Christian Schnell München
M
ancher Versiche-
rungskunde erinnert
sich mit Grauen:
Mussten in früheren
Jahren wichtige Fra-
gen zu Policen geklärt werden, kam
der örtliche Vertreter gern am Abend
vorbei und pries stundenlang die Vor-
züge der Absicherung von Leben, Be-
rufsunfähigkeit oder Krankheit. Die
Unterschrift folgte anschließend nicht
selten eher aus Erleichterung, ein
Problem geklärt zu haben, denn aus
echter Überzeugung. Schließlich ist in
einer solchen Gesprächssituation
schwer einzuschätzen, welche Poli-
cen man wirklich braucht.
Heute kommen Versicherungsver-
träge oft anders zustande. Und die
Zahl der selbstständigen Versiche-
rungsberater in Deutschland sinkt
schon lange. In diesem Jahr dürfte sie
erstmals unter die Marke von
200 000 fallen. Zum Vergleich: Im
Jahr 2011 waren es laut dem Bran-
chenverband GDV noch mehr als
25 7 000. Für Versicherungskunden
hat das erkennbare Folgen. So sitzen
nicht nur immer weniger Berater bei
ihren Kunden abends auf der Couch.
Die Beratung läuft heute häufig an-
ders, oft digitaler ab. Kunden erhal-
ten meist personalisierte Informatio-
nen und eine Beratung, die auch am
Computer stattfinden kann. Für ver-
schiedene Versicherungen gibt es al-
lerdings unterschiedlichen Bera-
tungsbedarf. Auf einige Dinge sollten
Versicherungskunden achten, um
passende Policen zu bekommen.
nDer richtige Berater: Keine Frage,
Versicherungsberater genießen nach
wie vor nicht den besten Ruf. Das
hängt mit vielen Fehlern der Vergan-
genheit zusammen, die in einem
noch weitgehend unreglementierten
Markt begangen wurden – zudem
war und ist der Reiz, Provisionen zu
erzielen, vielerorts groß. Dagegen
steuern Versicherer, aber auch die
unabhängigen Makler und Finanzver-
triebe seit Längerem an. So gibt es
Standards für Beratungsgespräche,
auch für aufwendige Dokumentation,
und am Ende erhält der Kunde jede
Menge Papier. Das schließt trotzdem
nicht aus, dass sich Kunden im Nach-
hinein nicht gut beraten fühlen.
Erste Orientierung kann hier ein
Blick auf Zertifizierungen eines Bera-
ters bieten. Eine davon ist die seit
diesem Jahr geltende DIN-Norm für
Finanzanalyse des Heidelberger Fi-
nanzdienstleisters Defino. Sie trägt
die DIN-Nummer 77230. Daran mit-
gewirkt haben bekannte Häuser wie
die Allianz, Signal-Iduna oder der Fi-
nanzvertrieb OVB. Unumstritten ist
die Norm jedoch bei Verbraucher-
schützern etwa wegen einer Pauscha-
lisierung des Kundenbedarfs nicht.
Beim Finanzvertrieb Swiss Life setzt
man auf das eigene Konzept „Finan-
cial Planning“, für das die rund 4 000
Berater lizensiert werden. Anderswo
gibt es ähnliche Zertifizierungen.
nBewertungen und Empfehlun-
gen: Nicht nur Urlaubsdomizile,
Ärzte oder die Arbeitnehmerfreund-
lichkeit von Unternehmen werden
heute mit Bewertungen gemessen.
Auch Versicherungskunden werden
von den Gesellschaften offensiv da-
zu aufgefordert, Beratung zu bewer-
ten. Bei vielen Versicherern gehört
ein gutes Image bei den Kunden
mittlerweile zur Unternehmensstra-
tegie. Die Allianz misst das beispiels-
weise anhand des sogenannten Net
Promoter Scores (NPS), einer Mess-
größe für Kundenloyalität. Für Ver-
sicherte aussagekräftiger dürften al-
lerdings Bewertungen oder Empfeh-
lungen in sozialen Netzwerken oder
im Internet sein. Manche Berater
nutzen diese Kanäle intensiv, um
sich als Spezialist für besondere
Themen zu präsentieren, etwa für
Tierversicherungen oder Oldtimer.
nVideo-Beratung: Einen Abend auf
dem Sofa muss niemand mehr mit
seinem Berater verbringen. Stattdes-
sen werden Beratungsgespräche via
Videoschalte immer beliebter. „Unse-
re Erfahrungen mit der Onlinebera-
tung sind extrem positiv“, sagt Stefan
Butzlaff, Geschäftsführer beim Fi-
nanzvertrieb Swiss Life. „Eine Bild-
schirmberatung via Facetime oder
ähnliche Kanäle muss man heute ha-
ben“, ist sich auch HDI-Vertriebschef
Wolfgang Hanssmann sicher. Vorteil
für Kunden: Sie sehen via Facetime,
Skype oder ähnliche Kanäle nicht
nur ihren Berater, sondern erhalten
gleich benötigte Unterlagen auf den
Bildschirm. Der Berater schrumpft
im Bild in dem Moment auf Briefmar-
kengröße.
Probleme gibt es dabei zwar noch
durch regulatorische Auflagen. Die
Digitalisierung schafft hier aber Ab-
hilfe: So gibt es beispielsweise zur
Identifizierung den sogenannten
elektronischen Notar. Eine digitale
Signatur bei Vertragsabschluss ist so
über Verschlüsselungen in speziellen
Protokollen möglich. Trotzdem ent-
stehen mitunter kuriose Probleme:
etwa, wenn auf einem Vertrag zur be-
trieblichen Altersvorsorge ein Fir-
menstempel nötig ist. Gerade junge
Firmen und Start-ups besitzen einen
solchen oftmals gar nicht mehr. Meist
genügt dann aber eine Bestätigung
des Arbeitnehmers.
nLaptop, Tablet oder Smartpho-
ne: Viele Versicherer rühmen sich in-
zwischen ihrer Apps, die sie für den
Kundenservice entworfen haben: für
bessere Übersicht über Verträge, die
Abwicklung von Schadensfällen oder
allgemeine Anliegen der Kunden.
Gern wird suggeriert, dass der Kun-
denkontakt zum Versicherer nur
noch via App gehalten wird. Das geht
allerdings nur bis zu einem gewissen
Punkt. „In der Beratung stößt das
Smartphone durch seine Größe an
seine Grenzen, das Tablet findet aber
immer stärker Einzug“, beobachtet
Butzlaff von Swiss Life.
nVorsicht bei Versicherungspake-
ten: Kommt es zum Beratungsge-
spräch, wird das Gespräch nach dem
eigentlichen Produktwunsch oftmals
noch auf eine Reihe anderer Angebo-
te gelenkt. Meist wird ein Preisvorteil
durch diese Bündelung in Aussicht
gestellt, quasi als Mengenrabatt. Das
schaffe auch den Vorteil, nur noch ei-
nen Ansprechpartner zu haben und
den Status als besonders guter Kunde
zu erreichen, ist oft zu hören. In der
Praxis kommt das bei verwandten
Versicherungsberatung
Schöne neue
Versicherungswelt
Wer heute eine Police
abschließt, lässt immer
seltener Berater ins
Haus. Versicherer setzen
deshalb zunehmend auf
den digitalen Vertrieb –
nicht immer zum Vorteil
der Kunden.
Getty Images
Branche
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TAUSEND
Berater, die als Selbst-
ständige Versiche-
rungspolicen verkau-
fen, gibt es noch in
Deutschland.
Quelle: GDV
Private Geldanlage
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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