Handelsblatt - 25.10.2019

(Ron) #1

Mythos Vielflieger
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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teile zu gewinnen. Für die Lufthansa wurde die
Konkurrenz aus Istanbul immer gefährlicher, vor
allem auf Langstreckenverbindungen Richtung
Asien.
2013 schaltete die Lufthansa auf Gegenschub: Sie
kündigte an, dass Miles-&-More-Kunden, die mit
Turkish fliegen, nur noch ein Viertel der ursprüng-
lichen Meilen gutgeschrieben bekommen. Sprich:
Wer mit Lufthansa sammelt, aber mit Turkish Air-
lines abhebt, wird benachteiligt. Ein Jahr später
kündigte die Lufthansa gar ihr Codeshare-Abkom-
men mit Turkish Airlines auf, ein Verfahren, bei
dem sich mehrere Airlines die Plätze auf einem Li-
nienflug teilen. Mit nahezu allen Mitteln versucht
Lufthansa, die eigenen Kunden vom vermeintli-
chen Partner Turkish fernzuhalten. So müssen Tur-
kish-Passagiere an den Flughäfen Köln, Düsseldorf
und München von anderen Terminals abfliegen als
Lufthansa-Kunden. Theoretisch haben die Status-
Kunden von Miles & More zwar weiterhin das
Recht, an diesen Flughäfen eine Lufthansa-Lounge
zu besuchen, auch wenn sie mit Turkish-Ticket un-
terwegs sind. Doch faktisch machen die langen We-
ge zum anderen Terminal den Loungebesuch
denkbar unattraktiv.
Derweil lassen die Türken nicht locker. Mehrere
Jahre lang erlaubte Turkish einen „Status Match“:
Wer bei einem fremden Meilenprogramm eine
Gold-Karte nachweisen konnte, erhielt probeweise
auch bei Turkish den gleichwertigen Gold-Status –
mitunter für zwei Jahre, ohne auch nur einmal in
einer Maschine der Airline gesessen zu haben.
Mit der Eröffnung des neuen Flughafens in Istan-
bul, der in seiner letzten Ausbaustufe rund dreimal
so viele Passagiere abfertigen kann wie Frankfurt,
wird es jedoch schwer, sich den Konkurrenten vom
Hals zu halten. Istanbul und Turkish Airlines wol-
len das neue Drehkreuz der Welt werden. Immer
mehr Flüge gehen von Europa nach Asien, von
Arabien nach Amerika, von China nach Afrika. Ge-
nau in der Mitte liegt: Istanbul.
Den „Status Match“ bieten die Türken inzwi-
schen nicht mehr an. Doch noch immer sind die
Hürden hier deutlich niedriger als bei Lufthansa.
Für den mit dem Senator vergleichbaren „Eli-
te“-Status braucht man nur 30 000 Meilen in ei-
nem Jahr – oder 45 000 in zwei Jahren. Wer seinen
Wohnsitz außerhalb der Türkei hat, bekommt
noch einmal 5 000 bis 7 500 Meilen Rabatt. Der
höchste Turkish-Status („Elite Plus“) ist schon mit
80 000 Meilen zu erreichen.
Über die unterschiedlichen Statusregelungen
kann sich Simon Schmitz, der HON mit den 7,9 Mil-
lionen Lufthansa-Meilen auf dem Konto, ziemlich
aufregen. Vor allem die Lounge-Logik findet er para-


dox, das hat er auch Lufthansa-CEO Carsten Spohr
schon mal bei einem Treffen zugeflüstert: „Jemand,
der seinen Star-Gold-Status auf vergleichsweise bil-
ligem Weg bei Turkish gemacht hat, darf bei der
Lufthansa in die Senator-Lounge. Ein FTL, der im
Zweifel der viel bessere Kunde ist und viel mehr Seg-
mente im Lufthansa-Konzern zusammengesammelt
hat, darf aber nur in die Business Lounge.“
Das merken auch Zehntausende Kunden aus
Deutschland, die die Lücke im System ausnutzen –
und ihren Goldstatus statt bei der Lufthansa ein-
fach kostengünstig bei einer anderen Airline der
Star Alliance erfliegen. Wahlweise bei Turkish (Viel-
fliegersprech: „Dönergold“), den Griechen von Ae-
gean Airlines („Gyrosgold“) oder bei der afrikani-
schen Airline Ethiopian. Deren Karte hat den Bei-
namen „Katzengold“– weil das Programm, ähnlich
wie Katzenfutter, „Sheba Miles“ heißt.





