P.M. History - 11.2019

(Nandana) #1

Zeitmaschine


Die erste Eisen


Kluge Augenzeugen sind die besten Reporter. Diesmal im Originalton:


die Eröffnung der Strecke zwischen Nürnberg und Fürth


as für ein Gedränge. Jeder
möchte einen Blick auf jenes
neumodische Gefährt werfen,
das am 7. Dezember 1835 in Nürnberg
feierlich eingeweiht wird: die Dampflok
"Adler". Die erste Eisenbahnstrecke in
Deutschlandfür den Personenverkehr
führt 6,04 Kilometer schnurgerade
nach Fürth. Ein Korrespondent des
"Morgenblattes für gebildete
Stände" hält das Spektakel in seinem
Bericht fest- und gehört zu den ersten
Personen, die mitfahren dürfen. Beson­
dere Aufmerksamkeit schenkt der Re­
porter dem Lokführer William Wilson_"
der eigens von England nach Nürnberg
gereist ist und hier zum Star wird. Denn
jeder Fahrgast will den "Geist der Ma­
schine(( bei der Arbeit erleben. Auch die
Lokomotive selbst kommt- in Einzel­
teile zerlegt und Kisten verpackt-aus
England. Die Zeitung berichtet:

>) Schon um sieben Uhr machte sich
Nürnberg zu Fuß, zu Pferd und zu Wa­
gen auf den Weg, um zur rechten Zeit
an Ort und Stelle zu seyn. (. .. ) Man be­
trachtete lange Zeit den soliden Bau der
Bahn, die zum Theil elegant gebauten
Passagierwagen, neun an der Zahl; aber
die freudigste und nicht zu erschöp­
fende Aufmerksamkeit widmete man
dem Dampfwagen selbst, an welchem
Jeder so viel Ungewöhnliches, Räth­
selhaftes zu bemerken hat, den aber in
seiner speziellen Struktur nach äuße­
rem Ansehen selbst ein Kenner nicht

zu enträthseln vermag. (. .. ) Überdies
nahm das ruhige, umsichtige, Zutrauen
erweckende Benehmen des englischen
Wagenlenkers uns eben so sehr in An­
spruch. Wer möchte in einem solchen
Mann nicht den ganzen Unterschied
der modernen und der alten, wie der
mittlern Zeit personifiziert erblicken!
Jedes körperliche Geschick, welches
gleichwohl nicht fehlen darf, tritt in
ihm in den Hintergrund, in den Dienst
der verständigen Beachtung auch des
Kleinsten, als eines für das Ganze Wich­
tigen. Jede Schaufel Steinkohlen, die er
nachlegte, brachte er mit Erwägung des
rechten Maßes, des rechten Zeitpunk­
tes, der gehörigen Ve rtheilung auf den
Herd. Keinen Augenblick müssig, auf
Alles achtend, die Minute berechnend,
da er den Wagen in Bewegung zu set­
zen habe, erschien er als der regierende
Geist der Maschine und der in ihr zu der
ungeheuren Kraftwirkung vereinigten
Elemente.
Als der Dampf sich stark zu entwi­
ckeln begann, regnete es aus der sich
augenblicklich bildenden Wolke durch
die etwas rauhe Morgenluft auf uns
herab, ja der Gegensatz der glühenden
Dämpfe und der Atmosphäre machte,
daß zugleich ein Hagelstaub niederfiel.
(. .. ) Die Landwehrmusik verkündigte
den Beginn der Feierlichkeit.
Auf einer Tr ibüne waren die ein­
geladenen Repräsentanten hiesiger
Behörden und andere ausgezeichnete
Gäste versammelt. (. .. )

Hierauf begann die erste Fahrt in
den mit Fahnen geschmückten Wagen.
Alle neun Wagen waren angefüllt und
mochten etwa zweihundert Personen
fassen. Der Wagenlenker ließ die Kraft
des Dampfes nach und nach in Wirk­
samkeit treten. Aus dem Schlot fuhren
nun die Dampfwolken in gewaltigen
Stößen, die sich dem schnaubenden
Ausathmen eines riesenhaften (. .. )

Entnommen aus:
Morgenblatt für
gebildete Stände
Verlag der Cotta'schen
Buchhandlung, Stutt­
gart und Tübingen,
Ausgaben 17. und 18.
Dezember 1835

Stieres vergleichen lassen. Die Wagen
waren dicht an einander gekettet und
fingen an, sich langsam zu bewegen;
bald aber wiederholten sich die Ausath­
mungen des Schlots immer schneller,
und die Wagen rollten dahin, daß sie in
wenigen Minuten den Augen der Nach­
schauenden entschwunden waren.
Auch die Dampfwolke, welche lan­
ge noch den Weg, den jene genommen,
bezeichnete, sank immer tiefer, bis sie
auf dem Boden zu ruhen schien; die
erste Festfahrt war in neun Minuten
vollendet, und somit eine Strecke von
20 000 Fuß zurückgelegt.
Die Fahrt wurde an diesem Ta ge
noch zweimal wiederholt. Das zweite
Mal bin auch ich mitgefahren, und ich
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