wendischs nackteFrau mit
schwarzerKatzeging1987nichtdie-
sen Weg. DerAufreger blieb fünf
Jahrespäter in der X.Kunstausstel-
lung unbeanstandet hängen.War
der vormundschaftlicheStaat tole-
ranter geworden?Oder krachte es
längst imGebälk? Undvermutlich
hatten dieKuratoren die misstraui-
schen Genossen nur geschicktvor
harmlosereWerkegeführt.Nochbe-
vorinteressierteSammler aus dem
Westen zugreifen konnten, kaufte
dasZentrumfürKunstausstellungen
WendischsKatzenfrauan.Heutege-
hörtes–ü berden Zwischenbesitzer
Ifa-GalerieStuttgart–demBranden-

WolfgangPeuker:„A.P., geboren 1949“, gemalt 1986, in der X.Kunstausstellung der DDR Publikumsmagnet
NATIONALGALERIE/VG BILDKUSNT BONN 2019/ALLE REPRODUKTIONEN: ANDREAS KÄMPER/BILDATLAS KUNST IN DER DDR)

Mit Sonnenbrille gemalt: Neo Rauch als dystopischer Expressionist mit „o.T.“, 1987
SAMMLUNG COLLETT PRAGUE VG BILDKUNST BONN 2019

FrankVoigt: „Harlekin mit Flügeln“, 1986
KUNSTSAMMLU8NG CHEMNITZ/ VG BILDKUNST BONN 2019
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