Ein Statussymbol fällt
aus der Zeit
Welches Vielfliegerprogramm ist das beste? Das
lässt sich nicht verallgemeinern, sagt Ralf Schu-
mann, der mit seiner Firma Net-D-Sign als Internet-
provider im Münchener Norden sitzt – und außer-
dem noch das Reisebüro Sky Travel Agent betreibt.
„Es gibt kein ,one size fits all‘, nicht jedes Vielflie-
gerprogramm passt zu jedem Flugverhalten.“
Die Fliegerei habe sich extrem verändert, urteilt
der 39-Jährige, der sich schon seit knapp 20 Jahren

mit dem Meilenoptimieren beschäftigt. Das Reisen
sei durch die Digitalisierung heute wesentlich un-
persönlicher geworden. „An Tagen mit größeren
Flugunregelmäßigkeiten bilden sich vor den Ser-
vicecentern am Flughafen lange Schlangen, das
Personal ist in den Situationen nicht ausreichend,
um sich zeitnah um die betroffenen Fluggäste küm-
mern zu können. Teilweise bricht dann auch gern
mal die Telefonanlage zusammen.“ Ein Vielflieger-
status sichere heutzutage nicht nur Privilegien,
sondern auch eine „gewisse Basisversorgung, ohne
die so mancher Berufspendler, Berater, Service-
Techniker oder auch Firmenvorstand auf Dauer
wahrscheinlich die Krise bekommen würde“. Denn
für das Gros der Geschäftsleute gehe es nicht um
Glamour, sondern primär um zwei Fragen: „Schaf-
fe ich es pünktlich zum Termin – und abends noch
zurück zu meiner Familie?“
Nur eine Minderheit flöge zum Spaß durch die
Welt. Rund 80 Prozent täten es wegen ihres Jobs,
schätzt Schumann. Dazu kämen bei ihm Kunden,
die etwa in Fernbeziehungen leben oder zweimal
im Monat ihre pflegebedürftigen Eltern besuchen.
Schumanns Reisebüro berät Kunden, welcher Um-
weg sich beim Abflug lohnt, wo günstige Tickets in
First oder Business Class zu haben sind, wie sich
Geld sparen lässt. Für die Buchung verlangt er ein
Serviceentgelt. 400 bis 500 Kunden hat er pro
Jahr, denen es nur um die reine Flug- und Meilen-
optimierung geht. Immer wieder biete er auch Rat
bei Mileage Runs. Er habe sehr viele Manager von
mittelständischen Unternehmen als Kunden.
„Kaum einer von denen hat in den Reiserichtlinien
die First Class drin stehen“, berichtet Schumann.
Im Zweifel würden die Manager die Differenz von
der Business Class zur First Class von ein paar Hun-
dert Euro selbst zahlen, um in den Genuss des Top-
Produkts zu kommen. „Weil es die Reise erleichtert


  • und natürlich auch dabei hilft, den Status zu er-
    halten.“
    Viele der Lufthansa-Kunden buchen aber auch
    die First, weil die Business Class der Lufthansa auf
    der Langstrecke nicht den besten Ruf hat. „Die
    Business der Lufthansa hinkt anderen Produkten
    am Markt schon sehr hinterher“, meint Schumann.
    Berüchtigt ist das unfreiwillige Füßeln mit dem
    Nachbarn, weil sich die Sitze in der Liegeposition
    im Fußraum dreieckig verjüngen. Das Nachfolge-
    produkt kommt wegen Verzögerungen beim Flug-
    zeugbauer Boeing frühestens Anfang 2021. „Dafür
    sticht Lufthansa durch seinen Service, das große
    Netzwerk und das einmalige First Class Terminal in
    Frankfurt hervor“, meint Schumann. Selbst Kun-
    den aus Afrika oder Indien flögen daher lieber über
    Frankfurt gen USA als über London oder Paris.


Mit dem Porsche
zum Terminal: So
endet der Flug
meist für Mitglieder
des HON-Circle.

Dominik Mentzos / Lufthansa

Nach dem Flug ist vor der Busfahrt: Für die meisten Passagiere
der Standard bei einer Außenposition der Maschine.

imago/Stefan Zeitz
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