deutsche Staatsbürgerschaft nach Artikel
116 beantragen. Darauf habe er jedoch kei-
nen Anspruch, wurde ihm mitgeteilt. Der
Grund: Seine Oma habe die deutsche
Staatsbürgerschaft verloren, weil sie einen
polnischen Mann geheiratet hatte, nicht
durch Ausbürgerung unter den Nazis.
Oren könne nur nach den Regeln einge-
bürgert werden, wie sie für sämtliche Aus-
länder gelten, allenfalls schneller.
»Ich fand es ungerecht und erniedrigend,
immer wieder vor Beamten zu sitzen und
zu erklären, warum ich es verdiene, Deut-
scher zu werden«, sagt Oren. »Ich wollte
doch nur zurückbekommen, was uns die
Nazis genommen hatten.«
Er sollte seine israelische Staatsbürger-
schaft aufgeben, doch das wollte er nicht,
die sei seine »Versicherung«. Mithilfe einer
Anwältin gelang es ihm, sie zu behalten:
Im Sommer wurde er in Hamburg einge-
bürgert, der Erste Bürgermeister Peter
Tschentscher gratulierte. Als er den Be-
scheid in Händen hielt, sei er »sehr stolz
und froh« gewesen, sagt Oren.
Auch bei Oren Kirschenbaum, dem Sohn
des »Villa Emma«-Geretteten, hieß es, er
könne frühestens nach vier Jahren einge-
bürgert werden. So weit kann die Frist von
acht Jahren, die ein Ausländer rechtmäßig
in Deutschland gelebt haben muss, aus
Gründen der Wiedergutmachung verkürzt
werden. Wenn es schneller gehen solle,
müsse er noch »andere Gründe« vorbrin-
gen, schrieb die Behörde. Kirschenbaums
Anwältin hat dargelegt, wie sehr er sich für
das Kulturleben im Südschwarzwald enga-
giere, die Antwort steht aus.
Nun hat das Problem den Bundestag er-
reicht. Grüne und Linke haben Gesetzent-
würfe eingebracht, die voraussichtlich
kommenden Donnerstag im Plenum be-
handelt werden. Sie sollen endlich all die
Hürden beseitigen, die eine Einbürgerung
von Nachfahren jüdischer NS-Verfolgter
verhindern. »Um das historische Unrecht
zumindest im Staatsangehörigkeitsrecht
wiedergutzumachen, brauchen die Betrof-
fenen einen rechtssicheren Anspruch auf
Wiedereinbürgerung«, sagt die grüne Ab-
geordnete Filiz Polat.
Es ist eine Debatte von geschichtlicher
Bedeutung. »Ein gesetzlicher Anspruch
wäre ein Symbol für die Naziverfolgten
und ihre Nachfahren«, sagt der FDP-Ab-
geordnete Stephan Thomae. In einem An-
trag fordert seine Fraktion von der Bun-
desregierung ein Gesetz dazu.
Ende August setzte Innenminister Horst
Seehofer (CSU) aber nur zwei Erlasse in
Kraft, die eine Einbürgerung bisher abge-
lehnter Antragsteller erleichtern sollen.
Nach Überzeugung der Opposition
reicht das nicht aus. »Die Rechtsunsicher-
heit bleibt«, sagt die Grüne Polat, »und
für die Betroffenen heißt es: lange und er-
müdende Verfahren.« Sie sollten jedoch
»nicht als Bittsteller« vor den Behörden
auftreten müssen. Ein Erlass, sagt die Lin-
ken-Abgeordnete Ulla Jelpke, »hat den
Geschmack eines Gnadenerweises«.
Denn es bleibt eine Ermessensentschei-
dung, auch wenn Seehofer »wohlwollende
Handhabung« verspricht und dass die nö-
tigen Voraussetzungen »auf ein Minimum
reduziert« würden.
Kann man historisches Unrecht durch
Wohlwollen ausgleichen?
»Wir sollten uns freuen, wenn diese
Menschen wieder Deutsche werden wol-
len«, sagt Felix Klein, der Beauftragte der
Bundesregierung für jüdisches Leben. Die
Einbürgerung von Nachfahren einst ver-
folgter deutscher Juden »ist in unserem
staatspolitischen Interesse«. Klein lobt den
»großzügigen Erlass« des Innenministers,
allerdings müsse man in den nächsten Wo-
chen sehen, »wie er sich in der Praxis be-
währt, ob er ausreicht oder vielleicht doch
eine gesetzliche Regelung sinnvoll ist«.
Die Regierungsfraktionen von Union
und SPD stellen sich nicht gegen ihren In-
nenminister und lehnen ein Gesetz bisher
ab, nächste Woche wollen sie gegen die
Entwürfe der Opposition stimmen. Den
Betroffenen »muss unbürokratisch gehol-
fen werden«, rechtfertigt CDU-Fraktions-
vize Thorsten Frei den Erlass. »Wir woll-
ten schnell handeln«, sagt Eva Högl von
der SPD. Und doch ist offenbar etwas in
Bewegung geraten. »Sollte sich herausstel-
len, dass der Erlass nicht ausreicht, können
wir jederzeit nachbessern und sind offen
für eine gesetzliche Regelung«, so CDU-
Mann Frei. Högl sieht es ähnlich.
Frust und Bitterkeit bei vielen abgelehn-
ten Nachfahren sind groß. Der Großvater
von Angela Schock-Hurst, der britischen
Deutschlehrerin, war Berliner, er hieß Kurt
Schweitzer. Als Leutnant diente er in ei-
nem preußischen Garderegiment, dennoch
nahmen ihm die Nazis 1934 seine Stelle als
Regierungsrat bei der Physikalisch-Techni-
schen Reichsanstalt. Nachdem er 1938 drei
Wochen lang im KZ Sachsenhausen inter-
niert gewesen war, floh er nach England
und brachte vorher auch seinen neunjähri-
gen Sohn Reicke dorthin in Sicherheit.
Schock-Hurst ist dessen älteste Tochter.
Das Familienschicksal interessierte das
Bundesverwaltungsamt anscheinend we-
nig, als es Schock-Hurst 2017 mitteilte, sie
könne nicht eingebürgert werden, weil ih-
DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019
VERENA BERG / DER SPIEGEL VERENA BERG / DER SPIEGEL
»Ich wollte doch nur zurückbekommen, was die Nazis uns genommen hatten«
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