Storch, 70, zählt zu den weltweit führen-
den Klimaexperten. Am Hamburger Max-
Planck-Institut für Meteorologie und am
Helmholtz-Zentrum für Küstenforschung
in Geesthacht war der Mathematiker an
der Auswertung jener Computermodelle
beteiligt, mit denen das Klima der Zukunft
simuliert wird. Für seine Verdienste in der
Klimaforschung erhielt er jetzt das Bundes-
verdienstkreuz.
SPIEGEL: Herr von Storch, für Greta Thun-
berg und ihre Bewegung »Fridays for
Future« sind Klimaforscher Helden. »Hört
auf die Wissenschaft!«, rufen die Aktivis-
ten. Das müsste Ihnen doch gefallen.
Storch:Keineswegs. Frau Thunberg meint
wohl vor allem jene Wissenschaftler, die
sagen, was sie hören will. Es ist aber nicht
Aufgabe von uns Klimaforschern, den Poli -
tikern zu diktieren, wie sie entscheiden
sollen. Letztlich sind wir Fachidioten. Wir
können ausrechnen, dass sich die Tem -
peraturerhöhung nur dann auf zwei Grad
begrenzen lässt, wenn wir bis Mitte des
Jahrhunderts die CO²-Emissionen auf null
bringen. Es ist dann aber eine politische
Entscheidung, ob dieses Ziel erreicht wer-
den soll und wie es dabei gelingt, für einen
Ausgleich der widerstreitenden Interessen
zu sorgen.
SPIEGEL:Ist die Panik der streikenden
Jugendlichen begründet?
Storch:Nein. So schnell wird die Mensch-
heit schon nicht untergehen. Gefüttert
wird das um sich greifende Ohnmachts -
gefühl leider durch manche meiner For-
scherkollegen, die vor einer bevorstehen-
den Endzeit warnen. Solche Leute tun der
Wissenschaft keinen Gefallen, weil sie die
kritische Distanz aufgeben. Auch wir
Klima forscher liefern stets nur vorläufige
Erklärungen und müssen bereit sein, diese
möglicherweise wieder über den Haufen
zu werfen, wenn neue Daten das erfor-
dern. Wir schaffen Wissen, keine endgül-
tigen Wahrheiten.
SPIEGEL:Wie groß ist der Konsens in der
Forschung, dass wir derzeit einen men-
schengemachten Klimawandel erleben?
Storch:Daran besteht unter uns Fachleu-
ten kein begründeter Zweifel mehr. Doch
in wichtigen Details gibt es noch große
Deutungsunterschiede. Wie schnell steigt
der Meeresspiegel wo in der absehbaren
Zukunft? Inwieweit nehmen extreme Nie-
derschläge oder Dürren zu? Wo werden
Stürme heftiger und häufiger? Alles nicht
abschließend beantwortete Fragen. Noch
schwerer ist es, die gesellschaftlichen Fol-
gen der Erwärmung vorherzusagen, etwa
ob es tatsächlich in großer Zahl echte Kli-
maflüchtlinge geben wird.
SPIEGEL:Was macht Ihnen an der steigen-
den Erwärmung am meisten Angst?
Storch:Vor dem Klimawandel selbst fürch-
te ich mich nicht. Steigender Meeresspiegel
und höhere Temperaturen sind zu bewäl-
tigen, daran kann sich der Mensch anpas-
sen, wenn genug Zeit ist und die Änderun-
gen begrenzt bleiben. Sorge bereitet mir
derzeit eher die Veränderung des gesell-
schaftlichen Klimas. Wenn immer mehr
Aktionismus betrieben und nach Schuldi-
gen gesucht wird, kann das ein böses Ende
nehmen und den sozialen Frieden gefähr-
den. Einige Klimaaktivisten sind ja sogar
bereit, für den Kampf gegen die Erwär-
mung die Demokratie einzuschränken.
Und was geschieht, wenn in Zukunft ir-
gendwelche Fanatiker fordern, Kriege ge-
gen solche Staaten zu führen, die sich wei-
gern, ihre Kohlekraftwerke abzuschalten?
