Wirtschaftsbuchpreis 2019
MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202
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Regina Krieger Frankfurt
E
s ist das Jahr der globalen politischen
und gesellschaftlichen Umbrüche. Die
Stichworte sind Handelskriege und
Protektionismus, politische Spannun-
gen, Klimawandel, aber auch wachsen-
de Gefahren für die Demokratie, die Polarisierung
der Gesellschaft und der Wandel durch die Digita-
lisierung und die Künstliche Intelligenz, der ganze
Branchen und Unternehmen verändert.
Diese Umbrüche werden reflektiert in den Wirt-
schaftsbüchern, die in den vergangenen zwölf Mo-
naten erschienen sind. „Wie entwickelt sich unsere
Gesellschaft, was muss mit dem Kapitalismus ge-
schehen, welche Reformen brauchen wir? Das sind
die Fragen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Dis-
kussion, denen die Autoren nachgehen“, sagte der
Juryvorsitzende Hans-Jürgen Jakobs, Senior Editor
des Handelsblatts, zum Auftakt der festlichen Preis-
verleihung des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises
2019 im Rahmen der Buchmesse in Frankfurt.
Schon zum 13. Mal wurde der mit 10 000 Euro
dotierte Preis verliehen. Ausgelobt wird er von den
drei Partnern Handelsblatt, Frankfurter Buchmes-
se und Goldman Sachs mit dem Ziel, einem breiten
Publikum ökonomische Zusammenhänge ver-
ständlich nahezubringen.
Die Jury habe bei der Auswahl des besten Wirt-
schaftsbuchs des Jahres besonders auf das Kriteri-
um der Zukunftsfähigkeit geschaut, sagte Jakobs.
Auf Rezepte, Anregungen und einen konstruktiven
Ansatz. Und damit war für aufmerksame Leser und
Zuhörer im Prinzip schon klar, wer der Preisträger
in diesem Jahr ist: Paul Collier mit seinem Buch
„Sozialer Kapitalismus“ mit dem Untertitel „Mein
Manifest gegen den Zerfall unserer Gesellschaft“,
erschienen im Siedler-Verlag.
Doch vor der Siegerehrung kam ein weiteres
Highlight der Preisverleihung: der „Elevator Pitch“
mit der Vorstellung der zehn Finalisten. Autoren,
Verleger oder Lektoren hatten drei Minuten Zeit,
um ihr Buch vorzustellen – eine spannende Runde,
die dem Publikum gefiel (siehe Bericht auf der
nächsten Seite).
Der Preisträger, Ökonom an der Universität in
Oxford, Autor mehrerer Bestseller, ehemaliger Lei-
ter der Forschungsabteilung der Weltbank und Be-
rater der Bundesregierung, diagnostiziert in sei-
nem Buch, dass nicht nur die Verteilung zwischen
Arm und Reich Probleme in der Gesellschaft auf-
wirft. Viel gefährlicher sei die neue Kluft zwischen
städtischen Metropolen und der Provinz, zwischen
den urbanen Eliten und der Mehrheit der Bevölke-
rung. Eine Ideologie des Einzelnen greife um sich,
schreibt Collier, die auf Konsum abziele und sich
von der Idee gegenseitiger Verpflichtungen verab-
schiede. In dieses Vakuum würden Populisten und
Ideologen stoßen.
Doch Collier ist kein Pessimist. Er fordert in sei-
nem Manifest aber ein ethisch fundiertes Bewusst-
sein für das Gemeinwohl. Auch Unternehmen
müssten den Rückbezug wiederherstellen zwi-
schen Rechten und Verpflichtungen, zwischen An-
sprüchen und Verantwortung.
Die Jury prämierte das Buch, weil es das Thema
Zukunftsbewältigung wegweisend behandelt und
nach einer Antwort auf eine der großen Fragen der
Zeit sucht: Wie können wir im Zeichen des techni-
schen Fortschritts die Gesellschaft stabilisieren?
„Es hat uns überzeugt, dass er Wege aufzeigt, wie
man aus dem Dilemma herauskommt“, sagte Ja-
kobs. „Collier bringt etwas in die Diskussion, was
bisher zu kurz gekommen ist: die Frage der Werte,
wie eine Gesellschaft zusammenarbeitet, mit der
klaren Aufforderung, sich neu zu orientieren.“
Bücher statt Twitter
Jede Gesellschaft brauche eine Konvention der Mit-
glieder über Werte, die gelebt werden müssen,
heißt es in der Begründung der Jury. „Colliers Ma-
nifest für einen erneuerten Kapitalismus ist extrem
gut erklärt, und seine Forderungen sind leicht
nachvollziehbar, und er spricht das Thema Identi-
tät ideologiefrei an.“ Und es ist sehr gut erzählt mit
vielen persönlichen Passagen. Das entspricht dem
Motto des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises
„Wirtschaft verstehen“. „Es ist mehr als ein Ökono-
miebuch, aus ihm spricht sehr viel Bildung“, so der
Juryvorsitzende.
Viel Applaus gab es für den Sieger, der aus Ox-
ford angereist war. „Die These meines Buches lau-
tet, dass es in einer gut funktionierenden Gesell-
schaft, die geeint ist und nach vorn schaut, keinen
Deutscher Wirtschaftsbuchpreis 2019
Zukunftsbewältigung
statt Pessimismus
Paul Colliers Buch „Sozialer Kapitalismus! Mein Manifest gegen den
Zerfall unserer Gesellschaft“ ist das beste Wirtschaftsbuch des Jahres.
Die Preisverleihung: Sir Paul Collier (2. v. r.) mit Buchmessendirektor Juergen Boos, Wolfgang Fink, Deutschlandchef von Goldman
Sachs, und Hans-Jürgen Jakobs, Juryvorsitzender und Senior Editor des Handelsblatts (v.l.).
Bernd Roselieb für Handelsblatt