Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

Dax-Konzern


Chiphersteller Infineon


erobert Japans Autoindustrie


Der Münchener Konzern hat


viel Geduld gebraucht in dem


Land. Nun aber wächst das


Geschäft kräftig.


Joachim Hofer München


S


ie ist das Schaufenster der japa-
nischen Autoindustrie: die To-
kyo Motor Show. Marktführer
Toyota und seine Wettbewerber zei-
gen von diesem Donnerstag an dem
heimischen Publikum die neuesten
Modelle und zahlreiche Konzeptstu-
dien.
Von Infineon werden die Besucher
auf den ersten Blick nichts sehen.
Dennoch ist der Dax-Konzern in den
Messehallen so gut vertreten wie nie.
Denn immer mehr japanische Auto-
hersteller bauen die Chips des Mün-
chener Dax-Konzerns ein. „Neben Chi-
na ist das aktuell die Region mit dem
schnellsten Wachstum für uns“, sagte
Peter Schiefer, Chef der Autosparte
von Infineon, dem Handelsblatt.
Infineon hat sich einen festen Platz
in japanischen Fahrzeugen erobert.
Mit einem Marktanteil von gut sieben
Prozent steht das Unternehmen in-
zwischen auf Rang vier der größten
Autochip-Lieferanten in dem Land.
Zum Vergleich: Vor genau 20 Jahren
lagen die Bayern abgeschlagen auf
Platz zwölf mit lediglich einem Pro-
zent Marktanteil. Führend ist der ein-
heimische Chipanbieter Renesas mit
25 Prozent. Er ist durch die Fusion
der Halbleitersparten von Hitachi,
Mitsubishi Electric und NEC entstan-
den. Die beherrschten 1999 auf eige-
nen Beinen zusammengenommen
noch knapp 40 Prozent des Marktes.
Die Aufholjagd von Infineon hat al-
so lange gedauert. Überraschend sei
das jedoch nicht, meint Anton Müller,
Vertriebs- und Marketingchef der Au-
todivision: „Seinen Status muss man
sich in Japan hart erarbeiten.“ Es sei
essenziell, über Jahrzehnte absolut
fehlerfreie Produkte zu liefern; zu-
nächst in kleineren, später in immer
größeren Projekten. Erst dann öffne-
ten sich die Türen zu den Chefetagen.
Für Infineon ist es strategisch
enorm wichtig, in Japan Fuß zu fas-
sen. Die Wirtschaft dort stagniert zwar
seit Langem. Japanische Hersteller wie
Toyota, Honda, Suzuki und Mazda
sind jedoch weltweit eine feste Größe.
„Wer japanische Autos nicht bedient,
ist nur in zwei Dritteln des Marktes
vertreten“, so Spartenchef Schiefer.

In den ersten neun Monaten des
Geschäftsjahrs, zum 30. Juni, ist der
Konzernumsatz in Japan um 15 Pro-
zent auf 446 Millionen Euro gestiegen.
Die gesamten Erlöse kletterten im sel-
ben Zeitraum lediglich um acht Pro-
zent. Japan steht momentan für sie-
ben Prozent vom Umsatz, damit ist es
die kleinste der insgesamt fünf Regio-
nen bei Infineon. Allerdings treffen
die Einkäufer in den Konzernzentra-
len in Japan Entscheidungen, die spä-
ter zu weltweiten Umsätzen führen.
Ein starkes Wachstum in Japan ist
auch deshalb bedeutend, weil Infine-
on bislang sehr stark von China ab-
hängig ist. Gut ein Drittel des Umsat-
zes stammte zuletzt aus der Volksre-
publik und Taiwan. Das Auf und Ab
auf dem chinesischen Automarkt
spürt Infineon daher unmittelbar.

Angesichts des eher enttäuschen-
den Wirtschaftswachstums in China
sind die Investoren in jüngster Zeit un-
ruhig geworden. In den vergangenen
sechs Monaten haben die Aktien rund
ein Viertel an Wert verloren. Bei Infi-
neon sei Vorsicht angebracht, urteilte
zuletzt Barclays-Analyst Andrew Gar-
diner. Die Schwäche in den Auto- und
Industrieabsatzmärkten des Halblei-
terherstellers dürfte sich fortsetzen,
warnte der Banker. Der Chipprodu-
zent steht und fällt mit seiner Auto-
sparte. Sie stand im jüngsten, dritten
Quartal des Geschäftsjahres für 44
Prozent vom Umsatz. Gardiner rech-
net damit, dass der Kurs in den nächs-
ten Monaten weiter fallen wird.
Die Schweizer Bank UBS meint,
dass Infineon nur kurzfristig unter ei-
nem schwächeren Autogeschäft lei-
den wird. Aus struktureller Sicht sei
die Story intakt.