SPIEGEL:Was halten Sie persönlich von
Greta Thunberg?
Storch:Sie ist eine mutige junge Frau, die
Beachtliches unter persönlichem Risiko ge-
leistet hat. Leider wird sie als eine Heils-
bringerin inszeniert. Wir leben ja nicht
mehr in der Zeit der Kinderkreuzzüge.
Und wenn die Jugendlichen ernst genom-
men werden wollen, müssen sie sich auch
gefallen lassen, kritisiert zu werden.
SPIEGEL:Sind Sie ein Greta-Skeptiker?
Storch:Ein dämliches Wort. Mir geht es
nur zu weit, dass Greta und ihre Anhänger
den Eindruck erwecken, das Klimathema
sei die alles beherrschende Schicksalsfrage,
die größte Bedrohung aller Zeiten. Andere
ebenso wichtige Themen wie die Bekämp-
fung von Armut, Krankheiten und Hunger
erscheinen auf einmal nachrangig. Das ist
mir zu sehr die Sichtweise des reichen Wes-
tens. Ein Kontinent wie Afrika wird ohne
gewaltige zusätzliche Mengen an Energie
nicht aus der Armut herauskommen.
SPIEGEL:Die Klimaschutzbewegung tritt
doch auch als Fürsprecher der Dritten
Welt auf.
Storch:Ja, aber hat man die Menschen in
den armen Weltregionen gefragt, ob sie
den Klimawandel selbst als ihr größtes Pro-
blem ansehen? Vielleicht haben die aktuell
ganz andere Sorgen. Ich sehe die Gefahr,
dass die Menschen in der Dritten Welt wie-
der einmal bevormundet werden.
SPIEGEL:Werden Hunger, Armut oder Ge-
sundheitsprobleme nicht durch die globale
Erwärmung verschärft?
Storch:Nein, jedenfalls noch nicht; die heu-
tigen Herausforderungen sind viel drängen-
der als der Klimawandel, der sich ja schlei-
chend im Laufe von Jahrzehnten vollzieht.
In China beispielsweise ist die Verbren-
nung von Kohle aktuell nicht ein Klimapro-
blem, sondern eines der Luftverschmut-
zung. Schnell alle Kohlekraftwerke abzu-
schalten würde helfen – nur geht das aus
ökonomischen Gründen nicht. Vielmehr
müssten rasch überall Filter eingebaut wer-
den, wie wir das in Deutschland erfolgreich
in den Achtzigerjahren vorgemacht haben.
SPIEGEL: Sollten wir nicht so schnell wie
möglich von der Verbrennung fossiler Brenn -
stoffe wegkommen?
Storch: Das ist unstrittig. Aber auf ein paar
Jahre früher oder später oder ein paar
Zehntelgrad Erwärmung mehr oder weni-
ger kommt es am Ende nicht an. Haupt -
sache, die Richtung stimmt.
SPIEGEL:Greta Thunberg sieht das anders.
»Ihr habt mir meine Jugend gestohlen«,
klagt sie.
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Wissenschaft
»Früher war ein Sturm
einfach ein Sturm«
UmweltDer Klimaforscher Hans von Storch hält das 1,5-Grad-Ziel
für unerreichbar, warnt aber vor Panik und Aktionismus.
30
20
10
0
–5
0
2
6
10
CO 2 -Emissionen in Gigatonnen Kohlenstoff
1900 2000 2100 2200 2300
1900 2000 2100 2200 2300
vage Prognose
... und ihre berechneten Folgen
Simulierte Zukunft
Szenarien der Treibhausgasemissionen ...
»Weiter wie bisher«: Treibhausgase steigen
ungebremst an.
1
2 Moderater Anstieg der CO 2 -Emissionen
CO 2 -Emissionen werden schnell gedrosselt,
sodass das 2-Grad-Ziel erreicht werden kann.
3
Quellen: DKRZ; Van Vuuren et al., 2011
Temperaturabweichung
vom langjährigen Mittel (1986 bis 2005) in Grad Celsius;
Modellrechnung des Deutschen Klimarechenzentrums
4
8