Die Welt Kompakt am Sonntag - 20.10.2019

(Rick Simeone) #1

WELT AM SONNTAG NR. 42 20. OKTOBER 2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT^21


Anschlag auf den Pan-Am-Jumbo über
dem schottischen Lockerbie starb.
Ja, ich war damals erst 8, ging in die
dritte Klasse.

Und dann 9/11. Nach Lockerbie riet Ih-
nen Ihr Vater, die „Times“ zu lesen,
um die Hintergründe des Terrors bes-
ser zu verstehen. Nach 9/11 zog dieser
Rat offenbar nicht mehr. Warum?
Der Rat meines Vaters trieb mich auch
nach 9/11 weiter an. Die Zeitung zu lesen
war nur der erste Schritt. Ich studierte
dann „Konflikt- und Terrorismusfor-
schung“ am Institut für internationale
Beziehungen an der Georgetown-Uni-
versität in Washington. Ich tauchte in
die Bestände der Bibliotheken ein,
durchsuchte das Internet nach Daten,
entwickelte daraus einen Algorithmus,
der Regionen herausdeuten konnte, die
als mögliche Zufluchtsorte für Terror-
gruppen infrage kamen. Dann machte
ich meinen Master-Abschluss. Der Algo-
rithmus weckte das Interesse eines
CIA-Beamten, der an der Uni saß. So
wurde ich schließlich für den Geheim-
dienst rekrutiert. Mein Antrieb war: Ich
wollte den Feind besser verstehen, um
ihn stoppen zu können.

Wie kann ein Algorithmus helfen?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wenn in
einer Region Grenzbeamte ein Gehalt
bekommen, das unter dem Existenzmi-
nimum liegt, ist das ein Indiz dafür, dass
die Korruptionsgefahr in jener Region
sehr hoch ist. Anhand von solchen Da-
ten könnte man beispielsweise gezielt
in Anti-Korruptions-Maßnahmen inves-
tieren. Bevor sich Terrorgruppen for-
mieren und Angriffe planen können.

Heute steuern die USA eher in die Ge-
genrichtung: Die Gespräche mit den
Taliban hat Donald Trump gestoppt.
Sein Abzug aus Nordsyrien kappt die
Unterstützung der Kurden, die gegen
den IS gekämpft haben und jetzt der
Armee Erdogans ausgeliefert sind.
Nun könnte der IS wiedererstarken,
und die Kurden müssen den Despoten
Assad um Schutz bitten.
Die USA machen immer wieder diesel-
ben Fehler. Seit Generationen geht das
schon so: Wir bewaffnen den Feind un-
seres Feindes, ohne miteinzubeziehen,
ob diese Waffen später gegen uns selbst

gerichtet sein könnten. So war es, nach-
dem wir die Taliban in den 80ern bewaff-
net hatten, und mit den Kurden in Nord-
syrien könnten wir ein ähnliches Szena-
rio erleben. In dem Bereich muss ein
grundsätzliches Umdenken einsetzen:
Langfristig müssen wir unsere gewaltige
militärische Macht – Personal wie auch
finanzielle Ressourcen – anders einset-
zen. Nicht nur, um jene zu zerstören, die
uns Böses wollen. Sondern diese Mittel
vorausschauend einsetzen, um gerade in
Krisenregionen Stabilität zu sichern.
Weltweit, wo immer es sinnvoll und ge-
wünscht ist. Um auf diese Weise zu ver-
hindern, dass sich die Migrationskrisen
weiter ausdehnen, die ja auch aus der In-
stabilität vieler Regionen heraus entste-
hen. Chinas Beispiel ist in dieser Hin-
sicht äußerst lehrreich.

In China waren Sie mit Ihrem zweiten
Ehemann, auch er CIA-Agent, unter
falscher Identität und wussten, dass
die Chinesen Sie überwachten. Was
könnten die USA von China lernen?
China investiert derzeit etwa eine Billi-
on Dollar in etwa zwei Drittel der Län-
der dieser Welt, ist dort mit mehr als ei-
ner Million Menschen aktiv. Das ist kei-
ne militärische, sondern eine weiche
Form der Machtausübung – Soft Power.
Aber dieser Einfluss Chinas ist gewaltig,
er kann weltweit Allianzen verändern.
China macht das nicht aus wohltätigen
Überlegungen heraus, diesem Engage-
ment liegen sehr gerissene geopoliti-
sche Strategien zugrunde. Vor dem Hin-
tergrund müssen die USA ihre vor allem
im Militärbereich gebündelten Ressour-
cen anders nutzen, um weltweit Stabili-
tät und Sicherheit zu unterstützen.

Was wäre, sagte eine Ihrer Töchter ei-
nes Tages: „Mama, ich gehe zur CIA?“
Ich bin immer sehr zerrissen, wenn
mich Leute fragen, ob sie ihren Kindern
einen Job bei der CIA erlauben oder
empfehlen sollten. Es ist ein sehr einsa-
mer Job. Wobei man sagen muss, dass
Frauen für diesen Job besonders gut ge-
eignet sind.

Warum?
Beim Sammeln von Informationen
kommen ihnen Charaktereigenschaf-
ten, die eher Frauen zugeschrieben wer-
den, besonders zugute: Intuition und
emotionale Intelligenz. Das sind wichti-
ge Pfeile im Köcher eines Geheim-
dienstlers.

Als Agentin mussten Sie Ihre Eltern
anlügen, die glaubten, Sie berieten
multinationale Konzerne. In China
bekamen Sie und Ihr Mann sogar CIA-
Anweisungen zum Sexleben, damit
spionierende Chinesen nicht argwöh-
nisch wurden. Und dann war da noch
Ihre kleine Tochter. Waren Sie sich
manchmal selbst unheimlich?
Mein Leben war in der Hinsicht sicher ...
ziemlich herausgehoben. Ich wurde erst-
mals Mutter, als sich im Hintergrund der
Krieg gegen den Terror abspielte. Aber es
gibt viele Mütter überall auf der Welt, die
extremen Gefahren ausgesetzt sind: in
den Innenstädten der USA, in Kriegsge-
bieten oder in den vielen Flüchtlings-
trecks. Mütter, die viele Opfer erbringen,
um ihren Kindern ein besseres Leben er-
ASHLEY FRANGIE möglichen zu können.

Siewurde 1980 als Tochter einer
englischen Schauspielerin und
eines US-amerikanischen Wirt-
schafts-Professors in New York
geboren. Als CIA-Undercovera-
gentin hatte sie Einsätze auf der
ganzen Welt. Seit ihrem Weg-
gang von der CIA 2010 engagiert
sie sich für NGOs. Am 21.Ok-
tober erscheint ihre Autobiogra-
fie „Life Undercover“ (Hanser).
WELT AM SONNTAG-Heraus-
geber Stefan Aust moderiert am
1 9. November um 20 Uhr die
Premiere ihres Buches und ein
Gespräch mit Amaryllis Fox im
Pfefferberg Theater in Berlin.

Amaryllis Fox
Ex-Spionin und Autorin
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