Infineon setzt auf einen langfristig
stark wachsenden Chipverbrauch
durch Fahrer-Assistenzsysteme sowie
Elektrofahrzeuge. Divisionschef Schie-
fer: „Wir können auch bei stagnieren-
der Automobilproduktion zulegen.
Denn der Elektronikanteil im Auto
steigt.“ Zum Vergleich: 2018 gaben die
Autohersteller im Schnitt 375 Dollar
für Chips pro Fahrzeug aus. Dieses
Jahr sind es schon 417 Dollar. In einem
Hybrid- oder Elektroauto steigt der
Wert der Halbleiter auf knapp 800
Dollar. Um einen Wagen mit Bauele-
menten fürs autonome Fahren auszu-
rüsten, kämen noch einmal fast 1000
Dollar obendrauf.
Die japanischen Automarken belie-
fert Infineon zum allergrößten Teil
nicht direkt, sondern über Zulieferer.
Mit einem davon ist die ehemalige Sie-
mens-Sparte besonders eng verbun-
den. Denso hat sich vergangenes Jahr
mit einem mittleren zweistelligen Mil-
lionenbetrag an Infineon beteiligt.
Hinter Bosch und Continental ist Den-
so die Nummer drei weltweit unter
den Zulieferkonzernen. Das ist in der
Branche ungewöhnlich. Vertriebschef
Müller: „Das war ein Ritterschlag für
uns und ein wichtiges Signal an die
anderen japanischen Kunden.“ Zu
den wichtigsten Abnehmern in Japan
zählen darüber hinaus Hitachi, Kei-
hin, Mitsubishi Electric und Omron.
Der mit Abstand größte japanische
Autohersteller, Toyota, kauft indes ein
Bauteil unmittelbar bei Infineon. Da-
mit ist der Konzern offenbar so zufrie-
den, dass die Deutschen schon mehr-
mals die höchste Auszeichnung für
Lieferanten verliehen bekamen. Fünf
Jahre in Folge gelang es Infineon, so-
genannte CAN Transceiver für Toyota
völlig fehlerfrei zu produzieren.
Spartenchef Schiefer rechnet auch
zukünftig mit steigenden Umsätzen in
dem Land: „Das Japan-Geschäft wird
weiterhin gut wachsen.“ Nach wie vor
hat Infineon in Japan Boden gutzuma-
chen. Denn der Weltmarktanteil liegt
den Analysten von Strategy Analytics
zufolge bei mehr als elf Prozent und
damit fünf Prozentpunkte über dem
Anteil von Infineon in Japan.
Das Renommee unter den großen
Namen in Japan helfe nun auch in der
Fläche, beteuerte Vertriebschef Mül-
ler. „Inzwischen gewinnen wir auch
kleinere Kunden.“ Es hat ja auch lange
gedauert. Das erste Büro für sein Au-
togeschäft eröffnete Infineon 1998 in
Nagoya, damals noch als Teil von Sie-
mens.

dern sich alle Optionen offenhält.
Erstens will Toyota als Massenherstel-
ler Kunden in aller Welt erreichen.
Und Japans größter Hersteller setzt
darauf, dass die meisten Menschen
wegen der Mehrkosten für reine Elek-
troautos noch immer zu Hybridautos
oder gar Modellen mit Verbrennungs-
motoren greifen werden.
Zweitens glaubt der Konzern da-
ran, dass sich Wasserstoff langfristig
als Energiespeicher etablieren wird.
Auf der Tokyo Motor Show wird der
Konzern daher die zweite Generati-
on von Toyotas Brennstoffzellen-
fahrzeug Mirai vorstellen, die ab
2021 auch Sportwagenherstellern
Paroli bieten soll. Das neue Modell
wurde daher deutlich schnittiger ge-
zeichnet als die 2014 eingeführte, et-
was avantgardistische Urversion.
Fahrdaten verheimlicht Toyota aller-
dings noch.
Gleichzeitig prescht Toyota in der
Batterietechnik voran. Toyota sei ei-
ner der wenigen Hersteller, die auch
Batterien produzierten, erklärte Te-
rashi. Tatsächlich gilt der Autobauer
sogar als Technologieführer in der

Akkutechnik der kommenden Gene-


ration, der sogenannten Feststoffbat-
terien. Die lassen sich schneller laden
als bisherige Lithium-Ionen-Akkus.
Für die Olympischen Spiele 2020 in
Tokio kündigte Terashi als Produkt-
demonstration erste funktionierende
Konzeptautos mit dem neuen Wun-
derakku an.
Doch auch bei handelsüblichen Ak-
kus ist Toyota durch seine Batterieal-
lianz mit dem Technikkonzern und
Tesla-Partner Panasonic ein großer
Anbieter. Zusätzlich kooperieren die
Japaner in China mit den dortigen
Akkuriesen CATL und BYD. Eine Sor-
ge hat Toyota daher im Elektroauto-
boom nicht, meint Terashi: „Wir sor-
gen uns nicht im Geringsten um un-
seren Akkunachschub.“

Ganz ehrlich


gesagt,


in den USA


verkaufen sich


Hybrid autos


nicht so gut.


Shigeki Terashi
Toyota-Vize

Wichtiges Autogeschäft


44


PROZENT


seines Umsatzes hat der
Chiphersteller im zurückliegenden
dritten Quartal mit der
Autoindustrie erzielt.

Quelle: Infineon


Infineon gewinnt an Macht


HANDELSBLATT • Fehlende zu 100 % = Sonstige Quelle: Strategy Analytics

1999


20,8 %
NEC

1,0 %
Infineon

19,7 %
Toshiba

5,8 %
Mitsubishi

13,3 %
Hitachi

7 ,7 %
Fujitsu

2018


25,1 %
Renesas

11,9 %
NXP

6,1 %
Rohm

11,3 %
Toshiba

7,3 %
Infineon

Marktanteile weltweit in Prozent Marktanteile in Japan in Prozent


Die größten Autochip-Hersteller


2018


12,0 %
NXP

11,2 %
Infineon

7,6 %
ST Micro

8,9 %
Renesas

8,2 %
Te x a s
Instruments

Toyota-Elektro-SUV:
Bislang setzt Toyota
auf Hybride und
Brennstoffzellen. In
China und Europa
reicht das nicht mehr.

Unternehmen & Märkte


MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204


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