Ruhrgebiet
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ier, wo das Herz noch
zählt", singt Herbert Grö
nemeyer über Bochum
und das Ruhrgebiet. Ja,
stimmt schon. Trotz
dem zunächst Fakten vor Gefühlen:
der größte menschliche Ballungsraum
Deutschlands, gut fünf Millionen Ein
wohner. Eckpunkte im Süden: Duisburg
und Hagen. Im Nordwesten: Wesel, im
Nordosten: Hamm. Ganz oben: Mari,
(^87 000) Einwohner. Da habe ich acht
Jahre gelebt, von 1977 bis 1985, nach
dem Abi habe ich zugesehen,. dass ich
wegkam. Auch die letzten Förderräder
der Zechen in Mari drehten sich bereits
nicht mehr, e·s war schon damals abzu
sehen, wie das mit dem stolzen Ruhrge
biet weitergehen würde: Das Ende von
Kohleförderung und Stahlproduktion
war für die Leute kein ,)Strukturwan
del", sondern eine Katastrophe und von
der Politik nicht zu lösen.
Die Region verarmte, in kleinen
Schritten. Die Zechen wurden zu Kul
turzentren - was hübsch ist, aber kein
Geld bringt. Im vergangeneu Jahr ergab
eine Bertelsmann-Studie, dass in sämt-
liehen 13 Großstädten in Nordrhein
Westfalen die Armutsquote erneut
gestiegen ist. In Gelsenkirchen lebt in
zwischen jeder Vierte von Stütze, in Es
sen, Dortmund, Herne, Duisburg jeder
Fünfte. Immer wenn ich nach Hause
zur Mama fahre, sehe ich: Die Gesichter
sind grau, die Klamotten sämtlich vom
Discounter, das große Pils in der Kneipe
kostet 2,20 Euro, dafür kriegt man in
Harnburg ein kleines Wasser.
arum aber schwelge ich mit
allen Ruhrgebietlern, die
ich treffe, sofort in seligen
Erinnerungen? Warum sind wir uns
sofort einig: Das Ruhrgebiet mag nicht
hübsch sein im landläufigen Sinne,
aber die Menschen darin sind schöne
und gute Geschöpfe? Nun: Weil das so
ist. Ich habe als Student in Hannover
(einer Stadt, in der man die Schüch
ternheit zur Tu gend verklärt hat) mit
norddeutschen Freunden mal eine
"Tour de Ruhr" unternommen: Pen
nen bei meiner Mama, ausgedehnte
Autofahrten zu den riesigen, irre be
eindruckenden Kohlehalden und, als