Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

Solidaritätszuschlag


Klage gegen das Soli-Gesetz


Der Verband


mittelständische Wirtschaft


hat Verfassungsbeschwerde


gegen das Projekt


vorbereitet.


M. Greive, J. Hildebrand Berlin


L


ange Zeit hatten Union und
SPD über den richtigen Weg
zum Abbau des Solidaritätszu-

schlages gestritten. Am Donnerstag


soll das Gesetz von Finanzminister


Olaf Scholz (SPD) nun im Bundestag


beraten werden. Doch auch wenn


sich die Große Koalition nun einig ist,


hört der Ärger für Scholz beim Soli-


Abbau noch lange nicht auf.


Der Bundesverband mittelständi-


sche Wirtschaft (BVMW) hat bereits


eine Klage beim Bundesverfassungs-


gericht vorbereitet. „Sollte die GroKo


an dem geplanten Verfassungsbruch


festhalten, werden wir unmittelbar


nach Inkrafttreten des entsprechen-


den Gesetzes Verfassungsbeschwerde


dagegen in Karlsruhe einlegen“, sagte


BVMW-Präsident Mario Ohoven.


Der Schriftsatz für den BVMW und


ein nahestehendes Unternehmen


wurde von den Rechtsprofessoren


Oliver Fehrenbacher (Universität


Konstanz) und Georg Jochum (Zeppe-


lin-Universität Friedrichshafen) ver-


fasst. Darin monieren sie, dass Scholz


den Soli nicht für alle abschafft. Ver-


band und Unternehmen sehen sich


in ihren Grundrechten verletzt. Sie


wollen, dass Karlsruhe den Soli „für


nichtig erklärt“.


Das Gesetz von Scholz sieht vor,


dass ab 2021 rund 90 Prozent der


Steuerzahler keinen Solidaritätszu-


schlag mehr zahlen müssen. Die rest-


lichen zehn Prozent – die rund die


Hälfte des gesamten Soli-Aufkom-


mens von schätzungsweise 21 Milliar-


den Euro beisteuern – müssen die


Abgabe teilweise oder ganz weiter


zahlen. Darunter sind viele Unter-


nehmer, etwa Personengesellschaf-


ten, die über der neuen Freigrenze


liegen, sowie Kapitalgesellschaften.


Denn der Soli soll als Aufschlag auf


die Körperschaftsteuer komplett er-


halten bleiben.


Das halten der BVMW und die


Steuerprofessoren für verfassungs-


widrig. Sie argumentieren, dass mit


dem Auslaufen des Solidarpaktes II


Ende 2019 auch „der Finanzierungs-


zweck entfallen“ wird. Der Soli war


wegen der Kosten der Wiedervereini-


gung eingeführt worden. Das Finanz-


ministerium verweist in seinem Ge-


setz hingegen darauf, dass die ost-


deutschen Länder noch immer aus


dem Bundeshaushalt unterstützt


würden, etwa im Bereich der Renten-


versicherung.


Aus Sicht der beiden Professoren


reicht das nicht als Begründung. „Die


derzeit praktizierte dauerhafte Erhe-


bung des Solidaritätszuschlags ver-


stößt gegen den Charakter der Ergän-


zungsabgabe als Instrument zur Fi-


nanzierung unerwarteter Kosten, da


solche in der aktuellen haushaltspoli-


tischen Situation nicht mehr gegeben


seien.“ Sie verweisen auch auf die ho-


hen Steuereinnahmen und den nied-


rigen Schuldenstand. „Im Rahmen ei-


ner Gesamtschau dieser Aspekte ist


ein zusätzlicher Mittelbedarf aus-


schließlich des Bundes nicht mehr


begründbar.“ Aus Sicht der Be-


schwerdeführer hat der Bund damit


auch gar keine alleinige Gesetzge-


bungskompetenz mehr. Zudem be-
klagt der BVMW eine Ungleichbe-
handlung, da der Soli bei der Ein-
kommensteuer für viele wegfällt, bei
Kapitalgesellschaften aber erhalten
bleiben soll. Solche Differenzierun-
gen bedürften stets der Rechtferti-
gung durch Sachgründe, die dem Ziel
und dem Ausmaß der Ungleichbe-
handlung angemessen sind, heißt es
in dem Schriftsatz. Dies sei aber bei

dem Soli-Gesetz nicht der Fall. „Die
Beschwerdeführenden erhalten nur
deswegen keine Befreiung vom Soli-
daritätszuschlag, weil sie Kapitalge-
sellschaften sind“, wird kritisiert.
Scholz hat sein Gesetz stets als ver-
fassungsfest verteidigt. Der Wirt-
schaftsverband will mit seiner Klage-
drohung Druck machen. „Alle Bun-
destagsabgeordneten sollten sich
unsere Verfassungsbeschwerde ge-

nau anschauen, damit sie bei der Ab-
stimmung über das Soli-Gesetz der
GroKo nicht sehenden Auges einen
Verfassungsbruch begehen“, sagte
Ohoven. „Die geplante Benachteili-
gung ganzer Steuerzahler-Gruppen
verstößt klar gegen das Grundge-
setz.“ Der BVMW fordert wie auch
andere Wirtschaftsverbände die voll-
ständige Soli-Abschaffung für alle ab
dem 1. Januar 2020.

   


 





  
 


Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204


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